Elisabeth Bürstenbinder

Glück auf!

e-artnow, 2016
Kontakt: info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-7018-0

INHALTSVERZEICHNIS

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Inhaltsverzeichnis

Die Hauptkirche der Residenz war trotz der späten Nachmittagsstunde noch dicht gefüllt. Die Menge der Anwesenden und der reiche Blumenschmuck des Altars drinnen, sowie die lange Reihe wartender eleganter Equipagen draußen ließen darauf schließen, daß die Trauung, welche hier vollzogen werden sollte, auch in weiteren Kreisen Interesse und Theilnahme erregte. Die Haltung der Zuhörer war die gewöhnliche bei solchem Anlaß, wo die Heiligkeit des Ortes jede lautere Aeußerung der Neugierde oder Theilnahme verbietet, eine erwartungsvolle Unruhe, ein Flüstern und Zusammenstecken der Köpfe in einzelnen Gruppen, und eine gespannte Aufmerksamkeit für alles, was in der Nähe der Sacristei vorging, endlich ein allgemeines Ah! der Befriedigung, als die Thüren derselben geöffnet wurden und mit den ersten Tönen der Orgel, die jetzt einfielen, der Brautzug erschien.

Es war eine zahlreiche und glänzende Versammlung, die sich hier um den Altar und das Brautpaar gruppirte. Reiche Uniformen, schwere Sammet- und Atlasroben, duftiges Spitzengewebe, Blumen und Diamanten, das alles schimmerte, wogte und rauschte durcheinander, in einer wahrhaft blendenden Pracht. Die Geburts- und die Geldaristokratie schienen in ihren hauptsächlichsten Vertretern anwesend zu sein, um der Ceremonie einen erhöhten Glanz zu verleihen.

Zur Rechten der Braut, als der Erste unter den Gästen, stand ein hoher stattlicher Officier, dessen Uniform und dessen zahlreiche Orden auf eine längere militärische Laufbahn deuteten. Seine Haltung war einfach und würdevoll, der bevorstehenden Feierlichkeit angemessen, und doch schien es, als berge sich hinter dem Ernste dieser Züge etwas, das nicht zu dem frohen Anlaß passen wollte. Es war ein eigenthümlich düsterer Blick, der auf dem Brautpaar ruhte, und als er, sich von diesem abwendend, die dicht gefüllte Kirche streifte, da zuckte es wie unterdrückter Schmerz oder Zorn durch die stolzen Züge, und die festgeschlossenen Lippen zitterten leise.

Ihm gegenüber, in unmittelbarer Nähe des Bräutigams, stand ein anderer Herr in Civiltracht, gleichfalls schon in vorgerücktem Alter, gleichfalls, wie es schien, zum nächsten Verwandtenkreise gehörig, aber weder die Brillantenverschwendung, die er in Uhr, Ringen und Tuchnadeln zur Schau trug, noch die ungeheuer selbstbewußte Haltung vermochten ihm auch nur einen Schimmer jener Vornehmheit zu geben, die sein Gegenüber in so hohem Maße besaß. Die ganze Erscheinung war entschieden gewöhnlich, um nicht zu sagen gemein, und selbst der Ausdruck unverhohlenen Triumphes, der jetzt darauf lag, war nicht im Stande, ihr ein anderes Gepräge zu geben. Es war in der That ein unendlicher Triumph, mit dem er das Brautpaar betrachtete und dann auf die glänzende Versammlung, auf die dicht besetzten Reihen der Kirchstühle schaute, eine Genugthuung, mit der man die Erreichung eines langerstrebten Zieles begrüßt und empfindet; ihm trübte sicher kein Schatten die Freude an der bevorstehenden Festlichkeit.

Diese beiden Männer schienen aber auch die einzigen zu sein, die ihr ein tieferes Interesse widmeten, das Brautpaar zum Mindesten that es nicht. Der fremdeste, unbetheiligtste der Gäste hätte keine vollendetere Gleichgültigkeit bei dem feierlichen Act zur Schau tragen können, als diese beiden Menschen, die in wenig Minuten einander für immer angehören sollten. Die etwa neunzehnjährige Braut war unleugbar ein schönes Mädchen, aber es wehte etwas wie ein eisiger Hauch um sie her, der wenig zu dem Ort und der Stunde paßte. Das Licht der Altarkerzen spielte in den schweren Falten des weißen Atlasgewandes, es blitzte in den Diamanten des kostbaren Schmuckes, aber es fiel auf ein Antlitz, das mit der Schönheit des Marmors auch dessen ganze Kälte und Starrheit empfangen zu haben schien, wenigstens für diese Stunde, die doch sonst selbst die kälteste Ruhe zu beleben pflegt. Das Aschblond der schweren Flechten, in denen der Myrthenkranz lag, contrastirte seltsam mit den dunklen Augenbrauen und den dunklen, fast schwarzen Augen, die sie kaum ein- oder zweimal während der ganzen Ceremonie zu dem Geistlichen emporhob. Das regelmäßige, etwas bleiche Gesicht, an dessen Seiten der Brautschleier niederfloß, trug den Ausdruck jener Vornehmheit, die wohl angeboren, aber nicht anerzogen werden kann. Vornehmheit war überhaupt das vorherrschende Element in dieser Erscheinung, sie verrieth sich nicht blos in den zart und edel gezeichneten Linien der Züge, auch in der Haltung, in dem ganzen Wesen prägte sie sich so deutlich aus, daß jede andere, vielleicht charakteristischere Eigenschaft davor in den Hintergrund trat. Die junge Dame schien nur geschaffen, um auf den Höhen des Lebens einherzuschweben und nie mit dem in Berührung zu kommen, was sich etwa noch von Menschen und Verhältnissen da unten regte. Und trotz alledem lag in den dunklen Augen etwas, das mehr Energie und Charakter verrieth, als man bei einer Salondame zu finden pflegt, und vielleicht forderte gerade die jetzige Stunde diese Energie und diesen Charakter in die Schranken, denn die Blicke des Herrn in Uniform zu ihrer Rechten und der drei jüngeren Officiere, die hinter ihm standen, hafteten, je weiter die Ceremonie vorschritt, desto forschender, ängstlicher auf ihrem Gesichte, das indessen so kalt und ruhig blieb, wie es vom ersten Momente an gewesen.

Der Bräutigam an ihrer Seite war ein junger Mann von etwa achtundzwanzig Jahren, eine jener nicht eben seltenen Gestalten, die wie eigens geschaffen scheinen für den glänzenden Rahmen der Salons, die nur auf diesem Boden ihre Bedeutung finden, ihre Triumphe feiern und ihr Leben hinbringen. Von tadelloser Eleganz in Haltung und Toilette, verrieth sein ganzes Wesen gleichwohl den Höhepunkt der Blasirtheit. Die an sich feinen und anziehenden Züge trugen den Ausdruck einer so grenzenlosen Apathie, einer so tödtlichen Gleichgültigkeit gegen Alles und Jedes, daß sie jeden Reiz für den Beobachter verloren. Da war alles so matt, so farblos, auch nicht ein Hauch von Röthe auf den Wangen, auch nicht ein Schein von Leben in dem Gesichte, das da aussah, als könne es sich weder in Freude noch in Schmerz zu der mindesten Erregung mehr aufschwingen. Er hatte seine Braut zum Altare geführt, wie man in der Gesellschaft die Damen an ihren Platz geleitet, und jetzt stand er neben ihr und hielt ihre Hand in der seinen genau in derselben apathischen Weise. Weder die Wichtigkeit des Schrittes, den er zu thun im Begriff stand, noch die Schönheit der Frau, die ihm anvermählt werden sollte, schienen auch nur den geringsten Eindruck auf ihn zu machen.

Die Rede des Geistlichen war zu Ende, und er schritt zur eigentlichen Ceremonie der Trauung. Laut und klar hallte seine Stimme durch die Kirche, als er Herrn Arthur Berkow und die Baroneß Eugenie Maria Anna von Windeg-Babenau fragte, ob sie einander als Gatten angehören wollten.

Wieder zuckte es durch das Antlitz des Officiers drüben, und ein Blick fast des Hasses sprühte nach der andern Seite hinüber – in der nächsten Minute schon war das zweifache Ja gesprochen, mit dem einer der ältesten, stolzesten Namen der Aristokratie gegen das einfach bürgerliche Berkow umgetauscht wurde.

Kaum war die Trauung zu Ende und das letzte Wort des Segens gesprochen, als der brillantengeschmückte Herr sich eilig vordrängte, augenscheinlich in der Absicht, die Neuvermählte mit großer Ostentation zu umarmen; doch noch ehe er diesen Entschluß ausführen konnte, stand bereits der Officier da. Ruhig, aber mit einer Miene, als nehme er ein unabweisbares Recht in Anspruch, trat er zwischen Beide und schloß, als der Erste, die junge Frau in seine Arme; doch die Lippen, welche ihre Stirn berührten, waren kalt, und sein Antlitz, das, zu ihr niedergebeugt, einige Secunden lang allen Uebrigen entzogen blieb, trug einen ganz andern Ausdruck als vorhin in seiner ruhigen stolzen Würde.

„Muth, mein Vater, es mußte sein!“

Die Worte, ihm nur allein verständlich, streiften leise, fast unhörbar an seinem Ohre hin; aber sie gaben ihm die Fassung wieder. Noch einmal preßte er die Tochter an sich; es lag fast etwas wie Abbitte in der Zärtlichkeit dieser Bewegung; dann ließ er sie frei und gab sie der nun unvermeidlichen Umarmung des andern Herrn preis, der bisher mit sichtlicher Ungeduld gewartet hatte und es sich nun nicht nehmen ließ, seine „theure Schwiegertochter“ zu begrüßen.

Diese machte allerdings keinen Versuch, sich ihm zu entziehen, denn die Augen der ganzen Kirche waren auf sie gerichtet. Sie stand unbeweglich, kein Zug des schönen Gesichtes veränderte sich, nur das Auge hatte sie emporgehoben, aber es lag in diesem Blicke ein unnahbarer Stolz, eine so eisige Zurückweisung dessen, was sie nicht verweigern durfte, daß sie selbst hier verstanden wurde. Etwas aus der Fassung gebracht, änderte der Schwiegervater seine stürmische Zärtlichkeit sofort in respectvolle Artigkeit um, und als in der nächsten Minute die Umarmung nun wirklich erfolgte, da war sie in der That nicht viel mehr als eine Form, bei der seine Arme eben nur die duftigen Wogen des Brautschleiers streiften. Das ganze wahrlich nicht geringe Selbstbewußtsein des neuen Verwandten hatte doch vor diesem Blicke nicht Stand gehalten.

Der junge Berkow machte seinem Schwiegervater die Sache nicht so schwer. Etwas, das wie ein Händedruck aussah und bei dem in Wirklichkeit kaum seine weißen Handschuhe mit denen des Barons in Berührung kamen, wurde zwischen ihnen gewechselt; es schien Beiden vollkommen zu genügen; dann reichte er seiner jungen Gattin den Arm, um sie hinauszuführen. Die Atlasschleppe der Braut rauschte über die Marmorstufen, hinter den Voranschreitenden schloß sich die schimmernde Woge der Gäste, die dem Paare folgten, und bald darauf hörte man auch die Equipagen draußen eine nach der andern fortrollen.

Auch die Kirche entleerte sich rasch; theils drängte man nach den Thüren, um die Einsteigenden noch einmal zu sehen; theils eilte man, draußen all den unendlich wichtigen Bemerkungen und Beobachtungen über Toilette, Haltung und Aussehen des Brautpaares und der zunächst Betheiligten Luft zu machen. In weniger als zehn Minuten war der weite Raum vollkommen leer und öde; nur das Abendroth blickte durch die hohen Fenster und überfluthete den Altar und das Altargemälde mit seinem rothen Lichte, so daß die Gestalten auf dem alten Goldgrunde zu leben schienen. Von einem Luftzuge bewegt, wehten die Flammen der Kerzen hin und her, und am Boden dufteten die Blumen, die man in verschwenderischer Fülle dorthin gestreut hatte. Die Schleppen der Damen waren darüber hingerauscht, der Fuß der Herren hatte sie zertreten. Zu was sollten die armen Blumen auch weiter dienen inmitten all der so reich entfalteten Diamantenpracht bei jenem Feste, mit dem die Verbindung zwischen der Tochter eines alten reichsfreiherrlichen Adelsgeschlechtes und dem Sohne eines der Millionäre der Residenz gefeiert wurde! Vor dem Windeg’schen Hause fuhren bereits die Wagen an, und drinnen in den festlich erleuchteten Räumen begann es lebendig zu werden. Im Empfangssaale, vom hellsten Kerzenglanze umflossen, stand die junge Frau am Arme ihres Gatten, so schön, so stolz und so eisig, wie sie eine Stunde zuvor am Altare gestanden hatte, und nahm die Glückwünsche der sie umdrängenden Gesellschaft entgegen. Ob es wirklich ein Glück war, was sie soeben mit ihrem Ja besiegelt – der düstere Schatten, der noch immer auf der stolzen Stirn ihres Vaters ruhte, gab vielleicht die Antwort darauf.

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Inhaltsverzeichnis

„Nun Gott sei Dank, jetzt endlich wären wir in Ordnung! Es war aber auch die höchste Zeit, in einer Viertelstunde können sie hier sein. Ich habe die Leute oben auf dem Hügel genau instruirt; sobald der Wagen auf der Höhe sichtbar wird, kracht der erste Böllerschuß.“

„Aber, Herr Director, Sie sind ja heute ganz Eifer und Aufgeregtheit!“

„Sparen Sie doch Ihre Kräfte für den wichtigen Moment des Empfanges!“

„In Ihrer heutigen Stellung freilich, als Ceremonienmeister und Oberhofmarschall – –!“

„Sparen Sie Ihre Witzeleien, meine Herren!“ unterbrach der Director ärgerlich die Spöttelnden. „Ich wollte, man hätte Einen von Ihnen mit diesem verwünschten Posten beehrt. Ich habe genug daran!“

Das ganze sehr zahlreiche Beamtenpersonal der großen Berkow’schen Gruben und Bergwerke war in vollster Gala am Fuße der Terrasse des Wohngebäudes versammelt. Das schloßartige, im modernsten und elegantesten Villenstile erbaute Landhaus mit seiner reichen Façade, seinen hohen Spiegelfenstern und dem prachtvollen Eingangsportale machte schon an sich einen großartigen Eindruck, der durch die weiten geschmackvollen Gartenanlagen, welche es von allen Seiten umgaben, noch mehr gehoben wurde, zumal heute, wo Alles im Festgewande erschien. Man hatte augenscheinlich die sämmtlichen Treibhäuser entleert, um Treppenflure, Balcons und Terrassen mit dem reichsten Blumenflore zu schmücken. Die kostbarsten und seltensten Gewächse, die sonst schwerlich mit der freien Luft in Berührung kamen, entfalteten hier ihre Farbenpracht und ihren Blüthenduft. Auf den weiten Rasenplätzen warfen die Fontainen ihren schimmernden Strahl hoch in die Lüfte, umgeben von dem ganzen sorgfältig gepflegten Schmucke des heimischen Frühlings in seinem ersten Erwachen, und vorn am Eingange öffnete eine riesige Ehrenpforte, mit Guirlanden und Fahnen verschwenderisch decorirt, ihr blumengeschmücktes Thor.

„Ich habe genug daran!“ wiederholte der Director, indem er in den Kreis der übrigen Herren trat. „Da verlangt Herr Berkow einen möglichst glänzenden Empfang und glaubt Alles gethan zu haben, wenn er uns einen unbeschränkten Credit auf die Casse anweist, mit dem guten Willen der Leute rechnet er nie. Ja, wenn wir noch die Arbeiter von vor zwanzig Jahren hätten! Wenn es da einmal einen freien Tag gab, eine Festlichkeit und Abends Tanz, da brauchte man wegen des Vivatrufens nicht in Sorge zu sein, aber jetzt – passive Gleichgültigkeit auf der einen, offene Widersetzlichkeit auf der andern Seite; es fehlte nicht viel, so hätte man der jungen Herrschaft jeden Empfang überhaupt verweigert. Wenn Sie morgen nach der Residenz zurückkehren, Herr Schäffer, so könnte es nicht schaden, wenn Sie bei dem Bericht über unsere Festlichkeit gelegentlich einen Wink fallen ließen über das, was man dort nicht weiß oder nicht wissen will.“

„Ich werde mich hüten!“ entgegnete der Angeredete trocken. „Haben Sie etwa Lust, die Höflichkeiten unseres verehrten Chefs auszuhalten, wenn er etwas ihm Mißliebiges erfährt? Ich ziehe in solchem Falle eine möglichst weite Entfernung von seiner Person vor.“

Die übrigen Herren lachten; es schien gerade nicht, als erfreue sich der abwesende Chef einer besonderen Ehrerbietung in ihrem Kreise.

„Also hat er die vornehme Heirath doch wirklich durchgesetzt!“ nahm der Ober-Ingenieur das Wort. „Mühe genug hat er sich darum gegeben, und es ist doch wenigstens ein Ersatz für das Adelsdiplom, das man ihm bisher immer noch hartnäckig verweigerte, und worauf doch sein ganzes Dichten und Trachten gerichtet ist. Zum Mindesten hat er den Triumph zu sehen, daß der alte Adel keinen Anstoß mehr an seinem Bürgerthum nimmt; die Windegs verschwägern sich ja mit ihm.“

Herr Schäffer zuckte die Achseln. „Denen blieb wohl überhaupt keine Wahl mehr! Die derangirten Verhältnisse der Familie sind kein Geheimniß in der Residenz. Ob es dem stolzen Baron gerade leicht geworden ist, seine Tochter zu einer solchen Speculation herzugeben, bezweifle ich: die Windegs gehörten von jeher nicht blos zur ältesten, sondern auch zur hochmüthigsten Aristokratie. Nun schließlich beugt sich auch das einmal der bitteren Nothwendigkeit.“

„So viel steht fest, uns wird diese vornehme Verwandtschaft ein rasendes Geld kosten!“ sagte der Director kopfschüttelnd. „Der Baron hat jedenfalls seine Bedingungen gestellt. Uebrigens kann ich durchaus nicht den Zweck all dieser Opfer einsehen. Ja, wenn es noch eine Tochter wäre, der man Rang und Namen damit erkaufte, Herr Arthur aber bleibt nach wie vor bürgerlich, trotz des uralten Stammbaumes seiner Gemahlin.“

„Glauben Sie? Ich möchte für das Gegentheil bürgen. Solche Verwandtschaft thut früher oder später immer ihre Wirkung. Dem Gemahl der Baroneß Windeg-Babenau, dem Schwiegersohn des Barons wird man schließlich doch den Adel nicht versagen, den der Vater bisher vergebens erstrebte, und was diesen betrifft, so wird man es auch nicht hindern können, daß er im Salon seiner Schwiegertochter mit den Kreisen in Berührung kommt, die bis jetzt noch immer entschieden Front gegen ihn gemacht haben. Lehren Sie mich unsern Chef kennen! Er weiß sehr genau, was diese Heirath ihm einbringt, und deshalb kann er es sich auch etwas kosten lassen.“

Einer von den Verwaltungsbeamten, ein junger, sehr blonder Mann, mit etwas engem Frack und tadellos sitzenden Glacéhandschuhen, hielt es für passend, jetzt gleichfalls eine Bemerkung laut werden zu lassen.

„Ich begreife nur nicht, warum die Neuvermählten ihre Hochzeitsreise hierher in unsere Einsamkeit richten, und nicht nach dem Lande der Poesie, nach Italien –“

Der Ober-Ingenieur lachte laut auf. „Ich bitte Sie, Wilberg! Poesie bei dieser Heirath zwischen Geld und Name! Uebrigens sind die Hochzeitsreisen nach Italien jetzt so Mode geworden, daß sie Herrn Berkow wahrscheinlich auch schon zu bürgerlich erscheinen. Die Aristokratie geht in solchem Falle ‚auf ihre Güter‘, und man will doch nun vor allen Dingen aristokratisch und nur aristokratisch sein.“

„Ich fürchte, die Sache hat einen ernsteren Grund,“ sagte der Director. „Man argwöhnt, der junge Herr könnte es in Rom oder Neapel ebenso treiben, wie er es während der letzten Jahre in der Residenz getrieben hat, und der Wirthschaft ein Ende zu machen, war doch wohl die höchste Zeit. Die Verschwendung ging ja zuletzt in die Hunderttausende! Man kann einen Brunnen ausschöpfen, und Herr Arthur war auf dem besten Wege, seinem Vater dies Experiment vorzumachen.“

Die schmalen Lippen Schäffer’s verzogen sich sarkastisch. „Der Vater hat ihn ja von jeher dazu angehalten, er erntet nur, was er selbst gesäet! Uebrigens können Sie Recht haben, hier in der Einsamkeit lernt man vielleicht eher dem Zügel einer jungen Frau gehorchen. Ich fürchte nur, sie faßt ihre allerdings wenig beneidenswerthe Aufgabe mit sehr geringem Enthusiasmus auf.“

„Sie glauben, daß man sie gezwungen hat?“ fragte Wilberg eifrig.

„Warum nicht gar, gezwungen! So tragisch geht die Sache in unseren Tagen nicht mehr zu. Sie wird einfach vernünftigem Zureden und einem klaren Einblick in die Verhältnisse nachgegeben haben, und ich bin überzeugt, diese Convenienzehe wird wahrscheinlich eine ganz erträgliche werden, wie in den meisten derartigen Fällen.“

Der blonde Herr Wilberg, der augenscheinlich eine Leidenschaft für das Tragische hatte, schüttelte melancholisch den Kopf.

„Vielleicht auch nicht! Wenn nun später in dem Herzen der jungen Frau die wahre Liebe erwacht, wenn ein Anderer – mein Gott, Hartmann, können Sie Ihren Zug denn nicht drüben entlang führen? Sie hüllen uns ja in eine förmliche Staubwolke mit Ihrer Colonne!“

Der junge Bergmann, an den diese Worte gerichtet waren, und der so eben an der Spitze von etwa fünfzig seiner Cameraden vorüberkam, warf einen ziemlich verächtlichen Blick auf den feinen Gesellschaftsanzug des Sprechenden, und dann einen zweiten auf den sandigen Fahrweg, wo die plumpen Schuhe der Bergleute allerdings einigen Staub aufwirbelten.

„Nach rechts hinüber!“ commandirte er, und mit einer fast militärischen Pünktlichkeit schwenkte die Schaar ab und schlug die angegebene Richtung ein.

„Ein Bär, dieser Hartmann!“ sagte Wilberg, sich mit dem Taschentuch den Staub vom Frack fächelnd. „Hat er wohl ein Wort der Entschuldigung für seine Ungeschicklichkeit? ‚Nach rechts hinüber!‘ Mit einem Commandotone, als wenn ein General seinen Truppen befiehlt. Und was er sich überhaupt alles herausnimmt! Hätte sich sein Vater nicht in’s Mittel gelegt, er hätte der Martha Ewas verboten, mein Gedicht zum Empfange der jungen gnädigen Frau herzusagen, mein Gedicht, das ich –“

„Nun bereits aller Welt vorgelesen habe!“ ergänzte der Ober-Ingenieur halblaut zum Director gewandt. „Wenn es nur etwas kürzer wäre! Uebrigens hat er Recht, es war eine Unverschämtheit von Hartmann, das verbieten zu wollen. Sie hätten ihn mit seinen Leuten auch nicht grade hier postiren sollen; von denen ist kein Empfang zu erwarten, es sind die widerspenstigsten Bursche der ganzen Werke.“

Der Director zuckte die Achseln. „Aber auch die stattlichsten! All’ die Uebrigen habe ich im Dorfe und auf dem Wege hierher aufgestellt, die Elite unserer Knappschaft gehört an die Ehrenpforte. Man will bei solcher Gelegenheit doch wenigstens Staat machen mit seinen Leuten.“

Der junge Bergmann, von dem soeben die Rede war, hatte inzwischen seine Cameraden rings um die Ehrenpforte postirt und sich an ihre Spitze gestellt. Der Director hatte Recht, es waren stattliche Bursche, aber sie blieben doch sämmtlich zurück hinter der Erscheinung ihres Führers, der sie alle fast um Kopfeslänge überragte. Es war eine mächtige, kraftvolle Gestalt, dieser Hartmann, der sich in der dunklen Bergmannstracht äußerst vortheilhaft ausnahm. Das Gesicht war nicht eigentlich schön zu nennen, wenn man die strengen Regeln der Schönheit darauf in Anwendung brachte, die Stirn erschien vielleicht etwas zu niedrig, die Lippen waren zu voll, die Linien nicht edel genug, aber sicher waren diese scharf und fest gezeichneten Züge nicht gewöhnlich. Das blonde Kraushaar legte sich dicht um die breite, wuchtige Stirn, während ein blonder, gleichfalls gekräuselter Bart den unteren Theil des Gesichtes umgab, dessen kräftige, männlich braune Farbe nicht verrieth, daß es die Luft und den Sonnenschein so oft entbehren mußte. Die Lippen waren trotzig aufgeworfen und in den blauen, ziemlich finster blickenden Augen lag jenes Etwas, das sich nicht beschreiben läßt, das aber von gewöhnlichen Naturen sofort als Ueberlegenheit herausgefühlt und respectirt wird. Die ganze Erscheinung des Mannes war die verkörperte Energie, und so wenig Sympathie sie in ihrer starren Haltung auch erwecken mochte, so entschieden erzwang sie sich Bedeutung gleich beim ersten Anblick.

Ein älterer Mann, der, obgleich auch er die Bergmannskleidung trug, doch nicht zu den Arbeitern zu gehören schien, näherte sich jetzt in Begleitung eines jungen Mädchens und blieb dicht vor der Gruppe stehen.

„Glück auf! Da wären wir jetzt auch! Wie steht’s, Ulrich, seid Ihr in Ordnung?“

Ulrich bejahte kurz, während die Uebrigen den Gruß des Alten mit einem kräftigen „Glück auf, Herr Schichtmeister!“ beantworteten und die Blicke der Meisten sich auf dessen junge Begleiterin wandten.

Das etwa zwanzigjährige Mädchen konnte nun allerdings für sehr hübsch gelten und die dort übliche festliche Landestracht stand ihr ganz reizend. Eher klein als groß, reichte ihr Scheitel kaum bis zur Schulter des riesigen Hartmann, dichte dunkle Flechten umgaben ein frisches jugendliches Gesicht, leicht gebräunt von der Sonne, mit blühenden Wangen, klaren blauen Augen und kräftigen, aber dennoch anmuthigen Formen. Sie hatte eine Bewegung gemacht, wie um dem jungen Bergmanne die Hand zu reichen, als dieser aber mit verschränkten Armen stehen blieb, sank auch der ihrige schnell wieder herab; der Schichtmeister bemerke es und heftete einen scharfen Blick auf Beide.

„Wir sind wohl übler Laune, weil wir unseren Willen diesmal nicht durchgesetzt haben?“ fragte er. „Tröste Dich, Ulrich, es kommt selten genug vor, aber wenn Du es zu arg treibst, muß der Vater auch einmal ein Machtwort sprechen.“

„Wenn ich etwas über die Martha zu sagen hätte, dann hätte ich’s gesprochen!“ erklärte Ulrich entschieden, und ein finsterer Blick glitt über den prachtvollen, jedenfalls dem Treibhause entstammenden Blumenstrauß, den das Mädchen in der Hand hielt.

„Glaube ich Dir!“ sagte der Alte gleichmüthig, „sieht Dir ganz und gar ähnlich! Vorläufig ist sie mein Schwesterkind und hat sich nach mir zu richten. Aber was ist denn das mit Eurer Ehrenpforte da oben? Die große Flaggenstange hat sich ja gesenkt! Bindet sie wieder fest oder die ganze Kranzgeschichte fällt herunter.“

Ulrich, an den diese Mahnung hauptsächlich gerichtet war, warf einen gleichgültigen Blick hinauf zu den bedrohten Kränzen, machte aber keine Anstalt, ihnen zu Hülfe zu kommen.

„Hörst Du nicht?“ wiederholte der Vater ungeduldig.

„Ich dächte, ich stände bei den Gruben in Arbeit, nicht hier bei der Ehrenpforte. Ist’s nicht genug, daß wir hier oben Wache halten müssen? Wer das Ding gebaut hat, mag es auch wieder in Ordnung bringen.“

„Kannst Du denn das alte Lied nicht einmal heute lassen?“ fuhr der Schichtmeister ärgerlich auf. „Nun, so steige einer von Euch Anderen hinauf!“

Die Bergleute blickten auf Ulrich, als erwarteten sie von diesem ein Zeichen der Zustimmung, da dies aber nicht erfolgte, so rührte sich Keiner, nur Einer machte Miene, der Aufforderung Folge zu leisten; der junge Führer wandte sich schweigend um und sah ihn an Es war nur ein einziger Blick der herrischen blauen Augen, aber er hatte die Wirkung eines Befehls, Jener trat sofort zurück, keine Hand regte sich mehr.

„Ich wollte, sie fiele Euch auf die harten Köpfe!“ rief der Schichtmeister heftig, indem er mit jugendlicher Rüstigkeit selbst hinaufstieg und die Flaggenstange festband. „Vielleicht lerntet Ihr dann, wie man sich bei einem Feste zu benehmen hat. Den Lorenz habt Ihr auch schon verdorben, der war bisher noch der Beste unter Euch, aber der freilich thut ja nur, was sein Herr und Meister, der Ulrich, ihm befiehlt!“

„Sollen wir uns vielleicht freuen, daß nun noch ein neues vornehmes Regiment hier angeht?“ fragte Ulrich halblaut. „Ich dächte, wir hätten an dem alten genug!“

Der Schichtmeister, mit der Fahne beschäftigt, hörte zum Glück diese Aeußerung nicht, das junge Mädchen aber, das bisher stumm seitwärts gestanden hatte, wandte sich hastig um und warf einen besorgten Blick nach oben.

„Ulrich, ich bitte Dich!“

Der trotzige junge Bergmann schwieg nun zwar auf diese Mahnung, aber seine Züge wurden um keinen Schein milder und nachgiebiger dabei. Das Mädchen war vor ihm stehen geblieben, es schien ihm schwer zu werden, etwas auszusprechend, das halb wie eine Frage und doch auch halb wie eine Bitte klang, endlich sagte sie leise:

„Und Du willst heute Abend wirklich nicht zum Feste kommen?“

„Nein“

„Ulrich –“

„Laß mich in Ruhe, Martha, Du weißt, ich mag Eure Tanzgeschichten nicht.“

Martha trat rasch zurück, ihre rothen Lippen warfen sich jetzt auch trotzig auf und der feuchte Schimmer in ihrem Auge war wohl mehr eine Thräne des Zornes als der Kränkung bei diesem unfreundlichen Bescheide. Ulrich bemerkte das nicht, oder achtete nicht darauf, wie er sich denn überhaupt nicht viel um sie zu kümmern schien. Ohne ein Wort weiter zu verlieren, wandte ihn das Mädchen den Rücken und ging hinüber nach der andern Seite. Die Augen des jungen Bergmannes, der vorhin bei der Fahne hatte helfen wollen, folgten ihr unverwandt, er hätte augenscheinlich viel darum gegeben, wenn die Aufforderung an ihn gerichtet gewesen wäre, er hätte sie sicher nicht so gleichgültig zurückgewiesen.

Der Schichtmeister war inzwischen wieder heruntergekommen und betrachtete eben mit großer Befriedigung sein Werk, als vom Hügel drüben der erste Böllerschuß krachte, dem in kurzen Zwischenräumen ein zweiter und dritter folgte. Dies Zeichen von der endlichen Ankunft der Erwarteten rief begreiflicher Weise einige Aufregung hervor. Die Herren drüben geriethen in lebhafte Bewegung. Der Director musterte in der Eile noch einmal sämmtliche Empfangsanstalten, der Ober-Ingenieur und Herr Schäffer knöpften ihre Handschuhe zu, und Wilberg eilte zu Martha hinüber, um sie vielleicht zum zwanzigsten Male zu fragen, ob sie seiner Verse auch sicher sei und nicht etwa durch unzeitige Befangenheit seinen ganzen Dichtertriumph auf’s Spiel setze. Selbst die Bergleute verriethen einiges Interesse, die, wie es hieß, junge und schöne Frau ihres künftigen Herrn kennen zu lernen. Mehr als einer zog den Ledergurt fester und drückte den Hut tiefer in die Stirn. Ulrich allein stand völlig unberührt da, ebenso starr, ebenso verächtlich wie vorhin, und warf auch nicht einmal einen Blick nach jener Seite.

Aber der mit so vieler Mühe und Sorgfalt vorbereitete Empfang sollte ganz anders ausfallen, als man erwartet und gehofft hatte. Ein Schreckensruf des Schichtmeisters, der jetzt außerhalb der Ehrenpforte stand, lenkte Aller Blicke dorthin, und was sie jetzt sahen, war allerdings entsetzlich genug.

Die Höhe herab, über die der Weg vom Dorfe hierher führte, kam oder flog vielmehr ein Wagen, dessen Pferde augenscheinlich im Durchgehen begriffen waren. Vermuthlich durch die Böllerschüsse scheu gemacht, stürmten sie in rasendem Laufe dahin, so daß der Wagen, auf dem unebenen Wege hin- und hergeschleudert, in größter Gefahr schwebte, entweder den jähen Abhang rechts hinabzustürzen, oder an den mächtigen Bäumen links zu zerschellen. Der Kutscher schien alle Geistesgegenwart verloren zu haben, er hatte die Zügel fahren lassen, und klammerte sich in Todesangst an seinen Sitz an, und vom Hügel drüben, wo man der Bäume wegen das Unglück, das man angerichtet, nicht wahrnehmen konnte, krachte noch immer Schuß auf Schuß, und spornte die entsetzten Thiere zu immer wilderem Jagen an. Das schreckliche Ende dieser rasenden Fahrt lag nur zu deutlich vor Augen; bei der Brücke unten kam unausbleiblich die Katastrophe.

Die am Hause Versammelten thaten, was eine größere Versammlung bei solcher Gelegenheit meist zu thun pflegt. Man schrie laut auf vor Schrecken, man lief rathlos und hülflos durcheinander, die so nothwendige Hülfe wirklich zu bringen, fiel Niemandem ein. Selbst von den Grubenarbeitern hatte im Moment, auf den doch hier Alles ankam, keiner den Muth oder die Geistesgegenwart, rasch einzuschreiten. Keiner außer Einem, der allein seine Besonnenheit nicht verlor. Die Gefahr in ihrer ganzen Größe mit einem Blicke überschauen, den Vater und die Cameraden zur Seite schleudern und hinausstürzen, war für Ulrich das Werk einer Minute. In drei Sprüngen hatte er die Brücke erreicht, ein Angstschrei Martha’s hallte ihm nach – zu spät, er hatte sich den Pferden bereits entgegen geworfen und fiel ihnen in die Zügel. Hochauf bäumten sich die erschreckten Thiere, aber anstatt inne zu halten, setzten sie zu neuem Laufe an und wollten ihn mit sich fortreißen. Jeder Andere wäre von ihnen geschleift und zertreten worden, aber Ulrich’s Riesenkraft gelang es, sie zu bändigen. Ein furchtbarer Ruck am Zügel, den er nicht losgelassen, zwang das eine der Rosse zum Sturze, es fiel und riß im Fallen auch das andere mit sich nieder – der Wagen stand.

Der junge Bergmann war an den Schlag getreten, in der sicheren Voraussetzung, die Insassen, zum Mindesten die Dame, in Ohnmacht zu finden. Seiner Auffassung nach war dies der gewöhnliche Zustand der Vornehmen, wenn ihnen irgend eine Gefahr nahe trat, aber nichts von alledem hier, wo, wenn irgendwo im Leben, doch wirklich einmal die Berechtigung zur Ohnmacht vorhanden war. Die junge Frau stand aufrecht im Wagen, sich mit beiden Händen krampfhaft an der Rücklehne festhaltend, ihre starren, weit geöffneten Augen waren noch auf den Abhang gerichtet, in dessen Tiefe die Fahrt wahrscheinlich in der nächsten Minute ein schreckliches Ende gefunden hätte, aber kein Laut, kein Angstschrei war über ihre festgeschlossenen Lippen gekommen. Bereit, wenn es zum Aeußersten kam, einen Sprung zu wagen, der ihr hier freilich unausbleiblichen Tod gebracht hätte, hatte sie dem Tode stumm und fest in’s Antlitz gesehen, und ihr Gesicht zeigte, daß sie es mit vollem Bewußtsein gethan.

Ulrich hatte sie rasch umfaßt und herausgehoben, denn die am Boden sich wild aufbäumenden und schlagenden Thiere brachten den Wagen immer noch in einige Gefahr. Es waren nur wenige Secunden, während er sie über die Brücke trug, aber während dieser Secunden hefteten sich die dunkeln Augen fest auf den Mann, der sich mit solcher Todesverachtung fast unter die Hufe ihrer Pferde geworfen, und sein Blick streifte das schöne blasse Antlitz, das der Gefahr so muthig Stand gehalten – vielleicht war es dem jungen Bergmann gar zu ungewohnt, auf einmal ein weiches schillerndes Seidengewand im Arme, und sich von dem weißen luftigen Schleier umweht zu fühlen, der über seiner Schulter flatterte, ein Ausdruck der Verwirrung glitt über seine Züge, und hastig, beinahe ungestüm, setzte er die Dame drüben nieder.

Eugenie zitterte noch leise, als ihre Lippen sich zu einem tiefen freien Athemzuge öffneten, das war aber auch das einzige Zeichen der überstandenen Angst.

„Ich – ich danke Ihnen! Sehen Sie nach Herrn Berkow!“

Ulrich, der bereits im Begriff stand, dies zu thun, hielt befremdet inne. „Sehen Sie nach Herrn Berkow“, sagte die junge Frau, in einem Momente, wo jede angstvoll den Namen ihres Mannes gerufen hätte, und sie sagte es sehr kühl, sehr ruhig; eine Ahnung von dem, was die Herren an der Terrasse vorhin so ausführlich besprochen, dämmerte in dem jungen Bergmanne auf, er wandte sich um und ging nach „Herrn Berkow“ zu sehen.

Dieser bedurfte indessen seines Beistandes nicht mehr; er war bereits allein ausgestiegen und herübergekommen. Arthur Berkow hatte auch bei dieser Katastrophe seine passiv gleichgültige Natur nicht verleugnet. Als die Gefahr so unvermuthet hereinbrach und seine junge Gattin Miene machte, aus dem Wagen zu springen, hatte er nur die Hand auf ihren Arm gelegt und leise gesagt: „Bleib’ sitzen, Eugenie! Du bist verloren, wenn Du den Sprung wagst!“ Dann war kein Wort, keine Sylbe weiter zwischen ihnen gewechselt worden, aber während Eugenie aufrecht im Wagen stand, nach Hülfe ausblickend und entschlossen, im letzten Moment dennoch das Aeußerste zu wagen, verharrte Arthur unbeweglich auf seinem Platze; nur als man sich der Brücke näherte, hatte er einen Augenblick lang die Hand über die Augen gelegt, und hätte sich wahrscheinlich mit dem Gefährt zerschellen lassen, wäre nicht gerade im entscheidenden Moment die Hülfe gekommen.

Gegenwärtig stand er am Geländer der Brücke, vielleicht um einen Schein bleicher als gewöhnlich, aber ohne Zittern, ohne jede äußere Spur der Erregung; ob er sie überhaupt nicht empfunden hatte, ob er sie bereits beherrschte – Ulrich mußte sich gestehen, daß in dieser Apathie zum Mindesten etwas Ungewöhnliches liege. Der junge Erbe hatte eben noch dem Tode in’s Auge gesehen und jetzt sah er ihn an, als sei ihm dieser energische Retter aus der Todesgefahr eine unfaßbare Merkwürdigkeit.

Die jetzt ziemlich überflüssige Hülfe kam nun von allen Seiten herbei. Zwanzig Hände regten sich auf einmal, die gestürzten Pferde wieder aufzurichten und dem vor Schreck noch immer halb besinnungslosen Kutscher herabzuhelfen. Der ganze Schwall der Beamten drängte sich herbei und umgab das junge Ehepaar mit Bedauern, Theilnahme und Beileidsbezeigungen aller Art. Man erschöpfte sich in Fragen und Hülfsleistungen, man konnte gar nicht begreifen, wie das Unglück hatte geschehen können, und maß den Schüssen, dem Kutscher und den Pferden abwechselnd die Schuld bei. Arthur ließ das einige Minuten lang völlig passiv über sich ergehen, dann machte er eine abwehrende Bewegung.

„Nicht doch, meine Herren, ich bitte Sie! Sie sehen ja, daß wir Beide unverletzt sind. Lassen Sie uns nur vor allen Dingen nach dem Hause gelangen.“

Er wollte seiner Gattin den Arm reichen, um sie dorthin zu führen, Eugenie aber blieb stehen und blickte umher.

„Und unser Retter? Hoffentlich ist auch ihm nichts geschehen?“

„Ja so, das hätten wir beinahe vergessen!“ sagte der Director etwas beschämt. „Es war ja Hartmann, der die Pferde aufhielt! Hartmann, wo sind Sie?“

Der Gerufene antwortete nicht, aber Wilberg, der in seiner Bewunderung für die romantische That ganz seinen vorherigen Groll gegen den Thäter vergaß, rief eifrig: „Dort drüben steht er!“ und eilte hinüber zu dem jungen Bergmanne, der sofort zurückgetreten war, als die Herren sich herbeidrängten, und jetzt an einem der Bäume seitwärts lehnte.

„Hartmann, Sie sollen – mein Himmel, was ist Ihnen denn? Sie sind ja todtenblaß, und wo kommt denn das Blut her?“

Ulrich kämpfte augenscheinlich mit einem Anfalle von Bewußtlosigkeit, aber dennoch flog ein zorniges Aufleuchten über seine Züge, als der junge Beamte eine Bewegung machte, ihn zu stützen. Empört, daß man ihm so etwas wie eine Ohnmacht zutrauen könne, richtete er sich hastig auf und preßte die geballte Hand fester auf die blutende Stirn.

„Es ist gar nichts! Eine bloße Schramme! Wenn ich nur ein Tuch hätte.“

Wilberg war im Begriff das seinige hervorzuziehen, als plötzlich ein seidenes Gewand dicht neben ihm rauschte. Die junge Frau Berkow stand an seiner Seite und reichte, ohne ein Wort zu sprechen, ihr eigenes, mit kostbaren Spitzen besetztes Taschentuch hin.

Baroneß Windeg mochte wohl noch niemals in die Lage gekommen sein, bei Verwundungen praktische Hülfe zu leisten, sonst hätte sie sich sagen müssen, daß dies winzige, reich gestickte Battisttuch wenig geeignet war, das Blut zu stillen, das, bisher noch durch das dichte blonde Haar etwas zurückgehalten, jetzt mit voller Macht hervorbrach, und Ulrich mußte das besser als sie wissen, dennoch griff er wie unwillkürlich nach dem Dargebotenen.

„Danke, gnädige Frau, aber das nützt uns nicht viel,“ sagte der Schichtmeister, der bereits neben seinem Sohne stand und den Arm um dessen Schulter legte. „Halt’ still, Ulrich!“ damit zog er sein eigenes Taschentuch von derbem Leinen hervor und drückte es auf die dem Anscheine nach ziemlich tiefe Kopfwunde.

„Ist es denn gefährlich?“ fragte Arthur Berkow, der in Begleitung der übrigen Herren jetzt auch herbeikam, in schleppendem Tone.

Mit einem Rucke hatte sich Ulrich von seinem Vater losgemacht und in die Hohe gerichtet, die blauen Augen blickten finsterer als je, als er herb entgegnete:

„Ganz und gar nicht! Es braucht sich Niemand darum zu kümmern, ich helfen mir schon allein.“

Die Worte klangen ziemlich unehrerbietig; indessen der eben geleistete Dienst war doch zu groß, als daß man sie hätte rügen können. Uebrigens schien Herr Berkow froh zu sein, daß die Antwort ihn der Mühe überhob, sich noch weiter um die ganze Angelegenheit zu kümmern.

„Ich werde Ihnen den Arzt senden,“ sagte er in seiner matten gleichgültigen Weise, „und den Dank behalten wir uns noch vor. Für den Augenblick ist ja Hülfe genug da – darf ich bitten, Eugenie?“

Die junge Frau nahm den dargebotenen Arm, aber sie wandte den Kopf noch einmal zurück, wie um sich zu überzeugen, ob die nöthige Hülfe auch wirklich da sei. Es schien fast, als ob die Art, wie ihr Gemahl die Sache behandelte, nicht ihren Beifall habe.

„Unser ganzer Empfang ist verunglückt!“ sagte Wilberg, als er sich einige Minuten später den Herren anschloß, die den Sohn ihres Chefs und dessen Gattin nach dem Hause begleiteten, ganz niedergeschlagen zu dem Ober-Ingenieur.

„Und Ihr Gedicht dazu!“ spöttelte dieser. „Wer denkt jetzt noch an Verse und Blumen? Uebrigens für Jemand, der an Vorbedeutungen glaubt, war dieser erste Empfang in der neuen Heimath gerade nicht glückverheißend. Todesgefahr, Verwundung, Blut – aber das ist ja gerade eine Romantik in Ihrem Style, Wilberg. Sie können eine Ballade darüber dichten, nur müssen Sie diesmal nothgedrungen den Hartmann zum Helden nehmen.“

„Und er ist und bleibt dennoch ein Bär!“ rief Wilberg etwas gereizt. „Konnte er der gnädigen Frau nicht ein Wort des Dankes sagen, als sie ihm ihr eigenes Taschentuch anbot? und wie ungezogen war seine Antwort Herrn Berkow gegenüber! Aber eine Riesennatur hat dieser Mensch! Als ich ihn frage, weshalb um Gotteswillen er sich denn nicht eher verbunden hat, giebt er mir lakonisch zur Antwort, er hätte die Wunde anfangs gar nicht bemerkt. Ich bitte Sie! Empfängt da einen Schlag am Kopfe, der Jeden von uns ohnmächtig hingestreckt hätte, und der bändigt erst noch die Pferde, trägt die gnädige Frau aus dem Wagen und merkt es nicht eher, daß er verwundet ist, als bis ihm das Blut stromweis herabstürzt; das sollte ein Anderer aushalten!“

Die sämmtlichen Grubenarbeiter waren inzwischen bei ihrem Cameraden zurückgeblieben; die Art, wie der künftige Chef sich mit diesem und seinem Danke an ihn abgefunden, für den Augenblick wenigstens, schien sie arg verletzt zu haben. Man sah viel finstere Blicke, hörte manche bittere, schneidende Bemerkung, selbst der Schichtmeister zog die Stirne kraus und hatte heute ausnahmsweise kein Wort der Vertheidigung für den jungen Herrn. Er war noch immer bemüht, das Blut zu stillen, wobei ihm Martha thätige Hülfe leistete. Die Züge des Mädchens trugen einen Ausdruck so unverkennbarer Angst, daß er selbst Ulrich hätte auffallen müssen, wären seine Augen nicht nach einer ganz anderen Richtung hingewendet gewesen. Es war ein seltsam langer und finsterer Blick, mit dem er den Davonschreitenden nachschaute; er dachte augenscheinlich an etwas ganz Anderes, als an den Schmerz seiner Wunde.

Im Begriffe, einen vorläufigen Verband um die noch immer blutende Stirn zu legen, bemerkte der Schichtmeister, daß sein Sohn das Spitzentaschentuch noch in der Hand hielt.

„Das Spinngewebe,“ die Stimme des Alten klang ungewöhnlich bitter, „das gestickte Spinngewebe hätten uns auch was Rechtes genützt! Gieb es der Martha, Ulrich, sie kann es der gnädigen Frau wieder zurückbringen.“

Ulrich blickte auf das Tuch nieder, das weich und duftig wie ein Hauch zwischen seinen Fingern lag; als aber Martha die Hand danach ausstreckte, hob er es rasch empor und preßte es auf die Wunde, die zarten Spitzen färbten sich blutroth.

„Aber was machst Du denn!“ rief der Vater halb erstaunt, halb ärgerlich. „Willst Du etwa mit dem Dinge da das zolltiefe Loch im Kopfe verbinden? Ich dächte, wir hätten Tücher genug!“

„Ja so, ich dachte nicht daran!“ entgegnete Ulrich kurz. „Laß nur, Martha, es ist ja nun doch einmal verdorben,“ damit schob er es ohne Weiteres in seine Blouse.

Die Hände des Mädchens, die sich eben noch so flink gerührt, sanken auf einmal nieder und unthätig sah sie zu, wie der Schichtmeister einen nothdürftigen Verband anlegte und das Tuch festband. Dabei hefteten sich ihre Augen fest auf Ulrich’s Gesicht. Weshalb beeilte er sich so das kostbare Tuch unbrauchbar zu machen, wollte er es vielleicht nicht zurückgeben?

Der junge Bergmann schien übrigens wenig Talent für die Krankenrolle zu haben. Er hatte sich schon sehr ungeduldig gezeigt bei all den reichlich angebotenen Hülfsleistungen, und es bedurfte der ganzen Autorität des Vaters, um ihn zu vermögen, daß er sie sich überhaupt gefallen ließ; jetzt aber stand er auf und erklärte entschieden, nun sei es genug, man möge ihn endlich einmal in Ruhe lassen.

„Laßt ihn, den Starrkopf!“ sagte der Schichtmeister. „Ihr wißt ja, es ist nichts mit ihm anzufangen; wir wollen hören, was der Doctor sagt. – Du bist mir der rechte Held, Ulrich! Bei der Ehrenpforte helfen, die für die neue Herrschaft gebaut wird, das geht beileibe nicht, das ist ‚entwürdigend‘, aber sich vor die Pferde werfen, die mit derselben Herrschaft durchgehen, und sich gar nicht darum kümmern, daß noch ein alter Vater da ist, der nur den einen Jungen hat auf der ganzen Welt, das kannst Du. Consequenz nennt man ja das wohl in Eurer neumodischen Sprache. Nun, Ihr Anderen, da Ihr doch einmal Euerm Herrn und Meister in allen Stücken folgt – es kann wirklich nicht schaden, wenn Ihr Euch auch diesmal ein Beispiel an ihm nehmt.“

Und mit diesen Worten, denen man trotz ihres erkünstelten Grolles nur zu deutlich den Stolz auf den Sohn und die Zärtlichkeit für ihn anhörte, ergriff er Ulrich’s Arm und zog ihn mit sich fort.

3

Inhaltsverzeichnis

Es war gegen Abend. Die Festlichkeiten auf den Berkow’schen Gütern hatten, wenigstens soweit es die Theilnahme der Herrschaft daran betraf, ihr Ende erreicht. Man hatte, nachdem die gefährliche Katastrophe, welche beinahe das ganze Fest in Frage stellte, glücklich überwunden war, das ursprüngliche Programm gewissenhaft innegehalten. Jetzt endlich befand sich das junge Ehepaar, das den ganzen Nachmittag über von allen Seiten in Anspruch genommen worden war, allein in seiner Wohnung. Soeben hatte sich Herr Schäffer verabschiedet, der morgen nach der Residenz zu dem ältern Herrn Berkow zurückkehrte, und jetzt verließ auch der Diener, nachdem er den Theetisch in Ordnung gebracht, das Gemach.

Die auf dem Tische brennende Lampe warf ihr klares, mildes Licht auf die hellblauen Damasttapeten und die kostbar gearbeiteten Möbel des kleinen Salons, der, wie überhaupt sämmtliche Räume des Hauses, zum Empfange der jungen Frau ganz neu und höchst prachtvoll eingerichtet, zu den Zimmern der letztern gehörte. Die seidenen Vorhänge, dicht zugezogen, schienen das Gemach von der Außenwelt völlig abzuschließen; in den Vasen und Marmorschalen dufteten die Blumen, und auf dem Tische vor dem kleinen Ecksopha stand das silberne Theeservice bereit, es war mitten in all der Pracht doch ein Bild traulicher harmonischer Häuslichkeit.

Soweit es eben den Salon betraf – die Neuvermählten schienen vorläufig den Zauber dieser Häuslichkeit noch nicht zu empfinden. Die junge Frau stand, noch im vollen Gesellschaftsanzuge, auf dem Teppich inmitten des Zimmers und hielt das Bouquet in der Hand, das Wilberg an Stelle Martha’s nun selbst zu überreichen das Glück gehabt hatte. Der Duft der Orangenblüthen fesselte sie sehr, so sehr, daß sie nicht die mindeste Aufmerksamkeit für ihren Gatten übrig behielt, der eine solche Aufmerksamkeit auch in der That nicht beanspruchte, denn kaum hatte sich die Thür hinter dem Diener geschlossen, so sank er mit dem Ausdrucke der Erschöpfung in einen Fauteuil.

„Dieses ewige Repräsentirenmüssen ist wirklich tödtend! Findest Du nicht, Eugenie? Seit gestern Mittag hat man uns kaum eine Minute Erholung gegönnt! Erst die Trauung, dann das Diner, dann die höchst anstrengende Eisenbahn- und Extrapostfahrt, die ganze Nacht und den ganzen Vormittag hindurch, dann noch den tragischen Zwischenfall, hier wieder Empfang, Beamtenvorstellung, Diner – mein Papa scheint, als er das Programm dieser Festlichkeiten entwarf, gar nicht daran gedacht zu haben, daß wir so etwas wie Nerven besitzen. Die meinigen sind, ich gestehe es, völlig hin.“

Die junge Frau wendete den Kopf und ein sehr geringschätzender Blick glitt über den Mann hin, der bei diesem ersten traulichen Beisammensein ihr von seinen „Nerven“ sprach. Eugenie schien nun allerdings diesen Uebelstand nicht zu kennen; ihr schönes Gesicht verrieth auch nicht die leiseste Spur von Ermüdung.

„Hast Du Nachricht erhalten, ob die Wunde des jungen Hartmann gefährlich ist?“ fragte sie statt aller Antwort.

Arthur schien etwas befremdet, daß man von der ungewöhnlich langen Rede, zu der er sich ausnahmsweise einmal hatte fortreißen lassen, so gar keine Notiz nahm. „Schäffer sagt, es sei nicht von Bedeutung,“ entgegnete er gleichgültig. „Er hat, glaube ich, den Arzt gesprochen. Dabei fällt mir ein, man wird doch auf irgend eine Anerkennung für den jungen Menschen denken müssen. Ich werde den Director damit beauftragen.“

„Solltest Du die Sache nicht lieber persönlich in die Hand nehmen?“

„Ich? Nein, damit verschone mich! Wie ich nachträglich höre, ist es nicht einmal ein gewöhnlicher Arbeiter, der Sohn, des Schichtmeisters, selbst Steiger oder so etwas; wie kann ich da wissen, ob hier Geld oder ein Geschenk oder sonst etwas am Platze ist! Der Director wird das ganz ausgezeichnet arrangiren.“