Sharilah Zyklus

Kar & Ugtar

Band 1

 

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

1. Auflage

Erstauflage November 2016

© 2016 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autor: Brian Todt

Lektorat/Korrektorat: Simone Heiland

Grafikdesigner: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Finisia Moschiano

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

 

ISBN: 978-3-96068-073-4

 

© Die Rechte des Textes liegen beim

Autor und Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

Inhaltsverzeichnis

Eishauch des Todes

Schwert des Erwachens

Catalina

Die Schwarze Stadt

Zwischenspiel

Ruinen

Schwarzer Sand

Heimkehr

 

 

Eishauch des Todes

Der Wind wurde stärker. Das Schneetreiben auch. Kar kämpfte sich zu der Höhle zurück, in der er und sein Begleiter Ugtar, ein ausgewachsener Säbelzahntiger, Zuflucht gesucht hatten. Heute war es mit der Jagd vorbei.

Kar knurrte etwas Unverständliches in seinen imaginären Bart. Es war ein kräftiger Fluch an die Götter, die ihm dieses Unwetter gesandt hatten. Es war ihm egal, ob sie es hörten, er wollte nur heraus aus der Höhle und zurück in seine Siedlung und zu seiner Frau, die in einer vom Feuer gewärmten Holzhütte saß.

Als er die Höhle betrat, wurde der Barbar von einem leisen Knurren begrüßt.

»Ruhig Ugtar!«, seine Stimme war leise und trotzdem lag ein Klang darin, der den Tiger verstummen ließ.

»Mir gefällt dieser Sturm auch nicht. Ich kann mir denken, dass du auch lieber vor dem Feuer liegen würdest um dein Fell zu wärmen, du alter Faulpelz.«

Die Großkatze rollte sich wieder zusammen und tat so, als wäre nichts geschehen. Kar hatte Ugtar als Neugeborenes neben dessen toter Mutter gefunden und aufgezogen. Seit dieser Zeit folgte ihm der Säbelzahntiger auf Schritt und Tritt. Und wehe dem, der Kar anzugreifen wagte. Draußen wurde der Sturm immer stärker. Doch in der Höhle waren sie vor dem Schlimmsten geschützt. Es war zwar kalt, doch wenigstens erfroren sie nicht.

»Pass gut auf!«, murmelte Kar dem Tiger zu, dann legte er sich zur Seite und schlief sofort ein.

 

***

 

Unten in den tieferen Regionen, wo der Schnee nur in den kältesten Wintern hinfand, begannen die ersten Flocken zu fallen. Erst langsam, dann immer schneller. Und mit dem Tempo der fallenden Schneeflocken wurde auch der Wind stärker. So stark, dass er zu einem Sturm anschwoll, vor dem alle Dorfbewohner Zuflucht in ihren Hütten suchten.

Es war, als hätte der Gott des Wetters im Zorn allen Winden erlaubt, dieses eine Dorf zu peinigen und den gesamten Schnee der Welt darauf hinabfallen zu lassen. Doch es kam noch schlimmer.

Der eiskalte Wind drang durch alle Löcher und Ritzen in die Häuser ein, löschte die Feuer in den Herdstellen, ließ jeden Menschen und jedes Tier bis ins Mark frieren. Es schienen Tage zu vergehen, so schien es den Menschen jedenfalls, doch es waren in Wirklichkeit nicht mehr als zwei Stunden, bis der Sturm abflaute, der Schneefall langsam endete und die Sonne wieder aus den dunklen Wolken hervortrat.

Langsam wagten sich die Bewohner der kleinen Bergsiedlung wieder hervor, begannen den Schnee fort zuschaufeln und betrachteten die Schäden, die der Sturm angerichtet hatte. Doch dann kam das Unheil erneut über sie. Und es war schlimmer als alles, was dem Dorf jemals zugestoßen war.

Die Sonne verdunkelte sich urplötzlich. Die ganze Siedlung lag in einem Schatten, der unruhig zuckte. Ein Schrei riss die Menschen aus ihrer Erstarrung. Ein junger Mann hatte den Arm ausgestreckt und zitterte am ganzen Leib. Als sie seinem Blick folgten, sahen sie warum.

Ein gigantisches Wesen, das aus purem Eis zu bestehen schien, hatte sich vor ihnen aufgebaut. Ein Dämon aus Eis. Panisch wollten sich die Menschen wieder in den Hütten verkriechen, doch es war zu spät. Der eiskalte Atem des Eismonsters ließ sie dort erstarren, wo sie gerade waren.

Aber nicht nur im Freien. Jedes Lebewesen innerhalb des Dorfes, auch die in den Hütten, wurde auf der Stelle in einen Eiskokon gehüllt und tiefgefroren. Nach wenigen Minuten endete das ganze Grauen. Der Dämon stapfte davon und seine Gestalt verlor sich in der Weite des Gebirges. Doch er hinterließ einen Beweis seiner Existenz, seines Erscheinens. Jedes Leben in diesem Dorf war ausgelöscht.

 

***

 

Kar erwachte, als ihn etwas Feuchtes im Gesicht berührte. Etwas sehr Feuchtes und Raues.

»Lass das, Ugtar!« Mit einem Schlag war er wach. Die Zunge des Säbelzahntigers konnte Tote aufwecken. Oder war es dessen Mundgeruch? Der Barbar war sich da noch nicht ganz schlüssig. Der Sturm hatte aufgehört, der Schnee fiel nicht mehr. Kar fand, dass es jetzt die beste Gelegenheit wäre, nach Hause zu gehen, bevor ein erneuter Schneesturm aufkommen konnte.

»Komm, wir gehen!« Mit schnellen Schritten verließ der Barbar die Höhle. Ugtar folgte ihm dicht auf den Fersen. Es würde ein weiter und beschwerlicher Weg nach unten in die tiefer gelegene Ebene werden, denn der Schnee lag hüfthoch und war nass und schwer. Sie würden bis zum Einbruch der Nacht unterwegs sein. Wenn sie Glück hatten.

Stunden um Stunden bahnten sie sich einen Weg durch den Schnee. Die Kälte zehrte an Kars Kräften, wohingegen der Säbelzahntiger, durch sein warmes Fell gut geschützt, dem Ganzen nur ein müdes Lächeln abringen konnte. Falls Tiger lächeln können.

Die Dämmerung war schon längst hereingebrochen und der aufgehende Mond erhellte die Landschaft nur spärlich. Als er die ersten Häuser der Siedlung erblickte, erschien es Kar, als wäre eine Ewigkeit vergangen, seit sie die Höhle verlassen hatten. Er beschleunigte seinen Schritt. Der Jäger konnte es kaum erwarten in sein Haus zu kommen, am Feuer zu sitzen und seine Frau wiederzusehen.

Seltsam, es war kein Laut zu hören. Keine Stimmen, kein Gebell, kein Meckern der Ziegen und auch die anderen Tiere waren still. Kar schüttelte den Kopf. Etwas war hier nicht in Ordnung. Ganz und gar nicht in Ordnung.

»Hooooo!«, schrie er in die unnatürliche Stille hinein. Keine Antwort.

»Da stimmt was nicht.« Er warf Ugtar einen raschen Blick zu.

»Sieh mal nach!« Mit einem Satz war die gewaltige Großkatze verschwunden. Mit langsamen Schritten bewegte sich der Barbar auf die ersten Hütten zu. Den Speer hatte er in beide Hände genommen. Er war bereit zu kämpfen. Egal mit wem oder was. Ein lautes Jaulen ließ ihn zusammenfahren. Ugtar.

Jetzt rannte Kar. Er konnte den Weg nicht verfehlen, denn Ugtars Geheul wollte nicht abbrechen. Ein grauenvoller Gedanke schoss ihm durch den Kopf, und er sollte Recht behalten. Das Jaulen kam aus seinem Haus. Die Tür stand sperrangelweit auf, Schnee lag überall und eine unwirkliche Kälte ließ ihn erzittern. Ugtar stand mit dem Rücken zu ihm, so dass er nicht erkennen konnte, was sich vor dem Tiger befand. Doch er brauchte es nicht zu sehen. Er wusste es schon. Katlin.

Mit einem Satz war er bei Ugtar und blieb entsetzt stehen. Er hatte schon viel Grauenvolles gesehen. Tote Menschen, die bei Stammeskämpfen umgekommen waren und nur noch im Entferntesten denen glichen, die sie einst waren, und Kadaver von teilweise verwesten Tieren. Doch das alles gehörte zum alltäglichen Leben, zum Kampf um das Überleben des Stammes. Aber dies hier ließ ihn, den besten Jäger und Krieger, vor Schreck erstarren.

Katlin, seine geliebte Katlin, die auch der Säbelzahntiger ins Herz geschlossen hatte, war zu einer Statue aus Eis erstarrt. Sie saß auf dem grob gezimmerten Stuhl und hatte noch das Lederwams in den Händen, an dem sie gearbeitet hatte.

Mit einem Ruck riss Kar sich aus der Erstarrung. Er hatte genug gesehen. Katlin war tot, niemand konnte so etwas überleben, und er war sich sicher, dass das ganze Dorf in diese Eisschicht eingehüllt worden war.

Doch wer tat so etwas? Wer hatte so viel Macht, so etwas zu tun? Oder sollte er lieber fragen: Was konnte so etwas bewirken?

»Komm, Ugtar. Wir müssen nach den anderen sehen!« Der Tiger trottete hinter ihm her. Auch er hatte das Gesehene noch nicht ganz überwunden. Es war überall das Gleiche. Erstarrte Menschen. Männer, Frauen und Kinder, Junge und Alte, alle in Eis gehüllt. Auch die Tiere des Dorfes waren in diesem Zustand. Es schien, als wäre diese Siedlung für die Ewigkeit konserviert worden um sie gegen die Unbill der Zeit zu schützen.

Sein letzter Weg führte Kar in das Haus des Sehers. Einem weisen alten Mann, der sich auf die Kunst des Heilens und der Weissagung verstand. Auch er war erstarrt und in Eis gefangen.

»Kar.« Eine schwache Stimme drang an sein Ohr und sie schien von dem alten Mann zu kommen.

»Kar.« Der Barbar ging dicht an den Eisblock heran und wollte sein Ohr daran legen, um besser hören zu können. Doch die leise Stimme hielt ihn zurück.

»Nicht. Wenn du das tust, endest du so wie wir alle, Kar.«

Die Stimme schwieg einen kurzen Augenblick, so als müsse sie Kraft sammeln.

»Ich habe nicht mehr viel Zeit. Meine Magie schwindet. Ich kann dir nur so viel sagen, ein Dämon aus Eis hat dieses Dorf zu dem gemacht, was es nun ist. Es besteht keine Hoffnung mehr. Alle sind tot!« Kar zuckte zusammen.

»Keine Hoffnung«, hallte es in seinem Innersten wieder. Nur er hatte überlebt.

»Das ist richtig, Krieger. Nur du. Aber so ist es bestimmt worden. Schon vor langer Zeit habe ich diese Bilder gesehen, doch den Zeitpunkt wusste ich nicht. Du musst den Eisdämon vernichten. Aber das kannst du nur mit Hilfe von Sharilah!« Die Stimme wurde schwächer.

»Sharilah?« Kar hatte diesen Namen noch nie gehört. »Was ist das, weiser Mann? Wo finde ich es?« Die Stimme klang weit entfernt, als sie antwortete.

»Sharilah, das Schwert der Macht. Am Anfang von Zeit und Raum erschaffen. Es existierte schon, bevor die Götter existierten und die Welt schufen, auf der wir leben.« Die Stimme des Alten wurde immer schwächer.