Franz Treller

Wildwest-Sammelband: Indianerromane & Abenteuergeschichten

e-artnow, 2016
Kontakt: info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-6971-9

INHALTSVERZEICHNIS

Verwehte Spuren

Das Kind der Prärie

Der König der Miami

Der Sohn des Gaucho

Der Enkel der Könige

Der Gefangene der Aimaras

VERWEHTE SPUREN

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes KAPITEL

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

ERSTES KAPITEL

DAS EINSAME BLOCKHAUS

Inhaltsverzeichnis

Die Nacht war finster, dunkle Wolken zogen eilig hoch oben vorüber und hüllten die Sterne ein. Ein scharfer Nordost rauschte in den Zweigen der Bäume und sauste um die Blockhütte, die einsam inmitten der Waldlichtung lag.

Auch für ein scharfes Auge wäre die Behausung von dem dunklen Waldhintergrunde nicht zu lösen gewesen, wenn nicht schwacher Lichtschein, welcher aus den kleinen Fenstern drang, sie als menschliche Wohnung kenntlich gemacht hätte.

Ein Gewirr von rauhen Stimmen drang aus dem erleuchteten Räume in die schweigende Nacht hinaus, oftmals unterbrochen von dröhnendem Gelächter.

An der Fenz, welche die Blockhütte und einige im Dunkel schwach wahrnehmbare kleinere Wirtschaftsgebäude umgab, scharrten ungeduldig wohl ein Dutzend und mehr gesattelte Pferde den Boden.

Wilde Gestalten waren es, welche sich im Innern des mehr durch das lodernde Feuer als eine düster brennende Oellampe erleuchteten, ziemlich großen Raumes um den Kamin versammelt hatten. Auf roh gefertigten Stühlen, auf Fässern, Holzblöcken, am Böden saßen und lagen wohl ein Dutzend Männer, deren Aeußeres, der rauhe Friesrock oder Frack, die ledernen Gamaschen und vor allem die lange Büchse in der Nähe eines jeden sie alsbald dem kundigen Auge als eine kleine Schar im Hinterwalde hausender Landleute kenntlich machte.

Es war ein groteskes Bild, welches diese Gruppe bot inmitten eines Raumes, welcher sich halb als Kramladen und Warenmagazin, halb als Wirtszimmer darstellte.

Alle möglichen Dinge, welche für den Landmann, der hier an der Grenze der Zivilisation sein Heim aufgeschlagen hatte, Wert haben konnten, waren hier aufgestapelt. Eisenwaren, Wirtschafts- und Küchengeräte, Zeuge, Pulver, Blei, Werkzeuge zeigten sich dem Blicke, ja selbst Hausfrauen konnten hier ihren Bedarf an Garn, Zwirn und Nadeln entnehmen. Eine stattliche Zahl von Fässern und großen Steinkrügen deutete auf einen nicht unerheblichen Vorrat geistiger Getränke. Hinter der Bar, auf der einen Seite des länglich viereckigen Zimmers, welches mit seinen Flaschen, Krügen, Bechern den Charakter eines Schenkraumes nicht verleugnete, stand der Wirt, eine breitschulterige, muskulöse Gestalt, und schaute ruhig in das lebendige wilde Treiben vor sich hinein, dann und wann einen Toddy mischend oder mit einer kurzen Bemerkung an der lebhaft geführten Unterhaltung teilnehmend.

»War 'ne wilde Jagd, Boys, dürft's glauben,« fuhr Bill Jones in seiner Rede fort, »und er hat's uns schwer genug gemacht, denn der Bursche war schlau wie nur irgend eine diebische Rothaut.«

»Habt Ihr denn den Battle wirklich in den Sumpf geworfen und ihn vor Euren Augen langsam versinken lassen?« richtete ein jüngerer Farmer die Frage an den Redenden. »So wurde bei uns erzählt.«

»Unsinn, Mann, sind keine Menschenfresser am glorreichen Muskegon. Der Kerl war aufgebäumt und hatte uns mit einer Schlauheit von seiner Spur abgebracht, die ihresgleichen sucht in den Wäldern. Stundenlang liefen wir im Kreise umher, die Nase am Boden, bis wir die Fährte wiederfanden. Endlich entdeckte ihn Tom Raggle auf einer Sykomore, wo der Bursche sich ein Nest aus Baumzweigen gemacht hatte. Da er auf unsre dreimal im Namen des Gesetzes wiederholte Aufforderung nicht herunterkam, schoß ihm Tom die Kugel durch den Kopf, da kam er schnell genug herunter.«

»Das glaube ich,« sagte ruhig der Wirt und schallendes Gelächter antwortete der im trockenen Tone gemachten Aeußerung.

Als es verhallt war, äußerte der alte Steward: »Wunderbar, Jones, daß der Battle solche geübte Waldleute zu täuschen vermochte.«

»Ist so. Weiß noch keiner, wie der Bursche seinen Hacken geschlagen hat,« entgegnete jener. »Selbst der rote Spitzbube dort,« und er machte eine leichte Kopfbewegung nach einer in der Ecke kauernden, nur schattenhaft wahrnehmbaren Gestalt hin, »der in nüchternem Zustande schlau genug ist, war irre geführt worden.«

Der Mann, auf welchen der Sprecher hinwies, saß auf dem Boden mit dem Rücken an die Wand gelehnt und schaute stieren Blickes vor sich hin. Eine halbgeleerte Rumflasche im Bereiche seiner Hand deutete an, was den stumpfsinnigen Blick verursachte.

»Du, Rotfell,« rief ihm einer der Männer zu, »wie war's denn mit dem Battle, erzähle einmal.«

Ein dumpfer unverständlicher Laut des augenscheinlich schwer trunkenen Mannes war die Antwort.

»Das Vieh ist wieder fertig,« sagte Raggle.

»Ja, hattet ihr denn,« nahm der junge Farmer wieder das Wort, »das Recht, ihn herunter zu schießen wie einen Truthahn?«

»Kalkuliere, Mann, hatten's. War rechtskräftig von der Jury zum Strange verurteilt, saß im Countyhause, sollte am Morgen baumeln. Der Sheriff, ein ledernes Yankeegesicht, ließ ihn in der Nacht entwischen, sagt man, bestochen von Battles Spießgesellen, sagt man, nun, da nahmen wir, freie Bürger vom Muskegon, die Sache in die Hand. Noch ehe vier Stunden seit seinem Entweichen vergangen, waren wir auf seiner Spur.«

»Aber wie fandet ihr die?«

»Ja, da spielte das Glück oder der Zufall oder die Vorsehung mit, wie Ihr wollt. Weller, der Constabel, eine ehrliche Haut, war um drei Uhr morgens bei mir und meldete mir, Battle sei entwischt. Well. Ich blies das Horn, binnen einer halben Stunde hatte ich vier Bursche aus der Nachbarschaft um mich. Um fünf Uhr hielten wir schon vor dem Gefängnis. War von Spurfinden vorläufig kein Gedanke. Wie wir noch ratlos dort halten und überlegen, was zu tun sei, kam das indianische Vieh dort, noch nicht ganz betrunken, herangeschlichen und sagte: ›Mister Jones, Ihr sucht Battle, was gebt Ihr, wenn ich Euch auf die Fährte bringe?‹

»›Eine Gallone Whisky sollst du haben, Rothaut, wenn du uns auf die Spur hilfst,‹ sage ich.

»Das wirkte und er brachte uns auf die Spur. Er hatte zufällig gesehen, wie der Battle in der Nacht von Helfershelfern über den Fluß gesetzt wurde, und sich mit indianischer Schlauheit den Punkt gemerkt, wo er drüben gelandet wurde. Das war genug, um bald nach Tagesanbruch mit des Indianers Hilfe, welcher sich uns anschloß, den Anfang der Fährte zu haben. Daß wir wie hungrige Wölfe ihr folgten, brauche ich nicht zu versichern, aber erst am zweiten Tage, wir hatten während der Zeit nur nachts geruht und nichts zu essen gehabt als das wenige, was mir in der Eile mitgeführt, erreichten wir den blutigen Schurken.«

»Was hatte er verbrochen?« fragte ein älterer Farmer; »ich bin der Sache fremd, und hörte nicht den Anfang eures Gesprächs.«

»Nicht viel,« entgegnete Jones, »er hatte nur Bill Warner, einen ehrenwerten Bürger und unsern Freund, ermordet und beraubt, nichts weiter.«

»So geschah ihm recht.«

»Denke so, geschah ihm recht.«

»Geschah ihm recht,« fügte der alte Steward hinzu, »war verurteilt vom Gesetz. Als die Vollstreckung des Urteils versagte, nahmen wir die Sache in die Hand, freie Bürger, und schafften mit unsern Büchsen dem Gesetz Achtung. Werden mit dem Sheriff auch noch ein Wörtchen reden. Ist ein eigenes Ding ums Gesetz, kalkuliere, hat, richtig gehandhabt, eine große Macht. Sind alle fürs Gesetz, Männer, denk' ich? He?«

»Sind dafür,« klang es im Chor.

»War eine böse Sache mit dem Battle, hatte gemordet, wußte es jedermann, hätte ihn jeder totschießen können, wo er ihn fand, aber Recht muß sein. Stellten ihn vor die Jury, als wir ihn gefangen hatten, wurde nach Gesetz verurteilt, von zwölf ehrlichen Männern, auf ihren Eid zum Tode verurteilt. War Recht gesprochen, haben nur mit der Büchse nachgeholt, was der Strick versäumt hat. War der Bursch die Kugel nicht wert, aber haben's kurz gemacht – hatten nicht viel Zeit.«

Hätte, während sie sprachen, einer von ihnen bemerkt, daß draußen eine dunkle Gestalt ums Haus schlich, welche eifrig durch die Spalten der Balken oder verstohlen durch eines der mit trüben Scheiben versehenen Fenster lugte, würde sie wohl bald die ganze Aufmerksamkeit der Farmer in Anspruch genommen haben. Der lauschende Geselle entfernte sich erst, als von Süden her die kaum gebahnte Straße entlang Hufschlag und menschliche Stimmen vernehmbar wurden. Da verschwand er geräuschlos im Dunkel.

Den Waldweg her naheten zwei Männer, welche ihre Pferde am Zügel führten; einer von ihnen trug eine Laterne, mit welcher er den an Hindernissen reichen Weg beleuchtete.

Vor dem Blockhause angelangt – die drinnen hörten bei dem laut und lebhaft geführten Gespräch und dem Wind, welcher die Hütte umsauste, das Nahen der Fremden nicht – riefen die Ankommenden laut nach dem Wirt.

Einen Augenblick verstummte das Gespräch drinnen und nach einiger Zeit erschien des Wirtes breitschultrige Gestalt in der Türe, in der Hand ein brennendes Holzscheit tragend.

Der eine der beiden Ankömmlinge fragte: »Könnt Ihr zwei hungrige Reisende und zwei Pferde aufnehmen, Herr Wirt?«

Ohne zu antworten, betrachtete der Besitzer des Blockhauses ganz gelassen die Fremden, indem er sie mit dem hoch erhobenen Holzbrand beleuchtete. Die Musterung mußte zu ihren Gunsten ausgefallen sein, denn er entgegnete: »Kann sein, wenn ihr euch zu behelfen wißt. Ist nicht viel Platz da, Leute.«

»Wissen uns zu behelfen, Mann.« sagte die frühere Stimme wieder, deren Aussprache der englischen Laute man es anhörte, daß sie von einem Nichtengländer gesprochen wurden, »schafft Tier und Mensch eine Ruhestätte, und wir sind zufrieden.«

»Sollt'« haben, Leute. Jim!« rief er ins Dunkel hinein, und alsbald erschien im Lichtschein, der durch die geöffnete Tür aus dem Innern der Hütte fiel, ein ruppig aussehender Bursche.

»Nimm den Gentlemen die Pferde ab und bringe sie in den Stall. Stroh und Mais sind genug vorhanden,« setzte er hinzu. Die Reisenden nahmen jetzt rasch den Pferden Sattel und Mantelsack ab und folgten, während die Tiere nach dem Stall geführt wurden, der Einladung des Wirtes in das Innere des Raumes, in welchem sich die Farmer befanden.

Als die Fremden den einigermaßen erleuchteten Raum betraten, wurden sie von allen Seiten mit prüfenden Blicken angestarrt. Auch der Wirt schenkte ihnen erneute Aufmerksamkeit. Der Vorangehende war ein Mann von hoher, jugendlich schlanker Gestalt, aus dessen edel geformtem Gesicht, welches den Ausdruck männlicher Offenheit als Stempel trug, zwei blaue Augen freundlich hervorleuchteten. Ein blonder Schnurrbart zierte die Oberlippe und verlieh dem Antlitz etwas Kriegerisch-Kräftiges.

Die Mitte der Zwanziger konnte er kaum überschritten haben. Eine Joppe, hirschlederne Beinkleider und bespornte Reitstiefel bildeten seine nur einfache Tracht, doch gab die Haltung unleugbar den Mann von Stande zu erkennen. Bewaffnet war er mit einer Büchse und einem Hirschfänger, welchen er am Gurt um die Hüften trug. Ueber die Schulter fiel ein echt schottischer Plaid. Der andre, ein wettergebräunter, markiger Bursche, war ähnlich ausgerüstet in Kleidung und Waffen, durfte aber seinem männlicheren Aeußern nach wohl zehn oder mehr Jahre älter sein als sein Gefährte. Die Dienstbeflissenheit, mit der er jenem Sattel und Mantelsack abnahm, als sie das Zimmer betreten hatten, ließ darauf schließen, daß er sich zu ihm in untergeordneter Stellung befand. Das Gespräch der Farmer war mit dem Eintritt der Fremden verstummt.

»Guten Abend, Gentlemen,« grüßte der junge Mann die schweigend ihn anstarrenden Waldmänner.

Der Gruß wurde kaum erwidert, doch der Fremde, dem wahrscheinlich solche Verkehrsformen nicht neu waren, schien dadurch wenig berührt und sah sich gleichmütig nach einem Platze um, auf dem er sich niederlassen könne, während sein Blick flüchtig die Gruppe, welche um den Kamin lagerte, überflog.

Der Wirt wies ihm und seinem Begleiter zwei Holzklötze am Ende des Raumes als Sitze an und begab sich dann ruhig wieder hinter seine Bar.

Nachdem die rauhen Bursche, welche die Mehrzahl der Gäste bildeten, ihre Neugierde befriedigt hatten, fuhren sie in ihrem Gespräche fort, als ob die Ankömmlinge nicht vorhanden seien.

»War ein mörderischer Schurke, der Battle, hatte mehr als ein Leben auf seinem Gewissen. Habe auch keinen Zweifel, daß er uns vor drei Jahren oben am Manistee die roten Hunde auf den Hals gehetzt hat, hatte mit den blutigen Indianern immer heimlich zu tun.«

»Kann sein. Mußte weg, der Mann, war Zeit.«

Sie schwiegen eine Weile und unterdes überflog des Fremden Auge den Raum und die herkulischen Gestalten der Männer, die sich in so großer Zwanglosigkeit dort niedergelassen hatten, bis sein Blick an dem Indianer haften blieb, der immer noch ruhig in der gegenüberliegenden Ecke kauerte. Der rote Mann erregte des Fremden besonderes Interesse.

Die Farmer schenkten fortan den beiden Fremden scheinbar nicht die geringste Aufmerksamkeit, obgleich hie und da ein scharfer Blick sie streifte.

Diese hatten etwas Mundvorrat aus ihren Mantelsäcken gelangt, sich vom Wirt einen Becher Toddy mischen lassen und verzehrten ruhig ihr Abendbrot.

Bill Jones erhob sich und sagte: »Denke, Männer, ist Zeit, an die Heimreise zu denken, mein Weg ist der weiteste.«

»Will euch raten, Gentlemen,« nahm der Wirt das Wort, »bleibt hier bis zum Tageslicht. Ist eine dunkle Nacht, und der Whisky kein guter Reisebegleiter.«

»Ei, Grover, möchtest uns hier behalten, alter Ohiomann. Steh' noch fest in den Schuhen,« lachte jener, wankte aber dabei, trotzdem er sich Mühe gab, gerade zu stehen, merklich hin und her. »Hatte schon mehr geladen als heute und meine Beß hat mich glücklich heimgebracht zu meiner alten Lady.«

»Wie ihr wollt, Männer, meinte es gut.«

»Wissen das, Grover, bist eine ehrliche Haut,« sagte der alte Steward und erhob sich, »schläft sich aber am besten unter eigenem Dach.«

Auch die andern standen auf – doch wie sich zeigte, waren alle mehr oder weniger angetrunken, einige sogar recht sehr. Der Whisky und das lebhafte Gespräch hatten gemeinsam diesen Zustand bewirkt. Indem sie sich rüsteten, um heimzureiten, erhob sich draußen wüstes Geschrei aus rauhen Kehlen: »He! Hip! Raus, Wirt! Schläft das alte Opossum? Raus – Gäste kommen!«

Alle horchten den Rufen. Dann nahm der Wirt wie vorher einen Feuerbrand aus dem Kamin und trat in die Türe. Vor sich sah er drei Reiter, gekleidet und bewaffnet wie die Gäste im Innern.

»Schläfst du, Wirt? Altes Rakoon –«schallte es ihm rauh entgegen. »Flink, nimm die Pferde – wollen bei dir übernachten.«

Die Reiter sprangen aus den Sätteln, warfen die Zügel dem herbeikommenden Jim zu und schritten nach dem Eingang, in welchem breit der Wirt stand, mit ernstem ruhigem Gesicht die neuen Gäste prüfend. Er machte durchaus keine Anstalt, die Türe freizugeben, so daß der Vorangehende sagte: »Willst du nicht Platz machen, Mann? Denke, Gäste sollten dir willkommen sein, wohnst einsam genug!«

Gelassen entgegnete der Wirt: »Denke, Gentlemen, ist am besten, geht ein Haus weiter, kann euch zur Nacht nicht aufnehmen.«

»Das wäre?« sagte der erste wieder, ein hochgewachsener kräftiger Mann mit kurzem dunklem Vollbart und verwegenem Gesichtsausdruck. »Wollen dich bezahlen, Mann, sind Greenbacks da.«

»Sage euch, Gentlemen, habe kein Nachtquartier – ist ein Fakt.«

Der Mann, der augenscheinlich nicht ganz nüchtern war, stieß einen grimmigen Fluch aus und machte Miene, sich den Eingang zu erzwingen, als ihn einer der hinter ihm Stehenden zurückzog und ihm zuflüsterte: »Keinen Streit. Gib Ruhe. Laß mich machen. Wir müssen die Pferde füttern und tränken.«

Der zweite trat dann vor und sagte höflich zu dem kaltblütig dreinschauenden Wirt: »Es tut uns leid, daß wir bei Euch nicht Aufnahme finden können, denn mir haben einen langen Ritt hinter uns. Entschuldigt meines Gefährten rauhe Weise, es ist seine Art so, aber es klingt schlimmer, als es gemeint ist.«

Der Wirt blickte ruhig den Sprechenden an, erwiderte aber nichts.

»Könnt Ihr uns nicht Herberge geben, Mann, so gebt uns wenigstens einen Schluck und laßt die Pferde tränken und füttern, wollen dann ein Haus weiter gehen.«

»Sollt's haben, Leute, kommt herein,« sagte Grover und gab Raum.

Die drei eben Angekommenen traten ein. Alle zuckten merklich zusammen, als sie unerwartet die Farmer vor sich sahen, denn diese hatten sich während des Zwiegesprächs draußen lautlos verhalten, so daß ihre Anwesenheit die eintretenden Männer überraschte. Derjenige jedoch, welcher den Wirt in so höflicher Weise eben angeredet hatte, sagte ruhig: »Guten Abend, Gentlemen.«

Der Gruß wurde nicht erwidert, doch waren aller Augen auf die Männer gerichtet.

»Bei Jove, Wirt, einen Becher Brandy, flink, mir klebt die Zunge am Gaumen,« schrie der Lange, »eine Höllennacht und Satanswege!«

»Hättet bei Tage reiten sollen, Männer,« sagte der Wirt und überreichte ihnen die Becher mit dem verlangten Trank. Dabei flüsterte er dem alten Steward etwas zu. – Dieser gab dem ihm zunächst Stehenden einen Wink mit den Augen und setzte sich wieder, worauf auch die andern schweigend wieder Platz nahmen.

»Schaff einen Sitz am Kamin, Wirt,« schrie der Lange wieder, »der Ost hat mich steif gemacht.«

»Seht, wo ihr Platz findet, Männer, kalkuliere, ist der Kamin besetzt.«

»Kalkuliere, kalkuliere – besetzt – Unsinn,« brummte der rauhe Geselle, setzte sich aber doch abseits, da ihm die finstere Ruhe der Farmer wohl nicht ganz unbedenklich erscheinen mochte.

Die Physiognomien der drei Männer waren nicht gerade vertrauenerweckend.

Der dritte blieb, wie ein unbefangener Beobachter leicht hätte bemerken können, geflissentlich abseits von der Gruppe der Farmer und hielt sein Gesicht so gut als möglich vom Lichtschein entfernt.

Der zweite, höflichere dieser drei unerwarteten Gäste, dessen Züge Intelligenz verrieten, wandte sich an die Farmer mit den Worten: »Ist's eine besondere Veranlassung, die euch in diesem einsamen Store zusammengeführt hat, Mitbürger?«

Der alte Steward maß den Sprecher langsam von oben bis unten mit den scharfen grauen Augen, eine Musterung, die der Betreffende ruhig ertrug, und sagte dann: »Hatten eine Frolic, Mann, haben heute morgen in Brook einen Pferdedieb baumeln lassen.«

»Recht so,« entgegnete jener, »haben's im vorigen Monat am Saginaw ebenso gemacht. Ist kein andres Mittel, die Landplage los zu werden.«

»Seid vom Saginaw?«

»Sind.«

»Ist ein weiter Weg bis zum Muskegon.«

»Haben Geschäfte hier – wollen –«

»Tut am besten, Mann, behaltet Eure Geschäfte für Euch,« sagte der alte Farmer ganz ruhig, »sind nicht neugierig.«

Die andern saßen schweigend und hörten aufmerksam zu, nur der Lange, welcher rasch einige Becher heißen Whisky hinabgestürzt hatte, ging unruhig auf und ab. Plötzlich bemerkte er den in der Ecke kauernden Indianer, der ihm bis jetzt in der Ueberraschung, welche ihm die unvermutete Anwesenheit einer stattlichen Zahl Landleute bereitet hatte, entgangen war.

»Goddam!« schrie er, »eine Rothaut in der Gesellschaft von Gentlemen? Willst du hinaus, rotes Vieh!« und er versetzte dem Indianer einen Tritt, daß dieser aus seiner sitzenden Lage auf die Erde gestreckt ward. Einen dumpfen Schmerzenslaut ließ der Mann vernehmen, blieb aber liegen, wo er hingefallen war.

Der junge Fremde, der mit Aufmerksamkeit die drei Fremden und das Verhalten des Wirtes wie der Farmer beobachtet hatte, sprang bei der rohen Tat auf und faltete die Stirne.

Der Wirt kam hinter seiner Bar hervor, die Farmer verhielten sich schweigend.

»Denke, Mann,« sagte Grover ruhig, »wenn die Rothaut für unsre Gesellschaft gut genug ist, dürfte sie es für die Eure auch sein.«

»Den Teufel auch, wollt Ihr Gentlemen mit solchem Gesindel zusammensetzen?«

Der junge Mann war ihm näher getreten, ebenso der höfliche Begleiter des Langen, während der dritte der eben Angekommenen ruhig im Schatten sitzen blieb.

»Warte, Rothaut,« lachte der Große in roher Weise, »deinesgleichen muß man ausräuchern.« Er schüttete rasch etwas Pulver aus seinem Horn auf die Hand, legte es dicht neben den Indianer, welcher jetzt vergebliche Versuche machte, sich aufzurichten, ergriff, ehe es jemand verhindern konnte, einen Feuerbrand und war eben im Begriff, das Pulver anzuzünden, als der junge Reisende mit zornig funkelnden Augen zwischen ihn und den betrunkenen Eingeborenen trat.

»Rate Euch, laßt's gut sein, Mann,« sagte er.

»Rate Euch, Gelbschnabel, geht aus dem Wege, oder ich versenge Euch die Augenbrauen!« schrie der wüste Geselle und schwang das glühende Scheit in die Höhe.

Im selben Augenblick fuhr aber auch die Hand des Jünglings empor, faßte das Handgelenk des reckenhaften Burschen und riß es mit einer Kraft herab, daß aufschreiend der lange Kerl das Scheit fallen ließ.

»Verdammt, Hund, meine Hand – sie ist lahm – Warte!« Und er zog das Messer, welches er im Gürtel trug, mit der Linken aus der Scheide.

Ebenso rasch blitzte aber auch der Hirschfänger des jungen Mannes im Feuerschein und die Büchse seines Begleiters war drohend auf des Mannes Kopf gerichtet.

»Hallo!« schrie jetzt der Wirt und drängte sich zwischen den Reisenden und den Rowdie, furchtlos vor dessen Messer stehend, »steckt ein, Mann, oder im nächsten Augenblick schlage ich Euch den Hirnschädel ein!« und dabei bewegte er eine Faust, deren massiver Bau der Drohung wohl ernsten Nachdruck zu verleihen im stande war. Auch die Farmer hatten sich erhoben und einige von ihnen gleich wie der Begleiter des jungen Fremden die Büchsen emporgerissen.

Unbemerkt von den übrigen schlüpfte der von den drei Gesellen, welcher sich so geflissentlich im Schatten gehalten hatte, jetzt zur Tür hinaus, wählend der andre seinen Gefährten anschrie: »Bist du verrückt, dich hier wie ein wildes Tier zu betragen? Zum Teufel mit deiner Gesellschaft, wenn du dich nicht wie ein Gentleman zu benehmen weißt!« Und dabei gab er ihm einen verständnisinnigen Rippenstoß, der den rüden Burschen, wie es schien, zur Besinnung brachte.

»Steck das Messer ein und bitte die Gentlemen, wie es sich ziemt, um Entschuldigung.« Der Angeredete gehorchte, steckte das Messer ein und sagte dann: »Erbitte eure Verzeihung, Gentlemen, aber wenn ich eine Rothaut sehe, werde ich wild, habe zu viel mit dem Gesindel zu tun gehabt.«

Der Indianer hatte sich aufgerichtet und stierte den Mann mit seinen dunklen Augen an.

»Hättet weniger derb zufassen sollen, Sir,« wandte er sich dann an den jungen Reisenden, »habt mir die Hand verrenkt, war nicht so ernstlich gemeint da mit dem Roten.«

Der Angeredete gab keine Antwort.

»Denke, Männer,« wandte sich der Wirt an die beiden Fremden, »ist Zeit, daß ihr ein Haus weiter geht, sind solche Unterhaltung hier nicht gewöhnt.«

»Es ist Zeit, wirklich Zeit, wenn wir vor Mitternacht noch ein Obdach erreichen wollen. Müssen aufbrechen, Ralph, sind überflüssig hier,« äußerte der, welcher sich beruhigend in den Streit gemischt hatte. Damit wollten die beiden, nachdem sie ihre Büchsen ergriffen, gehen. Der Wirt aber stellte sich in die Türe und sagte: »Habt's Bezahlen vergessen, Leute, macht zwei Dollar.« Dabei sah er sich nach dem dritten der Fremden um, den Blick gewahrte der zweite und bemerkte: »Mein Freund sieht nach den Pferden. Hier ist das Geld.« Damit zog er sein Taschenbuch, bezahlte, und beide gingen hinaus und nach kurzer Zeit hörte man sich entfernenden Hufschlag.

Da sagte der alte Steward: »Myers und Turnbull, nehmt doch die Büchsen und geht ein wenig hinaus. Das sind Gesellen, die eine Kugel durchs Fenster feuern zum Zeitvertreib.« Die jungen Leute gehorchten augenblicklich.

»Wer die Bursche nur waren?« äußerte fragend der Wirt.

»Ich wette meinen Hals, es waren Liebhaber von Pferdefleisch, denen es irgendwo zu heiß geworden ist – gebt auf eure Pferde acht, Männer.«

»Halt!« schrie plötzlich Jones auf – »ich hab's, 's war Bill Tyron.«

»Wer?« schrieen alle.

»Der Kerl, der dort in der Ecke saß. Ich wußte nicht, wo ich die Galgenphysiognomie hinbringen sollte – jetzt hab' ich's – 's war der Tyron.«

»Der Spießgeselle von Battle?«

»Der Tyron?« schrieen die Farmer.

»Ihm nach,« riefen einige, »wollen ein Wörtchen mit ihm reden,« und sprangen auf.

»Seid närrisch, Männer,« sagte der immer gleichmütige Wirt. »Sucht eine Stecknadel im Heuschober oder die Bursche bei Nacht im Walde. Laßt's bis morgen früh. Und jetzt einen Rundtrunk.«

»Hast recht, Grover, ist vergeblich. Schade, daß der Kerl entkommen ist. Wundert mich, daß der sich hier sehen läßt, hat der Sheriff ein großes Verlangen, ihn zu sprechen.«

Der Wirt reichte gastfrei den Trunk herum und kam auch an die beiden Fremden mit dem Becher.

»Denke, Männer, werdet nicht verschmähen, mitzuhalten, ist so Sitte hier.«

»Gern,« sagte der junge Mann und nahm den Becher.

»Seid ein Deutscher, wie ich an der Sprache höre.«

»Ist so, Wirt.«

»Seid ein mutiger Mann – war keine Kleinigkeit, mit dem langen Raufbold anzubinden – habt's Herz auf dem rechten Fleck. Lieben solche Leute hier. Ist's Euch gefällig – setzt Euch zu uns. – Rückt ein wenig zusammen, Gentlemen, laßt den Fremden zwischen uns sitzen.«

»Nehme es dankbar an.«

Die Farmer, welche das mutige Auftreten wie die Kraft des jungen Mannes bewundert hatten, machten ihm bereitwillig Platz.

»Meinen Begleiter, Wirt, laßt nur an seinem Platze, er spricht nicht englisch.«

Er trat zwischen die Landleute und sagte: »Danke euch, Gentlemen,« und nahm Platz auf einem ihm vom Wirt dargebotenen Schemel.

Nach einigem Schweigen sagte der alte Steward, der mit Wohlgefallen das Aeußere des jungen Mannes überflogen hatte: »Kalkuliere, Fremder, seid jenseits des großen Wassers zu Hause.«

»Habt recht, Herr,« erwiderte der Angeredete, welcher fließend englisch sprach und sich die eigenartige Ausdrucksweise der Leute hier zu Lande bereits zu eigen gemacht hatte, »ich bin ein Deutscher.«

»Haben viele von Euren Leuten im Staate.«

»So ist mir gesagt worden.«

»Sucht ein paar Acker Land, Fremder?«

»Ich bin nicht Landwirt, ich diene in der Armee meines Vaterlandes als Offizier.«

»Seid ein Preuße? Wie?«

»Ist so, Mann, gehöre zu den Königsgrenadieren.«

Als der Redende sich als preußischer Offizier zu erkennen gab, horchten die Hinterwäldler hoch auf, denn noch nicht ein Jahr war seit dem furchtbaren Kampfe zwischen Deutschland und Frankreich verflossen, und aller Blicke hafteten an ihm.

»Habt den Krieg mitgemacht unter eurem glorreichen alten Wilhelm, Mann, gegen die Frenchers?«

»Von Anfang bis zu Ende.«

»Haben alles gelesen hier. Muß eine blutige Frolic gewesen sein da in Frankreich.«

»Es war ein furchtbarer Krieg, der, Gott sei gedankt, zum Heile meines Vaterlandes ausgeschlagen ist.«

»Habt den alten Wilhelm gesehen. Mann, und den Bismarck, den Moltke und auch den Napoleon?« fragte eifrig der Alte.

»Ja,« sagte der junge Krieger, der angenehm berührt von der unverkennbaren Teilnahme dieser einfachen Leute an den großen Männern seines Volkes war, »ich habe sie alle gesehen, auch den ehemaligen Beherrscher Frankreichs nach seiner Gefangennahme.«

»Muß ein glorreiches Fechten gewesen sein für euch Deutsche. Haben eure Landsleute hier zu Lande gejubelt wie besessen, haben geweint, gelacht, gesungen, getrunken bei jeder Siegesnachricht. Kurioses Volk diese Dutchmen – aber mag sie leiden.«

»Es leben viel Deutsche hier zwischen euch, nicht wahr?«

»Ziemlich viel haben wir im alten Mich, in den Städten mehr als in den Wäldern.«

»Es freut mich zu hören, daß meine Landsleute bei euch geachtet sind.«

»Sind nicht gegen sie,« sagte der Alte und fuhr fort: »Habt nicht die Absicht, Euch zwischen uns niederzulassen, Mann?«

»Nein, Herr, ich verfüge über genügend Land in meiner Heimat und will ihr nicht untreu werden. Mich führen andre Beweggründe hierher.«

Die Farmer schwiegen, nicht einer zeigte unpassende Neugierde. Nach einer Weile fuhr der junge Offizier fort: »Da mich der Zufall mit einer solchen Zahl von Landwirten in dieser dünn besiedelten Gegend zusammenführte, gestattet mir, ihr Herren, eine Frage an euch zu richten.«

Alle horchten aufmerksam.

»Ich bin von der Heimat herüber gekommen, einen verschollenen Verwandten aufzusuchen, der sich in eurem Staate niedergelassen haben soll, und ich würde euch dankbar sein, Gentlemen, wenn ihr mir auf seine Spur helfen könntet. Ist euch ein Deutscher Namens Walther bekannt, der hier in diesem oder einem benachbarten Distrikte eine Farm besitzt?«

Die Männer sannen einen Augenblick nach, erklärten aber dann, daß ihnen kein Deutscher des Namens vorgekommen sei.

Der Offizier, der mit Spannung die Antwort erwartet hatte, senkte den Kopf.

»Seid nicht traurig. Mann,« sagte der Wirt, »wollen morgen zu Joe Baring reiten, der kennt alle deutschen Farmer weit und breit, wird Euch schon auf die Spur helfen. Ist im alten Mich schon aufzufinden, wenn er noch lebt.«

»Gott möge es geben,« sagte der Offizier. »Und, ihr Herren, wenn ihr euch den Namen Walther merken und, sobald ihr etwas über sein Verbleiben in Erfahrung bringt, es hierher an unsern Wirt gelangen lassen wolltet, so würdet ihr einem greisen Vater die letzte und grüßte Freude seines Lebens bereiten. Mein Name ist Graf Bender, Premierleutnant in preußischen Diensten.«

»Soll geschehen, Mann,« entgegnete Steward, »wollen die Nachbarn nach dem Manne Walther befragen, und soll Grover wissen, wenn wir etwas von ihm hören, ist dann Eure Sache, es aus ihm herauszupumpen. Doch jetzt, Männer, ist es Zeit, in den Sattel zu steigen, denke ich.« Die Scene mit dem langen Raufbold hatte die Farmer, welche von einer Countyversammlung in Brook, der Hauptstadt der Grafschaft, kommend, hier, wo sich ihre Wege trennten, kurze Rast gehalten hatten, wesentlich ernüchtert, so daß sie fähig und bereit waren, heimzureiten; sie schickten sich alsbald zum Aufbruch an.

Steward, der älteste der Gesellschaft, trat auf den Grafen zu, streckte ihm die schwielige Hand hin und sagte: »Wollt Ihr bei Tom Steward einkehren, seid Ihr willkommen, Mann. Habt das Herz auf dem rechten Fleck, habt mir gefallen, Mann.« Damit schüttelte er ihm die Hand und ging hinaus. Gleiche Einladungen erließen noch mehrere der Farmer und alle schüttelten ihm die Hand. Draußen bestiegen die Männer die Pferde beim Schein eines lodernden Feuerbrandes und trabten in verschiedenen Richtungen in die Nacht hinaus, sich der Sicherheit ihrer für solche nächtlichen Ritte wohlgeschulten Pferde überlassend.

Grover, der Wirt, kam wieder hervor.

»Wollt Ihr schlafen, Fremder, will ich Euch hier das Lager machen – kann nicht mehr geben. Oben schlafen mein altes Weib und die Kinder, müßt fürlieb nehmen.«

»Bin in Frankreich nicht verwöhnt worden – bereitet uns das Lager, so gut Ihr vermögt.«

Der Wirt ging hinaus.

Der Indianer hatte seit dem Augenblick, wo er sich vom Boden aufgerafft hatte, ruhig und unbeachtet an der Wand gestanden.

Jetzt schritt er wankend auf den Offizier zu und schaute ihm mit auffälliger Aufmerksamkeit ins Gesicht.

Der Wirt kam indes in Begleitung seines Burschen wieder herein, Maisstroh und einige Felle mit sich bringend.

Den Indianer bemerkend, sagte er: »Ja, sieh dir den Herrn an, John, der hat dich heute abend vor einem argen Loch in deinem roten Fell gerettet.«

Der Indianer murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und schritt schwerfällig hinaus.

»Schade um den Burschen,« sagte der Wirt, »er ist brauchbar genug für uns hier in den Wäldern, aber der Rum bringt ihn um.« Während er so sprach, war in einer Ecke des Raumes das einfache, aber weiche und warme Lager für die beiden Reisenden bereitet worden, der Wirt wünschte Gute Nacht und entfernte sich.

»Heinrich,« sagte der Offizier jetzt in deutscher Sprache zu seinem Begleiter, »meine Hoffnung, sie zu finden, schwindet mehr und mehr. Keiner von diesen Leuten, die hier aus dem Lande stammen, kennt auch nur Walthers Namen. In diesem Teile Michigans müssen sie also nicht gewohnt haben, trotzdem die Nachrichten dahin lauteten. Wir werden noch lange im Lande umherstreifen können, ehe wir ihre Spur finden.«

»Wir suchen so lange, Herr Graf, bis wir sie gefunden haben,« sagte der Angeredete einfach.

»Ja, wir wollen suchen – bis mir sie gefunden haben,« sagte mit einem Seufzer der Graf. Damit streckte er sich auf dem Lager aus. Sein Begleiter tat das Gleiche – und bald verkündeten die ruhigen Atemzüge, daß sie fest schliefen. Das Feuer im Kamin brannte nieder und ringsum herrschte schweigende Nacht.

ZWEITES KAPITEL

AUF DER FÄHRTE

Inhaltsverzeichnis

Noch nicht lange war die Sonne über dem Horizonte erschienen, und sandte vom unbewölkten Himmel ihre wärmenden Strahlen zur Erde nieder, als die Türe des Blockhauses sich öffnete und Graf Edgar aus ihr ins Freie trat. Der junge Mann ließ sein Auge umherschweifen und erblickte nun klar im Tagesscheine, was nur verworren und kaum erkennbar sich gezeigt hatte, als er in später Abendstunde gestern hier anlangte. Dort lag die rauhe Straße, die er hergekommen war, hinter ihm das aus roh behauenen Blöcken aufgeführte und mit Schindeln bedeckte Blockhaus, welches ihn beherbergt hatte. Weiterhin zeigten sich Schuppen und Ställe, aus denen Laute drangen, welche die Anwesenheit von Schweinen und Kühen verrieten. Eine gute Strecke beackerten Landes zog sich um die Gebäude her, auf dessen Fläche noch vereinzelte dürre Bäume standen, welche umzuhauen und fortzuschaffen zu viel Arbeit gekostet haben würde. Diese verdorrten Bäume innerhalb der umgepflügten Felder sind eine charakteristische Eigentümlichkeit der jungen Ansiedlungen in den Wäldern Amerikas und geben diesen ein ganz absonderliches Gepräge. Statt sie zu fällen, »ringelt« man sie, wie der technische Ausdruck lautet, das ist, man schält an einer Stelle ringsum die Rinde ab, wodurch die Bäume absterben und endlich, freilich oft erst nach vielen Jahren, morsch zusammenfallen. Korn und Mais sproßten lustig im frischen Grün des jungen Jahres zwischen diesen abgestorbenen Baumriesen empor. Der schweigende Wald, aus dem dann und wann der Ruf der Spottdrossel drang, grenzte das Bild überall ein. Des Grafen umschauender Blick bemerkte, daß sich hier zwei Straßen kreuzten, was wohl Veranlassung gewesen sein mochte, daß sein, wie es schien, Ackerbau und Handel treibender Wirt sich hier niedergelassen hatte.

Langsam schlenderte er dann durch die Felder, zwischen den dürren Bäumen hindurch, deren Aeste nackt und kahl schier unheimlich in die Lüfte ragten. Nicht weit war er gegangen, als er, eine kleine Erdanschwellung ersteigend, einen ziemlich breiten Fluß vor sich erblickte, der seine bräunlichen Fluten langsam zwischen bewaldeten Ufern hintrieb.

Zwei Boote lagen dort am Ufer befestigt, das eine nach europäischer Art gebaut, während das andre, aus Rinde gefertigt, wohl indianischen Ursprungs war, wie er dergleichen bereits am Ohio gesehen hatte.

Der schweigende Wald, der Fluß im Morgensonnenschein, der weit herab sichtbar war, die feierliche Stille ringsum verfehlten ihren Eindruck auf das Gemüt des jungen Mannes nicht, denn dieses Schweigen der Natur spricht beredter zu fühlendem Herzen als der wüste Lärm im Tagestreiben der Städte.

In Gedanken versunken blieb er stehen. Die ferne Heimat stieg vor ihm auf, er sah seinen greisen Vater traurig im Lehnstuhl sitzen und es klang fernher tönend an sein Ohr: »Hast du sie noch nicht gefunden? Bring sie zurück, Edgar, daß ich sie noch segne, ehe ich zu meinen Vätern gehe und mein Haupt nicht kummervoll zu Grabe sinke.«

Ernst blickte der junge Mann vor sich hin. Aus seinem Sinnen erweckte ihn die Stimme seines Wirtes, der, auf hohem Ufer stehend, ihm zurief: »Ist ein glorioser Fluß, der alte Muskegon, Fremder, meint Ihr nicht?«

»Der Fluß ist schön mit seinen schweigenden Waldufern, ja, Wirt.«

»Ist ein mächtig schöner Fluß, keiner wasser- und fischreicher im alten Mich. Seid früh auf den Beinen, Fremder, kalkuliere, hat Euch das Lager nicht gefallen? Müßt vorlieb nehmen. Mann, seid nicht in Lansing oder Detroit, seid in der Wildnis.«

»Ich ruhte gut genug – aber ich liebe den Morgen und die Frühsonne lockte mich hinaus.«

»Ist ein schönes Ding um klaren Sonnenschein und frischen Morgenwind, habt recht, erfrischt das Herz und den Sinn, liebe ihn auch, den Morgen. Aber ich bin Euch nachgegangen. Euch zum Frühstück zu holen, meine alte Lady wartet mit dem Kaffee auf Euch.«

»Nun, ich bin bereit,« entgegnete der Graf freundlich, »die Morgenluft stärkt den Appetit.«

Sie schritten durch die Felder zurück und Grover erklärte seinem Gast nicht ohne Stolz was er unter harter Arbeit seit einigen Jahren dem milden Walde abgerungen habe, und wies auf die urbar gemachten Felder.

»Ist ein guter Boden hier. Fremder, hab's gut getroffen, mächtig guter Boden. Und der gesegnete Muskegon ist der Fluß, Mais und Korn hinabzuschaffen bis nach dem See und darüber hinaus bis Chicago. Ist ein guter Platz hier für Ackerbau und Handel, kreuzen sich die Straßen. Hat noch eine Zukunft, der Platz hier, kommen immer mehr Leute und bauen sich ein Haus in der Nähe, habe schon zehn Meilen von hier einen Nachbar.«

Während der Wirt so plauderte, langten sie am Hause an, in dessen Tür eine einfach, doch sauber gekleidete Frau stand.

»Ist meine alte Lady, Fremder, eine Frau, wie man sie suchen kann weit und breit. Hat manche Fährlichkeit an meiner Seite ertragen im wilden Wald, ist mein Stolz, Fremder, das alte Weib.«

Das alte Weib war eine ganz stattlich aussehende Frau, der man trotz des rauhen Lebens, welches sie im Walde führen mußte, ihre vierzig Jahre nicht ansah.

Er stellte ihr jetzt seinen Gast vor.

»Ist der Fremde, Nelly, von jenseits des großen Wassers, von welchem ich dir gestern abend sagte.«

Die Frau reichte dem Grafen die Hand und überflog nicht ohne Wohlgefallen dessen hübsches, freundliches Gesicht und seine schlanke Gestalt, welche die knappe Tracht vorteilhaft hervorhob.

»Ihr seid willkommen, Herr,« sagte sie einfach.

»Ist ein Lord oder so etwas, Nelly, wenn ich gestern abend richtig verstand. Kennen das bei uns nicht, Fremder, stammt noch aus dem alten Lande. Aber schadet nichts, nehmen's hier nicht so genau, seht ehrlich aus und habt Euch benommen wie ein Mann.«

Ein Lächeln trat in des jungen Edelmannes Angesicht, als ihm der Wirt so treuherzig versicherte, daß ihm seine vornehme Abkunft hier nichts schaden solle. Dann sagte er: »Wenn ich durch mein spätes Erscheinen Mistreß Grover in ihrer Nachtruhe gestört habe, so bitte ich nachträglich um Entschuldigung.«

»Sind's gewohnt, Sir, werden oft genug in der Nacht herausgepocht.«

Indem kam Heinrich von den Ställen her, wo er bereits nach den Pferden gesehen hatte. In seiner kräftigen Gestalt, dem gebräunten narbigen Antlitz, aus dem zwei scharfblickende graue Augen blitzten, dem Ausdruck von Energie auf seinen Zügen, lag etwas Selbstbewußt-Kühnes, wie es gewöhnlich dem Weidmann eigen ist.

»Sind die Pferde ausgeruht, Heinrich?«

»Zu Befehl, Herr Graf, sind frisch und munter.«

»Kommt herein, Fremde,« ließ sich die Frau vernehmen, »und laßt's euch schmecken.«

Sie ging voran und die andern folgten.

Auf einem großen, mit rauhem, aber sauberem Linnen bedeckten Tische war nach Landesart ein reichliches Frühstück hergerichtet. Aus einer umfangreichen Blechkanne stieg der Duft eines guten Kaffees empor und daneben zeigten sich frische Maiskuchen, Butter, Honig, Eier, Schinken und die reichliche Hälfte eines Truthahns.

Am Tische standen zwei junge Mädchen, einfach in selbstgewebtes Zeug wie die Mutter gekleidet, frische, gesunde Kinder, und blickten halb schüchtern, halb mit verstohlener Neugierde nach den Fremden hin.

»Sind meine Töchter, Fremder, Lizzy und Mary. Habe noch einen Jungen, den Erstgeborenen, siebzehn Jahre alt, aber der ist in Lansing und studiert mächtig Lesen und Schreiben und Rechnen. Kommt ihm schwer an, dem armen Burschen, läuft lieber mit der Büchse im Walde herum, aber muß sein, das Studieren, kommt nicht ohne das durchs Leben. Muß viel nachholen, hatten im wilden Walde keine Schule.«

Während er so plauderte und der Graf die jungen Mädchen mit leichter Neigung grüßte, waren sie um den Tisch getreten, Grover faltete die Hände und alle folgten dem Beispiel, die jüngste der Töchter sprach ein Gebet und dann sagte Grover, sich setzend: »Und nun langt zu, Fremde. Ist bei uns Sitte, an den lieben Gott zu denken, wenn der Tag beginnt, kalkuliere, ist eine mächtig gute Sitte. Haltet ihr's im alten Lande auch so?«

»Auch bei uns vergißt man nicht des Schöpfers zu gedenken, Mister Grover.«

Herzhaft griff man nun zu dem lecker bereiteten Mahle, welches der Vorratskammer des Hauses Ehre machte.

Als sich das Frühstück dem Ende nahte, äußerte Grover: »Spricht nicht englisch, Euer Gefährte, denk' ich, sagtet Ihr gestern abend?«

»Er spricht und versteht nur deutsch.«

»Ist Euer Diener, Fremder? Wie?«

»Nicht ganz, Sir, Heinrich steht als Jäger in Diensten meines Vaters, und ist mein Reisebegleiter. Heinrich ist ein mächtiger Schütze, Mister Grover.«

»Ist eine gute Eigenschaft für den Wald. Müssen hier alle mit der langen Rifle umzugehen verstehen, und – verstehen's auch, sage Euch, Mann – verstehen's hier. Freut mich, daß Euer Gefährte ein guter Schütze ist.« Heinrich war augenscheinlich in des Wirtes Achtung gestiegen. »Auch im Kampfe gegen die Frenchers gewesen?«

»Sicher, Herr, stand beim fünften Jägerbataillon, welches vor Paris wohl den heißesten Kampf auszufechten hatte, der während des ganzen Krieges stattfand. Standen da achthundert Jäger zwei Stunden lang zehntausend Franzosen gegenüber, die mit wilder Wut angriffen. Hielten diese achthundert sie hin, bis endlich Hilfe heran war und den Feind zurückwarf.«

Staunend horchte der Wirt.

»Ist ein Fakt, Mann?«

»Ja, Sir, ist ein Fakt, steht in der Kriegsgeschichte verzeichnet.«

»Segne meine Seele,« sagte Grover und warf einen bewundernden Blick auf Heinrich, der, unwissend, daß von ihm die Rede war, sich eifrig mit Schinken und Eiern beschäftigte, »segne meine Seele, sind Krieger, diese Deutschen, ja, sind, ist ein Fakt. Achthundert gegen zehntausend,« brummte er vor sich hin, »mächtig glorreiche Frolic. Bin als junger Mann einmal gegen die Roten ausgezogen, am Mackinaw droben, ging auch heiß her. Waren da ein sechzehn wohl gegen fünfzig heulende Wilde, sind arg in der Klemme gewesen, aber haben sie doch endlich gepfeffert. War auch eine glorreiche Frolic, waren einer gegen drei – aber einer gegen zehn und gegen Franzosen, ist ein gewaltig Stück.«

Das Frühstück war geendet, die Mädchen räumten behende den Tisch ab und zogen sich dann mit der Mutter zurück.

Grover hatte sich erhoben und blickte nach der Ecke hin, in welcher die Waffen des Grafen und Heinrichs standen.

»Habt da eine absonderliche Büchse, Fremder,« ließ er sich vernehmen, »habe mir das Ding schon angesehen, wurde aber nicht recht klug daraus.«

Der Graf nahm die Waffe in die Hand. »Es ist ein Zündnadelgewehr, Mister Grover, wie die Preußen es seit Jahren führen, ein Zündnadelgewehr mit Büchsenlauf.«

»Hm, habe davon gehört, mögen auch solche Waffen schon im Lande sein, aber bis in die Wälder hier ist noch keine gelangt,« und neugierig untersuchte er die Büchse.

Bereitwillig öffnete Edgar den Verschluß und erklärte seinem Wirt die Konstruktion.

Mit dem regen Interesse des Waldmanns folgte Grover den Erklärungen des Offiziers. »Hm, ist neu hier, ganz neu. Hat sich bewährt? Wie?«

»Seit 1866 hat ganz Europa sich mit Hinterladern versehen, und 1870 besaßen die Franzosen in ihren Chassepots bereits eine bessere Waffe als wir.«

»Und trägt sicher?«

»So sicher wie jede andre gute Büchse,«

»Und worin besteht der Vorteil?«

»In der Feuergeschwindigkeit; Heinrich zum Beispiel feuert mit dieser Flinte acht- bis neunmal in der Minute.«

»Segne meine Seele,« sagte staunend der Wirt, »ist eine gewaltige Sache; möchte es sehen.«

»Gerne würde ich Euch das Vergnügen machen, die volle Feuergeschwindigkeit vor Euren Augen zu erproben, nur führen wir dazu nicht Patronen genug mit. Aber Heinrich soll Euch zeigen, wie man Schnellfeuer macht, er versteht besser damit umzugehen wie ich. Ich selbst bin nur mit einer Perkussionsbüchse bewaffnet, und zwar deshalb, weil man Pulver und Blei überall auftreiben kann, doch schwerlich möchte es hier gelingen, Patronen für diese Büchse zu erwerben.«

»Habt recht, ist hier nirgends zu finden. Kalkuliere, haben bereits in der alten Dominion Hinterlader, werden auch schon in den Städten an den Seen sein, habe noch keine gesehen, wir führen hier noch unsre alte Rifle.«

Der Graf forderte nun Heinrich auf, die Waffe zu nehmen, eine Patrone abzufeuern und dann mit der Hülse ihrem Wirte die Lade- und Feuergeschwindigkeit zu zeigen.

Sie begaben sich mit der Waffe ins Freie und Heinrich lud sie. Er schaute sich nach einem Ziele um und gewahrte etwa zweihundert Schritt entfernt eine Waldtaube auf dem Aste eines Baumes. Er hob die Büchse, feuerte und der Vogel fiel.

»Ist ein guter Schuß,« sprach Grover, »und ein gut gebohrter Lauf.«

Heinrich warf die Hülse heraus, zeigte sie dem aufmerksam beobachtenden Wirt und wiederholte vor dessen staunenden Blicken die Manipulation des Ladens, Zielens und Abfeuerns mit so großer Schnelligkeit, daß nach des Grafen Uhr neunmal sich der Büchsendonner hätte hören lassen, wenn er sich gefüllter Patronen bedient hätte statt der leeren Hülse.

»Segne meine Seele, das ist eine furchtbare Waffe, wenn gegen anrückende Massen gefeuert wird, unsre Rifles erfordern Zeit, bis der Schuß fest sitzt im Laufe. Mächtig neue Erfindung, muß mir auch ein solches Ding kommen lassen von dem See her, koste es, was es wolle. Mächtig neue Erfindung.«

Heinrich trug die Waffe zurück und Grover und der Graf schlenderten langsam vor dem Hause auf und ab.

Nach einer Weile sagte Grover: »Habt da gestern nach einem Landsmann gefragt. Fremder, habe Euch versprochen, Joe Baring darum anzugehen, der am längsten hier in den Wäldern lebt und Land und Leute den ganzen See entlang am besten kennt. Ist's Euch recht, reiten wir zum Alten hin, sind kaum zwanzig Meilen.«

»Ich halte jede Minute für verloren, die ich nicht auf Nachforschungen verbringe, Sir. Ich bin zu diesem Zwecke herübergekommen und suche schon lange vergeblich nach Walther.«

»Ist ein Verwandter von Euch, Mann?«

Nach einer Pause entgegnete der Graf mit trübem Ernst: »Er ist der Gatte meiner Schwester, und diese ist's, die ich suche.«

»Hm,« entgegnete der Amerikaner, »sucht Eure Schwester? War eine feine Lady? Wird wenig in die Wildnis gepaßt haben. Ist Euch so ganz aus den Augen gekommen? Seid doch ein Lord oder so was. Kalkuliere, ist nicht alles regelrecht zugegangen.«

Ein Schimmer von Röte flog über des jungen Mannes Antlitz und nach einem kurzen Schweigen erwiderte er: »Ich will Euch sagen, Grover, wie es zugegangen ist. Ihr habt recht, wenn Ihr meint, ich sei so etwas wie ein Lord. Mein Geschlecht gehört zu den ältesten und begütertsten Schlesiens und führt seit Jahrhunderten den Grafentitel. Zwei Kinder wurden meinem Vater geschenkt, meine Schwester Luise, die Erstgeborene, und ich, der nach langem Harren erschienene Erbe des Namens und der Besitzungen. Mein Vater hatte einen Verwalter Namens Walther in seinem Dienste. Ich entsinne mich seiner als eines schönen jungen Mannes von Bildung und guten Manieren. Meine Schwester und er faßten eine leidenschaftliche Zuneigung zu einander, doch war kein Gedanke, daß mein Vater jemals in eine Verbindung seiner Tochter mit dem Verwalter gewilligt haben würde. Als er von der Neigung meiner Schwester erfuhr, entbrannte er in wildem Zorne. Walther wurde sofort entfernt und harte Maßregeln gegen meine Schwester ergriffen. Ich war zehn Jahre alt, als sich dies begab. Liebe und Leidenschaft besiegten alle Hindernisse, meine Schwester entfloh, ließ sich dem Manne ihres Herzens in England antrauen und das Paar begab sich nach Amerika, um dort eine neue Heimat zu gründen. Walther hatte einiges Vermögen und wollte sich in den nördlichen Staaten ankaufen.

»Von jenem Tage an durfte der Name meiner Schwester, an der ich mit aller Zärtlichkeit hing, vor den Ohren meines Vaters nicht mehr genannt werden.