Dr. Daniel 79 – In Liebe gefangen - in Sünde verstrickt

Dr. Daniel –79–

In Liebe gefangen - in Sünde verstrickt

Roman von Marie-Francoise

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER DIGITAL GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert, Oliver Melchert, Mario Melchert

Originalausgabe: © KELTER DIGITAL GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.kelterdigital.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-130-0

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»Inga! Nun komm schon! Beeil dich ein bißchen!« ermahnte Gerda Kolbe ihre knapp vierzehnjährige Tochter. »Herr Weigl wird nicht sehr erfreut sein, wenn du andauernd zu spät zum Nachhilfeunterricht kommst.«

Inga preßte die Lippen zusammen. Sie wollte Helmut nicht sehen – nie mehr! Andererseits… sie brauchte die Nachhilfestunde doch so dringend! Erst heute hatte sie in Latein wieder eine Fünf bekommen. Darüber würde Helmut ohnehin nicht sehr erfreut sein. Immerhin hatte er zwei volle Wochen mit ihr für diese Schulaufgabe gebüffelt. Und nun? Alles umsonst.

»Ich fühle mich nicht so besonders«, behauptete Inga, konnte ihre Mutter dabei aber nicht ansehen. »Kannst du nicht anrufen und für heute absagen?«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, wehrte Gerda Kolbe streng ab, dann seufzte sie und setzte sich neben ihre Tochter. »Was ist denn plötzlich mit dir los, Inga? Noch vor ein paar Wochen wärst du am liebsten jeden Tag zur Nachhilfe gegangen und jetzt… hast die Probleme mit Herrn Weigl? Ist er zu streng? Oder unfreundlich?«

Inga schüttelte den Kopf. »Nein, mit ihm selbst hat es eigentlich gar nichts zu tun.« Lüge! schrie es in ihr. Natürlich hat es mit ihm zu tun! Es hat sogar ausschließlich mit ihm zu tun!

»Es ist nur…« Sie zögerte. »Na ja… irgendwie macht mir die Schule gar keinen Spaß mehr. Ständig muß ich nur büffeln, während meine Freundinnen in die Disco gehen dürfen.«

»Disco ist bei uns sowieso nicht drin«, erklärte Gerda Kolbe entschieden. »Du weißt genau, wie Papa dazu steht. Er will nicht, daß du dich in diesem verräucherten Schuppen herumtreibst und womöglich in schlechte Gesellschaft gerätst.«

»Ach, Mama, wir leben hier in Steinhausen und nicht in der Großstadt«, entgegnete Inga ungeduldig. Manchmal hatte sie die arg konservative Einstellung ihrer Eltern bis obenhin – auch wenn sie normalerweise recht gut mit ihnen auskam. »Alle meine Freundinnen gehen samstags in die Disco und unter der Woche treffen sie sich im JUZ… im Jugendzentrum«, erläuterte sie. »Nur ich muß immer zu Hause bleiben und lernen.«

»Das hast du auch bitter nötig«, meinte Gerda Kolbe. »Deine Noten sind schlecht genug. Eines Tages sollst du schließlich studieren, und dazu brauchst du nun mal das Abitur.«

»Ach, Mama, ich bin sowieso viel zu dumm fürs Abi«, wehrte Inga ab. »Lissi, Meike und Verena gehen auf die Realschule. Die haben’s viel besser als ich. Außerdem habe ich gar keine Lust, später mal zu studieren. Wozu brauche ich ein Abitur, wenn ich danach doch bloß irgendwo im Büro lande?«

»Wer sagt denn, daß du in einem Büro landen wirst?« entgegnete ihre Mutter. »Aber selbst wenn… mit Abitur hast du etwas in der Hand. Und nun lassen wir diese Diskussion. Herr Weigl erwartet dich in zehn Minuten. Also los, sieh zu, daß du fertig wirst.«

»Ich will aber nicht hingehen!« Inga war den Tränen nahe. »Bitte, Mama, ich fühle mich wirklich nicht besonders.«

»Wenn ich dir erlauben würde, ins Jugendzentrum zu gehen, dann würdest du dich sicher gleich wieder gut fühlen«, vermutete Gerda Kolbe. »Latein ist wichtig, Inga. Komm schon, die eine Stunde wirst du auch noch überstehen.«

Das Mädchen seufzte abgrundtief. Offensichtlich führte an dieser Nachhilfestunde für sie kein Weg vorbei. Mit langsamen Bewegungen schlüpfte Inga in ihre Sandalen, klemmte sich Bücher und Hefte unter den Arm und machte sich auf den Weg zu der kleinen Dachwohnung von Helmut Weigl.

Ihre Mutter hatte ja völlig recht. Noch vor wenigen Wochen war sie voller Freude zu Helmut gegangen. Er war bereits dreißig und ein äußerst gutaussehender Mann. Aus diesem Grund war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich Inga in ihn verliebt hatte. Helmut war eben so ganz anders als ihre Klassenkameraden, die sich allesamt in der Pubertät befanden und sich Mädchen gegenüber zum Teil schrecklich kindisch benahmen. Helmut dagegen war ein reifer Mann, der erstaunlicherweise nicht verheiratet war.

Als Inga dann gemerkt hatte, daß ihre schwärmerischen Gefühle auf fruchtbaren Boden fielen, schwebte sie wochenlang auf der sprichwörtlichen Wolke sieben. Am liebsten wäre sie von Helmut überhaupt nicht mehr getrennt gewesen, und wenn er sie dann auch noch zärtlich »mein kleines Spätzchen« genannt hatte, war sie förmlich dahingeschmolzen. Doch mit der Zeit war Helmuts Liebe immer erdrückender geworden. Für ihn war diese Bindung so endgültig. Er sprach ständig von Heirat… ein Gedanke, der eine Vierzehnjährige unweigerlich erschrecken mußte. Inga hatte versucht, sich zurückzuziehen. Einmal hatte sie ihn sogar mit sanften Worten darauf hingewiesen, daß sie noch gar nicht an Heirat denken dürfe.

»Warte nur, bis du mal sechzehn oder siebzehn bist, dann wird sich das ändern«, war Helmuts einzige Erwiderung darauf gewesen.

Nun hätte Inga ihm einfach klipp und klar sagen können, daß sich ihre Gefühle geändert hätten… daß sie ihn nicht mehr liebte, aber das brachte sie auch nicht übers Herz. Helmut war so nett und fürsorglich. Sie mochte ihn ja auch, aber Liebe… eine so bedingungslose, endgültige Liebe konnte es in ihrem Alter einfach noch nicht geben.

Jetzt stand Inga vor Helmuts Wohnung, atmete tief durch und drückte dann auf den Klingelknopf. Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen. Helmut begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln, zog sie liebevoll in seine Arme und küßte sie.

Inga wollte sich aus seiner Umarmung befreien, doch Helmut hielt sie fest, seine warmen, weichen Lippen glitten zärtlich über ihren Mund und über ihre Wangen bis zum Hals.

»Bitte, Helmut, nicht«, wehrte Inga ab und machte sich steif in seinen Armen.

»Ich habe dich so vermißt«, seufzte er und vergrub sein Gesicht in ihrem langen, hellbraunen Haar.

Mit sanfter Gewalt löste sich Inga aus seinen Armen und lenkte seine Gedanken ganz bewußt in eine andere Richtung.

»Ich habe heute die Latein-Arbeit zurückbekommen«, erzählte sie, dann senkte sie den Kopf. »Du wirst enttäuscht sein. Es ist wieder eine Fünf geworden.«

Helmut seufzte tief auf. »Meine Güte, Inga, wir haben doch wie verrückt gebüffelt. Soll das wirklich alles für die Katz’ gewesen sein?«

Inga kramte die Arbeit aus einem ihrer Bücher und zeigte sie Helmut. Völlig fassungslos schüttelte er den Kopf.

»Also weißt du, Inga, das alles haben wir x-mal durchgekaut.« Vorwurfsvoll schaute er das Mädchen an. »Ich glaube, du warst noch auf keine Arbeit so gut vorbereitet wie auf diese hier.« Er legte die Blätter auf den Tisch und schob sie weit von sich. »Wie soll das eigentlich weitergehen? Willst du sitzenbleiben?«

»Nein, natürlich nicht«, murmelte Inga. Niedergeschlagen winkte sie ab. »Ich hab’s zu Mama heute schon gesagt – ich bin einfach zu dumm fürs Gymnasium.« Sie seufzte. »Ich will auch gar nicht mehr. Ich möchte am liebsten auf die Realschule. Da sind meine Freundinnen und…« Sie zuckte die Schultern. »Ich will nicht studieren, sondern einfach einen Beruf ergreifen… Rechtsanwaltsgehilfin vielleicht.« Ihr Gesicht strahlte plötzlich. »Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich mich mit Trixie Velden unterhalten. Sie arbeitet seit kurzem in der Kanzlei von Herrn Eichinger. Das muß einfach toll sein… so interessant…«

Liebevoll nahm Helmut sie in die Arme. »Ach, Spätzchen, darüber solltest du dir gar keine Gedanken machen. Wenn du mit der Schule erst mal fertig bist, werden wir heiraten und du brauchst nichts anderes als glückliche Ehefrau zu sein.«

Ingas Lächeln erlosch. »Vielleicht will ich das gar nicht, Helmut. Ich bin doch erst vierzehn. Ehe… das ist für mich noch ganz weit weg.«

Helmut zog sie in seine Arme. »Das empfindest du nur im Moment so.«

»Helmut, ich… ich weiß nicht, wie ich es sagen soll…«

»Dann laß es doch einfach«, murmelte er zärtlich an ihrem Ohr. Er küßte sie wieder. »Du wirst sehen, Spätzchen, es geht alles wie von selbst. Sobald du sechzehn bist, werden wir von deinen Eltern die Einwilligung zur Hochzeit erbitten und dann wartet ein ganzes Leben voller Glück und Liebe auf uns.« Er schenkte ihr ein inniges Lächeln. »Du wirst mir wundervolle Kinder schenken und wenn wir erst eine größere Wohnung…«

Inga hörte nicht mehr zu. Sie fühlte sich plötzlich gefangen… rettungslos verloren in einer Liebe, die sie nicht mehr wollte… vor der sie sich sogar fürchtete. Helmut bestimmte so entschieden über ihr Leben. Mit sechzehn heiraten… Kinder bekommen… sie war doch selbst noch ein halbes Kind. Sie wollte nicht heiraten! Nicht jetzt schon!

»Helmut…«, begann sie in dem verzweifelten Versuch, ihm klarzumachen, daß sie mit vierzehn noch nicht an eine endgültige Bindung… an Ehe und Kinder denken konnte, doch er erstickte ihre weiteren Worte in einem Kuß.

»Schon gut, mein Spätzchen«, flüsterte er. »Ich weiß doch, wie glücklich du bist.«

Unglücklich, korrigierte sie ihn in Gedanken. Todunglücklich…

*

Stefanie Scheibler kannte die Anzeichen zur Genüge. Ein glückliches Lächeln glitt über ihr madonnenhaftes Gesicht, das den Anschein machte, als wäre sie gerade erst volljährig geworden, dabei war sie mittlerweile doch schon fast dreißig.

Noch einmal betrachtete sie den Teststreifen sehr genau, aber ein Irrtum war wirklich ausgeschlossen. Es hatte wieder geklappt. Endlich! Dabei hatten sie und Gerrit die Hoffnung auf ein weiteres Kind schon beinahe aufgegeben.

Nun ja, Stefanie gestand sich ein, daß es kein Weltuntergang gewesen wäre, wenn sie nicht mehr schwanger geworden wäre. Immerhin hatten sie ja schon drei Kinder – zwei leibliche und dann noch ihren Adoptivsohn Rudi. Trotzdem freute sich die junge Frau unsagbar darauf, in ein paar Monaten wieder ein Baby versorgen zu dürfen.

Als Stefanie in diesem Moment die Haustür ins Schloß fallen hörte, runzelte sie erstaunt die Stirn. Ihr Mann war das sicher nicht. Gelegentlich kam Gerrit zwar zum Mittagessen nach Hause, doch seit er Chefarzt der Steinhausener Waldsee-Klinik war, war das nur noch selten der Fall. Ihr Töchterchen Daniela, die von allen nur liebevoll Dani genannt wurde, und deren jüngeren Bruder Michael waren im Kindergarten, also konnte eigentlich nur ihr Adoptivsohn gerade nach Hause gekommen sein.

»Rudi?« rief sie fragend nach unten.

»Ja!« kam seine störrische Antwort.

Nur mit Mühe konnte Stefanie einen Seufzer unterdrücken. Rudi war so ein lieber, anhänglicher Junge gewesen, doch seit er in die Pubertät gekommen war, gab es laufend Ärger im Hause Scheibler. Dazu kam, daß Rudi mit diesem Entwicklungsschritt reichlich früh dran war. Die meisten Jungs kamen erst mit vierzehn oder fünfzehn in die Pubertät, Rudi war gerade mal dreizehn geworden und kämpfte bereits seit mehr als einem Jahr mit dem allmählichen Erwachsenwerden.

»Wieso bist du eigentlich schon zu Hause?« wollte Stefanie wissen, während sie die Treppe nach unten ging. »Es ist gerade mal elf Uhr.«

Mit mißmutigem Gesicht, die Collegejacke lässig über die Schulter geworfen, stand Rudi im Flur und erweckte den Anschein, als hätte er nur mal kurz hereingeschaut. Vermutlich hätte er sich auch gleich wieder absetzen wollen, doch die Frage seiner Mutter hatte ihn wohl davon abgehalten.

Uninteressiert zuckte er die Schultern. »Ich hatte keinen Bock mehr auf die Schule.«

Nun seufzte Stefanie doch. »Dir ist hoffentlich klar, daß deine Einstellung heute abend wieder Krach mit Papa bedeuten wird.«

Erneut zuckte Rudi die Schultern. »Dann geht’s wenigstens in einem Aufwasch.« Er zerrte eine Klarsichthülle aus der Schultasche, entnahm ihr ein Blatt und legte es auf die schmale Kommode neben dem Garderobenschrank. Eine leuchtend rote Sechs prangte auf dem rechten oberen Rand des ansonsten nur spärlich beschriebenen Blattes.

»Geschichte.« Stefanie schüttelte mißbilligend den Kopf. »Rudi, du bist wirklich stinkfaul. Papa hat erst gestern gedroht, daß er dir Hausarrest aufbrummen wird, wenn du nicht lernst.«