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Friederike Meckel Fischer

Therapie mit Substanz

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Friederike Meckel Fischer

Therapie mit Substanz

Psycholytische Psychotherapie im 21. Jahrhundert

Vorwort Stanislav Grof

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Verlegt durch:

© 2016 Nachtschatten Verlag AG für die deutsche Ausgabe

Lektoratsbetreuung: Stephan Schuhmacher

ISBN 978-3-03788-398-3
eISBN: 978-3-03788-512-3

Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische

Für Dich, lieber Vater

(4. Mai 1923 – 17. September 1953)

Du hast mich auf den Weg gebracht.

INHALT

Vorwort

Danksagung

Einführung

1

Mein persönlicher Werdegang

2

Meine Ausbildung bei Samuel Widmer

Erstes Ausbildungswochenende: MDMA, im 2. Teil 50 Mikrogramm LSD

Zweites Ausbildungswochenende: MDMA

Drittes Ausbildungswochenende: MDMA, 2C-B

Viertes Ausbildungswochenende: MDMA, LSD

Fünftes Ausbildungswochenende: Der Sterbepunkt

Sechstes Ausbildungswochenende: der Augenblick der Geburt

Weitere Erfahrungen bei Samuel Widmer

3

Die Anfänge meiner psycholytischen Arbeit und wie sich daraus die Setting-Strukturen entwickelten

4

Psychotherapie und psycholytische Psychotherapie

Der Blick auf den Menschen, bevor er sich in Therapie begibt

Die »Störung«

Die notwendigen Voraussetzungen vor dem Schritt in die Therapie

Therapie und ihr genereller Auftrag

Das Unbewusste

Entwicklungsstörungen, Traumata

Dissoziation sowie die Entstehung und Folgen von Störungen jeder Art

Kann der Auftrag der Psychotherapie mit den herkömmlichen therapeutischen Mitteln wirklich erfüllt werden?

Bewusstseinserweiterung als Möglichkeit, dem therapeutischen Auftrag gerecht zu werden

Wie kann psycholytische Therapie wirken?

Die kontinuierliche Erweiterung meiner therapeutischen Sicht

Die Beziehung Therapeut-Klient

5

Psychoaktive Substanzen

Beschreibungen, Vorstellungen, Klassifikation

Die psychoaktive Substanz als unspezifischer Bewusstseinsverstärker, Katalysator, Türöffner zum Unbewussten

Wahrnehmung, Bewusstsein, erweitertes Bewusstsein

Die Trias Dosis, Set und Setting

Der Wirkungsbogen

Die eingesetzten Substanzen

MDMA, 3,4-Methylendioxymethamphetamin

Die Wirkung von MDMA

Wie fühlt es sich an, MDMA zu nehmen?

Die Phase des »Aufstiegs«, das Einfluten der Substanz

Der MDMA-Aufstieg eines »Hochschulabsolventen«

Die MDMA-Plateauphase

LSD; Lysergsäurediethylamid; Indol, Tryptamin

Wie wirkt LSD?

Spezielle Erfahrungen unter LSD oder anderen Substanzen dieser Gruppe

Das Besondere am LSD

Das Einfluten der Substanz LSD

Erfahrungsbericht eines Hochschülers

Die Plateauphase

2C-B; 4-Bromo-2,5-dimethoxyphenylethylamin

Die spezifische Wirkung des 2C-B

Der Aufstieg bei 2C-B

Ein allgemeiner Erfahrungsbericht

Ein Beispiel für das Erkennen der Struktur des Widerstands unter 2C-B

Entheogene: Psilocybin, Meskalin, Ayahuasca

Psilocybin, Psilocin; Indol, Tryptamin

Spezifische Wirkung von Psilocybin

Eine erste Pilzerfahrung

Harman-Alkaloide und DMT: Ayahuasca

Die Frage der Selbsteinnahme

Die Integration

6

Die Arbeit mit psychoaktiven Substanzen

Der erste Unterbogen: Die äußere Struktur eines Wochenendes

Der Freitagabend

Die Absichtsfrage

Der zweite Unterbogen: Der formale Ablauf einer Sitzung

Der Samstag

Vorbereitung, Einnahme und Aufstieg

Die Plateauphase – die Zeit der eigentlichen Arbeit

Die Abstiegsphase

Die therapeutischen Werkzeuge

I. Der Therapeut

II. Die Substanzen

III. Die modifizierte Aufstellungsarbeit

IV. Live-Body-Work

Die theoretischen Grundlagen

Das Werkzeug Live-Body-Work als solches

V. Die Gruppe

Die Entwicklung der Gruppe zum Werkzeug

Die Gruppe als Werkzeug

VI. Die Musik

Wozu Musik während einer psycholytischen Sitzung?

Die Funktion des Symptoms

Grundannahmen über die Absicht und die Absichtsfragen des Klienten

Die korrigierende Neuerfahrung

Der iterative Integrationsprozess

Beispiele für die eigentliche Arbeit

Ein Aufstieg mit MDMA

Die Arbeit auf dem Plateau

1. Beispiel: Arbeit mit modifiziertem Aufstellen

2. Beispiel: Arbeit mit Live-Body-Work

7

Stufen der psycholytischen Arbeit

Vorstellung der »Arbeit«, Auswahl und Vorbereitung

Die Vorstellung der »Arbeit«

Die Auswahl der Klienten – Aufklärung, Kontraindikationen

Lernziele für eine wirksame psycholytische Arbeit

Vom »Schnupperer« zum »Hochschulabsolventen«

Die erste Sitzung, die Schnuppersitzung

Der Grundschüler

Der Mittelschüler

Der Hochschüler und der Übergang zum Hochschulabsolventen

Der Hochschulabsolvent

8

Stationen der Erkenntnisse in der psycholytischen Therapie

Stationen des Erkenntnisbogens

Das in die Therapie führende Thema

Beispiel für das in die Therapie führende Thema

Die eigene Biografie – Psychosomatik

Eltern und Familie

Beispiel: Innerer Frieden

Beispiel: Muster

Beispiel: Als schwierig erlebte Situation, die zu einem Alltagsgefühl geworden war

Psychosomatik

Epigenetik – Transgenerationale Traumata, Vorfahren

1. Beispiel: Biografisch und epigenetisch (Ayahuasca)

2. Beispiel: Epigenetik

3. Beispiel: Epigenetik

4. Beispiel: Transgenerationale Traumata

Frühe Prägungen: Bindungsmuster – von Belief-Systemen zu Handlungsmustern

Herkunft von Mustern aus der Embryonal- und Fetalzeit

Beispiel 1: Musterentstehung durch ein Trauma in sehr früher Schwangerschaft – eine biochemisch-psychische Traumatisierung

Beispiel 2: Musterentstehung durch Einflüsse in der Schwangerschaft und bei der Geburt

Gleiche Klientin, einige Jahre später: Belief-System

Beispiel 3: Mustererkennung eines Belief-Systems

Beispiel 4 (andere Klientin)

Beispiel 5

Allgemeine Themen

Kritische Betrachtung und Grenzen der Therapie

9

Prozessverläufe

Beispiel 1

Vorgeschichte

2006, 1. Protokoll: MDMA

2006, 2. Protokoll: MDMA, LSD

2006, 3. Protokoll: Ayahuasca

2007, 4. Protokoll: Ayahuasca

2007, 5. Protokoll: 2C-B

2007, 6. Protokoll: 2C-B, MDMA, LSD

2007, 7. Protokoll: 2C-B, MDMA, LSD

2008, 8. Protokoll: MDMA

2008, 9. Protokoll: Ayahuasca

Protokoll der Nachbearbeitungssitzung

2008, 10. Protokoll: 250 Mikrogramm LSD

2008, 11. Protokoll: 2C-B, LSD

2009, 14. Protokoll: 2C-B, LSD

2009, 15. Protokoll: 2C-B; MDMA

2009; 16. Protokoll MDMA, LSD

2009, 17. Protokoll: 350 Mikrogramm LSD

2009, 18. Protokoll: 2C-B, LSD

Reflexion zum Prozess von Y.

Beispiel 2

Bericht über einen Gesamtprozess

Reflexion zum Prozess von Mo.

Protokoll: Ayahuasca

10

Gefahren, Risiken, Nebenwirkungen und das Gesetz

Risiken, die im kontrollierten Setting mit Substanzen verbunden sind

Gesundheitliche Zwischenfälle

»Gefahren« der Einnahme von in einem kontrollierten Setting verabreichten Substanzen

Die Bedeutung emotional intensiver Erfahrungen in der psycholytischen Therapie

Der Weg zu einer sicheren Selbsterforschungs-Sitzung

Dosierung, Set und Setting sind eng miteinander verbunden

Der Klient und die Dosierung

Die Einstellung des Klienten

Der Grad des Wissens des Klienten

Der Grad der Befähigung des Klienten

Die Kombination von Set und Setting

Der Therapeut und die Dosierung

Der Therapeut und der Klient

Der Therapeut und die Umgebung

Der Therapeut als »Bergführer«: die Qualifikation des Therapeuten

Nebenwirkungen einer Therapie

Risiken und Nebenwirkungen einer Therapie mit Substanz

Phänomene, denen man bei der Arbeit mit psychoaktiven Substanzen begegnet

Potenzielle Gefahren für die Klienten

Der Kontext der Illegalität

Meine persönliche Erfahrung mit der Illegalität

Der Vorteil der Illegalität

Die Gefahr von Fehlern

Misserfolg und Erfolg

Supervision, Intervision und Austausch

11

Die Parallelen der psycholytischen Arbeit zum Schamanismus; Heilung und Spiritualität

Parallelen unserer Arbeit zum Schamanismus

Heilung

Spiritualität

12

Was am Ende gesagt sein will – Rückblick und Vorschau

Rückblick

Vorschau

Literaturverzeichnis

Die Autorin

Vorwort

Das Buch Therapie mit Substanz von Dr. Friederike Meckel Fischer ist ein umfassender Führer zum medizinischen Gebrauch von psychedelischen Substanzen in der Therapie von psychischen und psychosomatischen Störungen. Es basiert auf mehreren Jahren der therapeutischen Arbeit mit Klienten auf diesem Gebiet, die sie ohne offizielle Genehmigung durchgeführt hat. Das Buch beschreibt in klarer und gut verständlicher Sprache alles, was für den wirksamen und sicheren Einsatz dieser Behandlungsweise sowie für die Arbeit mit außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen im Allgemeinen zu wissen notwendig ist.

Dr. Meckels Buch erscheint genau zum richtigen Zeitpunkt. Es wird professionellen Therapeuten und der breiteren Öffentlichkeit in einer Zeit vorgelegt, in der eine bemerkenswerte weltweite Renaissance des Interesses an der wissenschaftlichen Erforschung psychedelischer Substanzen zu beobachten ist. Dies ist ein unerwarteter und überraschender Wandel nach vier Jahrzehnten, in denen die legale klinische Arbeit auf diesem Gebiet von einer unüberlegten Gesetzgebung so gut wie unmöglich gemacht wurde. Die Gesetzgebung war eine Reaktion auf den massenhaften und unbeaufsichtigten Gebrauch dieser Substanzen durch die junge Generation in Amerika und Europa und auf eine internationale Hysterie, die von sensationslustigen Journalisten geschürt wurde.

Gegenwärtig wird an etlichen amerikanischen Universitäten, darunter Harvard, Johns Hopkins, University of California in Los Angeles (UCLA), State University of New York (SUNY), University of California in San Francisco (UCFS) und University of Arizona in Tucson erneut auf dem Gebiet der psychedelischen Substanzen geforscht. Von besonderem Interesse ist die von Michael und Annie Mithoefer in South Carolina eingeführte wegbereitende Forschung zur MDMA-gestützten Psychotherapie für Kriegsveteranen, die unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden.1 Wegen der enormen medizinischen, wirtschaftlichen und politischen Probleme im Zusammenhang mit dieser gefährlichen Störung, die traditionellen Therapieformen gegenüber oft resistent ist, könnte der Erfolg dieses Projekts den Psychedelika die Tür zur Mainstream-Psychiatrie öffnen. Die Phase 2 der klinischen Studien zur MDMA-gestützten Psychotherapie für PTBS wird zur Zeit in South Carolina, Colorado, Kanada und Israel durchgeführt oder geplant. Neue Forschungsprojekte unter Einbeziehung von verschiedenen Cannabinolen, Ibogain, Ketamin und anderen psychedelischen Substanzen wurden weltweit in Angriff genommen. Um die Bedeutung des Buches von Dr. Meckel würdigen zu können, ist es wichtig, den größeren historischen Kontext zu betrachten.

Die zufällige Entdeckung der psychedelischen Wirkung von LSD-25 durch den Schweizer Chemiker Albert Hofmann2 im Jahre 1943 löste eine beispiellose Welle weltweiten wissenschaftlichen Interesses an dieser Substanz aus und begründete eine neue Disziplin: die moderne Bewusstseinsforschung.3 Nie zuvor in der Geschichte der Wissenschaft war eine einzige Substanz in mehreren Fachgebieten dermaßen vielversprechend. In der Gehirnforschung führte die Entdeckung des LSD zu einem goldenen Zeitalter der Forschung, die auch Fortschritte in Hinblick auf die Lösung des Rätsels der Neurorezeptoren, der neuronalen Botenstoffe, des chemischen Antagonismus und der Rolle des Serotonins im Gehirn machte.

Psychiater betrachteten LSD als einzigartiges Hilfsmittel zur Induzierung eines Modells einer endogenen Psychose unter Laborbedingungen. Sie hofften, diese »experimentelle Psychose« werde ihnen helfen, das Rätsel der Schizophrenie zu lösen, und werde ihnen in Hinsicht auf diese größte Herausforderung ihrer Disziplin den Weg zu einer Lösung aus der Retorte weisen. Die »experimentelle Psychose«, die von winzigen Dosierungen der Substanz (von Millionstel eines Gramms oder Gammas) ausgelöst wurde, wurde auch als unkonventionelles Lehrmittel angewandt, das es Tausenden von professionellen Psychiatern ermöglichte, einige Stunden in einer Welt zu verbringen, die der ihrer Patienten glich.

Psychotherapeuten berichteten vom einzigartigen Potenzial der Substanz zur Vertiefung und Beschleunigung des therapeutischen Prozesses und zur Ausweitung der Anwendbarkeit von Psychotherapie auf Kategorien von Patienten, die zuvor sehr schwierig oder gar nicht zu erreichen waren – Alkoholiker, von harten Drogen Abhängige, sexuell deviante Menschen und Rückfällige.4 Besonders wertvoll und vielversprechend waren die Studien zur Linderung des psychischen und physischen Leidens von todkranken Patienten und zum Abbau ihrer Angst vor dem Tod.5 Kunsthistorikern eröffneten Experimente mit LSD außerordentliche neue Einsichten in die Psychologie und Psychopathologie der Kunst, insbesondere verschiedener moderner Bewegungen wie Surrealismus, Phantastischer Realismus, Kubismus und Impressionismus sowie die Malerei und die Skulpturen unterschiedlicher Stammeskulturen.6

Das Vermögen von LSD, tiefe spirituelle Erfahrungen zu induzieren, führte zu faszinierenden Einsichten in die Psychologie und Psychopathologie der Religion – in Schamanismus, Übergangsriten, die uralten Mysterien von Tod und Wiedergeburt, östliche spirituelle Philosophien sowie die großen Religionen und mystischen Traditionen der Welt, aber auch in religiöse Intoleranz, religiös motivierte Kriege und Grausamkeiten wie Kreuzzüge, Jihad, Inquisition und satanische Praktiken.7 Die Tatsache, dass Psychedelika spirituelle Erfahrungen auszulösen vermögen, führte zu hitzigen Debatten über »Instant-Mystik« oder »chemische Mystik«, die um das Problem der Authentizität solcher Erfahrungen kreisten.

Es sah ganz danach aus, als sei die LSD-Forschung auf dem Weg, all diese Versprechungen und Erwartungen zu erfüllen, bis der berühmte Harvard-Skandal um Timothy Leary, Richard Alpert und Ralph Metzner sowie die massenhaften unbeaufsichtigten Selbstversuche der jungen Generation und der Gegenkultur aus Hofmanns »Wunderkind« ein »Sorgenkind« machten. Die behördlichen und politischen Sanktionen gegen Psychedelika in den 1960er Jahren erwiesen sich nur gegenüber gesetzestreuen Wissenschaftlern als wirksam, vermochten aber bekanntlich den Straßenverkauf von psychedelischen Substanzen nicht zu unterbinden. Sie förderten einen Schwarzmarkt mit gefährlichen Produkten ungewisser Qualität und Dosierung und führten zu einer absurden Situation, in der Teenager mehr Zugang zu Informationen über das Bewusstsein und die menschliche Psyche hatten als die Psychiater und Psychologen des Mainstreams.

Im Jahre 1966 befragte Robert Kennedy, dessen Frau mit LSD behandelt worden war und der die Erfahrung gutgetan hatte, die Vertreter der Federal Drug and Food Administration (FDA) und des National Institute of Mental Health (NIMH) in seinen eigenen Unterausschuss-Anhörungen zum LSD. Er fragte sich, warum so viele Forschungsprojekte zum LSD eingestellt wurden. Er argumentierte: »Wir haben die Tatsache, dass es gefährlich sein und Individuen, die es gebrauchen, schaden kann, so sehr betont, dass wir womöglich zu einem gewissen Maße die Tatsache aus den Augen verloren haben, dass es für unsere Gesellschaft sehr, sehr hilfreich sein könnte, wenn es auf die richtige Weise angewandt wird.« Zur Verteidigung der LSD-Forschung führte er an, dass es grotesk sei, die wissenschaftliche Erforschung von psychedelischen Substanzen in einer Zeit zu unterbinden, in der diese von Millionen von Amerikanern verwendet würden. Diese Situation sollte es vielmehr erforderlich machen, so viele Informationen wie möglich über sie zu sammeln.

Die drakonische Gesetzgebung, die die ernsthafte legale Erforschung von Psychedelika für vier Jahrzehnte abtötete, basierte auf keinerlei wissenschaftlichen Belegen und ingnorierte sogar die vorhandenen klinischen Daten. So veröffentlichte zum Beispiel der psychedelische Pionier Sidney Cohen aus Los Angeles im Jahre 1960 einen Artikel mit dem Titel »Lysergic Acid Diethylamide: Side Effects and Complications«, der auf 25 000 Anwendungen von LSD-25 und Meskalin basierte. Er zeigte, dass Probleme im Zusammenhang mit Psychedelika – wie etwa Flashbacks, langanhaltende Reaktionen, psychotische Einbrüche und Selbstmordversuche – bei verantwortungsvoller Anwendung dieser Substanzen minimal waren. Sie schnitten im Vergleich zu anderen, von konventionellen Psychiatern angewendeten Methoden wie Insulin-Komas und Elektroschock-Therapie (für beide galt eine Sterblichkeitsrate von 1% als akzeptables medizinisches Risiko) sehr gut ab, insbesondere im Vergleich zu der häufig angewandten präfrontalen Lobotomie, für deren Erforschung Edgar Moniz den Nobelpreis erhielt und die dem Hirngewebe irreversiblen Schaden zufügt.8

Während der vier Jahrzehnte, in denen legale Arbeit mit Psychedelika praktisch unmöglich war, entschieden sich individuelle Therapeuten und kleine Gruppen, diese Arbeit im Untergrund weiterzuführen, da sie von deren Sicherheit und Wirksamkeit bei verantwortungsbewusstem Gebrauch überzeugt waren und ihren Klienten deren Vorteile nicht vorenthalten wollten. Ralph Metzner sammelte die Informationen aus solchen Gruppen, die in den USA und Europa mit Tryptamin-Derivaten arbeiteten, in seinem bemerkenswerten Buch Die Kröte und der Jaguar.9 Die in diesem Buch beschriebenen Beobachtungen stellen eine solide Basis für künftige Forschung dar, insbesondere in Hinsicht auf das sehr vielversprechende 5-Methoxy-DMT. Dank der Erfahrung von Therapeuten, die im Untergrund mit MDMA gearbeitet haben, liegen uns heute legale Studien vor, die zeigen, dass diese Substanz eine wirksame Behandlung von PTBS ermöglicht. Friederike Meckels Buch ist ein weiteres Beispiel für ohne legale Genehmigung gewonnene, unschätzbar wertvolle klinische Information.

Nach der Diskussion wichtiger allgemeiner Informationen über die Natur psychischer und psychosomatischer Störungen, diagnostische Kriterien, die therapeutischen Beziehung und andere wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung, eröffnet die Autorin uns eine Schatzkiste klinischer Daten über die revolutionären Veränderungen, die durch die Kombination der Psychotherapie mit psychedelischen Substanzen und Pflanzenmedizinen in die Psychotherapie eingebracht werden. Sie beschreibt die grundlegenden pharmakologischen Wirkstoffe, die in dieser Arbeit verwendet werden – LSD, Meskalin, Psilocybin, die ethnogenen Amphetamin-Derivate MDMA und 2C-B, Tryptamin-Derivate sowie Pflanzenmedizinen wie Ayahuasca und Psilocybe-Pilze.

In jeder Abteilung dieses Buches umfasst die Diskussion dieser Bestandteile eine Beschreibung ihrer spezifischen Charakteristika, der psychischen und physiologischen Wirkungen, Anweisungen für eine optimale Dosierung, Leitlinien für den klinischen Gebrauch und dessen therapeutisches Potenzial. Dr. Meckel schenkt den möglichen Nebenwirkungen, Komplikationen und Gefahren von psychedelischen Substanzen besondere Beachtung. Sie führt sehr eingehend aus, inwieweit das Verhältnis zwischen ihrem potenziellen Nutzen und den Risiken ganz wesentlich von der Qualität, Dosierung und insbesondere einem Komplex nicht-pharmakologischer Faktoren, nämlich Set und Setting, abhängig ist. Sie zeigt zudem, welchen Einfluss es hat, wer die Substanz wem verabreicht, mit welcher Intention und welchem Ziel, mit welchem Grad an Erfahrung und Befähigung und unter welchen physischen Umständen und in welcher Umgebung des Experiments.

Die oben erwähnten vielfältigen Informationen in diesem Buch, die durch zahlreiche klinische Fallbeispiele illustriert sind, werden von großem potenziellen Nutzen für die künftige psychedelische Therapie und Forschung sein. Unlängst erhielt die Arbeit jener Therapeuten, die sich dafür entschieden haben, eher ihrem eigenen Urteil und Gewissen zu folgen als einer irregeleiteten Gesetzgebung, unerwartete Rechtfertigung in Form eines von einem prominenten ehemaligen Regierungsbeamten geschriebenen offenen Briefes. Nachdem Dr. Peter Bourne, der während der Präsidentschaft von Jimmy Carter der Drogenzar des Weißen Hauses gewesen war, im New Yorker den Artikel von Michael Pollan über den Gebrauch von Psilocybin in der medizinischen Behandlung gelesen hatte, schrieb er einen bemerkenswerten Brief an den Herausgeber dieser Zeitschrift.10 Darin gab er seinem Bedauern über die unselige Drogenpolitik der Carter-Regierung Ausdruck und entschuldigte sich bei den Forschern, die ihre Arbeit mit Psychedelika trotz der schlechten und irrigen Entscheidung der Behörden fortgesetzt hatten. Dieser Brief liefert einen traurigen Kommentar zu einer Situation, in der die staatliche Finanzierung wissenschaftlicher Forschung stark von politischen und kulturellen Werten beeinflusst wird, die nichts mit Wissenschaft zu tun haben:

»Mit wenigen Ausnahmen hat die öffentliche Förderung der Forschung zu den sogenannten Missbrauchsdrogen nur deren schädliche Wirkungen in Betracht gezogen, was das Vorurteil der Politiker und Geldgeber bestärkt hat. Als früherer Direktor des White House Office of Drug Abuse Policy schäme ich mich heute dafür, dass ich es versäumt habe, die Politik der Nixon-Ford-Regierung, welche die meisten Psychedelika auf die Schedule-1-Liste der DEA gesetzt und damit deren Gebrauch verboten hat, rückgängig zu machen. Der Kongress hätte eine solche Änderung mit größter Wahrscheinlichkeit verhindert, doch wäre es uns gelungen, das Verbot wissenschaftlicher Forschung zur medizinischen Nutzung aufzuheben, dann hätten die Ärzte heute wahrscheinlich ein weitaus besseres Verständnis der Gehirnfunktion und das unnötige Leiden vieler todkranker Patienten hätte gelindert werden können. Wir sollten die von Pollan erwähnten heroischen Wissenschaftler und Kliniker preisen, die sich ganz offensichtlich der Erweiterung des Horizonts der Wissenschaft verpflichtet haben.«

Der Brief mag eine gewisse Befriedigung für die tapferen Therapeuten darstellen, die sich dazu entschlossen, sich durch wissenschaftliche Belege und ihre eigene Überzeugung, dass Psychedelika ein äußerst hilfreiches therapeutisches Hilfsmittel sind, leiten zu lassen und nicht durch eine auf einer Massenhysterie beruhende irrationale Gesetzgebung. Er kann jedoch nicht den Schaden rückgängig machen, den der wissenschaftliche Fortschritt ebenso genommen hat wie die vielen Tausende von Patienten, denen der Nutzen einer psychedelischen Behandlung versagt blieb. Im letzten Teil ihres Buches zeichnet Dr. Meckel ein äußerst klares und überzeugendes Bild der Faktoren und Umstände, die während jener Jahrzehnte vorherrschten, in denen Psychedelika fälschlicherweise als Narkotika bezeichnet und zu Unrecht auf die Schedule-1-Liste gesetzt wurden.

Sie beschreibt mit ungewöhnlicher Offenheit ihre persönliche Odyssee in Form von jahrelanger erfolgloser therapeutischer Arbeit mit traditionellen Behandlungsmethoden und der großen Zahl der von ihr im Lauf der Jahre absolvierten Ausbildungen zu konventionellen Methoden, mit denen sich nur fragwürdige Therapieerfolge erzielen ließen. Diese komplexe und stürmische persönliche Geschichte legte das Fundament für ihr Verständnis und ihre Anerkennung der Heilkraft außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. Nach einer langen Reihe von Fehlschlägen und Enttäuschungen entdeckte und erfuhr sie zuerst das Holotrope Atmen und dann die psychedelische Therapie.

Sie absolvierte eine dreijährige Ausbildung zur Facilitatorin der holotropen Atemarbeit und wurde im Anschluss daran zu einer zertifizierten Praktikerin dieser Methode. Inspiriert durch eine eindrucksvolle MDMA-Sitzung, die sie gemeinsam mit ihrem Partner und späteren Ehemann erlebte, entschloss sie sich dazu, sich zur psychedelischen Therapeutin ausbilden zu lassen. Diese Erfahrungen stellten einen radikalen Wendepunkt in ihrem persönlichen Leben und ihrem Berufsleben dar und überzeugten sie von dem enormen Potenzial außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. Als amtliche und politische Maßnahmen die legale Forschung mit psychedelischen Substanzen unmöglich machten, beschloss sie, ihre Arbeit im Untergrund fortzusetzen, statt mit konventionellen Methoden zu praktizieren, die ihrer Erfahrung nach nur zweifelhaften Wert für ihre Patienten hatten.

Auf Dr. Meckels therapeutische Odyssee folgte eine schmerzliche Odyssee anderer Art. Sie kam mit dem Schweizer Gesetz in Konflikt, nachdem eine ihrer Klientinnen sie bei der Polizei angezeigt hatte und sie wegen illegaler Praktiken angeklagt wurde. Sie erlebte nicht nur ein qualvolles, zeitraubendes und kostspieliges Gerichtsverfahren, das ihre Lizensierung als Therapeutin und ihre persönliche Freiheit bedrohte, sondern musste auch eine erniedrigende Kampagne in den Schweizer Medien über sich ergehen lassen, die ihr berufliches Ansehen schädigte.

So zahlte sie einen hohen Preis für die Hilfe, die sie ihren Klienten hatte zukommen lassen, und für die unschätzbar wertvollen Erkenntnisse, die sie in einer dunklen Epoche der Geschichte der Psychedelika und der Wissenschaftsgeschichte im Allgemeinen sammeln konnte. Gegenwärtig wird dieser bedauernswerte Irrtum der Legislative dank der jahrzehntelangen entschlossenen und unbeugsamen Bemühungen von Rick Doblin, dem Präsidenten der Multidisciplinary Association of Psychedelic Studies (MAPS), und seinem Team korrigiert. In der Zukunft wird Dr. Meckels Buch hoffentlich als ein wichtiger Führer für eine neue Generation von psychedelischen Therapeuten und als dringend benötigte Informationsquelle für eine breitere Öffentlichkeit dienen, die sich mehr für auf wissenschaftlicher Forschung basierende Informationen zu diesem Gebiet interessiert als für irreführende Anti-Drogen-Propaganda.

Der potenzielle Nutzen des verantwortungsbewussten Gebrauchs psychedelischer Substanzen geht weit über deren Bedeutung als wirksame therapeutische Hilfsmittel hinaus. Die tiefgreifende positive innere Transformation der menschlichen Persönlichkeit, die in außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen zu erreichen ist, besitzt eine wichtige kollektive Dimension. Sie umfasst eine radikale Verringerung aggressiver Tendenzen, die Entwicklung von Mitgefühl und Toleranz gegenüber Unterschieden hinsichtlich Rasse, Geschlecht und Religion, die Herausbildung eines ökologischen Bewusstseins sowie einer Spiritualität universeller und allumfassender Natur jenseits aller Denominationen. Ließe sich ein solcher Wandel in größerem Rahmen erreichen, so könnte dies die Menschheit in Richtung auf eine globale Zivilisation voranbringen und die Überlebenschance unserer Spezies vergrößern.

Albert Hofmann, der Ethnomykologe Gordon Wasson und der Professor für Geschichte des klassischen Altertums Carl Ruck kamen auf der Grundlage ihrer gemeinsamen historischen Forschung, die sie in ihrem Buch Der Weg nach Eleusis beschreiben, zu dem Schluss, dass der heilige Trank Kykeon, den die Initianden zur Initiation in die eleusischen Mysterien erhielten, ein Ergot-Derivat enthielt.11 Aufgrund dieser Forschung nahm Hofmann an, dass der rituelle Gebrauch von LSD und Psilocybin eines Tages in die abendländische Zivilisation integriert werden könnte und dass dieses Neue Eleusis der Menschheit der Moderne ähnliche spirituelle und kulturelle Errungenschaften bescheren könnte, wie sie ihr historischer Vorläufer den alten Griechen und deren Nachbarländern beschert hat.

Stanislav Grof

1Mithoefer, M. C., et al. (2010): The safety and efficacy of ±3,4-methylenedioxymethamphetamine-assisted psychotherapy in subjects with chronic, treatment-resistant posttraumatic stress disorder: the first randomized controlled pilot study. Journal of Psychopharmacology, 19. Juli.

2Hofmann, Albert (1979): LSD – Mein Sorgenkind. Stuttgart: Klett-Cotta.

3Stoll, W. A. (1947): LSD, ein Phantastikum aus der Mutterkorngruppe. Schweizer Archiv der Neurologischen Psychiatrie 60:279.

4Grof, Stanislav (1983): LSD-Psychotherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.

5Grof, Stanislav (2006): The Ultimate Journey: Consciousness and the Mystery of Death. Santa Cruz, CA: MAPS Publications.

6Grof, Stanislav (2015): Modern Consciousness Research and the Understanding of Art. Santa Cruz, CA: MAPS Publications.

7Pahnke, Walter (1963): Drugs and Mysticism: An Analysis of the Relationship between Psychedelic Drugs and the Mystical Consciousness. Dissertation, Harvard-Universität.

8Cohen, Sidney (1960): »Lysergic Acid Diethylamide: Side Effects and Complications». In: Journal of Nervous and Mental Diseases 130:30.

9Metzner, Ralph (2015): Die Kröte und der Jaguar: Erfahrungsberichte zur Erforschung einer visionären Medizin. Solothurn: Nachtschatten Verlag.

10Pollan, Michael (9. Februar 2015): »The Trip Treatment«. The New Yorker, 36–47.

11Wasson, Robert Gordon; Hofmann, Albert & Ruck, Carl A. P. (1984): Der Weg nach Eleusis: Das Geheimnis der Mysterien. Frankfurt am Main: Insel Verlag.

Danksagung

Im Juli 2013 hielt ich in Greenwich einen Vortrag mit dem Titel Towards Authenticity, Practical Psychointegration, Setting, Tools and Vision. Damals wurde ich gefragt, ob ich meine Erfahrung nicht in einem Buch zusammenfassen könnte. Diese Anregung wurde zu einer Herausforderung, für die ich an dieser Stelle Dank sage.

An Dr. Tim Read, dass er dieses Projekt angeregt hat, für seine Hilfe bei der Produktion und für die Herausgabe dieses Buches in englischer Sprache.

An Stephan Schuhmacher für seine präzise, kritische Assistenz bei der Entwicklung der deutschen Version des Buches.

Dank gilt außerdem:

Dir, Stan, und Christina; ihr habt mir vor langer Zeit die Tür zum Bewusstsein geöffnet.

Dir, Klientin, Freundin, Weggefährtin, Mitmenschin, für dein Dich-Einlassen, Mitarbeiten, Vertrauen.

Dir, Klient, Freund, Weggefährte, Mitmensch, für dein Dich-Einlassen, Mitarbeiten, Vertrauen.

Euch, allen meinen Lehrern, für eure Bereitschaft, Wissen und Können weiterzugeben.

Dir, Konrad, Ehemann, Freund, Weggefährte, Mitmensch, Vertrauter, für den gewährten Raum der Stille.

Allen, die sich intensiv mit ihren Forschungsthemen beschäftigt haben und von deren Kompetenz ich profitieren konnte.

Denen, die mich durch Kritik und Fragen gefördert haben.

Derjenigen, die es möglich gemacht hat, öffentlich zu schreiben.

Ich verneige mich in Dankbarkeit vor dem, was größer ist als ich. Ich wurde getragen und gestärkt.

Einführung

In diesem Buch, das auch auf Anfrage und Bitte eines für die darin behandelte Thematik engagierten Freundes geschrieben wurde, berichte ich über die Erfahrungen und Einsichten, die ich im Laufe mehrerer Jahre gewonnen habe, während derer ich als Psychotherapeutin »im Untergrund« Therapie mithilfe psychoaktiver Substanzen betrieben und eine entsprechende Methodik entwickelt habe. Diese Arbeit wurde durch einen Verrat, die Verhaftung und eine Verurteilung wegen »Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz« jäh beendet. Die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse jedoch bleiben, und ich kann heute darüber berichten, ohne weitere juristische Konsequenzen befürchten zu müssen.

Die ersten drei Kapitel enthalten Biografisches und weihen den Leser in die Hintergründe dieser Arbeit ein. So beschreibt das erste Kapitel meinen persönlichen Werdegang. Das zweite Kapitel gewährt dem Leser einen ebenfalls sehr persönlichen Einblick in meine Ausbildung bei Samuel Widmer. Das dritte Kapitel erlaubt eine Gesamtübersicht von den Anfängen der psycholytischen Arbeit bis hin zum endgültigen Setting.

Im vierten Kapitel richtet sich der Blick auf die Psychotherapie und die psycholytische Therapie als zwei eigenständige Therapiemodelle. Der Weg führt dann im fünften Kapitel zu den psychoaktiven Substanzen, deren Art, Bedeutung und Wirkung auch anhand von Beispielen erläutert werden. Danach wird im sechsten Kapitel die eigentliche Arbeit im Allgemeinen und im Speziellen behandelt und dazu ein Überblick über die Werkzeuge, die Art des Umgangs mit ihnen, ihre Funktion und ihre Bedeutung gegeben. Im siebten Kapitel geht es um die Auswahl und Vorbereitung der Klienten und um die »Lernziele«, die im Laufe der psycholytischen Arbeit angestrebt werden, deren Verlauf ich in das Bild »Vom Schnupperer zum Hochschulabsolventen« gekleidet habe.

Das achte Kapitel widmet sich dem therapeutischen Erkenntnisbogen, den das neunte Kapitel anhand zweier Prozessverläufe und eines Protokolls illustriert. Das zehnte Kapitel beschäftigt sich mit Gefahren, Risiken, Nebenwirkungen und dem Thema der Illegalität, wobei zu diesem Problem inhaltlich nur das angesprochen wird, was der Absicht dieses Buches Rechnung trägt.

In beinahe allen Kapiteln finden sich Definitionen, wie zum Beispiel von »Symptom« oder dem »Unbewussten«, die dem Verständnis des Therapiemodells dienen. Es werden Erklärungsmodelle der Entstehung von Störungen und Traumata vorgestellt und es wird auf andere Autoren verwiesen. Im elften Kapitel geht es um die Parallelität zwischen der beschriebenen Arbeit und schamanischem Vorgehen, sowie um Heilung und Spiritualität aus der Perspektive dieser Arbeit.

Das zwölfte Kapitel, der Epilog, richtet den Blick noch einmal zurück auf den therapeutischen Bogen, um dann eine Vision von dessen Vollendung zu entwerfen.

1

Mein persönlicher Werdegang

In diesem ersten, biografischen Kapitel beschreibe ich meinen persönlichen Weg in die psycholytische Arbeit.

Bei diesem und auch den folgenden Kapiteln handelt es sich um einen zusammenhängenden, kompakten Rückblick auf die Entstehung des Gesamtgebildes. Diese Perspektive führt dazu, dass bereits Bekanntes in späteren Kapiteln erneut aufscheint.

Dass meine berufliche Laufbahn mich dazu geführt hat, unkonventionelle Methoden zu erproben und einzusetzen, liegt zweifellos auch daran, dass sie mich mit den Grenzen der konventionellen Psychotherapie konfrontiert hat. Es wäre allerdings anmaßend, die herkömmliche Psychotherapie verallgemeinernd als unbrauchbar zu bezeichnen. Deshalb werde ich im Folgenden nur über mich und meine eigenen Erfahrungen berichten.

1988 verliebte ich mich nach 21 Ehejahren in einen anderen Mann. Als mir in der Folge deutlich wurde, dass dieser Mann unsere »Beziehung« nur zum Ausstieg aus seiner eigenen Ehe benutzt hatte und es ihm gar nicht um mich gegangen war, katapultierte mich diese Erfahrung in eine Lebens- und Sinnkrise. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Eine immense innere Unruhe, Traurigkeit und Gereiztheit befielen mich. Für meine Umwelt muss ich eine Zumutung gewesen sein. Ich wurde streitsüchtig, intolerant, vernachlässigte meine häuslichen Pflichten, hinterfragte alles und »meckerte an meinem Mann herum«.

Interessanterweise war ich jedoch bei der Arbeit als Ärztin im Krankenhaus eine völlig andere: ausgeglichen, vergnügt, voller Kraft und zu hohem Arbeitseinsatz bereit und fähig. Von außen betrachtet war ich zwei Personen. Da ich niemanden kannte, der mir in dieser Situation hätte helfen können, beschloss ich, mir selbst zu helfen. Ich musste Psychotherapeutin werden. Interessant scheint mir im Nachhinein, dass mir nie in den Sinn gekommen ist, erst einmal selbst eine Therapie zu machen.

Die Verhaltenstherapie schien mir zu technisch ausgerichtet, deshalb meldete ich mich in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieausbildung zum Vorgespräch. Als Motivation gab ich berufliches Interesse an, hatte ich in meiner Eigenschaft als Arbeitsmedizinerin doch festgestellt, dass die meisten Erkrankungen und Fehlzeiten am Arbeitsplatz durch zwischenmenschliche Probleme ausgelöst werden. Aufgrund dieser Argumentation wurde ich in die Ausbildungsgruppe aufgenommen. Während der gesamten dreijährigen Ausbildung brachte ich es im Übrigen fertig, meinen eigentlichen Zustand nicht zu thematisieren. Nicht dass ich vorsätzlich nichts preisgab, es ging einfach nicht – als gäbe es eine unsichtbare Grenze in mir. Dieses Verhalten, das ich erst im Verlauf meiner Selbsterforschung als solches erkannte und zu verstehen begann, sollte erst sehr viel später den Namen »Nachkriegskindheit-Identität« erhalten: »Schotten dicht, nicht fühlen, sondern funktionieren«. Es diente mir schließlich als eine wichtige Lehre über die »natürliche Unfähigkeit, sich zu öffnen«, durch die in der Psychotherapie das Wichtigste nicht angesprochen wird.

Neben der Theorie und dem psychiatrischen Praxisteil absolvierte ich im Selbsterfahrungsteil der Ausbildung eine Gruppenpsychoanalyse. Selbstverständlich diente die Gruppe als Abbild der Gesellschaft und/oder der Familie mit ihren jeweils fehlgelaufenen sozialen und zwischenmenschlichen Austauschprozessen. Durch die Interaktionen in der Ausbildungsgruppe sollten sich – nun unter günstigen sozialen Bedingungen – die prägenden sozialen Erfahrungen erneut entfalten; sie sollten erkennbar und verständlich gemacht und möglichst korrigiert werden.

Das ist ein nützlicher Ansatz, und er war mir verständlich. Für einige Teilnehmer der Gruppenpsychoanalyse erwies sich dieses Vorgehen auch als hilfreich. Nur ich saß inmitten der Gruppe und war außerstande, über mich zu sprechen, obwohl mir im Allgemeinen eine »große Klappe« bescheinigt wurde. Sobald in der Sitzung Stille eintrat, begann mein Herz wie wild zu klopfen; ich war wie nicht mehr anwesend. Wenn andere Teilnehmer lebhaft redeten oder stritten, konnte ich mich etwas entspannen und zum Geschehen beitragen. Diese Sitzungen, die manchmal den ganzen Sonntag dauerten und die ich sogar in unserem eigenen Haus organisierte, waren mir ein Graus. Ich zählte die Stunden und war erleichtert, als die vorgeschriebenen 400 Stunden der Gruppenanalyse endlich vorbei waren. Ich fürchtete mich – fürchtete mich vor allem zuzugeben, dass ich mich fürchtete.

Zusätzlich zu den Gruppenstunden musste ich zu 50 Einzelsitzungen à zwei Stunden antreten. Ich war heilfroh, dass ich nicht auf der Couch, sondern in einem bequemen Sessel Platz nehmen und den Analytiker anschauen konnte. Ich erinnere mich an fast nichts mehr von dem, was in diesen Sitzungen ablief. Ich habe wohl die meiste Zeit geschwiegen und war irgendwo anders – an einem Ort, den ich nicht benennen konnte. Ja, ich konnte nicht einmal benennen, dass ich nicht anwesend war. Der Begriff der Dissoziation war damals auch Fachleuten noch nicht geläufig und mein Schweigen wurde als Widerstand gedeutet.

Ich lernte jedoch sehr gut, »meine Geschichte« zu erzählen. Ich lernte, da ich mich ja in Ausbildung befand, meine »Symptome« anhand meiner Biografie zu deuten. Bei der Wahl meines Ehemannes hatte ich offenbar einen Vaterersatz ausgesucht. Meinen Fleiß, meinen Ehrgeiz und meinen Leistungsanspruch begriff ich als stark entwickeltes Über-Ich, mein Unbewusstes ließ mich handeln. War es also das, was mich auf die Suche schickte?

Ich gab keine gute Analysandin ab. Ich träumte nichts. »Du machst noch etwas anderes?« fragte mich der Analytiker in regelmäßigen Abständen, und sagte dann: »Du veränderst dich.« Ich winkte ab – aus irgendeinem mir nicht erkennbaren Grund wollte ich mein Innerstes dort nicht preisgeben. Ich ahnte mehr als zu wissen, dass das Problem an einer anderen Stelle und in einer tieferen Schicht lag, die hier nicht zugänglich werden würden. Die Analyse hat bei mir weder den Widerstand bearbeitet noch irgendeine Veränderung meines emotionalen Zustandes bewirkt. Allerdings habe ich eine Menge über Psychotherapie gelernt und konnte im Fachjargon anfängerhaft mitreden. 1992 fand die Prüfung vor der Ärztekammer statt. Ich hatte dazu das gesamte Psychiatriebuch auswendig gelernt und bekam bestes theoretisches Wissen bescheinigt.

Während der Ausbildungszeit in tiefenpsychologisch orientierter Psychotherapie hatte ich auf der intensiven Suche nach Wegen zur Linderung meines fast unerträglichen psychischen Zustands von meinem früheren Universitätsprofessor für Gynäkologie das von Stanislav Grof entwickelte »Holotrope Atmen« empfohlen bekommen. Zunächst einmal las ich Grofs Buch Das Abenteuer der Selbstentdeckung. Ist mir heute jeder Satz darin verständlich, so begriff ich bei dieser ersten Lektüre nicht, wovon Stan sprach. Meine erste Begegnung mit ihm und die erste Atemsitzung im Frühjahr 1989 in Zürich wurden jedoch richtungweisend für mich.

Ich folge Stan Grofs tiefer Stimme: »Atme jetzt tiefer und schneller und tiefer und schneller, und lass dich vom Atem und der Musik tragen.«

Ich atme tiefer und schneller und schneller und tiefer. Ich keuche, erbreche mich fast, mein Hals überstreckt sich nach hinten. Gewaltiges schwarzes Trommeln reißt mich augenblicklich in eine dunkle Röhre. Ich werde von hinten gestoßen und durch diesen engen Tunnel wie hindurchgepresst. Es schleudert mich hinaus. Ich will schreien, aber das geht nicht – da ist etwas auf meinem Mund. Ich lande inmitten eines Kreises mich irre anstarrender Männer und Frauen. Vor Angst verliere ich das Bewusstsein. Schwarz, alles schwarz. Irgendwie erinnere ich mich, dass ich atmen soll. Wieder schnaufe ich ein und aus und finde mich – gerettet – in einem Moseskörbchen auf hoher See dümpelnd.

Während all das geschieht, liege ich still und bewegungslos auf einer Matte unter meiner großen Bettdecke, die ich vorsichtshalber zu dem Workshop mitgenommen habe. Während die Musik langsam sanfter wird, stelle ich fest, dass ich diesen Horror überlebt habe, dass ich Angst gefühlt, ja, wirklich gefühlt, durchlebt und überlebt habe.

Als ich später im Sharing die Berichte der anderen Teilnehmer hörte, wurde mir klar, dass mich diese Methode auf den Weg zu mir und zu meinen Gefühlen bringen könnte. Also beschloss ich, die Ausbildung in Holotropem Atmen zu machen. Während sämtlicher Urlaube der nächsten drei Jahre absolvierte ich Trainingsmodule bei Stan Grof. In den Trainingssitzungen in Amerika kam ich endlich an Gefühlsinhalte heran: Ich war traurig, konnte wieder weinen und spürte zum ersten Mal, was der frühe Tod meines Vaters in mir bewirkt hatte. Ich begegnete meiner Einsamkeit, begann zu durchschauen, wie und warum ich mich so verhielt, wie ich es tat. Lernen und Leisten erwiesen sich weniger als das Überich – sie waren zu einer wunderbaren Überlebensstrategie geworden. Es zeigt sich mir einiges, was bis dahin in meinem Unbewussten verborgen gelegen hatte. Zu dem Wissen um meine Geschichte kamen erste leibhafte Erinnerungen hinzu. Hierzu ein Beispiel aus einer Atemsitzung:

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