Mia-Maries Herzenswunsch

Anthologie mit Kindergeschichten

 

Die Autoren und ihre Geschichten:

 

Das Zauberlied von Dörte Müller

Selinas Herzenswunsch von Finisia Moschiano

Pfiffi, der Pfiffikus von Marlies Hanelt

Ein neues Leben von Monika Grasl

Einsame Hundeseele von Dörte Müller

Finnjas Wünschehund von Annette Paul

Michy, ein Wunschkind? Von Marlies Hanelt

Hundstage von Caroline Messingfeld

Der Eindringling von Simone Heiland

Blau von Caroline Messingfeld

 

Widmung

 

Dieses Buch widmen wir der tapferen,

an Krebs erkrankten,

Mia-Marie Weber.

 

Wir hoffen, Mia-Marie mit dieser Anthologie zu unterstützen und ihr eine Freude zu machen,

da sie eine richtige Leseratte ist.

 

 

Der Mondschein Corona Verlag

und seine Autoren

 

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

1. Auflage

Erstausgabe August 2016

© 2016 für die Ausgabe Mondschein Corona Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autoren: Marlies Hanelt, Annette Paul, Monika Grasl und Dörte Müller, Simone Heiland, Caroline Messingfeld

Lektorat/Korrektorat: Wolfgang Lehnen

Illustratorin: Ulrike Uhlmann

Grafikdesigner: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Michael Kruschina

 

ISBN: 978-3-96068-025-3

 

© Die Rechte des Textes liegen bei den oben genannten Autoren und dem Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

Inhaltsverzeichnis

1. Das Zauberlied

2. Selinas Herzenswunsch

3. Pfiffi, der Pfiffikus

4. Ein neues Leben

5. Einsame Hundeseele

6. Finnjas Wünschehund

7. Michy, ein Wunschkind?

8. Hundstage

9. Der Eindringling

10. BLAU

 

 

Das Zauberlied

Eine Geschichte

von Dörte Müller

 

 

Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Amanda und lebte mit Vater, Mutter und dem großen Bernhardiner-Hund Hannes in einem Haus am Waldrand. Das nächste Dorf war sehr, sehr weit entfernt. Zu Fuß war man einen ganzen Tag unterwegs. Amanda und ihre Eltern gingen nicht oft ins Dorf, meistens nur einmal im Monat und dann kauften sie für mehrere Wochen ein. Die Lebensmittel trugen sie in schweren Rucksäcken nach Hause zurück. Das war immer sehr beschwerlich. Zum Glück konnte der Bernhardiner einen kleinen Wagen ziehen, was eine große Hilfe war. Im Winter zog er stets einen Schlitten.

Doch Amanda und ihre Eltern liebten ihr einsames Leben inmitten der Natur am Fuße der Blauen Berge. Die Luft war klar und rein und die Vögel zwitscherten fröhliche Lieder. Die Leute im Dorf wunderten sich, wie man es in dieser Einsamkeit aushalten konnte. Amanda vermisste zwar ab und zu Spielgefährten, doch die Eltern nahmen sich viel Zeit für sie. Sie wurde zu Hause unterrichtet und lernte sehr früh lesen und schreiben. Ihre Lieblingsbeschäftigung war das Lesen. Oft verbrachte sie Stunden auf ihrem Strohbett und las eine Geschichte nach der anderen. Ganz früher, als die Großmutter noch gelebt hatte, hatte Amanda ihr immer aus einem Märchenbuch vorgelesen, denn Großmutter hatte sehr schlechte Augen. Amanda konnte bald alle Märchen auswendig und Großmutter freute sich über den Eifer des Kindes.

Nachdem Großmutter gestorben war, hatte das Mädchen sehr viel Kummer. Doch eines Nachts sah sie ihre Oma im Traum. Die Oma strickte und winkte zu ihr hinunter. Ein anderes Mal saß sie auf einer Wolke und spielte mit anderen Leuten Karten. Irgendwie fand Amanda sehr viel Trost in ihren Träumen. Sie erzählte diese ihren Eltern und auch sie glaubten fest daran, dass es der Großmutter jetzt sehr gut ginge. Viel besser sogar, als zu der Zeit, da sie noch auf der Erde bei ihnen lebte und alt und schwach war. Auch glaubten sie genau wie Amanda an ein großes Wiedersehen.

In einer Nacht träumte Amanda, dass ihre Großmutter einen weißen Hasen auf dem Schoß gehabt hatte. „Das war ihr Haustier, als sie noch ein ganz kleines Mädchen war!“, hatte ihr die Mutter erklärt. Amanda freute sich. So hatte ihre liebe Oma sogar ihr Lieblingstier im Himmel wiedergetroffen!

Amanda war genau wie ihre Großmutter sehr tierlieb und so las sie am liebsten Bücher über Tiere. Sie kannte sich auch sehr gut mit Tieren aus und hatte schon oft verletzte Tiere gesund gepflegt. Die Tiere hatten von Anfang an sehr viel Vertrauen zu dem Mädchen und selbst sehr scheue Rehe zeigten keine Angst vor ihr.

Die Familie war sehr arm und oft hatten sie nicht genug zu essen. Jetzt im Winter war es besonders schlimm, denn es gab keine Beeren und Pilze mehr, von denen sie sich ernähren konnten.

Die Eltern waren alt und schwach und das Mädchen bat: „Vater, lass mich ins Dorf zu Bauer Fröhlich gehen und um Brot bitten!“ Der Bauer war ein enger Freund der Familie. Er half ihnen so gut er konnte, doch auch er war sehr arm. Der Vater wehrte ab. „Du kannst nicht gehen, Amanda, es hat sehr viel geschneit und auf dem langen Weg ins Dorf würdest du erfrieren oder im Schnee stecken bleiben!“

Die Mutter lag im Bett und hustete. Sie murmelte unverständliches Zeug vor sich hin. Der Vater sah besorgt zu ihr hinüber. „Sie hat hohes Fieber!“, sagte er. „Sie bräuchte dringend einen Arzt!“ „Den Arzt kann ich ja auch holen!“, bettelte Amanda. Plötzlich begann die Mutter zu singen. Amanda erkannte gleich, dass es das Lied vom weißen Hasen war.

 

„Weißer Hase,

bist so klein,

weißer Hase,

kannst bei uns sein.

Weißer Hase,

unser Tier,

lange warst du nicht mehr hier!

Bist unser Beschützer in der Nacht,

hast viele Wunder schon vollbracht!“

 

Obwohl das Lied sehr schön war, bekam Amanda eine Gänsehaut. Es hatte etwas zu bedeuten, dass Mutter dieses Lied ausgerechnet jetzt sang. Das Lied hatte Amanda oft gehört, als sie klein war. Großmutter hatte es ihr vorgesungen, wenn sie krank war. Amanda konnte sich dann noch an die schönen Träume erinnern, die sie immer gehabt hatte, wenn sie das Lied hörte.

Sie hatte Mutter oft gefragt, was dieses Lied eigentlich bedeutete. Es war ihr oft vorgekommen wie ein Zauberlied. Die Mutter wusste es auch nicht so genau. Sie hatte das Lied von ihrer Mutter gehört und ihre Mutter hatte es von deren Mutter gehört. So war es von Generation zu Generation weitergegeben worden. Amanda mochte das Lied sehr gerne. Es hatte so eine tröstende Melodie. Trotzdem hatte sie das Lied jahrelang nicht mehr gehört. Das Lied war eindeutig ein Zeichen. Amanda spürte es. Sie musste etwas tun.

Im Kamin brannte ein kleines Feuer und der Vater legte Holz nach.

Alle hatten Hunger. Sehr großen Hunger. Der Bernhardiner jaulte. Sein Magen knurrte so laut, dass alle es hörten. Er war so schwach, dass er keinen Schritt mehr gehen konnte. Ich muss ins Dorf gehen, nahm sich Amanda vor. Es gibt keine andere Möglichkeit!

An diesem Abend schien es endlos zu dauern, bis endlich die Schlafenszeit eingeläutet wurde. Oder kam es Amanda nur so vor? Der Vater brauchte ewig, bis er sein langes Nachtgewand angezogen hatte. Dann löschte er das Feuer im Kamin und zündete eine kleine Lampe an. Draußen pfiff ein eisiger Wind um die kleine Hütte. Wie lange würde diese ewige Kälte wohl noch andauern? So schlimm war es noch in keinem Winter gewesen.

Und als der Vater sich endlich hingelegt und sein Abendgebet gesprochen hatte, sagten sich alle Gute Nacht. Jetzt musste Amanda noch warten, bis der Vater eingeschlafen war. Das dauerte manchmal sehr lange. Er führte meistens Selbstgespräche und wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Dann schnarchte er so laut, dass er sich damit selbst wieder aufweckte. So auch an diesem Abend. Gerade hatte er das letzte Selbstgespräch geführt und war in einen leichten Schlaf gefallen, da schnarchte er so laut, dass Hannes zusammenzuckte und Vater wieder aufwachte. Er schimpfte den armen Hund aus: „Schnarch nicht so laut, Mutter wird sonst wach!“ Hannes und Amanda blickten sich an. Sie wussten beide, dass Vater selbst so laut geschnarcht hatte. Wenn alles nicht so traurig gewesen wäre, hätten sie jetzt sicher gelacht. So wie früher, in alten Zeiten. Doch jetzt blickten sie sich nur verschwörerisch an und blinzelten sich zu. Amanda musste noch mehr Geduld aufbringen. Aber sie hatte sich vorgenommen, gegen ihren Schlaf anzukämpfen und auf jeden Fall ins Dorf zu gehen, sobald der Vater endlich eingeschlafen war.

Schließlich war es soweit. Amanda zog sich ihren alten, warmen Mantel an, setzte ihre Mütze auf und schlich sich aus dem Haus. Die Haustür quietschte laut. Traurig und doch voller Hoffnung blickte der treue Hund ihr nach. Wie gerne wäre er mitgekommen und hätte seine kleine Herrin beschützt. Amanda streichelte ihn über den Kopf und murmelte: „Pass gut auf die Eltern auf, Hannes!“

Zum Glück schien ein voller Mond und der Schnee glitzerte hell im Mondlicht. Sterne funkelten und es hatte aufgehört zu schneien.

Amanda stapfte tapfer durch den Schnee. Ganz weit in der Ferne konnte sie die Lichter des Dorfes sehen. Aber es lag immer noch ein sehr weiter Weg vor ihr, der über endlose Felder führte.

„Hoffentlich komme ich rechtzeitig an!“, flüsterte sie vor sich hin. Ein eiskalter Wind fegte über das Feld. Sie merkte bereits, wie die Kälte in ihrem Mantel hinaufkroch und ihr unter die Haut fuhr. Ihre Füße fühlten sich an wie Eis, sie spürte sie kaum noch. „Ich muss es schaffen! Ich muss es schaffen!“, flüsterte sie beschwörend vor sich hin.

Um sich abzulenken, fing sie an zu singen. Sie sang das Lied vom weißen Hasen.

 

„Weißer Hase,

bist so klein,

weißer Hase,

kannst bei uns sein.

Weißer Hase,

unser Tier,

lange warst du nicht mehr hier!

Bist unser Beschützer in der Nacht,

hast viele Wunder schon vollbracht!“

 

Das Liedchen half ihr für einen Augenblick, Kälte und Schnee zu vergessen. Sie stellte sich einen weißen Hasen vor und dachte an ihre Kindheit zurück. Wie gemütlich alles gewesen war! Sie hatten immer genug zu essen gehabt und keiner war krank gewesen. Im Winter hatten sie um das Feuer gesessen und sich Geschichten erzählt. Im Sommer spielte Rosalie oft mit Hannes auf den Wiesen vor dem Haus und fing Schmetterlinge. Und jetzt war alles so anders. Jetzt musste sie für die Eltern sorgen und alles lastete auf ihr. Amanda wollte es schaffen, um jeden Preis.

Doch so weit sie auch gegangen war, das Dorf schien unerreichbar. Tränen kullerten über Amandas Gesicht und plötzlich wurde ihr klar, dass sie den Weg unmöglich schaffen konnte. Da sah sie plötzlich einen kleinen weißen Hasen vor sich. Er war auf einmal da, aufgetaucht aus dem Nichts, und schaute sie mit seinen großen Augen an. In den Augen spiegelten sich Freude und Schmerz zugleich, etwas Strahlendes ging von ihnen aus. Amanda lächelte. Träumte sie das alles oder war es Wirklichkeit? Sie wusste es nicht. Amanda beugte sich zu dem Hasen hinunter und streichelte ihn. Sein Fell war wunderbar warm, das tat gut. Auf einmal sprang der kleine Hase unvermittelt in ihre Arme. Amanda drückte ihn an sich und da fiel ihr auf, dass er eine verletzte Pfote hatte. Er blutete und rote Tropfen fielen in den weißen Schnee. „Hast du dir wehgetan?“, fragte sie erschrocken. Auch wenn der Hase ihr nicht antworten konnte, so half es doch ungemein, dass er da war. Schnell holte das Mädchen ein altes Taschentuch aus der Manteltasche und legte einen Notverband an. Der Hase schloss für kurze Zeit die Augen und schien es zu genießen, dass ihm geholfen wurde. Dankbar leckte er Amanda über die Hand. In diesem Moment durchströmte eine herrliche Wärme ihren Körper. Sie spürte ihre Füße wieder und lief schneller. Noch immer trug sie den verletzten Hasen in ihren Armen. Sie hegte ihn wie ein kleines Kind. „Ich bringe dich ins Dorf, da gibt es einen warmen Stall für dich!“, sagte sie. Das Häschen schien ihre Worte zu verstehen. Amanda fühlte sich nicht mehr so einsam. Der Hase gab ihr unglaubliche Kräfte. Das Dorf kam näher und näher. Endlich war sie angekommen. Genau um Mitternacht. Die Kirchturmuhr schlug zwölf Mal. Amandas Herz klopfte schneller. Sie hatte es tatsächlich geschafft! Schnell lief sie zu Bauer Fröhlich. Sie kannte ihn gut und wusste, dass sie in seinem Stall bestimmt ein Nachtlager finden würde. So kuschelte sie sich mit dem Hasen unter das Heu und schlief glücklich ein.

„Amanda, was machst du hier?“, fragte der Bauer am nächsten Morgen erstaunt. „Wir sind eingeschneit und haben nichts mehr zu essen. Mutter ist krank, Vater ist schwach. Hast du Brot für uns?“ Der Bauer nickte und nahm das Mädchen mit sich in die Küche. Dort bekam Amanda etwas zu essen und Brot, Wurst und Käse für die nächsten vier Wochen.

„Ich danke Euch sehr!“, sagte Amanda. „Doch wo ist mein kleiner, weißer Hase?“

„Ich habe keinen Hasen gesehen!“, antwortete der Bauer. „Und wenn ich ihn gesehen hätte, wäre er längst in der Pfanne gelandet!“

Amanda bekam einen Schreck. Doch der Hase war bestimmt längst in Sicherheit.

„Ich muss auch noch zum Doktor! Meine Mutter ist sehr krank!“, berichtete Amanda aufgeregt. Der Bauer sah sie traurig an. „Der Doktor ist letzte Woche verstorben. Hier gibt es zurzeit keinen Arzt! Aber vielleicht geht es deiner Mutter ja wieder besser, wenn sie etwas zu sich nimmt!“ Amanda traten die Tränen in die Augen. Der liebe Herr Doktor war verstorben! Er hatte ihr immer so viel geholfen! Doch sie wusste, dass er sehr alt gewesen war und sie stellte sich vor, dass er jetzt mit ihrer Oma im Himmel Karten spielte und auf sie hinabsah.

Schnell machte sie sich auf den Rückweg über das verschneite Feld. Jetzt schien die Sonne und es war nicht mehr ganz so kalt. Im Schnee konnte sie noch die Spuren der Nacht erkennen. Doch die Hasenspuren waren nicht mehr da. Aber was war das? In der Mitte des Feldes wuchs ein kleines Bäumchen. Jetzt, mitten im Winter. Wie war das möglich? Amandas Herz begann schneller zu schlagen. Sie lief auf das Bäumchen zu und bemerkte drei rote Blutstropfen neben dem dünnen Stamm. Sofort musste sie an den weißen Hasen denken und ihr war klar, dass es irgendein guter Zauber war.

Nachdenklich ging sie nach Hause.

Der treue Hannes lag vor seiner Hütte. Er sah das Mädchen schon von Weitem und lief mit letzter Kraft auf Amanda zu. „Ich habe etwas zu essen!“, rief sie fröhlich. Jetzt kamen auch Mutter und Vater aus der Hütte. Die Mutter hustete immer noch, doch sie war wenigstens aufgestanden. Das war ein gutes Zeichen. Die Eltern hatten sich schon Sorgen gemacht und wollten sich gerade selbst in das Dorf aufmachen, um ihre Tochter zu suchen. Amanda erzählte von dem Hasen und dem Bäumchen. Die Eltern sahen sich schweigend an. „Es hört sich an wie ein Wunder!“, sagte Mutter schließlich. Es tat ihr gut, endlich etwas zu essen. Der Vater hielt ihre Hand und dann beteten alle.

Amanda und ihre Eltern kamen gut durch den Winter. Der Schnee taute bald weg und die eisige Kälte kroch über die Berge davon.

Im Frühjahr war aus dem Bäumchen ein kräftiger Baum geworden und im Sommer trug er bereits herrliche Früchte. Sobald Amanda und ihre Eltern die Früchte geerntet hatten, wuchsen neue. So hatten sie genug zu essen für den folgenden Winter und Amanda musste nie mehr durch die kalte Winternacht stapfen.

Keiner konnte sich erklären, was das für ein geheimnisvoller Baum war. Nur Amanda wusste, dass der weiße Hase ihn ihr geschenkt hatte. Zum Dank sang sie ihm jeden Abend vor dem Einschlafen das Lied.

 

 

„Weißer Hase,

bist so klein,

weißer Hase,

kannst bei uns sein.

Weißer Hase,

unser Tier,

lange warst du nicht mehr hier!

Bist unser Beschützer in der Nacht,

hast viele Wunder schon vollbracht!“

 

 

Selinas Herzenswunsch

Eine Geschichte

von Finisia Moschiano

 

 

Um 09:00 Uhr spielte ihr Winni-Pooh-Wecker den Titelsong zur Zeichentricksendung.

Wie jeden Tag wachte die neunjährige Selina Huber mit unerträglichen Kopfschmerzen auf. Als das kleine Mädchen mit den schulterlangen, blonden Haaren, die in feinen Locken bis zur Schulter fielen, sich vom Bett erheben wollte, bekam sie wieder Schwindelgefühle. Da blieb sie doch lieber in ihrem Bett liegen, bis es ihr wieder besser ging. Zum Glück war Wochenende.

Doch sie verstand nicht, was mit ihr los war. Warum war sie so müde? Dabei war sie früh im Bett gewesen, aber sie fühlte sich nicht ausgeschlafen. Neben ihrem plüschigen Einhorn nickte Selina ein. Zumindest für ein paar Minuten.

Beinahe wäre sie wieder in Tiefschlaf gefallen, doch dann hörte sie ihre Mutter Pia, die aus der Küche kam, rufen: »Selina, kommst du zum Frühstücken?«

Üblicherweise stand die Neunjährige am Wochenende alleine auf. Da sie jedoch nicht gleich zum Frühstück erschien, fragte sich Pia, was ihre Tochter trieb. Es war, als würde sie irgendetwas tief in ihrem Inneren fühlen.

Pia betrat Selinas Mädchenzimmer. Rechts stand ein Puppenhaus mit zwei Puppen sowie eine Spielküche. Geradeaus stand ein Schrank mit rosa Türen, daneben Selinas Schreibtisch für die Hausaufgaben und links neben dem Eingang zum Kinderzimmer das Bett.

»Oh, Kindchen, was ist denn mit dir los?«, fragte Pia Huber, nachdem sie ihre Tochter, blass und ermattet, aufrecht sitzend in ihrem Bett entdeckte.

»Mama, mir geht es nicht gut. Ich habe Kopfschmerzen und als ich aufstehen wollte, wurde es mir schwindelig. Da habe ich mich noch einmal hingelegt.«

Die dreißigjährige Frau legte die Handfläche auf die Stirn ihrer Tochter. »Fieber hast du aber keines, Engelchen.«

»Mir geht es wirklich nicht gut.«

»Ich koche dir einen Tee und bringe dir das Frühstück ans Bett. Okay?«

»Ja. Danke, Mama.«

»Ach, ist doch selbstverständlich.«

Selina richtete kurz ihre zwei Kissen, die sich während des Schlafes verschoben hatten. Das große rosafarbene Kissen mit den weißen Punkten kam unter das kleine Winni-Pooh-Kissen. Mit ihm kuschelte sie so gerne. Das Mädchen war ein großer Fan von Winni-Pooh und den Farben rosa, rot und gelb.

Schon wieder diese furchtbaren Kopfschmerzen. Sie lehnte sich mit ihrem schmerzenden Kopf nach hinten, ihr Körper kämpfte gegen den Schmerz. Schweiß trat auf ihre Stirn, der Körper wehrte sich.

Ihre Mutter betrat mit dem Frühstückstablett das Kinderzimmer.

»Selina, wie geht es dir jetzt? Hast du immer noch Kopfschmerzen?«

»Wie vorhin.«

»Bleib heute einfach mal liegen, vielleicht wird es ja besser«, sagte Pia, stellte das Frühstück neben das Bett auf den Nachttisch und überlegte, wo die starken Kopfschmerzen und der Schwindel herkommen könnten.

Das Kind nickte ein wenig traurig. Sie hatte sich so sehr auf das Wochenende gefreut. Ihre allerliebste Freundin Thea wollte heute mit ihrer Mutter vorbeikommen und mit ihr ins Kino gehen. Fast jedes Wochenende trafen sie sich zu viert und unternahmen gemeinsam etwas. Doch an diesem Samstag musste Pia absagen.

»Mama, bleibst du ein wenig hier?«

»Gerne, wenn du magst. Papa und ich haben schon gefrühstückt, da er heute früher als sonst zur Arbeit musste. Wir dachten, wir lassen dich noch etwas schlafen, da es ja Wochenende ist.«

»Ja, aber kein schönes.«

»So, iss mein Kleines, vielleicht wird es dann ja besser.«

 

***

 

Während Selina das Frühstück zu sich nahm, blieb sie von den Schmerzen verschont. Trotzdem entschied sie sich, im Bett zu bleiben und bat ihre Mutter, ihr zwei oder drei Kinderbücher zu holen. Eines von ihren Hobbys war lesen. Jedes Kinderbuch, das ihr vor die Nase kam, verschlang sie regelrecht. Doch bei schönem Wetter spielte sie genau so gerne draußen mit ihrer Freundin. Sie ließen dann gemeinsam Drachen steigen oder bummelten einfach durch die Stadt. Die beiden gingen natürlich sehr gerne ins Kino oder schauten auch einmal fern, so wie es halt jedes Kind gerne tut.