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Über dieses Buch

»Ich habe Ihnen bevorzugt Texte vorgestellt, die noch nie oder seit 1848 nicht mehr ins Deutsche übertragen wurden, in bewusster Abgrenzung zu den Ausgaben schwedischer Volksmärchen in deutscher Sprache, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Alle Märchen wurden für diesen Band neu beziehungsweise erstmals übersetzt. Und ich habe Wert darauf gelegt, dass möglichst viele Regionen Schwedens vertreten sind, damit sich die Reise auch lohnt, wie man so schön sagt« (E.G.).

Über den Herausgeber

Erik Glossmann, geb. 25.04.1961 in Dresden, aufgewachsen in Cottbus, 1983 bis 1988 Studium der Nordeuropawissenschaften in Greifswald. Arbeitet seither als Verlagsvertreter, Kritiker, Essayist, Herausgeber und Übersetzer. Mitglied im Kulturhistorischen Verein Friedrichshagen e.V., dort vor allem für die Skandinavier in der Berliner/Friedrichshagener Bohème um 1900 (Ola Hansson, August Strindberg u. a.) zuständig. Herausgeber zweier Prosasammlungen des schwedischen Literaturnobelpreisträgers Pär Lagerkvist in deutscher Sprache (»Schlimme Geschichten« und »In dieser Zeit«), des Bandes »Klassisch gut: Strindberg Zitate« sowie einer dreibändigen Werkauswahl Ola Hanssons (»Sensitiva amorosa«, »Nietzsche« und »Parias«).

Übersetzte Kriminalromane von Gunnar Staalesen, Henning Mankell und Olov Svedelid. Die jahrelange Freundschaft mit Olov Svedelid mündete in ein gemeinsames Buchprojekt: »En Münchhausen för alla tider« (2002, Ein Münchhausen für alle Zeiten) schildert die späteren Abenteuer des »Lügenbarons«, u. a. im Wilhelminischen Deutschland, in Russland, Venedig, Australien, Afrika und im Ersten Weltkrieg.

Schwedische Märchen

Übersetzt und herausgegeben
von Erik Gloßmann

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Gekürzte Erfolgsausgabe des Titels »Märchen aus Schweden« von Erik Gloßmann, 2007.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

E-Book-Ausgabe

2016 Krummwisch bei Kiel

© 2016 by Königsfurt-Urania Verlag GmbH

D-24796 Krummwisch

www.koenigsfurt-urania.com

Umschlaggestaltung: Jessica Quistorff, Seedorf, unter Verwendung der folgenden Motive von Fotolia: „Rotes Holzhaus in Schweden“ © Almgren und „close-up berry cranberries and moss“ © Mikhail Olykainen

Satz: Noch & Noch, Menden

ISBN 978-3-86826-334-3

Für meinen Enkel
Nils

Inhalt

Einladung zu einer Märchenreise durch Schweden

Die drei hässlichen alten Weiber

Holzkäppchen

Der rothaarige Verlobte

Dummerjöns

Die Alte an der Quelle

Lockebock

Die Flaschen des Riesen

Die verschwundene Braut

Der singende Baum

Die entführte Prinzessin

Der schöne Vogel

Der goldene Baum, der singende Fluß und der sprechende Vogel

Die Wünsche

Der Begleiter

Die goldene Gans

Goldäpfel mit Silberblättern

Der Junge, der mit dem Riesen um die Wette aß

Die Riesenhütte, deren Dach aus lauter Würsten bestand

Der diebische Schustergeselle

Der Braten für den Pastor

Die stehlenden Brüder

Der Lindwurm und der Bauer

Vom kleinen Knös

Ehrlich währt am längsten und mehrt sich, Unrecht schmilzt wie Schnee bei Tauwetter

Die Rübe

Der Löwe

Der wunderbare Hecht

Der Junge, der die Hasen des Bergkönigs hütete

Das Schloss, das auf goldenen Pfählen stand

Hast du in mein Kästchen geschaut?

Der Junge, der das Riesenkind in den Brunnen fallen ließ

Die Lappschlittenfahrt

Die Braut des Riesen

Der listige Lappe

Quellen und Anmerkungen

Einladung zu einer Märchenreise durch Schweden

Darf ich Sie zu einer Märchenreise durch Schweden einladen? Ich schlage vor, dass wir in der alten Handels- und Garnisonsstadt Ystad an Land gehen. In der Bucht, in der sich der Hafen befindet, sind in den vergangenen Jahrhunderten Wikinger, Missionare, Hanse-Kaufleute, Soldaten, Scholaren, Flüchtlinge und letztlich auch Touristen gelandet, die neben Waffen, Waren, Handwerk und Wissenschaft oft auch Bücher und Geschichten ins Land brachten. Insofern steht Schweden ganz in der skandinavischen Märchentradition, die altnordische, orientalische, antik-griechische und -römische sowie christliche Mythen und Legenden übernahm, mit Lokalkolorit versah und mit örtlichem Erzählgut verschmolz – oder in späteren Zeiten Märchen aus anderen europäischen Ländern und Regionen ganz einfach adaptierte. Wie alt einzelne Stoffe sind, lässt sich nur schwer bestimmen. Wichtiger für die konkrete Ausformung ist eher der Zeitpunkt, an dem sie aufgezeichnet wurden.

An dieser Stelle möchte ich Sie mit unserer ersten Reisebegleiterin bekannt machen. Eva Wigström, die bedeutende Sammlerin schonischer Märchen, wurde am Weihnachtsabend des Jahres 1832 als Eva Nilsson auf einem Bauernhof bei Landskrona geboren. Zum »Haushalt« gehörten dort über vierzig Personen, und die junge Eva war früh mit deren Tätigkeiten und Denkweisen vertraut. Angeregt durch die Volkshochschulbewegung begann sie, Sagen, Volkslieder und Märchen aufzuzeichnen, zuerst nur bei Bekannten in der Umgebung von Helsingborg, später auch auf ausgedehnten Reisen, die von der historischen und archäologischen Vereinigung Schonens unterstützt wurden. Parallel dazu startete sie einen Aufruf in allen schonischen Zeitungen, man möge ihr mit Hinweisen und Texten beistehen. Erste Buchausgaben erschienen 1880 (»Skånska visor, sagor och sägner«) in Lund und 1881, unterstützt von Frederik Lange Grundtvig, in Kopenhagen. Der zweite Teil ihrer Volksdichtung fand dann in dem Göteborger Torsten Hedlund wieder einen schwedischen Verleger, der allerdings wie seine Vorgänger feststellen musste, dass sich kaum jemand dafür interessierte. Eva Wigström aber gab nicht auf. Mit einem neuen Manuskript reiste sie nach Stockholm, klapperte die Verlage ab und landete schließlich bei Albert Bonnier, der ihr zwar 400 Kronen zahlte, die Sammlung aber nicht druckte. Auf Drängen Eva Wigströms handelte der Dozent J. A. Lundell aus Uppsala Bonnier das Manuskript für 150 Kronen ab und versprach, die umfangreiche Märchensammlung zu publizieren. Dieses Versprechen löste er nur zum Teil ein. Eva Wigström starb am 6. Januar 1901. Erst anlässlich einer Neuausgabe von Eva Wigströms »Folkdiktning«, die 1952 von Aina Stenklo vorgenommen wurde, erschienen alle im Originalmanuskript enthaltenen Texte.

Eva Wigström begrüßt uns in Ystad mit »Die drei alten Weiber«, einem Schwank, der vermutlich aus Norddeutschland herübergekommen und in ganz Skandinavien verbreitet war. Ihre Version wirkt besonders frisch und deftig.

Wir verlassen nun die Ostseeküste und reisen ins Zentrum der Provinz Schonen, in den Altkreis Onsjö. Dort treffen wir »Holzkäppchen«, eine schwedische Variante des weltbekannten Märchens von »Aschenputtel« beziehungsweise »Cinderella«, gruseln uns bei der Räuberpistole vom »rothaarigen Verlobten« und erleben, wie »Dummerjöns«, natürlich der jüngste von drei Brüdern, die schöne Prinzessin erobert.

Weiter geht die Reise in das Fischerdorf Borstahusen bei Landskrona. »Die Alte an der Quelle« schenkt einem Hecht das Leben und hat die berühmten drei Wünsche frei, weiß die Chance aber nicht zu nutzen, sondern landet im Schlamassel. Das Grundmotiv ist seit Euripides bekannt und hat, in verschiedenen Gestaltungen, tatsächlich weltweite Verbreitung gefunden.

Wir bleiben in der engeren Heimat Eva Wigströms, folgen der Küste und sind nach knapp zwanzig Kilometern in Helsingborg. Hier hören wir von »Lockebock«, der den bösen Riesen überlistet und um seine Kleinodien bringt. Die Riesen in den schwedischen Märchen sind in der Regel stark, bösartig und dumm. Das Märchen »Die Flaschen des Riesen« stellt uns einen Vertreter dieser Spezies vor, der, Flaschen gegen Kühe tauschend, die Menschen belohnt und bestraft, ganz wie sie es verdienen. Vielleicht ist dieser Riese auch deshalb so anders, weil er, wie die Forschung herausfand, ursprünglich mal ein Zwerg war und aus Irland stammte?

Etwa zehn Kilometer nördlich, an der Küste von Skäldersviken, liegt die kleine Gemeinde Brunnby. Dort notierte Eva Wigström das Märchen »Die verschwundene Braut«, dem originär nordische Motive zugrunde liegen. Die schonische Variante von der im Berg eingeschlossenen Prinzessin ist besonders phantasievoll ausgeschmückt.

Dasselbe gilt für »Der singende Baum«, so dass man hier dieselbe Quelle vermuten könnte. Dieses Zaubermärchen ist sogar ganz einzigartig.

Westlich von Brunnby, am Übergang vom Öresund zum Kattegatt, liegt die Kleinstadt Höganäs. Eva Wigström hat hier die Geschichte »Die entführte Prinzessin« aufgeschrieben, die ebenfalls schwedischen Ursprungs ist, in einer frühen Form bereits 1701 notiert wurde und in mehreren Varianten als wohlfeiler Jahrmarktsdruck kursierte. Aus dem Kreis Luggude kommt auch »Der schöne Vogel«, doch eigentlich stammt er wohl aus Deutschland, wo der Wacholder bei dem Brüdern Grimm noch »Machandelboom« hieß. Auch dieses Märchen wurde anonym ins Schwedische übersetzt, in Heftform auf Jahrmärkten verkauft, gelesen und beim Weitererzählen verändert und ausgeschmückt.

Östlich von Höganäs liegt die Kleinstadt Ängelholm. Hier fand Eva Wigström in »Der goldene Baum, der singende Fluss und der sprechende Vogel« ein Märchen, dessen Ursprünge wohl im Mittelmeerraum oder im Vorderen Orient zu suchen sind. Der Franzose Galland, der mit seiner Übersetzung der Geschichten aus den 1001 Nächten großen Erfolg hatte, soll diesen Stoff zu der berühmten arabischen Sammlung hinzugefügt haben. Details weisen darauf hin, dass der Erzähler in Ängelholm wiederum durch einen jener billigen »Schillingdrucke« (skillingtryck) inspiriert wurde. Ebenfalls aus Ängelholm kommen »Die Wünsche«, eine weitere Variante der bekannten Vorlage – und der Lumpenjunge macht seine Sache wahrlich besser als die »Alte an der Quelle«.

In Torup im Kreis Västra Göinge erwischte Eva Wigström ein Märchen, dass auf einer uralten Legende beruht und ansonsten nie in Schweden aufgezeichnet werden konnte: »Der Begleiter«. Nachdem wir über Schwänke lachen und uns über wundersame Rettungen freuen durften, bringt uns dieser religiös-philosophische Text zum Nachdenken.

Ein wenig grübeln dürfen wir auch beim folgenden Märchen, das wir gut kennen: »Die goldene Gans«. Eva Wigström hat es in Osby aufgeschrieben. Der Held heißt ausgerechnet Aschenpott …

Bevor uns das auf eine falsche Fährte führt, verabschieden wir uns von Eva Wigström. Ihre Märchen wirken frisch und trotz vieler tradierter Stoffe originell. Frau Wigström stammte aus ihrem »Sammelgebiet« und kannte die vorwiegend ländlichen Milieus; sie hatte sicher einen besonders guten Draht zu den Märchenerzählern. Davon zeugen die vielen zum Teil pikanten Details und Ausschmückungen; so etwas vertraute man wohl nicht jedem Fremden an. Wir dürfen nicht vergessen, dass Schweden damals ein armes, bäuerliches und rückständiges Land war. Zehntausende wanderten nach Amerika aus, Kirchen und Sittlichkeitsvereine reglementierten das Geistesleben und trieben Schriftsteller wie August Strindberg oder Wigströms schonischen Landsmann Ola Hansson außer Landes – beide Autoren waren übrigens sehr an den Märchen und Sagen ihrer Heimat interessiert.

Wir bleiben noch im Norden Schonens und wechseln nur den Reiseleiter. Unser neuer ortskundiger Begleiter heißt David Julius Billengren. Er wurde am 20. Juli 1802 in Äsphult geboren und wirkte ab 1841 als Provinzialarzt in Ljungby im nördlich an Schonen grenzenden Regierungsbezirk Kronoberg. In Ljungby befindet sich übrigens heute das schwedische Märchenmuseum. Wenn ich Billengren jetzt einen »Zuträger« nenne, ist das nicht abwertend gemeint. Er gehörte zu denen, die das große Projekt von Gunnar Olof Hyltén-Cavallius und George Stephens unterstützten, schwedische Märchen zu sammeln. Sein Beitrag »Goldäpfel mit Silberblättern« wäre wohl ohne Nennung seines Namens in die große Sammlung eingegangen, wäre deren Veröffentlichung nicht wegen kommerziellen Misserfolgs nach dem ersten Band eingestellt worden. So blieb der Name Billengren auf dem Manuskript im Nachlass bewahrt.

Wechseln wir nun endgültig in die an Schonen nördlich angrenzende Provinz Småland. Wir haben nun die Ehre, von den berühmtesten Märchensammlern Schwedens geführt zu werden, von Gunnar Olof Hyltén-Cavallius und George Stephens höchstpersönlich! Die Bedeutung dieser beiden Enthusiasten für die Bewahrung schwedischer Volksmärchen ist etwa jener der Brüder Grimm in Deutschland vergleichbar. Gunnar Olof Hyltén-Cavallius wurde am 18. Mai 1818 in Vislanda in Småland geboren. Sein Vater, der Probst Carl Fredrik Cavallius, war ein begabter Märchenerzähler, begeisterte seinen Sohn für die Volkspoesie und wies ihn darauf hin, dass die mündliche Erzähltradition im Aussterben begriffen war. So widmete sich Hyltén-Cavallius, der 1839 bis 1859 Amanuensis der Königlichen Bibliothek in Stockholm war, zusammen mit seinem Freund George Stephens (1813–1895), einem aus Liverpool stammenden Archäologen und Sprachwissenschaftler, der Bewahrung und Erforschung schwedischer Volksmärchen. Von 1844 bis 1849 erschien die berühmte Sammlung »Svenska sagor och äfventyr« (Schwedische Sagen und Abenteuer), die 1848 in Wien auch eine deutsche Ausgabe erlebte (ein Reprint erschien 1978 im Zentralantiquariat der DDR).

Im Süden Smålands entdeckten Hyltén-Cavallius und Stephens unter anderem den »Jungen, der mit dem Riesen um die Wette aß«, ein weiteres Beispiel für die Konstellation kluger Junge – dummer Riese sowie »Die Riesenhütte, deren Dach aus lauter Würsten bestand«. In der deutschen Fassung dieser Horrorgeschichte sind die Hauptrollen mit Hänsel und Gretel besetzt; in Schweden wurde das Knusperhäuschen durch eine Riesenhütte mit einem Belag aus Würsten ersetzt; man mag gar nicht daran denken, woraus diese gemacht wurden …

Wir wechseln nun vorübergehend den Reisebegleiter und begeben uns in die Obhut von Sven Sederström aus Aringsås bei Alvesta. Sederström (1810–1846) war ein religiöser Fanatiker, später Maler und einer der fleißigsten »Zuträger« von Hyltén-Cavallius und Stephens, denn er war arm und krank und verdiente so ein wenig hinzu. Er begrüßt uns mit der spannenden Kriminalgeschichte »Der diebische Schustergeselle«, einem sehr modern anmutenden Anti-Märchen, denn hier basiert der Erfolg des Helden nicht zuletzt auf dem Aberglauben seiner Mitmenschen.

Sven Sederströms Märchen gründen ebenfalls in der mündlichen Überlieferung, doch sie zeigen eine literarische Ausformung, die sicher den erzählerischen Ambitionen des Sammlers geschuldet ist. Vielleicht ist es sogar ein Glücksfall, dass seine Märchen nicht in die Ausgabe von 1844–1849 Eingang fanden und in der Form des Manuskripts bewahrt wurden. »Der Braten für den Pastor« verbindet verschiedene europaweit bekannte Motive mit der typisch nordischen Troll-Szenerie. »Die stehlenden Brüder« agieren ganz in der historischen Gegenwart; in dieser Schelmengeschichte ist die Kritik am Aberglauben besonders witzig und deutlich formuliert. Eine zeitlose Parabel über Gut und Böse wird in »Der Lindwurm und der Bauer« erzählt, und mit dem »kleinen Knös« lernen wir einen Ahnen von Superman und anderen Helden des Medienzeitalters kennen.

Nun übernimmt ein weiterer »Zuträger« die Führung und geleitet uns in den Südwesten Smålands. Dort werden wir mit einem Katzenmärchen begrüßt; es heißt: »Ehrlich währt am längsten und mehrt sich, Unrecht schmilzt wie Schnee bei Tauwetter«. Die bereits im Titel formulierte Moral deutet darauf hin, dass eine an sittlicher Verbesserung der Menschen interessierte Person die Schreibhand im Spiel hatte. Kein Wunder, der »Zuträger« ist niemand anderes als der Vater von Gunnar Olof, Probst Carl Fredrik Cavallius (1871–1857). Deshalb begegnen wir in »Die Rübe« sogar Sankt Petrus und Unserem Herrn und erfahren in »Der Löwe«, dass alles gut wird, wenn man Hexen auf öffentlichen Plätzen bei lebendigem Leibe verbrennt.

Wir wandern nun ein Stück nach Norden und landen in Östergötland. »Der wunderbare Hecht« verspricht dem Fischer eine Belohnung für seine Freilassung, und zum Schluss herrschen die Söhne des braven Mannes über zwei Königreiche.

Von Östergötland geht es in Richtung Norden ins Landesinnere nach Dalarna – Sie wissen schon, wo die Holzpferde herkommen … Dort erleben wir, wie ein Hütejunge durch gezielt verbreitete Indiskretionen reich wird; das Märchen heißt »Der Junge, der die Hasen des Bergkönigs hütete«.

Von Dalarna geht es ins angrenzende Västmanland in »Das Schloss, das auf goldenen Pfählen stand«. Wenn Sie noch nicht wussten, was ein »running gag« ist – hier erleben sie einen, im wahrsten Sinne des Wortes! Und sie lernen einen schwedischen ungestiefelten Kater kennen, der seinem beschuhten deutschen Verwandten in nichts nachsteht.

Von Västmanland begeben wir uns ein Stück nach Osten, in die Gegend zwischen Vaxholm und Norrtälje. Dabei passieren wir die Hauptstadt Stockholm, in der Gunnar Olof Hyltén-Cavallius übrigens von 1856 bis 1860 Direktor der Königlichen Theater war, und befinden uns in einem Landstrich, der Roslagen heißt. Hier hat Carl Osswall Dammgren Volksmärchen gesammelt, doch über seine Person ist leider nichts überliefert. In alten Zeiten herrschte in Roslagen offenbar große Not, denn im Märchen muss ein armer Bauer sogar seine Tochter verkaufen. Leider erweist sich diese als überaus neugierig. Die Hexe fragt »Hast du in mein Kästchen geschaut?«, das Mädel lügt, und die Strafe folgt auf dem Fuß.

Noch ein Stück weiter nach Norden führen uns die beiden Nestoren unter den schwedischen Märchensammlern. In Uppland hören wir die schlimme Geschichte vom »Jungen, der das Riesenkind in den Brunnen fallen ließ«. Natürlich sind die schwedischen Märchenriesen böse und doof, aber hier kann einem die Familie der Großgewachsenen beinahe leid tun.

An dieser Stelle verabschieden wir uns von Gunnar Olof Hyltén-Cavallius und George Stephens, denn nun geht es in den kalten Norden. Hyltén-Cavallius dagegen zog es von Stockholm nach der südlichen Halbkugel – von 1860 bis 1864 war er Diplomat in Brasilien. Nach seiner Rückkehr gründete er in Växjö das erste Volkskundemuseum Schwedens, erwarb sich den Ruf, einer der wichtigsten Ethnologen seines Landes zu sein, und starb in Skatelöv in seinem »Märchenland« Småland am 5. Juli 1889.

Alle bisherigen Märchen stammten aus dem dichter besiedelten südlichen Drittel Schwedens, meistens aus dem ländlichen Bereich. Sie wurden auf Gutshöfen in Gesinde- und Spinnstuben erzählt und handeln vorwiegend in bäuerlichen Milieus, mit seltenen Ausflügen in höfische oder bürgerlich-städtische Gefilde. Schweden war, wie gesagt, im 19. Jahrhundert ein armes Land, deshalb hat man oft den Eindruck, dass die Königreiche nicht größer sind als Gutshöfe. Ansonsten kann man gewisse Grundmuster erkennen: Auch der redliche und/oder gewitzte Arme kann sein Glück machen; es trifft meistens den dritten Sohn und die jüngste Prinzessin. Riesen sind dumm, Stiefmütter heimtückisch, Trollfrauen und Hexen bösartig und gefährlich, aber mit Herzensgüte und/oder List durchaus zu besiegen.

Ganz anders verlief das Leben im hohen Norden Schwedens. Hier lebten Jäger, Fischer, Holzfäller und Rentierzüchter, die Tundra und das Bergland waren (und sind) dünn besiedelt. Die ursprünglich nomadische Bevölkerung, zumeist Lappen beziehungsweise Samen, wie die heute korrekte Bezeichnung lautet, führte einen ständigen Kampf mit der Natur und den Geistern. Die Riesen des Nordens hießen Stalo und waren ebenso dumm wie ihre Artgenossen im Süden. Reisen wir also viele hundert Kilometer nach Norden. Unser Begleiter ist Johan Herman Hofberg, geboren am 11. Juni 1823, gestorben am 28. April 1883. Hofberg wirkte als Arzt in Edberg im Regierungsbezirk Örebro, schrieb ein geografisch-historisches Lesebuch für Heim und Schule und widmete sich dem schwedischen Volksleben sowie der Regional- und Altertumsforschung. Sein Buch »Svenska folksägner samlade och försedda med historiska och etnografiska anmärkningar« (Schwedische Volkssagen gesammelt und mit historischen und ethnografischen Anmerkungen versehen) erschien 1882 (und in einer faksimilierten Neuausgabe 1983). Die Übergänge von Märchen und Sagen sind fließend. In den Sammlungen von Wigström und Hyltén-Cavallius finden sich einige Märchen, die aufgrund ihrer Ortsbezogenheit eher den Sagen zuzuordnen wären, während einige der Volkssagen in Hofbergs Buch durchaus als Märchen bezeichnet werden können. »Die Lappschlittenfahrt« notierte Herman Hofberg in Umeå, der größten Stadt der Provinz Västerbotten. Noch weiter im Norden, in Lappland, fand er »Die Braut des Riesen«, die ihrem ungeliebten Gemahl durch eine List des Vaters entkommt. Den Band beschließt eine lustige Geschichte, in welcher »Der listige Lappe« einen tumben menschenfressenden Stalo zum Narren hält.

Leider ist unsere Märchenreise durch Schweden nun zu Ende. Ich habe Ihnen bevorzugt Texte vorgestellt, die noch nie oder seit 1848 nicht mehr ins Deutsche übertragen wurden, in bewusster Abgrenzung zu den Ausgaben schwedischer Volksmärchen in deutscher Sprache, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Alle Märchen wurden für diesen Band neu beziehungsweise erstmals übersetzt. Und ich habe Wert darauf gelegt, dass möglichst viele Regionen Schwedens vertreten sind, damit sich die Reise auch lohnt, wie man so schön sagt.

Ihnen ist kalt? Dann liegt es daran, dass Sie sich noch immer in Lappland befinden. Schließen sie kurz die Augen. Wenn Sie sie wieder aufmachen, sind Sie wieder an dem Ort, an dem Sie dieses Buch aufgeschlagen haben.

Hönow, im Mai 2014

Erik Gloßmann

Die drei hässlichen alten Weiber

Eine junge Magd spazierte einmal allein einen Weg entlang, da vernahm sie Pfeiftöne, die von irgendwoher an ihr Ohr drangen. Ohne darüber nachzudenken, zählte sie mit. »Eins«, sagte sie laut, und nach einer Weile »zwei«, und so ging es immer weiter, bis dreizehn.

Ein vornehmer Herr lief hinter ihr, und als er sie zählen hörte, schloss er zu ihr auf, fasste sie am Arm und fragte: »Was zählst du da, junge Dame?«

Nun kann man nicht immer auf alles eine Antwort parat haben. Das Mädchen aber wollte nicht als dumm dastehen, deshalb antwortete es schnell: »Oh, ich zähle nur die Flachsknäuel, die ich heute versponnen habe.«

Was für ein flinkes und fleißiges junges Ding, dachte der vornehme Herr. Ich hätte wohl Lust, es zu meiner Frau zu machen. Und wie gedacht, so kam es auch: Sie verlobten sich.

Für die junge Magd war es eine gute Sache, denn der Bräutigam war sowohl reich als auch vornehm. Allerdings hatte sie noch nie an einem Spinnrad gesessen. Was, wenn ihr Zukünftiger eine Probe ihres Könnens und ihres Fleißes verlangte? Tag und Nacht grübelte sie, wie sie die Prüfung bestehen könnte. Als sie wieder einmal in den Wald gegangen war, um in Ruhe nachzudenken, brach sie sogar in Tränen aus – wegen der unseligen dreizehn Flachsknäuel natürlich.

Da trat aus einem Felsen ein altes Weib, dessen Hintern so breit war, dass man daraus zwei Stalltüren hätte machen können. »Was fehlt dir, mein schönes Kind?«, erkundigte es sich freundlich.

Weinend bekannte die junge Magd, was geschehen war und dass sie Angst habe, auf die Probe gestellt zu werden. Sie könne doch weder spinnen noch weben oder gar nähen; das habe sie alles nie gelernt.

»Dir kann geholfen werden«, versprach das alte Weib. »Wenn du mich und meine beiden Schwestern zur Hochzeit einlädst, dann musst du dir keine Sorgen machen. Du sollst mich als deine Großmutter und meine Schwestern als deine Tanten begrüßen. Eines kann ich dir aber vorher sagen: Hübscher als ich sind sie nicht.«

Das Mädchen versicherte, sie dürften gern kommen, und wären sie doppelt so breit. Sie würde alle drei gern als ihre Verwandten präsentieren, bekäme sie nur Hilfe, falls man Proben ihres Könnens verlangte. Die Alte meinte, die Breite sei bei ihren Schwestern nicht das Problem, aber das Mädchen werde ja selbst sehen, hielte es sein Versprechen, so wie sie ihres zu halten gedachten.

Der reiche Bauer lud sie rechtzeitig ein, und so erschienen unter den Gästen drei alte Weiber, wie man sie noch nie gesehen hatte. Das eine brauchte drei Stühle zum Sitzen, das zweite hatte Ohren, die bis auf die Schultern herab hingen, und das dritte hatte seine Brüste auf den Rücken geworfen. Jedem, der es hören wollte, erzählte die Braut, bei den drei Alten handele es sich um ihre Großmutter und ihre beiden Tanten. Als der Bräutigam vernahm, dass nahe Verwandte seiner Frau eingetroffen seien, musste er natürlich mit ihnen reden. Da er nicht besonders feinfühlig war, erkundigte er sich rundheraus nach ihrem Aussehen:

»Warum seid Ihr so breit?«, fragte er die vermeintliche Großmutter.

»Ach, lieber Herr, ich habe so viel am Spinnrad gesessen, dass mein Hintern sich so entwickelt hat«, antwortete die Alte.

»Dann soll meine Frau niemals spinnen«, sagte der Mann erschrocken. Dann ging er zur ersten der beiden Tanten. »Warum sind Eure Ohren so lang?«, wollte er wissen.

»Weil ich so viel genäht habe in meinem langen Leben. In meinem Fleiß habe ich die Nadel samt Faden so oft durch meine Ohrläppchen gestochen, dass sie immer länger wurden. So etwas kann schnell passieren.«

»Davor soll meine Frau verschont bleiben!«, rief der Mann. »Niemals lasse ich sie nähen!« Schließlich ging er zu dem dritten alten Weib und fragte, warum es so riesige Hängebrüste habe.

»Das ist leicht zu erklären«, meinte die angebliche Tante. »Ich habe die meiste Zeit am Webstuhl gesessen. Als ich verheiratet war, bekam ich viele Kinder. Um meine Arbeit nicht zu versäumen, warf ich die Brüste immer über die Schultern und stillte die Kleinen auf meinem Rücken. Ja, mein Herr, wenn man fleißig weben will, muss sich alles andere unterordnen.«

»Um Gottes Willen! Meine Frau soll niemals an einem Webstuhl sitzen müssen«, rief der erschrockene Bräutigam. So war die junge Braut von ihrer großen Sorge befreit, und im großen Ganzen war es nur eine dumme kleine Bemerkung gewesen, der sie alles zu verdanken hatte.

(Ystad, Schonen)

Holzkäppchen

In jener Zeit, als alle Tiere sprechen konnten, geschah es, dass zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, ihre Eltern verloren und nichts anderes erbten als eine Kuh und einen Hund. Der Junge, der älter war, wählte zuerst und nahm die Kuh; also erhielt das Mädchen den Hund.

»Du wirst es nicht bereuen, dass du mich bekommen hast«, sprach der Hund. »Wenn du meinen Rat befolgst, wird es dir nicht schlecht ergehen.« Der Junge zog mit seiner Kuh davon, um sie zu verkaufen, während sich das Mädchen und der Hund auf den Weg machten, das Glück zu suchen.