HATSCHEPSUT

DIE PHARAONIN

 

Historischer Roman

 

 

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

 

www.verlag-peter-hopf.de

 

 

Covergestaltung: Thomas Knip, nach einem Gemälde von David Roberts

 

ISBN ePub 978-3-86305-223-2

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

 

Das Buch

Sie war die erste Frau auf dem Pharaonenthron, und die Monumente ihrer Herrschaft (1490-1468 v. Chr.), ihr Totentempel in Theben, die schlanken Obelisken von Luxor, sind uns heute Inbegriff höchster Kultur.

Hatschepsuts Jugend endet jäh, als sie Herrin im Großen Haus wird. Sie folgt den alten Riten, trägt Männergewänder und den rituellen Bart der Herrscher. Aber ihre Politik setzt auf Veränderungen: Nicht Kriege, sondern vorsichtige »innenpolitische« Reformen und Handelsexpeditionen sollen Ägypten groß machen. Ihre Zweifel, ihre geheimen Gefühle kennt nur ihr Berater Senenmut, dessen Aufstieg Neid erregt.

Die Priester misstrauen der Frau auf dem Thron. Sie setzen auf den ehrgeizigen Nachfolger. Dramatisch spitzt sich der Machtkampf zu, und Hatschepsut verschwindet geheimnisvoll aus Ägypten – in eine unbekannte Welt.

 

 

Der Autor

Hanns Kneifel (1936 – 2012) begann seine schriftstellerische Laufbahn mit der Science-Fiction; später wandte er sich mit viel Erfolg dem historischen Roman zu. Seine Sachbücher, Hörspiele und Romane sind in einer Gesamtauflage von rund 2,8 Millionen Exemplaren erschienen.

 

 

HANNS KNEIFEL

Hatschepsut - Die Pharaonin

 

Historischer Roman

 

 

 

Die Namenskartuschen der Herrscher recherchierte und zeichnete der Verfasser. Für die vorliegende Ausgabe wurde die Romanbiografie vom Autor vollständig durchgesehen und bearbeitet.

 

»Sie war schöner anzusehen als alles ringsum, ihre Gestalt war ebenso göttergleich wie ihre Art: alles, was sie tat, war göttergleich. Die Herrin wuchs heran zu einem schönen Mädchen, und die goldene Natter an ihrer Stirn zeigte, welch große Schönheit in ihr wuchs.«

 

Aacheperka-Rê (Thutmosis I)

über seine Tochter Hatschepsut

 

»Es kam der Herrliche, Gott Amûn selbst,

Herr der Throne beider Lande,

der die Gestalt des Gatten angenommen hatte,

und fand sie in der Schönheit des Palasts ruhen.

 

Sie erwachte vom Duft des Gottes

und lächelte vor seiner Großartigkeit.

Er trat zu ihr und entbrannte für sie:

an sie verlor er sein Herz.

 

Sie konnte ihn schauen

in der Gestalt des Gottes,

nachdem er sie umarmt hatte.

Sie jauchzte und sah seine Schönheit.

 

Seine Liebe durchdrang ihre Glieder.

Der Palast war überflutet

vom Wohlgeruch des Gottes:

all seine Düfte waren vom Weihrauchland Punt.

 

Die Erhabenheit des Gottes

tat an ihr alles, was er wünschte.

Sie erfreute sich mit ihm

und küsste ihn.«

 

Relieftext in der Geburtshalle Hatschepsuts:

Thot führt Amûn zu Mutter Ahmose

bei Hatschepsuts Geburt

 

»Ich reise auf den Straßen des Jenseitigen:

In Wahrheit sind sie mir bekannt

Die Richtung ist die der Weltordnung der Maat

Gerade komme ich im Land des Horizonts an

 

Ich durchschreite die heilige Pforte ...

O Götter. Ihr, die ihr mir entgegenkommt –

Reicht mir eure Arme.

Denn ich bin ein Gott geworden, Euch gleich.«

 

Aus dem Totenbuch

 

 

KINDHEIT

Kartusche

 

THUTMOSIS I.

Thronname:

Aacheperka-Rê

 

 

 

1. Zeichen über Men-nefer und Wâset

 

Im Jahr Acht des Herrschers, am dritten Tag des Erntemondes Payni, trieb die Rê-Harachtes Strahlen, gefolgt von zwei Dutzend anderer Schiffe, in weitem Bogen auf die Anlegestelle zu. Jenseits der Ebene aus Wasser, Schwemmland und Schilf erhoben sich Sandschleier, der Tageswind aus Nord blähte das große Rahsegel. Auf den Schiffen funkelten Schmuck und Waffen, im Takt hoben und senkten sich die Riemen; am Hafenbecken schienen alle Bewohner der Stadt zusammengekommen zu sein. An den bunten Häuserfronten, die mit Palmwedeln und Lotosgirlanden geschmückt waren, brachen sich Trommelschläge und der Jubel der Wartenden. Als der Bug des königlichen Schiffes herumschwenkte und der Lotse den Peilstab über dem Kopf schwang, dröhnten und schmetterten Trompetenstöße übers Wasser. Im Deckshaus der Rê-Harachte stand der Goldhorus, Herr beider Lande, Aacheperka-Rê, breitete die Arme aus, und wieder jubelte das Volk.

An der Kante des steinernen Kais standen zwei Pferdegespanne. Bogenschützen und Schildträger bildeten einen Halbkreis und hielten das Volk zurück. Neben dem Gespannführer, einem älteren Mann mit großer Perücke, stand ein schlankes Mädchen, vielleicht sieben, acht Jahre alt. Die Umstehenden klatschten und riefen; sie musste schreien, damit der Lenker sie verstand.

»Heb mich hoch, Amenacht. Ich will meinen Vater sehen!« Ein Bogenschütze hielt die unruhigen Rappen am Zaumzeug. Amenacht lachte, nahm die Prinzessin um die Hüften und stellte ihre Sandalen auf den Handlauf des Wagenkorbes, hielt sie um die Knie. Das Mädchen rief, winkte, lachte; die Umstehenden zeigten auf sie und lächelten. Aber sie hatte nur Augen für das näher kommende Schiff und die Personen im offenen Deckshaus. Amenacht kannte die Prinzessin lange genug; er wusste, dass ihre Freude, den Vater wiederzusehen, nicht einen Wimpernschlag lang gespielt war.

Ihr Vater kam mit viel Beute von einem Kriegszug zurück, auf dem die Chaosu-Nomaden bestraft worden waren. Die Riemen der Steuerbordseite tauchten ins schlammgraue Wasser; das Schiff kam näher; als der Kapitän den Befehl gab, die Rah abzusenken, wehte der Weststurm eine Sandwolke über den Strom; wieder blähte sich das Segel, und das Schiff schwankte. Die Männer auf den Begleitschiffen fluchten. Vom Heck flog ein kieselgefülltes Ledersäckchen zum Kai, an dem eine Lederschnur festgeknotet war; an ihr hing die schwere Schlinge. Hafensklaven fingen das Säckchen auf und zogen an der Leine das dicke Festmachertau zum Land. Das kiellose Schiff schwankte, der Herrscher Aacheperka-Rê hielt sich an den Balken des Deckshauses fest, sein Sohn Djehutjmes stolperte und fiel zwischen die Ruderer, und der ältere Bruder Amenmose schrie einige Befehle.

Der zweite Sturmstoß brachte einen breiten Vorhang staubfeinen Sandes vom gegenüberliegenden Ufer, rüttelte an Doppelmast und Tauwerk, füllte das zusammengefallene Segel und ließ das Schiff weit nach links überlegen. Die Feldzeichen und die goldenen Standarten der Gausymbole schwankten auf den Zedernholzschäften. Der Lotse schleuderte das Fangtau zum Kai; der Lederbeutel schlug gegen den Stein und versank im Wasser, als die Ruderer die Tauschlinge vom Deck wuchteten. Ein Schrei des Entsetzens ging durch die Menge, aber niemand rührte sich. Die federnden Enden der Rah tauchten auf der Backbordseite ins Wasser, das sich unter dem Ansturm des Windes kräuselte. Sandkörner erzeugten auf der stumpfen Fläche Myriaden winziger Ringe. Prinz Djehutjmes klammerte sich an die Ruderschäfte; einige Männer sprangen über Bord.

Langsam versank die halb mannsgroße Tauschlinge im Hapi. Die Prinzessin rief zornig: »Warum tut keiner, was nötig ist?«

Soldaten, Hafensklaven und Stadtbewohner wurden unruhig, aber niemand tat etwas. Hushpeswa stützte sich ungeduldig auf Amenachts Schultern, streckte dann die Arme über den Kopf und sprang im flachen Bogen vom Wagenkorb ins Hafenwasser und tauchte. Einige Atemzüge lang verschwand der Körper im dunklen Wasser, kam an die Oberfläche, schwamm mit wilden Schlägen auf die Tauschlinge zu. Die Prinzessin rammte den linken Arm durch die Öffnung. Im gleichen Augenblick rannte auf dem krängenden Schiff ein Bogenschütze mit langen Schritten zum Bug, stieß den Lotsen zur Seite und stürzte sich wie ein jagender Eisvogel ins braune Wasser, schwamm auf Hushpeswa zu. Sie warf sich im Wasser herum und glitt auf die schmalen Steinstufen zu, die von der bemoosten Schmutzlinie des Niedrigwassers zur Oberkante führten. Endlich kam Bewegung in die Hafenarbeiter und Gardisten. Sie griffen nach der Prinzessin, packten die Schlinge und stemmten sich gegen das armdicke nasse Tau, zerrten und zogen, vorbei an den scheuenden Pferden: endlich fiel die Schlinge um die Steinsäule. Bogenschütze Senenmut zog sich in die Höhe und blieb atemlos neben dem steinernen Poller stehen. Die Ruderer zogen das Tau straff, das Schiff richtete sich schwankend auf, das Ende des Segels hob sich tropfend aus dem Wasser. Gerade kam die Prinzessin triefend die Stufen herauf. Ihr Kinderzopf hatte sich gelöst, das Haar klebte über dem rechten Ohr bis zur Schulter. Amenacht stolperte heran und zog sie zum Wagen.

»Du hast dich in Gefahr gebracht, Hushpeswa.« Er war schweißgebadet, sein Gesicht war aschfahl. »Warum tust du das, Prinzessin?«

Sie antwortete nicht und sah sich mit großen Augen um. Senenmut lächelte ihr zu und hob den Arm; der Kapitän brüllte Befehle.

Als sei Hushpeswas Sprung ein Zeichen gewesen, zogen Hafenarbeiter das Schiff gleichmäßig mit Heck und Bug an den Kai, während der aufkommende Sturm bräunliche Sandwolken durch die Luft peitschte. Aacheperka-Rê deutete auf die Prinzessin und rief durch das aufgeregte Murmeln und den heulenden Wind: »Meine Tochter Hushpeswa! Im rechten Atemzug hat sie das Tau gepackt, hat das Richtige getan! Nehmt euch ein Beispiel, ihr anderen!« Er winkte Senenmut. »Und du auch. Danke, Bogenschütze!«

Die Bordwand schabte und scheuerte am Stein, die Ruderer hatten vergessen, die Prallsäcke auszuhängen. Die Laufplanke krachte auf die Quader. Hushpeswa drängte sich vor Amose durch die Menge, rannte aufs Schiff, sprang zum Deckshaus hinauf und breitete, ebenso wie Aacheperka-Rê, die Arme aus. Ihr Vater umarmte sie, hob sie hoch und lachte blinzelnd; Sand wehte schmerzhaft in ihre Augen.

»Die einzige, die erkannt hat, was nottut!« Kapitän, Steuermänner, Lotse und die Mannschaft, die das Segel befestigte, schienen sich unter seinen lauten Worten zu ducken. »Meine Tochter, ein siebenjähriges Mädchen! Wir waren siegreich und wären fast ertrunken – komm, geh'n wir ins Haus. Der Sturm hört nicht so schnell auf.«

Er nickte den Prinzen Djehutjmes und Amenmose zu, nahm Hushpeswas Hand und zog sie zur Planke. Hushpeswa hängte sich an seinen Arm und sah lachend zu ihm auf. Vor ihnen öffnete sich eine breite Gasse bis zum kleinen Stadtpalast. Die Wartenden warfen sich zu Boden; wieder heulte der Sturm, Staub und Sand über Hafen, Stadt und Palmen wirbelnd. Der Herrscher beachtete die Kauernden nicht und rief: »Es ist schön, dass ihr mir entgegengefahren seid, Amenacht! Wenn ihr nicht gekommen wärt, würde der Herr beider Länder vielleicht ertrunken sein. Oder Sobeks Geschöpfe hätten ihn zerfleischt.«

Seine Fröhlichkeit steckte Hushpeswa an. Sie hatte die Sandalen verloren und hüpfte neben ihm her, umklammerte seine Hand, mit der anderen wischte sie das Wasser aus ihrer schwarzen Haarsträhne. Hinter ihnen verschluckte das Heulen des Sturms die Flüche des Kapitäns und das Klappern der langen Riemen.

 

Spät am Abend, als sich der Sandsturm vorübergehend gelegt hatte, gähnte Aacheperka-Rê, blies ein Öllämpchen aus und sagte: »Alter Freund Amenacht, Vorsteher und Hüter der Gespanne. Ist es nicht ein seltsames Zeichen? Ich habe stundenlang darüber nachgedacht.«

»Was meinst du, Herr?« Amenacht hob die Schultern; sein Gesichtsausdruck bewies, dass er keinen Tadel erwartete. »Zeichen? Der Sturm?«

»Ich meine nicht den Sturm. Hushpeswa.« Der Herrscher schüttelte den schmalen Kopf. »Meine Tochter. Sie ist wirklich so viel wert wie zwei Söhne. Als einzige springt sie ins Wasser und zerrt das Tau an Land. Sie weiß genau, was zu tun ist, nicht wahr?«

»Ich hab sie festhalten wollen.« Amenacht lächelte verloren. »Sie hat mich ans Kinn getreten und ist gesprungen. Sie schwimmt wie ein Fisch, deine Tochter, Herr.«

»Und sie denkt schneller als wir alle.« Aacheperka-Rê kratzte mit dem Nagel des Zeigefingers einen Essensrest aus den Zähnen. »Fast so schnell war Senenmut. Meine Söhne haben sich erschreckt festgeklammert.« Er kicherte. »Und Djehutjmes ist in die Bilge geplumpst wie ein Bund reifer Datteln. Wie gut, dass ...«

Er hob den Kopf, starrte ins Gesicht des Freundes, schlang die Hände um die Schultergelenke, als ob er fröstle, dann schüttelte er sich. Der Herrscher schien zu überlegen, ob er seine Gedanken dem alten Kampfgefährten gegenüber aussprechen könne. Er drehte die Schale auf dem Tisch. Das Knirschen biss in den Ohren der Männer. Aacheperka-Rê brummte: »Prinz Amenmose, der ältere Sohn, Vorsteher der Streitwagen und somit dein Vorgesetzter, guter Amenacht; ihn sähe ich gern in zwei Handvoll Jahren auf dem Thron. Dann könnte ich ruhig sterben. Der Kleine? Djehutjmes? Ich weiß nicht. Hoffentlich verbergen sich Stärke, Klugheit, Fleiß und herrscherliche Art noch im dunklen Schoß seiner Kindheit.« Er hielt die Hand vor den Mund und rülpste. »Oder? Was sagst du?«

Amenacht atmete tief ein, hob die halbleere Schale und sagte leise: »Da deine Herrlichkeit morgen das meiste von dem vergessen haben wird, was wir beim guten Henket bereden, wage ich es auszusprechen.«

»Sprich, Freund: dreimal hast du den Schild vor mich gehalten, sonst wäre ich tot oder weitaus hinfälliger. Meine Göttlichkeit wird erst morgen im Tempel wieder zutage treten. Noch mehr Henket?«

»Kein Bier mehr. Ich muss fahren; lenken, auf deine wilde Tochter aufpassen. Ich ... wenn deine Tochter, o Herr beider Länder, ein Mann wäre, würde ganz Tameri tausend Jahre lang mit dem Jubeln nicht mehr aufhören. Wir werden zusehen, wie sie Jahr um Jahr schöner, klüger und stärker wird.«

»Und älter. Leider. Wie wir, Amenacht.« Aacheperka-Rê leerte die Tonschale und warf sie über die Schulter, ohne zusammenzuzucken, als sie klirrend barst. »Nun. Sie ist eine Frau, kein Mann; nirgendwo steht bislang geschrieben, dass Frauen auf dem Thron etwas bewirkt hätten, das aufzuschreiben wert gewesen wäre.«

Er stand auf und umklammerte beide Armlehnen. Er grinste in Amenachts Gesicht und hob die Schultern; der Oberste aller königlichen Gespanne trat drei Schritt zur Seite und sagte: »Vielleicht erinnerst du dich dieser trunkenen Nacht, erhabener Spross der Göttlichkeiten. Erinnere dich dann auch daran, dass du selbst gesagt hast, dass die Bewahrung des Wichtigen, des Althergebrachten, in Wirklichkeit aus tausend winzigen Änderungen besteht.«

»Darüber heute zu reden, o Kenner von neunzehn Sorten Henket, würde bedeuten, Netze aus Wasserstrahlen zu knoten. Schlafe tief, gut und lange.«

Er hieb Amenacht die Hand auf die Schulter, ging zum Schlafraum und fluchte lautstark, als er über eine Kopfstütze des Ruhebettes stolperte. Amenacht rieb die Schulter und ging in den Garten, rollte sich in seinen Mantel und erinnerte sich morgens an wohlige Träume.

 

Fast drei Monde später, im Erntemond Pachons, kurz nach dem Anbruch der Abenddämmerung, setzte sich Hapu auf die oberste Stufe der Treppe, lehnte sich gegen den heißen Stein und betrachtete den Mond. Die einundzwanzigste Nacht begann, in der das Gestirn, tiefgelb leuchtend, sich hinter weißem, scheibenförmigem Dunst versteckte. Der ferne Nebel war entstanden, als die Sichel sich zu füllen begann. Der Oberste Deuter der Götter musterte die Narben auf der kupferfarbigen Scheibe; auch heute wuchs seine Unruhe. Der strahlende Nebelschleier der Götter teilte den Himmel. Hapu stand ächzend auf, ging quer über das Tempeldach und blieb, während die Nacht über Wâset fiel, zwischen den Säulen des Altarhäuschens stehen. Er hielt stumme Zwiesprache mit dem Gestirn des Thot; weder in den Aufzeichnungen des Tempels noch in den Erinnerungen der Priester, die viel älter waren als er, ließen sich Deutungen finden. Die Götter schwiegen, oder war er nur zu ungeschickt, das Zeichen zu erkennen?

»Thot! Amûn! Helft mir«, flüsterte er. »Ein gutes oder schlimmes Zeichen? Für oder gegen die Herrschaft des Goldhorus im Per-Ao?«

Der Schleier um den vollen Mond schien dichter zu werden. Tausende Rômet in der Stadt blickten ebenso wie Hapu in die Finsternis der gestirnten Nacht. Obwohl er über das Wissen aus Erinnerungen und Vergangenheit verfügte und in den Listen guter und misslicher Tage gelesen hatte, war er nicht klüger als sie: Was sollte er sagen, wenn Aacheperka-Rê fragte? Er setzte die Ellbogen auf die Knie, stützte sein Gesicht in die Handflächen und sah zu, wie der Mond und dessen molkiger Hof ihre Wanderung fortsetzten. Manchmal irrte sein Blick ab und glitt über die Stadt und das Umland, die unter dem fahlen Vollmondlicht erstarrt dalagen.

Der Hauptlauf des Stroms führte nach Nordosten, und das Fruchtland war zwischen der Wüste und dem Gebirge aus Kalkstein an keiner Stelle breiter als zwanzig Chen-Nub. Das östliche Hapiufer, von Dämmen geschützt, durch die Kanäle zu Hafenanlagen und Überschwemmungsteichen führten, erstreckte sich zwischen Madu und dem weiter stromauf wachsenden Ipet-Resit-Tempel der Göttin Mut; eine veränderliche Landschaft aus Dutzenden Nebenarmen, Altsümpfen und Totwassern zwischen breiten Schilfgürteln. Die Stadt Wâset – auch Wese und No-Amûn genannt –, Hauptstadt des Zeptergaus im Land der Biene, uralt, erst seit den Königen Amenemhet und Chakaura mehr als eine unbedeutende Siedlung, hatten die Herrscher Neb-Pachti-Rê und Dshesher-Ka-Rê nach der Vertreibung der Heka-Chasut zum Mittelpunkt der Verwaltung beider Lande gemacht. Wâset und Men-nefer, die größten Städte Tameris, erstreckten sich längs des Stroms und westlich des Hauptarms.

Der Palast, die Gebäude der Großen Königlichen Gemahlin – Säle, Kammern, Terrassen und weitläufige Gärten – gruppierten sich hinter Flutmauern um den kleineren Hafen; der unregelmäßige Ring der Stadt gliederte sich in unzählige Vierecke und Dreiecke; weiße, braune, gelbe und rote Mauerflächen, Treppen und Rampen, in Gassen und Plätze, in rußige Schattenflächen und einzelne Bäume: Sykomoren, Dattelpalmen, Tamarisken oder Nusspalmen. Jenseits der Häuser und Werkstätten der Handwerker zeichneten Felder, Weiden und Äcker Vierecke und Rechtecke in den Boden des Landes, bis zur Grenze der Wüste und über die Niederung des Stroms hinweg zum Fuß der westlichen Berge. Hapu, »Größter der Schauenden«, glaubte, die Erregung der Menschen spüren zu können; zu viele Nächte lang drohte der Kupfermond hinter der runden Wolke; seit fast dreißig Tagen bewegte sich Horus der Rote drohend und lautlos zwischen den weißen Sternen; noch nie, sagten die Priester, war er so klar und rot strahlend zu sehen gewesen.

Hapu nahm die Hände von den Augen und sah zum Himmel. Was er in den Sternen sah, hatte zweifellos mehr Bedeutung, als die »Stundenpriester« zu erkennen glaubten. Der Priester fröstelte; er ahnte die Bedeutung nicht einmal, und er fürchtete sich vor dem Undeutbaren.

Seltsam aufgeregte Laute und Geräusche drangen aus der Stadt heran. Hapuseneb gähnte, rieb seine Augen und starrte den Mond an: es war Mittnacht. Der Nebel um das Gestirn des Thot hatte sich nach zwanzigeinhalb Nächten spurenlos aufgelöst.

 

Eine Stunde nach dem höchsten Stand der Sonnenscheibe ballte sich jenseits des Horns, wie die tausend Ellen hohe Bergspitze genannt wurde, eine graue Wolke zusammen. Sie dehnte sich aus, wuchs in die Höhe und änderte, als sie die Sonnenscheibe erreichte, ihre Farbe in bläuliches Schwarz. Sturmböen wirbelten plötzlich kreiselnde Sandsäulen aus der Wüste heran; sie tanzten über den Bergkamm, faserten auseinander und prasselten in die Täler.

Zuerst dachten die Fischer und die Bewohner Wâsets an einen Sandsturm; ihr Schrecken nahm zu, als die Priester sagten, es sei eine Wolke voller Wasser. Nur die Bewohner der Küste des Großen Grünen kannten diese überaus seltene Erscheinung; in Wâset gab es nur einige Greise, die sich an Regen über diesem Teil des Landes zu erinnern vermochten. Westwind schob die Wolke über das Gebirge, die Sonne wurde zu einer bronzefarbenen, später zu einer weißgrauen, kleinen Scheibe, Halbdunkel legte sich über Stadt und Strom. Die Tiere verkrochen sich, kreischende Vogelschwärme fielen zusammen mit Sandwolken ins Schilf ein, die Rômet flüchteten in die Häuser. Ein gewaltiger, vielfach verzweigter Blitz verband Erde und Himmel und tauchte die Stadt, das Fruchtland und die Umgebung in kreideweiße Helligkeit. Unmittelbar danach, als das Poltern auseinandergesprengter Felsen zu hören war, ertönte ein scharfes Krachen, laut genug, um Menschen und Tiere taub zu machen.

Die ersten Tropfen fielen fast senkrecht, hart wie Kiesel, schlugen im Sand kleine Trichter, bildeten dunkle Flecken auf den Lehmziegelmauern, und die niedrige Wolke verschluckte Rê-Harachtes Gestirn. Regen rauschte herunter, spülte Staub und Sand von den Gewächsen, beugte das Schilf und sickerte in Dächer, Mauern und Wände, sammelte sich in Pfützen und ließ die Farbe in breiten Streifen von den Mauern ablaufen. Drei furchtbare Schläge donnerten in der Luft und fuhren über das Land hinweg; der Regen strömte über die Felsen des Gebirges, verwandelte die Oberfläche des Hapi in schwärzliche Muster und die Sandflächen in gelben Brei, der durch die Gassen lief, Unrat mit sich schwemmte und stank.

Ein Dutzend Atemzüge lang ratterten Hagelkörner herunter. Die Nässe fraß sich in trockene Mauern, machte sie mürbe und weichte Lehmziegel, die im Sand trocknen sollten, zu formlosen Schlammhaufen auf. Die Wolke zog über Wâset, mehr als eine Stunde lang, näherte sich mit prasselnder Flut der östlichen Wüste; ihrem Schatten folgte vom nassen Gebirge her greller Sonnenglanz; die Wolke zerfiel in einzelne Arme. Schilfwälder und Kornfelder dampften wie die Berghänge. Alle Bilder verschwammen vor den Augen, eine Woge feuchter Hitze brach sich zwischen den Häusern; viele Mauern waren zusammengesackt, Brüstungen lagen in den Gassen und Gärten, und die Stadt schien nur noch aus unfertigen und beschädigten Bauwerken zu bestehen. Vom Heiligen Teich der Tempel bis weit hinaus in die Wüste krümmte sich ein strahlender Regenbogen, dessen Farben langsam im blauen Himmel verblichen. Am Beginn der Jahreszeit Schemu, vor der Haupternte, im Jahr Fünf des göttlichen Herrschers Aacheperka-Rê begannen fünfzehntausend Rômet die Schäden auszubessern. Die Priester des Amûntempels kamen zusammen, lasen in den Annalen, berieten und befragten die Götter, um herauszufinden, was diese unbekannten Zeichen bedeuteten. Sie fanden keine Erklärungen, bekamen keine Antworten und schauderten; Sachmets Zorn schien über Wâset gefallen zu sein.

 

Vier Hapiüberschwemmungen, zwei gute und zwei, deren Höhe gerade ausreichte, gingen über das Land Tameri hinweg. Die Priesterschüler, die jede Nacht die Bahn der Sterne beobachteten, zählten tausend und vierhundertfünfzig Tage und Nächte, in denen die Götter keine Zeichen sandten. Abermals sank Rê-Harachtes Gestirn hinter die Berge und die Wüste des westlichen Horizonts; ein Sonnenuntergang wie jeder andere.

Am Abend hatten die Schwalben dicht über dem Boden gejagt. Jetzt stieß eine Eule im Sturzflug herunter und bewegte mit ihren Schwingen das Mückennetz; die Federn leuchteten in den stillen Ölflämmchen. Stille legte sich einige Atemzüge lang über Palast und Gärten. Aacheperka-Rê war, als schwebten die Sterne herab, und er könne sie sinken hören.

»Schreibe«, sagte er. Sein schwerer Atem, das Hüsteln und das Klirren des Brustschmucks brachen die Lautlosigkeit. Der Schreiber tunkte den Riedgriffel ein. »Jahr Neun des Herrschers Aacheperka-Rê, zehnter Tag des Mondes Epiphi, Jahreszeit Peret. Sieben Abschriften. Es sollen in fünf Tagen jene Männer zu mir kommen, die an meiner Seite waren seit dem Jahr Eins.«

In der Stille des Erntemondes flatterten Fledermäuse zwischen den Mauern und übers Palastdach. Der Herrscher hörte, wie die Pinselspitze über das Shafadublatt glitt. Er trank einen Schluck kühles Bitterhenket und zwang sich, seine Gedanken nicht abschweifen zu lassen.

»Es sollen kommen: Oberster Baumeister Ineni, der meine Gotteshäuser und schon die herrlichen Tempel meines Vaters erbaut hat. Ahmose, der Oberste meiner Schiffsmannschaft. Mein Vertrauter Tatji Imhotep, der Neferubty und Hatschepsut erzieht. Der Hohepriester Hapu und der junge Anführer der Soldaten, der neben mir in Wawat, Retenu und Naharina kämpfte: Senenmut. Und Amenacht, seit dem Jahr Eins Vorsteher meiner Pferde und Gespanne.«

Das Jahr Eins, dachte er. Am achten Tag des Payni setzte ich mich auf Djeser-Ka-Rês verwaisten Thron der beiden Lande. Jahr Eins. Längst war das Tagesgestirn hinter dem Horizont verschwunden; uneinholbare Vergangenheit, Gruft der Erinnerungen. Er dachte an Ahmose, seine geliebte Gattin, Tochter des Herrschers Djeser-Ka-Rê und an Ahmes-Nefertari, Mutter seiner schönen Töchter Neferubty und Hatschepsut – auch sie würde sterben müssen; so wie Mutnofret, die Mutter der drei Söhne.

»Herr?« Der Schreiber blickte auf. In der Ferne heulten Schakale, die Tiere des Totengottes Anubis. Aacheperka-Rê fand mühsam in die Gegenwart zurück und nickte dem Schreiber zu, dessen Gestalt vor seinen Augen zu zittern und zu verschwimmen begann. Obwohl er ihn oft brauchte, hatte er seinen Namen vergessen. Psarpot? Dedefhor?

»Schreib: Auch Senenmuts Freund soll kommen, Senimen, der schon Leibdiener Nebpeti-Rês war, des Vorgängers meines Ziehvaters, ebenso Sobekmesu aus Men-nefer, mein Vertreter aus dem Haus der Schweigsamkeiten. Und Thutiy, Jung-Schreiber beider Gold- und Silberschatzhäuser.«

Er betrachtete den schweren Ring am Zeigefinger, der den Ibiskopf Thots zeigte, seinen Namensgeber und Mondgott von Chnum-Chmunu. Erinnerung überfiel ihn: Die Götter forderten, dass auch im Palast viel gestorben wurde. Mutnofret, Königin meiner Lenden, die mir Djehutjmes gebar, Hatschepsuts Halbbruder – er scheint seltsam kraftlos – und seine Brüder Wadjmose und zuletzt Amenmose. Längst fahren die beiden und ihre Mutter in der Sonnenbarke durch das zweite Leben. Sklavinnen, Diener, Soldaten und Würdenträger; die Berge und die Wüste im Westen sind voller Gräber. Nur mein Grab, säumiger Ineni, ist noch nicht fertig.

Der Herrscher blinzelte in die Ölflammen. Der Schreiber beendete die Zeile und atmete tief ein und aus. Aacheperka-Rê nickte und sagte: »Schreib zum Schluss: Der Sohn der Sonne ist krank. Die Zahl seiner Jahre wird gering sein. Ich will von meinen Vertrauten erfahren, wie es wirklich steht im Land, und nicht, dass nur endlose Listen vorgelesen werden. Ich werde über Hatschepsut sprechen und über meinen Nachfolger. Sorge dafür, dass die Boten die Abschriften zu meinen Vertrauten bringen.«

»Es wird geschehen, o Herrscher.«

Der Herrscher leerte die Schale; alle Zähne schmerzten, und der Schmerz stach bis unter die Schädeldecke. Ich zeuge keine königlichen Söhne mehr, dachte Aacheperka-Rê, denn Ahmose ist alt und unfruchtbar. Gäbe es in meinen letzten Jahren einen Sohn von einer Kleinen Königin aus dem Frauenpalast, wäre dies ein göttliches Wunder. Die Linie des königlichen Blutes geht von mir über Königin Mutnofret zu Djehutjmes und über Gemahlin Ahmose zu Hatschepsut und Neferubty. Die Ärzte redeten viel und konnten mir nicht sagen, woran Prinz Amenmose starb. Es starben so viele, nun auch er; ich vermag nicht mehr zu trauern. Fünfzig Tage schon liegt sein Körper im Salz, wird in duftende Binden gehüllt, aber – warum er? Nur noch selten gelingt nächtliche Lust; enttäuschend sind die Versuche, Leidenschaft zu wecken und zu geben. Er sah zu, wie der Schreiber auf die trocknenden Schriftzeichen blies, das Blatt zusammenrollte und aufstand. Er verneigte sich tief. Der Herrscher hustete, holte mühsam Luft und befahl: »Sag den Dienern: Nafetnefer soll in der Morgendämmerung mein Lager teilen. Später. Du kannst gehen.«

Er war wenige Atemzüge danach allein auf dem Dach. Der Mond schwamm als weißgoldene Barke, dünn wie eine Erntesichel, durch die Sterne. Aacheperka-Rê lauschte in seinen Körper hinein und fühlte, dass ihn die Kraft verließ wie die Tropfen eine Wasseruhr. O ihr guten Götter! Gebt mir noch fünf Jahre, vier Überschwemmungen, nur tausend Tage. Denn Djehutjmes ist zu unerfahren, meinen Platz einzunehmen, und sowohl Neferubty als auch Hatschepsut können nur königliche Gattinnen sein. Djehutjmes, den ich nicht so liebe wie Amenmose und nicht lieben kann wie Hushpeswa, wird die Stufen zum Thron betreten – und meine Hushpeswa? Welch eine Vorstellung; mir graut, wenn ich daran denke. Es soll nicht geschehen. Was kann ich tun?

Aacheperka-Rê hob die Schultern und spuckte aus. Er verließ das Dach und ging durch halbdunkle Korridore zu seinen Schlafgemächern. Seit vier Monden war die Krankheit der Ohren anscheinend ausgeheilt; jenes Klingeln, Surren, Hämmern und Rauschen, Zischen oder Knarren, das nur er hörte und das die Arzte mit brühheißem Myrrhenöl hatten verstummen lassen. Er hasste den Gedanken, dass die Krankheit wieder ausbrechen könnte. Nächtliche Ruhe erfüllte den ausgedehnten Palastbezirk; obwohl Aacheperka-Rê todmüde war, fürchtete er sich wieder vor der ruhelosen, schlaflosen Nacht.

 

Mehr als tausend Sklavinnen und Diener, Sklaven und Schreiber, Köche, Wäscherinnen, Verwalter der Lager, Gärtner, Aufseher, Ammen, Erzieher und Tänzerinnen, Musiker, Soldaten und Anführer und Vertraute des Herrschers lebten im Palast, im Frauenhaus und im Qhep, dem Haus der Gäste, das zugleich Heim vieler Jungen und Mädchen aus allen Teilen Tameris war. Das Ka, Lebenskraft so vieler Menschen, sickerte in die wuchtigen Mauern und schien sie tagein, tagaus zum Summen zu bringen, dachte Aacheperka-Rê. Jenseits der Fluthügel standen Kornspeicher, Lagerhäuser und Stallungen der Pferde; auch Amenachts Wohnhaus befand sich zwischen der Sandstraße und dem breiten Kanal zum Stadthafen. Jede Quadratelle des Flutgebietes war bewachsen, am Kanal und entlang der Dammstraßen fächelten Palmen mit grünen Wedeln. Die unzähligen ineinander verschachtelten Gebäude des Großen Hauses Per-Ao, Rampen und Treppen, Teiche und Standbilder, Tiergehege und Taubenhäuser bildeten, erfüllt von Menschen, Gewisper und Geschrei, Musik, Gerüchen und Gerüchten, eine Siedlung innerhalb der Stadt; zwischen Sonnenaufgang und Abenddämmerung kamen Boten aus dem fernen Men-nefer, der Stadt der Verwaltung im Bogenland-Gau. Ebenso viele Boten in Wagen, zu Fuß oder in Binsenbooten verließen den Palast des Herrschers und verteilten sich chant, stromauf und chad, stromab.

Nachts verwandelten sich Stadt und Palast in eine seltsame Ansammlung winziger Lichter und tiefer Schatten. Läufer trugen knisternde Fackeln, hinter Fenstern und Türeingängen brannten Öllämpchen, ebenso auf den Dächern der meisten Häuser. Sonnensegel, von deren Rändern Fliegenschleier heruntergingen, breiteten sich über den Terrassen des Palastes aus; im flackernden Licht bewegten sich dahinter unklar Gestalten. Leises Lachen, undeutliche Fetzen von Rasseln und Musik, hin und wieder ein Kreischen oder Klirren drangen hinter den Palastmauern hervor, ein Gepard maunzte klagend, Standbilder von Göttern und Herrschern in den Gärten schienen im Widerschein der Flammen zum Leben zu erwachen. Aus der Wüste kam das Kichern von Hyänen. Bisweilen brüllte ein Löwe; dann hörte sogar das Keckem der Füchse und das Lärmen der Frösche im Schilf auf. Aacheperka-Rê seufzte und legte den Kopf auf die gepolsterte Nackenstütze des Lagers.

 

Tatji Imhotep, Oberster der Erziehung der Prinzessinnen, war gegangen. Aacheperka-Rê blieb reglos sitzen; er drehte die Trinkschale zwischen den Fingern, hörte halb abwesend das Geräusch des glasierten Tons auf der Holzplatte, und er wünschte sich, er könne sich an seine Jugend erinnern, an die Erlebnisse, die er gehabt hatte, als er so alt – so jung! – wie Djehutjmes gewesen war.

Er lächelte; das Lächeln verwandelte sich in kühles Grinsen. Was in der vergangenen Nacht vorgefallen war, hatte eine kushitische Dienerin dem Obersten Erzieher berichtet; kaum etwas davon, was im Palast geschah, blieb ohne Zeugen. Eine Sklavin huschte durch den Saal und füllte frisches Öl in die Lampenbäuche. Aacheperka-Rê wartete, bis Djehutjmes vor ihm stand; er musterte ihn, als sähe er ihn zum ersten Mal. Djehutjmes, fast so hellhäutig wie seine Mutter – Aacheperka-Rê hatte die dunkle Haut der Nachkommen einer Wawatfamilie –, zeigte ein verstocktes Gesicht, schien aber bereit zum Widerspruch. Als der Herrscher endlich sprach, klang seine Stimme wenig begeistert.

»Ich habe mir berichten lassen, wie dein Tag verlief, Thronfolger. Wir müssen darüber reden. Sag's mir, fang mit dem Morgen an.« Er machte eine geringschätzige Geste. »Mit dem Morgen, der bei dir vier Stunden nach Sonnenaufgang beginnt. Und hör mit dem nächsten Morgen auf, an dem Isis gegangen ist.«

»Ich war im Per-Ankh, der Schreiberschule.« Djehutjmes hob die Schultern und schob die Unterlippe vor. »Wie immer. Dann hab ich mit den Gespannen geübt. Mit Pfeil und Bogen.«

»Rede! Ich höre zu.« Aacheperka-Rê lehnte sich zurück. »Bis zum Ende.«

»Wir fuhren von der Wüste zurück. Beide Pferde rissen die Köpfe hoch, als ich den Zügel anzog und aus dem Wagenkorb sprang. Ich verlor die rechte Sandale und fiel in den Sand. Neferubty, Hushpeswa und Isis, die unter dem Schattensegel auf der Terrasse saßen, lachten mich aus. Ich packte den Bogen und den Köcher, den mir Kadjen Penamun reichte. Das Gesicht des Fahrers war unbewegt; er verbarg sein Lachen. Er hält nicht viel von meinen Künsten, Vater.« Djehutjmes' Stimme kippte; seit einigen Monden war er im Stimmbruch. »›Wir müssen unbedingt üben, aus dem fahrenden Wagen die Ziele zu treffen, Königssohn‹ sagte er. ›Ich fahre zur Tränke. Lass dir Zeit, Ziel sorgfältig, Prinz Djehutjmes.‹

Ich nickte, schnallte den Köcher auf den Rücken und ging zur Linie, von der aus der Abstand zu den Puppen fünfzig Schritt beträgt. Die schweißüberströmten Pferde trabten zum Teich am Rand des Gartens, im Schatten der Palmen. Ich habe das Gelächter der Mädchen und jungen Frauen gehört, legte einen Pfeil auf die Sehne und drehte den Körper in die richtige Schusshaltung.« Aacheperka-Rê hörte schweigend zu. Seine Blicke ließen seinen Sohn nicht los; er musterte ihn, als könne er erkennen, was sich hinter den Augen verbarg. Mit einem Nicken forderte er Djehutjmes auf, weiterzusprechen, auch wenn die kippende Stimme seines Sohnes seine Ohren beleidigte.

»Ich weiß, was sie denken: Der Thronfolger, schon siebzehn Jahre alt, wird niemals ein solch unerschrockener und harter Kämpfer wie sein Vater. Also, der Pfeil taucht von der Sehne, sie schlägt hart gegen den Lederschutz am Handgelenk; das Geschoss trifft das bunte Fell des Schildes in der Mitte. Ich zog den zweiten Pfeil und zielte auf den Kopf der lederumwickelten Strohpuppe.

Wieder hab ich getroffen. Ich schieße mit dem Bogen so gut, wie ich schreibe. Seit meinem vierten Jahr, wie du weißt, lerne ich die Schriften und das Rechnen. Hatschepsut schreibt zwar schneller und schöner, sagt Imhotep, der Erzieher, aber sie ist nur ein Mädchen, und als ich daran dachte, prallte der dritte Pfeil von der Schulter der Puppe ab. Ich drehte mich um und winkte Penamun. Er hob die Hand, aber auch Isis winkte; jemandem hinter mir? Der Pfeil ist aus meinen schweißnassen Fingern gerutscht. Während ich versuchte, die Sehne besonders weit auszuziehen, mit dem bronzenen Daumenring bis zum Ohr, wusste ich plötzlich, was ich wollte. Isis soll nicht mehr über mich lachen, Vater, das hab ich mir vorgenommen. Ich löste den Schuss, und die Bronzespitze bohrte sich tief ins Auge der Puppe. Der Fahrer Penamun ließ die Pferde herantraben, streckte den Arm aus und half mir in den Wagenkorb. Wir sind zuerst langsam gefahren, dann immer schneller, in Kreisen um die Puppen und die Binsensäulen herum. Ich hab den Vierundzwanzig-Pfeile-Köcher leergeschossen; mehr als zwei Drittel der Schüsse trafen.

Ich sollte, so hat es Tatji Imhotep bestimmt, beim Ausschirren und Striegeln der Pferde mithelfen. Aber ich hab mit Penamun geredet und bin zum Badeteich gegangen, hab mich gewaschen und von den Sklaven massieren lassen; dann hab ich ein wenig gegessen und zu den Dienern gesagt: ›Ich will in zwei Stunden mit Isis reden und trinken. Holt sie. Ich warte auf der Terrasse.‹« Seine Stimme sank; er schluckte ein paarmal und sprach weiter, als sei er jäh zehn Jahre gealtert.

»Ich hab Leckerbissen, keftischen Wein und süßes, schweres Bier bringen lassen und die Sklavin weggeschickt, nachdem sie die Öllampen angezündet hat. Ich wartete zwischen den Mückenschleiern und hab mich an die Liebeskünste der dreißigjährigen Kushitin erinnert, von der ich alles gelernt habe, und dann denk ich an die großen Brüste, die Tätowierung und die langen Schenkel von Isis. Sie kam und war verwirrt. Ich war es auch, hab's aber nicht gezeigt. Tatji Imhotep sagt, dass für jeden Mann und jedes Geschehnis ein Tag in der Zukunft wartet: heute ist mein Tag, sagte ich mir und füllte eine Schale mit Bier, in das ich Wein gemischt habe, und sagte zu ihr: ›Trink, Isis. Ich will mit dir reden. Heut Nacht lachen wir beide gemeinsam.‹

›Was willst du von mir, Thronfolger Djhehutjmes?‹ sagte sie leise und hat mit großen Schlucken getrunken. Ein Ohr war geschwollen, weil sie sich von den Ärzten Löcher für die Ringe hat stechen lassen; sie muss Hushpeswa alles nachmachen! Ich hab sie genau angesehen, jeden Fingerbreit ihres Körpers. Sie hat einen kleinen Halbmond unter dem Nabel tätowiert, hat sich mir gegenüber auf die Liege gesetzt und die Schale ausgetrunken.« Sein helles Lachen klang selbstgefällig. »›Ich will dich‹, sagte ich. ›Ich zeig dir, dass niemand über mich lacht. Nicht einmal mein göttlicher Herrschervater. Und auch du nicht. Trink aus!‹

Ich trink nur dünnes Bier und füll ihre Schale mit dem schweren Gebräu. Wir trinken. Sie starrte mich aus großen Augen an, ihre Finger haben gezittert, und in der Erregung haben sich die Spitzen der Brüste aufgerichtet. Ich strich mit den Fingerknöcheln darüber, und Isis wich zurück. Ihre Kniekehlen stießen gegen den Rahmen des Lagers. Sie ließ die Arme fallen, zeigte mir die Handflächen, und ich beugte mich über sie. Sie versuchte mich abzuwehren, aber ich habe sie mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Sie hat geweint, als ich ihren Wesech abgenommen und die Bänder des Kleides über die Schultern gestreift habe; ich packte ihr Haar und hab sie geküsst.

›Nicht einmal das kannst du‹, hab ich gesagt und die Brüste und das Mondbild auf ihrem Bauch gestreichelt. Isis hat sich nicht gerührt, ließ alles mit sich geschehen und schwankte. Sie war halb betrunken. ›Morgen wirst du das alles können.‹

›Herr! Neb Djehutjmes! Königssohn!‹ Sie wimmerte fast, als ich zwischen ihre Schenkel fasste. ›Nein. Nicht. Dein Vater wird uns strafen. Die Prinzessinnen ...‹

›Mein Vater schläft mit einer aus dem Frauenhaus‹, sagte ich. Isis hat gestöhnt und fing an, meine Küsse zu erwidern, als ich sie auf den Rücken legte. Ich spreizte ihre Beine und drang in sie ein. Sie stöhnte lauter, ihre Hände berührten mich ziellos; dann hat sie geschrien. Ich drehte sie herum und zwang sie auf Knie und Ellbogen.«

Djehutjmes hob die Schultern und lächelte verlegen, ohne dem Blick seines Vaters ausweichen zu können. Aacheperka-Rê schwieg noch immer. Sein Gesichtsausdruck war undeutbar.

»Isis hat schöne, schwere Brüste.« Djehutjmes sah sich nach einem Hocker um, blieb aber stehen. »Mit harten Spitzen. Im Lauf der Nacht hat sie's gelernt, war wild, sehr leidenschaftlich. Ich hab sie bis zum Morgengrauen behalten und viermal genommen. Sie hat geschwitzt und viel getrunken; sie ist noch unerfahren, aber in ein paar Nächten wird sie alles tun, was ich will. Sie hat nicht viel gesprochen, nur gestöhnt und gewimmert, ist schweigend vor dem Morgengrauen gegangen. Es war eine meiner großen Nächte; ich weiß noch nicht, was Isis für mich bedeutet. Sie ist älter als Hushpeswa.«

»Du wirst weder Hushpeswa noch Neferubty anrühren.« Aacheperka-Rê hob den Arm und deutete in die Richtung des Frauenhauses. »Behalte Isis oder nimm eine andere: Das Haus ist voll von ihnen, und ich finde nur wenig Vergnügen an jungem Fleisch. Du wirst auch keine Frau mehr schlagen; denn jeden Hieb bekommt der Mann später doppelt zurück. Vergiss in der Nacht nicht, dass dein Tag dem Lernen gehört. Du bist Thronfolger. Denk daran, dass der Palast tausend Augen und Ohren hat.«

»Daran denk ich, Vater.« Djehutjmes nickte; es wurde eine Verbeugung. »Von morgens bis abends lern ich schreiben, kämpfen, merke mir die Bedeutung der Götter, ich rechne; ich bin fleißig, und kein Lehrer schlägt mich, Vater. Und wenn Isis schwanger wird, hab ich einen Sohn gemacht.«

»Ein Sohn ist noch kein Thronfolger.« Aacheperka-Rê griff nach dem Krug. »Du kannst gehen, meinetwegen zu Isis.«

»Schlaf gut, Vater.«

Djehutjmes verneigte sich tief und zog sich ins Halbdunkel zwischen den Säulen zurück. Aacheperka-Rê wartete auf das leise Geräusch der Tür, die ein Sklave schloss. Der Herrscher lehnte sich zurück und versuchte, sich Djehutjmes auf dem Thron beider Lande vorzustellen.

 

Alle nennen mich Hushpeswa. Schreibe ich meinen Namen, so steht da: Hatschepsut. Ich will hinunter zum Strom. Als ich durch den dunklen Korridor tappe, verneigt sich der Wächter und flüstert: »Es ist der fünfzehnte Tag im Tybi, Prinzessin. Saatzeit Peret. Jahr Zehn des Goldhorus Aacheperka-Rê!« Ich danke und laufe weiter. Ich habe, sagen sie, schon neunmal den Sepedet gesehen und die Überflutung des Hapilandes. Ich gehe barfuß durch den Schatten der Säulen und höre den Schrei zum ersten Mal. Er kommt zwischen den Mauern des Frauenpalastes hervor wie ein Pfeil; ich erkenne die Stimme der Kleinen Königin Isis. Scharfe Echos zittern durch die Dämmerung. Das kurze Gras kitzelt meine Sohlen. Es ist, wie immer im Mond Payni, trocken und staubig. Ich gehe durch den Garten, vorbei an den Statuen der Göttinnen, zwischen den Stämmen der Dattelpalmen. Ich bücke mich nach einer Biene, einer Träne des Râ, hebe sie auf und setze sie auf die Hand der Göttin, wo sie die Sonne bald wärmen wird. Die unbewegte Luft ist kühl. Hinter dem Durchgang der Mauer blitzt Metall, ein Pferd wiehert. Warum klopft mein Herz so stark? Ich lege die Finger auf meine Brust – meine Brüste sind schon gewachsen – und merke, dass die Hand feucht ist. Als ich auf den Wagen zugehe, höre ich wieder das lange Kreischen, wie ein schartiger Dolch auf Stein. Ich weiß nicht, wer meine Freundin Isis quält. Ich steige in den Wagenkorb. Amenacht, der Herr der Gespanne, verbeugt sich tief, Pentawer hält die Zügel zwischen den Köpfen der braunen Stuten, und ich sage: »Wir fahren heute nicht nach Norden. Zum Ipet-Resit-Tempel, die schmale Straße zum Hapischilf.«

Amenacht nickt, stellt sich hinter mich und legt seine Hände um meine Fäuste, in denen ich die Zügel aus geflochtenem Leder halte.

»Wohin immer du fahren willst, Sat Hushpeswa.« Wir rucken mit den Zügeln. Pentawer tritt zur Seite, und die ausgeruhten Pferde traben an, fallen nach einigen Dutzend Sprüngen in Galopp. Mein Kopf lehnt an der Brust des Vorstehers der königlichen Kampfwagen. Wir fahren im weiten Bogen nach Süden und auf die Tempel zu, die mein Vater Aacheperka-Rê hat erbauen lassen. Wir schweigen; nur die Atemstöße der Pferde, das Mahlen der Felgen im Sand, der im Schatten feucht geblieben ist, und der dumpfe Wirbel der Hufe unterbrechen die Stille des Morgens. Die Sonnenscheibe hat sich halb über die Wüste gehoben. Als sich der Weg zwischen Tamarisken, Sykomoren und Palmen gabelt, sage ich: »Fahr zum Ufer, zu meinem Steg. Ich will die Tiere Sobeks im Schilf sehen.«

»Darf das dein Vater, ewiges Leben für ihn, wissen?« Ich spüre an den Schultern, wie sich sein Körper vor Erschrecken versteift. »Es ist gefährlich, Prinzessin Hushpeswa.«

»Ich will es!« Meine Stimme ist schärfer geworden, als ich wollte. »Und es ist nicht gefährlich, Amenacht!«

»Der Goldhorus wird mich strafen, Kleine Königin.«

»Ich befehl's. Er wird es nicht erfahren.«

Das Gespann hält am Ende des Durchbruchs im Schilf, das wie eine gelbbraune Doppelmauer aussieht. Ich laufe über die Matten, die den Akazienholzsteg bedecken, zum Schilfboot, knie mich ins Heck und paddle aus dem Schilf, hinüber zur halb eingetrockneten Schlammbank. Dort liegen sie, wie in nächtlicher Starre, und blinzeln in die Sonne, die gepanzerten Schwänze im Wasser. Ich spüre aus der Tiefe meines Ka, dass ein Tag von großer Wichtigkeit für mich angefangen hat. Ich werde den Tag nie vergessen. Warum? Das weiß ich noch nicht. Ich halte das Boot an und sehe die mit dem unnennbaren Namen an und denke an die Worte, die mich Vater gelehrt hat, und an ihre Bedeutung.

»Blicke wie ein Falke, beobachte wie eine Katze, denke nach wie ein alter Priester und prüfe wie ein Schreiber. Dann vergleiche, als hieltest du die Waage der Maat, handle wie ein Baumeister und – befiehl wie der Goldhorus!«

Ich liebe und hasse diese Tiere. Sie fressen Aas und töten Rômet, die ihnen zu nahe kommen. Während ich beobachte und denke, scheint, was meine Augen sehen, deutlicher zu werden; selbst die Schatten werden schwärzer. Unter dem Zopf über dem rechten Ohr tropft Schweiß auf meine Schulter. Die Tiere reißen die Rachen auf, und der Gestank aus den Bäuchen weht über das Wasser des Seitenarms. Plötzlich hören die Vögel zu lärmen auf. Es ist mir gesagt worden, dass ich viel von meiner Freiheit verlieren werde, wenn ich je in die Verpflichtung eintrete. Welche Verpflichtung? Die der Königswürden? Der königlichen Pflichten, die ich haben werde? Ich? Ein Mädchen ... eine Frau? Wer wird mir sagen, woran ich mich erinnern und was ich vergessen darf?

Ich will, dass alle Bilder und Geschehnisse bleiben. Auch die Erinnerungen an die Sonne, deren Licht das Ried tränkt, als ich zurückpaddle. Ich werde es schreiben. Eines von Sobeks Geschöpfen schiebt sich fast lautlos in den Schaum der Heckspur meines Bootes. Die Vögel fangen wieder zu zetern an. Ich sehe die Erleichterung in Amenachts Gesicht, als er mich auf den Steg zieht und das Boot festbindet.

»Weißt du, Amenacht – die Hapikrokodile erinnern mich an Priester Hapu.«

»An Hapu, Größten der Schauenden? Ausgerechnet? Warum?« Er hilft mir auf den Wagen und lacht.

Ich muss kichern. »Hapu sieht genauso drein, wenn er grinst. Manchmal zwinkert er auch wie eine alte Schildkröte.«

»Ich glaube nicht, dass er das gern hört.« Amenacht tätschelt meine Wange und schnalzt mit der Zunge. Ein Schwarm kleiner Silberreiher fällt ins Schilf ein. Wir fahren zurück zum Palast, und bevor ich aus dem Wagenkorb springe, danke ich Amenacht.

Ich laufe entlang der Linie des Mauerschattens zu einem Nebeneingang. In den Räumen, die meine Stiefmutter Mutnofret bewohnte, herrschen Aufregung und Lärm. Ich sehe Dienerinnen, Ammen und Ärzte durcheinanderlaufen. Es riecht nach Myrrhe, Schweiß und verglimmenden Kräutern. Aus bronzenen Glutkörben brodelt Weihrauch. Wieder ein langer Schrei, der Erschöpfung und rasenden Schmerz ausdrückt. Niemand bemerkt mich. Ich bleibe im Halbdunkel hinter den Säulen und steige auf eine Truhe. Jetzt sehe ich über die Köpfe aller hinweg auf den Geburtsstuhl und das große Bett. Isis sitzt vornübergebeugt, mit weit gespreizten Beinen, die Knie angewinkelt, die Füße hoch und einwärts gedreht auf Lehmziegelwürfeln, das Gesicht von den Wehenschmerzen verzerrt. Ihr Körper zittert und ist geschwollen. Ich beginne zu verstehen, dass es das Kind ist, das sie quält. Wieder schreit Isis, und alle zucken zusammen. Sie wimmert und stöhnt, auf dem Laken unter dem Geburtsstuhl breitet sich unter dem Mondmal gedehnter schwarzer Punkte ein großer Fleck aus, eine Lache aus rötlichem Wasser zwischen ihren Beinen. Dann röchelt sie. Etwas drückt die blutige Öffnung auseinander; der Kopf des Säuglings schiebt sich heraus und scheint den Körper zu zerreißen. Die Laute, die aus Isis' Kehle kommen, haben nichts Menschenähnliches mehr. In einzelnen Stößen kommt endlich das Kind zwischen den zitternden Schenkeln hervor, zieht die Nabelschnur hinter sich her und gleitet durch wässriges Blut zu den Fußknöcheln. Eine Amme hebt das Kind auf.

»Es ist ein Junge. Der zweite Djehutjmes-Rê hat einen Sohn. Der Thronfolger!«