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Inhalt

Impressum

Widmung

Auf dem Weg

Gelandet

An die Arbeit

Zweifel

To-do-Liste

Neue Abenteuer

Nach dem Beben

Über die Angst

Der Tod tanzt

Machos und andere Schwächen

Ein richtiger Mann

Mann in Sicht

Wahre Männer

Ein harmloses Mittagessen

9 to 5

Ein Paar?

Pause

Gebrauchsanweisung für Machos

Zu zweit?

Kein Geheimnis mehr

Lampenfieber

Stille Nacht, heilige Nacht

2000

Im Limbo

Sagen Wahrsager die Wahrheit?

Auf Reisen

Die Leidenschaft die Leiden schafft

Das alte Spiel

Wir...

No nos falles...

Der amerikanische Traum

Endstation Tecún Uman

Tula 62

Wenn das mein Vater wüsste...

Be-Ziehung

Wer hat die Hosen an?

Der Kaiser von Mexiko

Was wäre wenn…

Mirror, Mirror on the wall, like my mother after all

Auf des Kaisers Spuren...

Die letzten Tage seiner Hoheit

Justo Armas oder der einzige Überlebende eines Schiffbruchs

Am Weg zurück

Rubensgasse 13

Der Duft der Stadt

Meine Freunde, deine Freunde

Wieder daheim

Heiratssachen

Von Teufelswerk und Sittenverfall

Die Neufelds

Wozu heiraten?

Der Tag des Herrn

Es weihnachtet sehr

Die Erde bebt

Das perfekte Medientheater

Lizenz zur Ehe

Der Tag

Luftschlösser

Der Ort, an dem aus Menschen Götter wurden

Citlaltepetl Nummer 9

Es steht alles in den Karten

Residente

Si la vida te da limones, haz limonada

Ein Zirkus zwei Direktoren

Darf´s noch was sein?

Mi rey

An die Töpfe

Generalprobe

Noch ein Achterl?

Positiv

Vorhang auf

Der Botschafter, seine kurze Rede und ein Schmarrn…

Der erste Sonntag

Von halben Suppen und einem Gulasch ohne Zwiebel

Die Neidgesellschaft

A wie Austria

Gute Hoffnung, plötzliches Ende

Bitte einzutreten...

Der Krieg der Köche

Nur nicht das Handtuch werfen

Die letzten Tage des Kapitäns

Schwangerschaft, die Zweite

Der Kapitän tritt ab

Aus zwei wird vier

Ein alter Bekannter kehrt zurück

Chisme

Ein neues Team

Wieder ein Sonntag

Schlechte Nachrichten

Aus dem Paradies gefallen...

Ich sperre zu...

Mutter und Tochter

Einen habe ich noch

Die Aussprache

Auf los geht´s los

Temazcal

Literatur

Impressum

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich.

© 2016 united p. c. Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-7103-2881-7

ISBN e-book: 978-3-7103-2896-1

Umschlagfoto: Mariano López

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: united p. c. Verlag

www.united-pc.eu

Widmung

Für Petra, meine langbeinige Freundin.
Ohne ihr Talent meine Ängste einfach wegzulachen,
wäre Mexiko nur ein Traum geblieben...

Auf dem Weg

Die Stewardess lächelt „ein Glas Sekt?“ Warum nicht, schließlich gibt es einen Grund zu feiern, wenn auch niemanden, dem ich zuprosten könnte. Die anderen Reisenden in der Business-Class haben sich hinter Tages-zeitungen versteckt, tippen in Laptops, oder studieren unermüdlich ihre Agenden.

Es riecht nach Raumspray und Putzmittel. Die Spuren der Menschen, die ein paar Stunden zuvor in denselben Sitzen saßen, wurden minutiös entfernt. Nichts lässt erkennen, ob der Fluggast auf meinem Platz gearbeitet, oder geschlafen hat. Vielleicht hat er gelesen, die Minuten bis zur Landung gezählt, Ängste ausgestanden, oder gar Tränen vergossen. War er eine sie? Bei Lang-streckenflügen wird der Sitzplatz zum Lebensraum und Nummer acht ist, für die nächsten 12 Stunden, von Frankfurt nach Mexiko, meiner.

„Darf es ein Imbiss sein?“ Dieses Ticket kostet genau fünfmal so viel wie das in der Chicken-Class, im dicken Bauch der Boeing. Hätte ich es bezahlen müssen, säße ich hinten auf einem der billigen Plätze und auf dem Sitz neben mir wahrscheinlich ein übergewichtiger Kerl im Hawaihemd, auf dem Weg nach Cancún. Dank meiner Flugmeilen, die ich für meinen Platz eingetauscht habe, bin ich solchen Bekanntschaften diesmal entkommen. Meilen hatte ich schließlich genügend, denn in den letzten beiden Jahren war ich ständig auf Reisen, meistens nach Mexiko, aber nie zuvor One Way.

In meinem Magen macht sich ein seltsames Gefühl breit. Ein Gefühl, das sich selbst in einem weiteren Glas Sekt nicht ertränken lässt. Obwohl ich eine Meisterin im Verdrängen bin, war klar, dass dieser Moment kommt.

Ein Jahr der Vorbereitungen liegt hinter mir. Was von meinem Leben bisher übrig blieb, habe ich in zwei Koffer und ebenso viele Schachteln gepackt. Ich war so beschäftigt, dass ich mir jeden Zweifel erspart habe. Einen Job in Mexiko erfinden und beim Chef durchsetzen, Schulden zurückzahlen und mich verabschieden. Ein volles Programm bis zum Abflug. Das ist meine Art zu funktionieren. Ich kann Vorsätze ohne lange zu über-legen in Pläne umsetzen, sie wie geplant durchführen und erst danach mit dem Nachdenken beginnen. Letzteres auch nur, wenn es sich nicht umgehen lässt. Hätte ich darüber nachgedacht, wäre ich zu dem Schluss gekommen, diesen absurden Plan zu verwerfen. Wahrscheinlich hätte ich mich für folgende Variante entschieden: In Österreich bleiben, weiterhin funktionieren, endlich das suchen und finden, worauf es im Leben ankommt.

Weggehen ist schließlich keine Lösung. Was man an sich selbst nicht leiden kann, verfolgt einen so treu wie der eigene Schatten. Niemand kann vor sich selbst davonlaufen, auch ich nicht. Bleiben war auch keine Variante, denn da war sie: die Angst vor einem durchschnittlichen Leben und das Bild einer gealterten Frau, die an ihre Jugendträume denkt und sich eingestehen muss, dass diese Träume nur Träume geblieben sind. Dem vorzubauen, habe ich eine Methode gefunden, mich und meine Ängste zu überlisten. Ich entscheide ohne nachzudenken und verkünde meinen Entschluss jedem, der mir über den Weg läuft. So gibt es keinen Weg mehr zurück.

Mit 19 habe ich in einem Radioprogramm gehört, dass junge Reporter gesucht werden und mich gemeldet. Rasch, bevor ich mir ausmalen konnte, warum man mich ganz bestimmt nicht nimmt. Zwei Jahre später wurde ich zu Leiterin eben dieser Sendung ernannt. Unter vier Augen fragte mich der Abteilungsleiter, ob ich mir den Job tatsächlich zutraute. Mein Ja kam so schnell und bestimmt, dass ich selbst erstaunt war.

Bilderbuch-Karriere, Studienabschluss und eine perfekte Beziehung. Bis auf letzteres habe ich alles abgehakt. Viele Frauen meiner Generation haben eine ähnliche Checklist. Wir wollen alles und das sofort, also stellen wir hohe Ansprüche. Und zwar an uns selbst: Die beste Ehefrau und Geliebte, die erfolgreiche Journalistin (an diesem Platz kann jede nach Belieben ihren eigenen Traumjob einsetzen) und irgendwann die beste Mutter auf Erden. Attribute wie schön, mutig und kerngesund, müssen wohl nicht erst erwähnt werden. All diesen Anforderungen kann keine Frau entsprechen. Aber versuchen darf sie es und daran scheitern, so hat sie später ausreichend Grund deprimiert zu sein. Die perfekte Frau ist ein ambitioniertes, aber chancenloses Projekt. Aber auch solche Erkenntnisse habe ich immer erfolgreich verdrängt.

Nach einer kurzen, dafür steilen Radiokarriere wollte ich mehr. Also bewarb ich mich mit knapp 24 Jahren beim Fernsehen. Der Inlandsreport war damals in Österreich die innenpolitische Reportage-Sendung und deshalb musste ich genau dort hin. Ich wählte die Nummer, ganz ohne nachzudenken, und bekam einen Termin: ein Doppelinterview mit beiden Sendungsleitern. Ich bestand und weiß bis heute nicht wie. Der Zug raste in voller Fahrt weiter. Von den Zweifeln an meinen Fähigkeiten habe ich mich mit viel Anstrengung und Kreativität abgelenkt. Ein paar Jahre und Sendungen später verkaufte ich meine erste Auslands-Dokumentation, lange bevor ich das nötige Hand-werkszeug dazu hatte. So landete ich schließlich in Rio de Janeiro, mit einem 3-Millionen-Budget (damals noch österreichische Schillinge), einem Kamerateam und dem verdammten Gefühl im Bauch, dass ich meiner Rolle nicht gewachsen war. Es heißt, dass Journalisten Blender sind, wenn das tatsächlich zum Berufsbild gehört, bin ich für diesen Job geboren.

„Noch ein Glas Sekt, bitte!“ Der Herr in Hugo Boss neben mir schaut skeptisch. Da sitze ich in Jogginganzug, Tennisschuhen, gänzlich ohne Make-up unter wilden Locken und trinke allein. Eigentlich sollte ich dem guten Mann zuprosten. Mein Lieber, wenn du wüsstest… Ich bin perfekt in der Rolle der modernen Frau. Attraktiv, schlau und unverschämt. Und du wärst, unter normalen Umständen, schon dabei Räder zu schlagen. Heute aber, mein Lieber, habe ich keinen Bedarf nach Jungs. Ich schaue ihm direkt in die Augen und er senkt den Blick. Ertappt.

Der Weg ist das Ziel steht am Bildschirm vor mir. Sehr gut, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen, denn am Weg bin ich bereits. Anderen habe ich so oft erklärt, warum ich weggehe, warum ausgerechnet Mexiko und was ich dort will. Verliebt in das Land, Lust auf Abenteuer, Angst vor Langeweile und so weiter und so fort... Doch was ist es wirklich? Laufe ich vor mir weg, vor dem was hinter mir liegt? Meinem Leben bisher, meiner Familie und den dazugehörigen Schuldgefühlen? Oder vor ihm? Vor dem Mann, den ich 17 Jahre lang liebte?

Mein Sitznachbar hat die Lust an der Rolle des geschäftigen Yuppies verloren. Der Laptop schnappt zu und er zippt durchs Filmangebot. As good as it gets – Helen Hunt, Kellnerin und alleinerziehende Mutter gegen Jack Nicholson, menschenfeindlicher, exzentrischer Autor. Guter Film, in dem es anscheinend darum geht, was man sich von Beziehungen erwarten sollte: nämlich nichts. As good as it gets. Mein Bildschirm bleibt schwarz. Ich bin noch in meinen Gedanken gefangen und schaue aus dem Fenster. Himmel, weiter nichts.

Mein Vater war nicht am Flughafen. Er ist 78, Gehen und Stehen fällt ihm schwer. Das gilt als Erklärung für sein Fernbleiben. Wahr ist aber, dass wir nicht voneinander Abschied nehmen können. Wir beide gehören zu den Menschen, die selbst bei Hollywoodmärchen in Tränen ausbrechen. Wenn uns die Realität einholt, wir selbst betroffen sind, haben wir die Situation nicht mehr unter Kontrolle. Und alles im Griff haben, ist auch etwas, was meinen Vater und mich verbindet. Also vermeiden wir kritische Situationen.

Ich weiß, wie sehr er mich vermisst. Trotzdem hat er nicht versucht, mich von meinem Vorhaben abzubringen. „Unsere Tochter wandert aus“, sagte er zu meiner Mutter, als ich den beiden von meinem Entschluss erzählte. So als würde er meine Eröffnung auf einen Satz zusammenfassen, um das Gesagte besser zu verstehen. Kein Argument dagegen. Der Kommentar meiner Mutter: Wahnsinn. Genau das sagt sie immer, wenn sie ein Projekt nicht gut heißt. Mein Vater hingegen reagierte, wie ich es erwartet habe. In den letzten Monaten hat er geholfen, meine Abreise zu organisieren. Jetzt sitzt der Pensionist Artur Heilig in einem kleinen Büro, eigens in einer Ecke des familiären Wohnzimmers eingerichtet, und kümmert sich um Versicherung, Autorenrechte wie Honorarangelegenheiten seiner Tochter. Als es heute im Morgengrauen Zeit war ins Auto zu steigen, sagte er nur „ich liebe dich und hoffe, dass du glücklich wirst!“ Nach einer festen Umarmung, schloss er mit „Mut hast du, das muss man sagen!“

Ist es tatsächlich mutig wegzugehen und alles hinter sich zu lassen? In ein Land auszuwandern, das man nicht wirklich kennt? Diesen Schritt könnte man auch mit der Etikette Unbedarft versehen. Genauso wie den Vorsatz: Einfach neu anfangen. Denn einfach ist es nicht – zumindest für mich nicht. Vor mir selbst kann ich ja zugeben, dass ich vor ziemlich allem Angst habe. Um mich einigermaßen sicher zu fühlen, brauche ich Menschen, die mir vertraut sind und eine Routine, an die ich gewöhnt bin. Doch jetzt ist es zu spät. Mit dem nächsten Flieger umkehren und allen erklären ich hätte mich geirrt, ist keine vertretbare Variante. Also volle Kraft voraus. Der Flieger kämpft sich durch Turbulenzen, der Herr in Hugo Boss hüstelt nervös und löst seinen Krawattenknoten. Ich muss lächeln und schlafe ein.

Mexiko kann man riechen, lange bevor man landet. Es gibt Menschen, die behaupten, diese Stadt stinke. Mich aber erinnert dieser Geruch an einen Film, die ich vor einem Jahr am Rande der mexikanischen Megacity gedreht habe. Menschen, die von dem leben, was andere nicht mehr brauchen. Menschen am Müll. In der Branche nennt man diese Art von Geschichten Sozialpornos. Das ist mein Genre. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur vorbringen, dass ich eine Missionstäterin bin, auch wenn ich nach 15 Jahren Journalismus einsehen muss, dass Reportagen die Welt nicht verändern. Wohl aber mich.

Jeder Fernsehmacher hat ein genaues Bild im Kopf, wie sein Film auszusehen hat, und das schon lange vor Drehbeginn. Eine Art Drehbuch, das er nur widerwillig an reale Darsteller und Orte anpasst. Die Wirklichkeit wird zum Ärgernis, mit dem sich ein Reporter herumschlagen muss. Deshalb wird sie, diese elende Realität, von manchem Kollegen verändert, man kann das auch verzerrt nennen. Selbst mein Film Menschen am Müll war anders geplant. Drehort und Darsteller haben zwar genauso ausgesehen, wie ich sie im Kopf hatte, nur die Essenz war nicht dieselbe. Statt Agonie und Traurigkeit habe ich Lebensfreude und Hoffnung gefilmt. Im Müll der mexikanischen Millionenstadt leben Leute, von denen man lernen kann. Also kam alles ganz anders und das habe ich, zu meiner eigenen Überraschung, sogar genossen. Vielleicht haben die Lebensfreude und der Mut der Müllmenschen zu der magischen Anziehungs-kraft beigetragen, die mich dazu gebracht hat, nach Mexiko auszuwandern. Ich bin auf der Suche nach beidem. Mehr noch: Ich suche seit Jahren verzweifelt in aller Welt. Nie in mir selbst, denn ich habe Angst dort weder Freude, noch Mut zu finden.

Vor vielen Jahren musste ich zusehen, was passiert, wenn die Freude am Leben verblasst. Meine Schwester war manisch-depressiv. Nach unzähligen Selbstmord-versuchen ist sie vom 15ten Stock ihrer Wiener Vorstadt-Wohnburg gesprungen und damit endgültig aus ihrem, aber auch aus meinem Leben verschwunden. Bevor sie krank wurde, war sie mein Vorbild. Gebildet, selbst-bewusst und furchtlos. Sie war stark und ich lehnte mich an ihrer Schulter. Mit den Depressionen sind ihr Lebensmut und Lebensfreude langsam aber unaufhalt-sam verloren gegangen.

„Da wir zum Landeanflug ansetzen, bitten wir Sie Ihre Sitzlehnen aufrecht zu stellen und sich wieder anzu-schnallen.“ Ich schaue auf das nie enden wollende Lichtermeer unter mir. Wie viele Menschen leben hier? 20, 30, 40 Millionen? Die mexikanische Megacity – in ein paar Minuten bin ich ein Teil davon.

Eine Schlange vor den Schaltern der Migrations-behörde und vor mir steht der Herr in Hugo Boss, der, nach dem zwölfstündigen Flug, leicht verknittert aussieht. Er ist mit dem Ausfüllen von Formularen beschäftigt und sichtlich verärgert, dass ihm keiner dabei zur Hand geht. Endlich bin ich an der Reihe. Der Beamte schaut auf. „Buenas Noches“, sage ich. „Bienvenida Amiga!“ Das ist nicht das erste Mal, dass ich das beim Einreisen nach Mexiko höre, aber es erstaunt mich jedes Mal. Der Beamte, der inzwischen wieder vor sich hin stempelt, weiß gar nicht, wie wichtig diese beiden Worte für sein verschlafenes Gegenüber waren.

An der Gepäckausgabe wird dann doch klar, dass meine Landung nicht ganz so sanft sein soll – kein einziges meiner vier Gepäckstücke hat es bis nach Mexiko geschafft. Irgendwann werden mich Kisten und Koffer schon einholen, denke ich und freue mich auf Petra. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich nie hier gelandet und wenn, sicher nicht so schnell. Da ist sie schon: Groß, blond und lacht alle meine Ängste fort. So wäre ich gerne. Diese Frau genießt das Leben, liebt Abenteuer und ist neugierig. Obendrein gibt sie mir im Handumdrehen die Sicherheit zurück, die ich unterwegs verloren habe.

„Geh los und kauf dir neue Unterwäsche und Kosmetiksachen auf Rechnung der Luftlinie“, rät sie mir und winkt einen wartenden Gepäcksträger herbei. Petra lebt seit 25 Jahren in Mexiko. Geboren wurde sie in Bayern, doch davon ist nicht mehr viel zu bemerken. Auf sie passt eher die Etikette: 100% Chilanga. Das ist normalerweise kein Kompliment. Chilangos schimpft man in der Provinz die mexikanischen Großstädter und in einem alten spanischen Nachschlagwerk steht zu lesen: Der Chilango ist schlecht erzogen, respektlos und un-ehrlich. Unter Herkunft des Wortes Chilango wird erklärt, dass es von dem Mayawort Xian käme und das stehe für zerzaust. Wenn letzterem so ist, erfülle auch ich alle Voraussetzungen eine echte Chilanga zu werden.

Petra rast durch die Menschenmenge. Lange Beine, große Schritte. Sicher, scherzend. Ein paar Minuten später sitzen wir in ihrem roten Jeep am Weg ins Zentrum der Stadt. Ab heute teilen wir Wohnung und Auto, Petra hat natürlich schon die jeweiligen Anteile errechnet. Sie ist genial in Geldangelegenheiten, ganz im Gegensatz zu mir. Im neuen Korrespondentenbüro werden wir gemeinsam arbeiten, sie als Producerin und ich als Reporterin. Ein gewagtes Vorhaben: Job, Auto, Wohnung - kann so viel Gemeinsames gut gehen? Keine Zeit zum Nachdenken, für morgen gibt es schon Termine. „Um acht Uhr kommt Einstein, unser Chauffeur und Mädchen, oder besser gesagt Männchen für alles“, erklärt Petra. Er sei nicht besonders klug, daher der Name. „Einstein fährt dich zu Migration, damit du die müßigen Amtswege ansatzlos beschreiten kannst. Danach Mittagessen beim Libanesen mit Enrique (du erinnerst dich an meinem Mann?) und zum Abschluss werden wir uns eine Produktionsfirma anschauen.“ Wie immer hat sie alles geplant.

Ich lehne mich im Autositz zurück und bemerke, wie müde ich bin. Autos überholen hier von links und rechts. Ein Taxifahrer will auf unsere Fahrspur schneiden. Petra hupt wütend. Da hört man, woher sie eigentlich kommt, ein Schwall bayrischer Schimpfworte bricht los. Der Übeltäter schaut verständnislos und ich beginne zu zweifeln, ob ich in Mexiko tatsächlich selbst Auto fahren sollte. „Haben hier Rechtskommende Vorrang?“, frage ich. Petra scheint die Frage zu amüsieren. Regeln gäbe es, aber keiner hielte sich daran. Ich habe längst die Orientierung verloren, als wir im Stadtzentrum landen.

Das Hausmädchen öffnet. Sie heißt Josefina und wir kennen einander von meinen letzten Reisen. Diesmal können wir sogar kommunizieren, dank eines drei-wöchigen Spanisch-Intensivkurses in Guatemala, mein letzter Urlaub vor dem Start in ein neues Leben. Acht Stunden Unterricht pro Tag, ein Lehrer gegen eine Schülerin, danach Hausaufgaben und abschließend Kopf-weh. Mit 33 lernt es sich offensichtlich nicht mehr so einfach.

Alle Kästen und Laden in meinem Zimmer sind leer und das werden sie vorerst auch bleiben. Am Schreibtisch steht mein Computer, daneben stapeln sich Drehkassetten von unserem letzten Filmprojekt über drei außergewöhnliche Gottesdiener. Ein Priester, der als Freistilringer Geld für sein Kinderheim verdient; ein österreichischer Pfarrer, der mitten auf einem mexi-kanischen Müllplatz Messen abhält und ein zorniger Mann Gottes, der Drogensüchtige mit aller Gewalt auf den rechten Weg bringen will. Wegen dieser und anderer Reportagen bin ich während der letzten Jahre immer wieder hier gelandet. Jedes Mal dieselbe Routine: Film, Kurzferien, zurück nach Hause. Ab heute aber soll das hier Zuhause sein.

Die Wohnung im sechsten Stock schwebt wie eine Insel über dem pulsierenden Stadtkern. Selbst die Geräuschkulisse der Metropole klingt hier oben gedämpft. 200 Quadratmeter weiße Wände, Parkett-böden, mexikanisches Kunsthandwerk. Meine bayrisch-mexikanische Freundin hat inzwischen Tequila einge-schenkt. „Zeit zum Anstoßen“, meint sie. „Willkommen“ und hebt das Glas „schön, dass du da bist!“ Langsam steigt leise Vorfreude auf. Gut, dass du dich getraut hast, sage ich zu mir. Salud!

Gelandet

Es klopft an meiner Zimmertür. Josefina steckt den Kopf herein: „Se puede, Señora?“ Oh, Frühstück ans Bett, selbstverständlich darf sie hereinkommen. Ich weiß aber nicht, wo sie Teller, oder Tasse hinstellen soll. Die Haare stehen mir zu Berge und ich sehe noch nicht klar. Außerdem will ich erst einmal Zähne putzen... In jedem Fall: Gracias. Offensichtlich muss ich mich an dieses Leben erst gewöhnen.

Unser Chauffeur und Assistent Einstein erscheint pünktlich, in Anzug mit Aktentasche, schließlich bin ich Bürochefin. Da er für diese Position keinen Titel präsent hat, nennt er mich Miss. So wendet man sich in Mexiko gewöhnlich an Kindergärtnerinnen. Offensichtlich waren Einsteins Missen sehr respektabel. Sein „Miss“ klingt jedoch eher wie mies, die Wiener Bezeichnung für gar nicht gut oder ziemlich übel. Einstein kontrolliert noch einmal, ob alle Dokumente für den bevorstehenden Amtsweg eingepackt sind. Er war letzte Woche schon auf der Migrationsbehörde und erklärt mir „no se pre-ocupe!“ Machen Sie sich keine Sorgen. Warum sollte ich auch, frage ich mich? Er ist zweifellos sehr bemüht und ich komme zwischen den aufgehaltenen Türen fast nicht zum Auto.

Falls ich je im Leben behauptet habe, dass es in Wien ein Verkehrsproblem gibt, nehme ich das zurück. Hier bahnen sich drei Millionen Autos ihren Weg durch die Megacity. Das rote Licht der Ampeln legt auch in diesem Chaos den Verkehrsteilnehmern nahe stehen zu bleiben. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich die Mexikaner diese Empfehlung zu Herzen nehmen. Bei Grün beginnen die Verkehrspolizisten heftig zu pfeifen. Ohne Unterlass. Es ist ein Rätsel, wann sie atmen, dabei winken sie weiß behandschuht die Vorbeifahrenden über die Kreuzung, obwohl das Engagement der Uniformierten keine bemerkenswerte Bewegung in den Stau bringt. Schließ-lich kann jeder nur so schnell fahren, wie das Auto vor ihm. Die Polizisten scheint das nicht zu irritieren, sie sind von der Mission beseelt den Verkehr zu bewegen. Auf die Frage, ob dieses Pfeifkonzert und das Gewinke wirklich notwendig seien, erklärt der Ordnungshüter durchs Autofenster, beides mache den Verkehr flüssiger... Das beruhigt natürlich sehr.

Auf der Migrationsbehörde muss ich den Inhalt meiner Handtasche ausräumen. Die Nagelschere darf nicht ins Amt und bleibt in einer Plastikschale bei der Polizistin am Eingang. Werden Beamte hier mit Nagel-scheren attackiert? Einstein und ich sind zu spät dran, 20 Minuten nach neun. Schon reicht die Warteschlange fast bis zur Tür. Eine Gruppe italienischer Nonnen hält die Pole Position. Die Kommunikation funktioniert nicht, auch wenn der Beamte langsam, sehr langsam spanisch spricht. Die aufgeregten Damen verstehen kein Wort. Endlich wird die Sache transparent: Es fehlen Kopien, statt zwei, sind drei pro Original beizubringen.

Für die mexikanische Einwanderungsbehörde gehören Nonnen, Priester und Journalisten in einen Topf. Geistliches Personal und Korrespondenten – eine heilige Kombination. In beiden Gruppen gibt es Missionstäter. Als nächster an der Reihe ist ein US-amerikanischer Reporter. Er versucht seine mangelnden Sprach-kenntnisse mit lautem Sprechen zu kompensieren. Erfolglos – ihm fehlt ein Dokument. Zurück an den Start. An den anderen beiden Schaltern wird nicht amts-gehandelt. Der Herr rechts ist noch mit seinem Frühstück beschäftigt und die Dame am linken Schalter lässt sich nicht bei ihrer morgendlichen Maniküre stören.

Irgendwann höre ich: Pase! Bin ich dran? Der Beamte nickt gestreng. Ich trete einen Schritt vor und befinde mich - wie zu Schulzeiten - in einer Prüfungssituation. Zögernd lege ich alle Dokumente einzeln vor, wie von mir verlangt. Der Beamte schüttelt den Kopf. Von diesem Dokument fehlt die spanische Übersetzung. Nein, dieses Papier muss nicht apostuliert, also nicht mit amtlichem Siegel versehen werden. Aber „hier haben wir das Formular falsch ausgefüllt“, erklärt der Beamte langsam und schaut mir prüfend in die Augen, als ob er meinen Geisteszustand in Frage stelle. Wir? Ich kann mich nicht erinnern, dass mir der gute Mann beim Ausfüllen geholfen hätte und langsam verstehe ich, warum mir die Polizistin am Eingang die Nagelschere abgenommen hat. Einstein sieht meinen Gesichtsausdruck und sagt unter vorgehaltener Hand „No se preocupe!“ Der Beamte fährt fort. Meine Fotos entsprächen nicht dem amtlich vorgeschriebenen Format und von den fehlenden Kopien müssten wir erst gar nicht reden, oder? Zurück an den Start.

Einstein wiederholt sich: Machen Sie sich keine Sorgen. Und genau jetzt fange ich an, mir ernsthaft Sorgen zu machen. Erste Lektion in Sachen Mexiko. Die Phrase: Machen Sie sich keine Sorgen, heißt anscheinend genau das Gegenteil. Wäre die Lage nicht ernst, käme ja keiner auf die Idee sich Sorgen zu machen. Ergo versucht man sich und andere zu beruhigen. No se preocupe.

Zwischen Verkehr und Amtshandeln ist der Vormittag vergangen. Ich frage mich wie die Menschen dieser Stadt den Alltag bestehen. Jeder Termin verwandelt sich in eine komplizierte Mission, die Ewigkeiten in Anspruch nimmt. Ich habe Bedenken, ob sich dieser Rhythmus mit dem meiner österreichischen Arbeitgeber abstimmen lässt.

Mühsam quält sich der Jeep zurück ins Stadtzentrum. Wir müssen einen anderen Weg einschlagen, erklärt Einstein. Nett mich einzuweihen, denn mir wäre das nicht aufgefallen. „Es wird wiedermal demonstriert, Mies.“ „Wer gegen wen?“, frage ich. Unser Assistent zuckt mit den Schultern „wahrscheinlich wieder die Lehrer.“ Ich schaue aus dem Fenster. Da ist es, dieses Licht. Das Licht Mexikos, das alles plastisch aussehen lässt und jedes Grün noch grüner macht. Die Bäume und Parks, eine grüne Stadt, die von einem einmaligen Licht durchflutet wird.... Ich bin von dem Wiener Grau und der Alltags-depression geflohen. Auf 2300 Meter Höhe wirkt der Himmel unter der Sonne blauer als anderswo.

Einstein chauffiert den Jeep durch die Altstadt, in die Welt hinter dem Zocalo, dem Hauptplatz mit seinen gewichtigen Bauten. Hier sind die Gassen eng und die Häuser schäbig. Zwischen formlosen Betonburgen einzelne Gebäude aus dem 16. und 17. Jahrhundert, deren Pracht man noch heute erahnen kann. Die Nach-kommen ihrer einstigen Bewohner leben inzwischen am Rande der Stadt. Denn wer Geld hat, bleibt dieser Gegend tunlichst fern.

Heute wird in diesem Viertel gehandelt. Je nach Gasse wechselt die Produktpalette. Stoffe und Nähzubehör, parallel dazu Waren aus Plastik und in dieser Gasse Schul- und Büromaterial. Alte koloniale Fassaden verschwinden unter bunten Folien, phosphoreszierenden Kartons und Schultaschen mit grünen Hulks und schwarzen Batmen. An der Ecke steht ein Mann mit einem Fächer aus bunten Kugelschreibern. „A Peso - A Pesooo“, schreit er. Es klingt, als würde er singen. Ein Stift für einen Peso. So sollen einst die Azteken Waren angepriesen haben. Auch wenn die Sprache heute eine andere ist, die Melodie blieb erhalten. „A Peso, Pesooooooooo.“ „Da vorne an der Ecke ist es“, sagt Einstein und meint das libanesische Restaurant, in dem ich Petra und Enrique treffen soll. Ich steige aus.

„Permiso“, schreit ein Mann hinter mir. Er schiebt einen übervollen Diablito vor sich her. Diese zweirädrigen Schub-Karren heißen Teufelchen und transportieren alles von Gemüse bis zu Klopapierrollen. Ich weiche aus und stoße mit einer Mutter zusammen, die Schulmaterial für mindestens drei Kinder nach Hause schleppt. „Perdón, Señora...“ Nur nicht zögern. Eintauchen und zielsicher weitermarschieren. Schließlich rette ich mich in den stillen Patio unter dem Restaurant. Einen Stock höher hört man Geschirrscheppern, Männerstimmen und geschäftiges Laufen auf Holzboden. El Andaluz ist der Treffpunkt libanesischer Geschäftsleute. Diese Herren halten längst nicht nur den Textilhandel dieser Stadt fest in Händen, einer unter ihnen ist heute ein großer Spieler in der Finanzwelt. Seine Geschichte liest sich wie eine Telenovela: Erfolg, Geld und Macht, mit einem Spritzer Liebe und Tragik. Sein Name ist Carlos Slim Helú, einer der reichsten Männer auf dem Erdball. Es gibt kaum einen Bereich, in dem seine Finanzgruppe nicht tätig war: Immobilien, Minen, Hotels, Bauwirtschaft, Versicherungen, Flugwesen. 1990 gelang ihm der Supercoup. Damals kaufte Slim die staatliche Telefongesellschaft Telmex. Inzwischen gehören weltweit mehrere Mobiltelefonprovider zu seinem Imperium. In der Liste der Reichsten der Welt besetzt dieser Geschäftsmann immer einen der drei ersten Plätze.

„Sie werden schon erwartet“, hüstelt der gestrenge Oberkellner. Ich bin zu spät dran, es ist 3 Uhr und selbst in Mexiko höchste Zeit zum Mittagessen. Ein Kellner geleitet mich durch die Tische. Herren mit gelockertem Krawattenknoten, jonglieren mit Mobiltelefonen und Funkgeräten, während sie Geschäftliches besprechen. Tequilas, Zigarren, libanesische Vorspeisen. Dazwischen Petra und ihr mexikanischer Mann. Ein Ehepaar ohne Trauschein, denn in Mexiko ist man offiziell immer verheiratet. Die beiden sind so unterschiedlich, wie ein Paar nur sein kann. Sie groß und blond. Er klein und dunkel. Enrique ist ein wahrer Caballero der alten Schule und obendrein der gebildetste Mann, dem ich je über den Weg gelaufen bin. Während ihn sein Chauffeur durch die Megacity fährt, liest er. In mehreren Sprachen, unter anderem auf Deutsch, aus reinem Interesse, selbst Werke wie den Hexenhammer. Enrique ist Anwalt und Zeit seines Lebens bei der PRI, der Partei der Institutionellen Revolution, die seit mehr als 70 Jahren dieses Land regiert. Das macht den Licenciado zum Funktionär, der immer wieder politische Ämter innehat. Er sah viele Präsidenten kommen und gehen, mit einigen hat er persönlich zusammengearbeitet.

Licenciado ist ein akademischer Titel, der in diesem Land häufig strapaziert wird, auch getragen von Herr-schaften, die nie eine Universität von innen gesehen haben. Was Enrique betrifft, ist der Lic. jedoch echt.

Petra bestellt Margaritas, eine Zeremonie und sie ist darin Meisterin. Was den Tequila betrifft: 100% Agave, keine Frage. Streng sieht sie den Kellner an und lässt sich die vorrätigen Tequilas aufzählen. Ohne mit der Wimper zu zucken, trifft sie ihre Wahl. Natürlich auf Eis, keinesfalls Frappé. Und: wenig Zucker. Am Ende lächelt sie süß: Gracias. Der Kellner läuft los. Halb vier. Ich esse inzwischen den zweiten Brotkorb leer, da wo ich her-komme, denkt man um diese Uhrzeit schon an Jause und Kaffee.

Enrique gibt mir eine Einschulung zum Thema mexikanische Politik. Wer ist links, rechts, oder in der politischen Mitte? Er lacht: „Vergiss deinen Drang alles in ideologische Schubladen zu räumen. Ideologien sind meist nur Vorwand oder schlicht Luxus.“ Ich verstehe gar nichts und nippe an meinem Margarita. „In der PRI zum Beispiel findest du Linke wie Rechte, Liberale wie Konservative und alle in derselben Partei. Es geht nicht um politische Anschauungen, sondern um Macht und Geld. Der politische Wind bläst aus der Richtung des Präsidenten, aus seinem Lager kommen die, die Entscheidungen treffen!“ Und die Opposition? „Die Pan, die bürgerliche Partei, gehört einer Handvoll reicher Familien aus dem Norden. Klar, diese Herrschaften sind weder links noch Atheisten, sondern rechtskonservativ und katholisch.“ Und die andere Seite, die PRD, die Partei der demokratischen Revolution? „In den 80er-Jahren gelang es der Linken, einen eigenen Präsidentschafts-kandidaten aufzustellen: Cuauhtémoc Cárdenas. Er hat bei den Wahlen von 1988 sehr wahrscheinlich die PRI besiegt. Das konnte die Regierungspartei natürlich nicht zulassen, also hat man auf ein bewährtes Mittel zurückgegriffen: den Wahlbetrug. So ist der PRD-Kandidat Cardenas nie Präsident geworden und alles lief weiterhin wie gehabt“.

An diesem Punkt bin ich schon leicht betrunken. Es ist 4 Uhr nachmittags und ich habe bisher zwei Margaritas und ein paar trockene Fladen im Magen. Endlich kommen die Vorspeisen. Enrique erklärt und ich frage zwischen Jocoque und Melanzani-Aufstrich nach. Doch meine Verwirrung nimmt zu statt ab. Solange man nichts weiß, ist die Welt einfach und klar. Das Dilemma für den Fernsehjournalisten beginnt genau an diesem Punkt: Wie erklärt man einen komplexen Sachverhalt in 28 Sekunden Nachrichtentext? „No te preocupes“, unterbricht Enrique „politische Details will in Europa sowieso keiner hören. Es geht doch um bildfüllende Katastrophen, Erdbeben, Vulkanausbrüche und die Drogenmafia, natürlich nur, wenn ausreichend Opfer zu beklagen sind.“ Ich will entgegnen, dass diese Art von Berichterstattung nicht die meine ist und, dass ich mir den Luxus gestatte zu ignorieren, was ausschließlich Ratings einbringt. Aber ich schweige. Denn nach inzwischen drei Margaritas fehlt mir die Kraft für Diskussionen, vor allem, wenn sie auf Spanisch abgehalten werden müssen. Also beobachte ich still meine beiden Gegenüber.

Enriques Anrede für Petra wechselt zwischen Mi Amor und Mi Vida. Er hält ihre Hand. Die beiden leben nicht zusammen. Jeder hat seine eigene Wohnung. Sie sind ein Paar, wie ich kein anderes kenne. Er schickt noch nach acht Jahren Rosen, besser gesagt, er über-schwemmt ihre Wohnung mit einem Blumenmeer, dass keine Vase trocken bleibt. Zur Routine gehören auch Aufmerksamkeiten, wie der tägliche Weckruf, oder Enriques Chauffeur, der der Señora lästige Wege abnimmt. Abgesehen von diesen netten Details gibt es da eine Geschichte aus dem Beziehungsleben, die nach einem modernen Märchen klingt. Ein elegantes Restaurant, ein gemeinsames Abendessen und plötzlich taucht – mit dem Dessert – ein Autoschlüssel auf. „Was ist das?“, fragt sie. „Schau doch einfach vor das Restaurant“, antwortet er. Das tut sie und findet einen roten Jeep, zu dem dieser Schlüssel passt.

Warum habe ich nie einen Mann wie Enrique gefunden? Ich will auch auf Händen getragen werden. Dämliche Redewendung, wer kann mich schon auf Händen tragen? Wir reden schließlich von 68 Kilos verteilt auf ein Meter und 70 Zentimeter? Nein: Ich will geliebt werden. Ich will einen Mann, der mich genauso ansieht wie Enrique Petra. Einen Mann, der nicht wegläuft, wenn es ernst wird. Wenn bei den beiden eine läuft, ist es Petra, sie hat bis jetzt jeden Heiratsantrag abgelehnt. Es waren tatsächlich mehrere und es bleibt bei ihrem Nein. Wahrscheinlich ist das der Punkt: Will sie nicht, will er. Gibt es eigentlich glückliche Liebes-geschichten mit Happy End, oder sind solche Storys fürs Kino reserviert?

Seit meiner Trennung von Harald, nach 17 gemeinsamen Jahren und etlichen zwischenzeitlichen Trennungen, bin ich nur noch Geliebte. Einfach zu handhaben. Eine Frau, mit der man ausgeht, Spaß und Sex hat, vielleicht eine Affäre. Letzteres heißt so viel wie: das gleiche Programm über längeren Zeitraum, aber ohne Kompromisse. Denn ich bin eine Frau, die – ganz nach Bedarf - wieder abtritt. So unkompliziert, dass man meinen könnte, ich hätte ein Herz aus Teflon. Das nennt man wohl eine moderne Frau. Ich kenne viele, aber nicht eine einzige, die diese Rolle genießt. Diese moderne Frau in ihren Dreißigern ist ein anspruchsloses Kunstwesen, das ganz nebenbei äußerst attraktiv und natürlich finanziell unabhängig sein sollte. Schluss damit, ich habe genug davon, Klappe und Neuanfang.

Inzwischen ist mein Hunger ertränkt. Tequila hat auf 2300 Meter Höhe eine fatale Wirkung. Trotzdem oder vielleicht auch deshalb: So klar habe ich nie gesehen. Ich weiß, was ich wirklich will: Heiraten und Kinderkriegen. Ich kann dazu stehen, auch wenn das nicht zum Selbst-bild der erfolgreichen Journalistin passt. Deine Chancen, meine Gute, stehen schlecht, sage ich zu mir. Glaubt man der Statistik, ist es wahrscheinlicher, dass Frauen über 30 in einem Verkehrsunfall sterben, als in diesem fortge-schrittenen Alter noch unter die Haube zu kommen.

An die Arbeit

Es ist 4 Uhr morgens. Ein verschlafenes Kamerateam sitzt dösend im Jeep. Einstein, der Fahrer, ist der einzige, der die Augen offen hat. Das hoffe ich zumindest. Vorbereitungen, Recherche, Begehungen liegen hinter uns. Heute ist der erste Drehtag für unser erstes Filmprojekt. Titel: Unter dem Vulkan. Hauptdarsteller: Der Popocatepetl. Er raucht und spuckt vor sich hin, nur 70 Kilometer von der mexikanischen Megacity entfernt.

Dieser Vulkan gilt als einer der gefährlichsten der Welt – wenn er ausbricht, sind 200 000 Menschen auf der Flucht. Vor fünf Jahren ist der Popocatepetl, nach einem 50-jährigen Schlaf, erwacht. Am 21. Dezember 1994 gab es eine Explosion, Gas und Asche schossen aus dem Krater. Die Dörfer an seinem Fuße wurden evakuiert. Wer wollte, ging, wer nicht, der blieb. Die eine Autostunde entfernte Hauptstadt bedeckte ein grauer Schleier. Damals ist nichts weiter passiert, doch seither weht in den 23 Dörfern an den Abhängen des Vulkans die gelbe Fahne. Allen ist klar, dass er jederzeit wieder ausbrechen kann. Trotzdem leben noch genauso viele Menschen wie zuvor auf seinen Abhängen. Die meisten sind Bauern, die mit Maisanbau ihre Familien über die Runden bringen.

Am Drehplan für heute: ein Ritual am rauchenden Berg. Bewohner aus dem Dorf Xalinzintla wollen den Vulkan mit Geschenken gütig stimmen und ihn um Regen bitten. Seit präkolumbianischen Zeiten pilgern die Menschen aus der Gegend dafür zu einer Höhle auf 4000 Meter Höhe.

Noch immer steht der Mond als Sichel am morgenblauen, sternenlosen Himmel, darunter ein klassischer Kegel mit einer dünnen Rauchfahne. Ein gutes Bild. Einstein fährt folgsam an den Straßenrand und der Kameramann murrt „wo willst du diese Einstellung verwenden?“ Oskar ist Deutscher. „Weiß ich noch nicht, aber mir fällt bestimmt etwas ein“, entgegne ich zuckersüß. Warum muss ich mich mit Lichtbildbeamten herumschlagen? Der gute Mann sollte entspannt sein, denn ich gehöre zu einer aussterbenden Spezies: Reporter mit Drehplan, eine Art Absichtserklärung, die bei Fernsehjournalisten längst obsolet geworden ist. Spontane Einfälle wie dieser sind bei mir selten.

„Raus jetzt“, sagt Petra streng und so erwacht auch der Tonmeister. Luis. Ganz ehrlich, ein süßer Junge. Er sieht genauso aus, wie frau sich den idealen Latinlover vorstellt. Verschlafen lächelt er mich an. Kommt ja über-haupt nicht in Frage, ermahne ich mich streng. Das wäre eindeutig die schlechteste Idee, seitdem ich hier gelandet bin. Dieser Kerl ist jünger als ich und obendrein hat er Frau und Kind. Ich habe zwar Talent für hoffnungs-lose Beziehungen, aber keine Zeit für Dummheiten. Der innere Dialog schließt mit: Konzentriere dich lieber auf deine Arbeit. Also ziehe ich den Zippverschluss meiner Jacke zu und klettere frierend aus dem Jeep.

Eine Stunde später und ein paar hundert Meter höher halten wir wieder. Föhrenwald, außer Bäume nichts zu sehen. An dieser Wegkreuzung treffen wir Julio Glockner, Anthropologe gleichzeitig der Mann, der diesen Dreh erst möglich gemacht hat. Durch und durch Mexikaner, sieht aber wie ein authentischer Alpenbewohner aus. Wie Julio zu dem Namen Glockner kommt, weiß keiner, aber er passt wie angegossen.

Da kommt Julio schon angefahren, in der linken Hand eine Zigarette, mit der rechten manövriert er einen alten VW-Bus. Bevor er mich getroffen hätte, scherzt er, hätte er gefürchtet, ich wäre eine dieser gewöhnlichen TV-Tanten und er müsse nach einer passenden Ausrede suchen, um mir und diesen Dreharbeiten zu entkommen. Doch es kam anders als er dachte: Nach zahllosen gemeinsamen Gläsern Pulque (präkolumbianisches Agavenbier) hatten wir ein gemeinsames Projekt.

Um 8 Uhr erscheint Don Martin, der Wettermacher mit seiner Truppe aus Xalinzintla. Zu spät, denn schließlich haben die Menschen hier keine Uhren und hätten sie welche, gingen sie sowieso anders. In großen Säcken schleppen wenige Männer viele Geschenke für Don Goyo, so nennen sie liebevoll den rauchenden Berg. Auch wir sind während der Dreharbeiten auf den guten Willen des Vulkans angewiesen. Also legten wir dazu und die Dorfbewohner kauften ein: den Truthahn, das noch lebende Opfertier, eine enorme Tonschüssel zum Kochen desselben, Gewürze, Tortillas, Früchte, Räucherwerk und Kerzen. Eben alles, was man für so ein Ritual braucht. Nur die Träger fehlen. Das Dorffest hätte so manchen Herren, ob des unkontrollierten Alkoholkonsums, außer Gefecht gesetzt, erklärt ein alter Mann, der selbst wankend einen 15-Liter-Wasserkanister schleppt. „Also“, schließt Julio „werden wir alle mittragen müssen...“ Wer trägt was? Mein Kameramann stellt sofort klar, dass er zu arbeiten hat und nicht fürs Tragen bezahlt wird. Luis, Assistent und Tontechniker, trägt sowieso schon die gesamte Ausrüstung: Stativ, Kabeln und Mikrofone. Petra fällt aus - sie ist höhenkrank und bleibt mit Einstein beim Auto. Ich trage die Verantwortung, habe aber beide Hände frei. Was soll ich nehmen? Nach kurzem Überlegen steht meine Entscheidung: die Früchte. Julio schaut mich erstaunt an. Ich zucke mit den Achseln. Einer der Männer stellt einen besorgniserregend großen Sack vor meine Füße. Mir wird klar, warum das eine Fehlentscheidung war, die meisten der Früchte sind Melonen. Jetzt kann ich keinen Rückzieher mehr machen. „Ich bin stärker, als ihr glaubt“, sage ich und schultere mein Los.

Der Mann neben mir, der für den 12 Kilo schweren Truthahn zuständig ist, wirkt tatsächlich kräftig, dafür aber noch nicht ganz nüchtern. Unter großer Anstrengung steckt er den zappelnden Truthahn in den Sack und will ihn hochheben. Doch das Tier hüpft in weiser Voraussicht heraus. So steckt er ihn noch einmal hinein und der Truthahn springt wieder heraus. Das geht eine ganze Weile so und die ersten Bilder sind im Kasten.

Keine Chance zu Entrinnen, der Aufstieg beginnt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, ich wäre in den Alpen. Nur, dass in Europa auf dieser Höhe kein Baum mehr wächst. Fast 4000 Meter und keine blasse Ahnung, wie hoch und vor allem wie weit entfernt unser Ziel liegt. Julio keucht, dass er sich an nichts mehr erinnern könne. Das letzte Mal, als er die Truppe aus Xalinzintla begleitet hätte, läge Jahre zurück. Don Martin bleibt stehen und sieht mich zweifelnd an „kannst du das wirklich tragen?“ No te preocupes. „Wie weit ist es noch?“, frage ich beiläufig. Die Höhle sei dort oben, hinter den Bäumen, dann weist er mit einer ausladenden Handbewegung Richtung Himmel. Aha.

Er und die anderen aus dem Dorf tragen traditionelle Huaraches, einfache Ledersandalen. Sie gehen nicht, sie laufen. Ich hingegen bleibe immer wieder stehen, um Luft zu holen und Oskar mit Regieanweisungen zu quälen, der Aufstieg muss schließlich dokumentiert werden. Das runde Gesicht meines Kameramanns ist inzwischen dunkelrot – ich weiß nicht, ob aus Ärger über mich, oder schlicht ob der körperlichen Anstrengung. Wahrscheinlich beides. Luis hirscht bergauf, Stativ und Tasche geschultert, stets an Ort und Stelle, wenn Oskar schnippt, denn der Bildmeister bringt kein Wort mehr heraus. Julio macht eine Pause – und zündet sich eine Zigarette an. „Ich krieg sowieso keine Luft mehr“, lacht er. Ich gehe tapfer weiter und versuche mir nichts anmerken zu lassen. Mir ist klar, dass ich nahezu am Ende meiner Kräfte bin. Vielleicht könnte ich die eine oder andere Melone am Weg verlieren…

Nach drei Stunden stetem Bergaufgehens kommen wir endlich ans Ziel. Ein magisch schöner Platz, umgeben von steilen Felsen und riesigen Fichten, neben dem Eingang zur Höhle braust ein Wasserfall. „Dieses eiskalte Wasser“, sagt eine alte Frau, der man den Anstieg nicht anmerkt, „wäscht alle Sorgen und Probleme weg.“ Kaum hat sie ausgesprochen, steht Luis samt Kleidern unter der Kaskade. Ich habe keine Kraft für solche Abenteuer, auch wenn es vieles gäbe, was weggewaschen werden sollte.

Die Leute aus Xalinzintla machen sich an die Arbeit. Sie entfachen Feuer, der Platz wird mit trockenen Zweigen gefegt und mit Räucherwaren gereinigt. Die Luft füllt sich mit bläulichem Rauch. Kopal, Baumharz, mit dem die Menschen hier schon vor 2000 Jahren geräuchert haben. Der Ritualplatz ist ihre Kirche. Einfache Holzkreuze werden mit Blumen geschmückt und Opfergaben am Altar dargebracht. Wir filmen Szenen hinter Rauchschwaden. Der alte Glaube mischt sich mit katholischer Mission. Die Leute aus Xalinzintla sprechen mit den Göttern ihrer Ahnen, beten aber im gleichen Atemzug zu Vater, Sohn und dem heiligen Geist.

Da packt Don Martin den Truthahn. Die Kamera läuft gerade nicht und ich unterbreche. Bei Ritualen könne man nicht Regie führen, das sei mir klar und es täte mir sehr leid, aber ich bräuchte dieses Bild. „Ich will den Truthahn nicht sterben sehen“, sage ich leise zu Oskar, „aber er soll mit dem Wettermacher im Vulkan verschwinden.“ Mein Kameramann wirkt sichtlich ent-spannt, er muss keine Höhlen ausleuchten und ebenso wenig ein kreischendes Tier beim Verenden filmen. Ich versuche Don Martin zu erklären, warum wir die Szene wiederholen müssen. Er versteht nicht, tut aber wie gebeten, mir zuliebe. Wahrscheinlich hat ihn mein Durchhaltevermögen beim Aufstieg beeindruckt. Klappe die zweite: Diesmal läuft nach 10 Sekunden die Kassette mit einem lauten Krachen aus. „Entschuldigung, nur noch ein aller, allerletztes Mal.“

Julio steht neben mir, grinst und raucht. Wäre ich der Schamane, hätte ich uns schon zur Hölle geschickt. Am Ende der abgefilmten Szene verschwinden Don Martin und ein paar andere Männer in der Felsspalte. Eine kurze Weile später tauchen sie wieder auf, der Truthahn ist tot, wird gerupft und gekocht.

Das Interview mit Don Martin läuft gut. Nach ein paar Jahren und etlichen Reportagen auf diesen Breiten-graden habe sogar ich kapiert, dass Schamanen nicht auf Fragen antworten, sondern das Thema umkreisen. Sie kommen nie auf den Punkt, schließlich ist das für sie nicht von Bedeutung. Für Fernsehjournalisten leider schon, wir leben von kurzen Antworten auf klare Fragen, und das in schneidbaren Portionen. Mit solchen mundgerechten Häppchen fürs Patschenkino kann man bei Männern wie Don Martin nicht rechnen. Aber irgendwann, voraus-gesetzt man nimmt sich die Zeit zuzuhören, erzählen Schamanen wie er etwas Außergewöhnliches, etwas Spannendes. So auch diesmal. Don Martin erinnert sich an den Vulkanausbruch 1994:

Damals habe ich in meinen Träumen zu Don Goyo gesprochen. Verschone das Dorf, habe ich ihn gebeten. Wir sind arm und können nicht auch noch das Wenige verlieren. Am Tag darauf brach ich mit ein paar anderen zu diesem Platz hier auf. Die Luft war voller Asche und unter uns hörten wir ein tiefes Grollen. Auf dem Weg begegneten wir einem alten, bärtigen Mann. Er war in Lumpen gekleidet und hatte keine Schuhe an. „Habt keine Angst“, sagte er „es wird Euch nichts geschehen“, dann ging er seines Weges. Das war er selbst: Don Goyo, der Vulkan in seiner menschlichen Gestalt. Als das Dorf am nächsten Morgen vom Militär evakuiert wurde, habe ich mich geweigert das Haus zu verlassen. Don Goyo hat Wort gehalten: Xalinzintla ist verschont geblieben.

Es ist spät geworden. Einer nach dem anderen geht in die Höhle und übergibt dem Vulkan seine Geschenke. Monotone Gebete und Gesänge begleiten das Ritual. Wieder vermischt sich der alte Glaube mit dem, was die katholischen Pfarrer predigen. Die Religion der Menschen hier ist Synkretismus, Regengott, Jesus und Gottvater friedlich vereint. „Ein Widerspruch?“, frage ich. „Nein“, lächelt Don Martin, alle Götter seien doch ein und derselbe, oder etwa nicht?

Abstieg, neben mir geht dieselbe alte Frau von zuvor „Señora, haben Sie Kinder?“ „Nein“, antworte ich kurz angebunden. Sie lässt sich nicht beirren „wir kommen bald an einer kleinen Höhle vorbei, das ist ein heiliger Platz, so was wie eine Kapelle. Dort ist das Haus der weißen Frau.“ Sie bemerkt mein Unverständnis „die weiße Frau ist die schlafende Vulkanin neben Don Goyo. Hier in den Dörfern nennen wir sie Doña Rosita – Ihr kennt sie unter dem Namen Iztaccihuatl. Sie ist zuständig für Liebesangelegenheiten. Beten Sie zu ihr!“ Ich schaue die Alte verunsichert an und frage mich, ob man mir tatsächlich so sehr ansieht, was ich mir insgeheim wünsche? Sie nickt mir zu, als hätte sie meine innere Stimme gehört. „Sie werden sehen, Ihr Wunsch geht in Erfüllung.“

Als wir zu der kleinen Höhle kommen, bleibe ich stehen und warte, bis alle an mir vorbeigegangen sind. Drinnen ist es feucht, kalt und dunkel. Kies knirscht unter meinen Stiefeln, ohne Lampe komme ich nicht weiter. „Doña Rosita, ich weiß nicht wie man zur dir betet. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich überhaupt nicht, wie man betet, aber ich versuche es trotzdem. Auf den Punkt gebracht: Ich will einen Mann finden, heiraten und Kinder haben. Das will ich tatsächlich, auch wenn mir dieser Wunsch ehrlich gesagt Angst macht. Bitte, Doña Rosita, hilf!