Der kleine Fürst 120 – Ein falscher Verdacht?

Der kleine Fürst –120–

Ein falscher Verdacht?

Roman von Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER DIGITAL GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert, Oliver Melchert, Mario Melchert

Originalausgabe: © KELTER DIGITAL GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.kelterdigital.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-139-3

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»Ihr müsst euch ja sicher noch tränenreich voneinander verabschieden«, stellte Amelie von Hohenstein fest, während sie routiniert ihren Rucksack packte. Sie warf ihrer Freundin Katja von Salchow bei diesen Worten einen kurzen Blick zu und stellte amüsiert fest, dass Katja verlegen errötet war.

Amelie richtete sich auf. »Hast du etwa gedacht, ich merke nicht, was da läuft?«

Katja wandte sich ihr zu. Sie war eine zartgliedrige Blondine mit Augen von einem tiefen Blau. Wer sie zum ersten Mal sah, konnte sich nicht vorstellen, dass diese zierliche Person imstande war, eine schwere Fotoausrüstung zu schleppen, doch genau so war es. Sie fotografierte noch auf die ›altmodische‹ Art, auf Film. Zur Digitalkamera griff sie nur in Ausnahmefällen.

Amelie hatte schon oft bedauert, selbst so unbegabt fürs Fotografieren zu sein. Die Bilder, die sie von Katja gemacht hatte, waren allesamt grauenvoll, sie waren sich in der Beurteilung völlig einig. Aber so war es nun einmal, sie war fürs Schreiben zuständig, Katja fürs Fotografieren. Wer die Freundinnen nicht kannte, vergab die Rollen automatisch umgekehrt: Amelie war eine sportliche Dunkelhaarige, zu der eine stattliche Fotoausrüstung so gut zu passen schien wie ein Laptop zu Katja, doch ihre Begabungen waren nun einmal anders verteilt.

»Es läuft ja noch gar nichts«, sagte Katja in diesem Augenblick leise. »Sei nicht immer so schnell, Amelie, du weißt, in der Hinsicht bin ich abergläubisch.«

Sie reisten jetzt seit Wochen durch Deutschland mit dem Ziel, ein ganz besonderes Buch herauszubringen, das Schlossführer und Reisetagebuch in einem war. Sie hatten die Besitzer von allen Schlössern angeschrieben, an denen sie interessiert waren, und gefragt, ob sie ihnen erlauben würden, einen Tag und eine Nacht bei ihnen zu verbringen, darüber zu schreiben, Fotos zu machen und ihre Erlebnisse später in ihrem Buch zu veröffentlichen. Die Resonanz hatte sie überrascht. Nur wenige strikte Absagen waren gekommen, die meisten hatten freundlich und zuvorkommend geantwortet, sie seien willkommen.

Daraufhin hatten sie einen Reiseplan entworfen, sich in den ausgewählten Schlössern zu bestimmten Terminen angekündigt und waren schließlich mit zwei stabilen Fahrrädern aufgebrochen. Schließlich war jetzt die schönste Jahreszeit, da wollten sie nicht ständig im Auto sitzen.

Sie näherten sich dem Ende ihrer Reise, worüber sie beide traurig waren. Sie hatten in den vergangenen Monaten so viel erlebt! Aber bis das Buch fertig war, lag natürlich noch viel Arbeit vor ihnen. Es gab mehrere Verlage, die daran interessiert waren, es herauszubringen, sie hatten sich bis jetzt allerdings noch nicht für einen von ihnen entscheiden können. Doch auch das würden sie in nächster Zeit tun müssen, zumal ihr Geld allmählich zur Neige ging. Es wurde Zeit, dass sie wieder etwas verdienten.

»Es läuft noch nichts?«, fragte Amelie ungläubig. »Hör mal, ihr beide habt euch gesehen, und im selben Augenblick hat der Blitz eingeschlagen. Ich kann das beurteilen, ich war schließlich dabei, also erzähl mir nichts!«

Die Röte auf Katjas Wangen vertiefte sich. Sie war die Schüchterne von ihnen beiden, die Zurückhaltende. Ihre Schüchternheit legte sie nur ab, wenn es ums Fotografieren ging. Dann konnte sie sogar wildfremde Menschen ansprechen und sie bitten, für sie zu posieren. Im Alltag aber war Katja eher still, und so war es bei der Reiseplanung auch Amelies Aufgabe gewesen, sich mit ihren möglichen Gastgebern auseinanderzusetzen, was sie mit Vergnügen getan hatte.

»Hör auf«, bat Katja. »Ich mag nicht darüber reden, Amelie.«

»Okay, okay, ich hör ja schon auf. Ich bin fertig und fange dann mal an, die Sachen nach unten zu bringen, ja?«

Sie waren in Schloss Rabeneck, wo sie zwei angenehme Tage verbracht hatten. Ein Teil des Schlosses war zum Hotel umgebaut worden, sodass sie nicht, wie häufig in den anderen Schlössern, die einzigen Gäste gewesen waren. Besonders Amelie hatte das genossen, der größeren Abwechslung wegen. Katja hingegen hatte die stille Abgeschiedenheit mancher Schlösser sehr geschätzt. Ihr war es hier schon beinahe zu trubelig gewesen.

Auf Rabeneck jedenfalls hatten sie Andreas von Huldt kennengelernt, einen jungen Pferdezüchter. Er hatte sich vom ersten Moment an für Katja interessiert, und diese hatte sein Interesse erwidert, was ungewöhnlich war, denn in Bezug auf Männer war Katjas Schüchternheit noch ausgeprägter als ohnehin schon. Andreas war Hobbyfotograf, und als solcher verfügte er über eine erstaunlich professionelle Ausrüstung. Er hatte Katja erzählt, dass einer seiner Großväter als Fotograf gearbeitet hatte. Ein Teil seiner Ausrüstung stammte noch aus dieser Zeit und war richtig wertvoll.

»Ist gut, ich komme gleich nach. Ich muss nur noch meine Sachen aus dem Bad holen.«

Amelie schnallte sich also ihren Rucksack auf den Rücken, schnappte sich einen Teil von Katjas Fotoausrüstung und verließ das schöne Zimmer, das man ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Sie war noch nicht lange weg, als es leise klopfte. »Ja, bitte?«, rief Katja.

Die Tür wurde geöffnet, Andreas trat ein. Katja merkte, wie ihr gleich wieder das Blut in die Wangen schoss. »Ihr fahrt?«, fragte er, als er die Tür hinter sich schloss.

»Ja, Amelie ist mit einem Teil des Gepäcks schon unten und verstaut es in den Fahrradtaschen. Ich habe wie immer etwas länger gebraucht.«

»Darüber bin ich sehr froh«, sagte er leise. »So kann ich dich wenigstens noch unter vier Augen um ein Wiedersehen bitten.«

Ihre Blicke begegneten sich, sie wusste nicht, was sie jetzt sagen sollte. Natürlich wollte sie ihn wiedersehen, aber er hatte ihr ja keine Frage gestellt, auf die sie einfach mit ›ja‹ hätte antworten können.

»Oder willst du das gar nicht?«, fragte er, als ihm die Stille zu lange dauerte.

»Doch!«, sagte sie. »Ich …, ich möchte dich gern wiedersehen, Andreas.«

Er kam langsam auf sie zu. »Das ist jetzt vielleicht nicht der passende Moment, aber ich möchte dir endlich sagen, wie sehr ich mir wünsche, dich näher kennenzulernen, Katja. Ich …, das wusste ich schon, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Aber ich habe mich vorher einfach nicht getraut, es dir zu sagen.« Jetzt stand er dicht vor ihr.

Sie wagte kaum zu atmen, sah ihn nur an. Und dann tat er, wovon sie insgeheim geträumt hatte: Er küsste sie. Es war ein vorsichtiger, zarter Kuss, mehr eine Frage als ein Versprechen, aber er machte sie glücklich.

Andreas legte eine Hand an ihre Wange und lächelte auf sie herunter. »Wir sehen uns also wieder, ganz bestimmt?«, fragte er.

»Ich sage dir Bescheid, sobald wir zurück sind«, sagte sie und wunderte sich selbst über ihre Kühnheit.

»Warum verrätst du mir nicht einfach eure weitere Reiseroute? Vielleicht könnten wir uns dann sogar noch einmal sehen, bevor ihr nach Hause zurückkehrt.«

»Das wäre nicht gut. Wir haben sehr viel zu tun, ich darf mich jetzt, wo es dem Ende entgegengeht, nicht ablenken lassen. Ich hoffe, das verstehst du?«

»Aber anrufen darf ich dich? Dann müsstest du mir aber deine Nummer geben.«

Sie lächelte verlegen. »Ich habe das Handy oft ausgeschaltet, weil es mich bei der Arbeit nur stören würde. Außerdem telefoniere ich nicht gern. Aber wenn du mir deine Nummer gibst, rufe ich dich bestimmt an, wenn wir wieder zurück sind.«

Er gab ihr seine Karte, die sie sofort einsteckte. Bevor er sie noch einmal darum bitten konnte, ihm wenigstens für den Notfall ihre Telefonnummer zu sagen, hörten sie Amelies Stimme auf dem Flur vor dem Zimmer. Hastig trat Katja einen Schritt zurück. Er verstand sie, nickte ihr noch einmal zu und eilte zur Tür, wo er beinahe mit Amelie zusammengestoßen wäre. »Da kann ich mich ja auch gleich von dir verabschieden«, sagte er. »Alles Gute für eure weitere Reise.«

»Danke schön«, erwiderte Amelie vergnügt. »Jetzt kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Wie lange bleibst du noch hier?«

»Nicht mehr lange, ich will auch bald weiter.«

Er warf Katja noch einen letzten Blick voller Sehnsucht zu, dann ging er.

Amelie wollte ihrer Freundin schon eine Frage stellen, ließ es dann aber, denn es erwies sich als überflüssig. Katjas Gesichtsausdruck verriet, was in ihr vorging, und Amelie freute sich über ihr Glück.

Als sie sich eine Viertelstunde später auf ihre Räder schwingen wollten, trippelte die alte Gräfin Assunta von Balckenrodt auf sie zu. Sie war schon ein wenig krumm, kleidete sich gern in Kleider mit auffälligen Blumenmustern und war stolz auf ihre gepflegten, lila getönten Haare. »Sie wollen uns schon verlassen?«, rief sie mit ihrer piepsigen Stimme. »Wie schade, so interessante Gäste wie Sie sind selten hier!«

Sie hatten sich ein paarmal mit ihr unterhalten und sie sehr amüsant gefunden. Im nächsten Jahr, hatte sie ihnen erzählt, würde sie achtzig werden und ein rauschendes Fest auf Ibiza feiern, zu dem sie sie herzlich eingeladen hatte.

»Es tut uns auch leid, Gräfin von Balckenrodt«, sagte Amelie, »aber wir müssen weiter, die Arbeit ruft.«

»Vergessen Sie meinen Geburtstag nicht, Sie müssen unbedingt kommen!«

»Versprechen können wir aber noch nichts.«

Sie umarmten die zierliche alte Dame zum Abschied, dann saßen sie auf und verließen das Hotelgelände. Als sie sich noch einmal umdrehten, stand Gräfin von Balckenrodt in ihrem mit Mohnblumen bedruckten Kleid noch immer da und winkte ihnen nach.

*

»Wann kommen denn eigentlich diese zwei Frauen?«, fragte Baron Friedrich von Kant seine Frau. »Die Fotografin und die Autorin, meine ich, die ein Buch über ihre Reise zu Deutschlands Schlössern machen wollen. Der Termin muss doch jetzt bald sein, oder?«

Baronin Sofia nickte. »Übermorgen, um genau zu sein. Sie wollen ja bloß eine Nacht bleiben. Wir sind offenbar die letzte Station ihrer Reise, danach stellen sie das Buch zusammen, schreiben die Texte, suchen die Fotos aus.«

»Interessantes Projekt«, fand er. »Hoffentlich erzählen sie ein bisschen, was sie bisher erlebt haben.«

»Ach, das denke ich schon«, meinte Sofia. »Ich habe bisher ja nur mit Frau von Hohenstein gesprochen, sie machte am Telefon einen sehr lebhaften und sympathischen Eindruck. Ich muss sagen, ich freue mich richtig auf diesen Besuch. Das ist mal etwas anderes als sonst.«

»Werden dir unsere Freunde etwa langweilig?«, neckte er sie.

»Natürlich nicht, Fritz, was für eine Idee! Aber junge Frauen, die ein so außergewöhnliches Projekt verfolgen, stelle ich mir ganz einfach sehr interessant vor.«

Er ging zu ihr, um sie zu umarmen und zu küssen. »Ich wollte dich nur ein bisschen aufziehen«, gestand er.

Sie legte ihren Kopf an seine Brust. »Das kannst du besonders gut«, murmelte sie. Dann fiel ihr etwas ein. »Hattest du nicht gesagt, Andreas wollte auch noch kommen? Andreas von Huldt?«

»Ja, aber er konnte noch nicht genau sagen, wann er hier sein wird. Voraussichtlich erst nächste Woche.«

»Schade, er hätte sich vielleicht auch für unseren Besuch interessiert. Immerhin fotografiert er selbst, da wäre es für ihn sicherlich schön gewesen, sich mit einer Fotografin zu unterhalten.«