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Alexandre Dumas

 

 

Die Genossen Jehus

 

 

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Covergestaltung: Olga Repp

Übersetzer: Dr. Edmund Zoller

Digitalisierung: Gunter Pirntke


2016 andersseitig.de


ISBN:

9783961182312 (ePub)

9783961182329 (mobi)


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Dresden

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Einleitung Die Stadt Avignon.

 

Ich weiß nicht, ob das Vorwort, das wir den Augen des Lesers unterbreiten wollen, sehr nützlich ist, und doch können wir dem Wunsche nicht widerstehen, wenn nicht das erste Kapitel, so doch die Einleitung dieses Buches daraus zu machen.

 

Je weiter wir im Leben, je weiter wir in der Kunst vorrücken, desto mehr überzeugen wir uns da» von, dass nichts abgerissen und isoliert ist, dass die Natur und die Gesellschaft einen folge richtigen, nicht einen durch Zufälle bestimmten Gang geht, und dass das Ereignis, diese heitere oder düstere, wohlriechende oder übelriechende, lächelnde oder traurige Blume, die sich heute unter unsern Augen öffnet, ihre Knospe in der Vergangenheit und ihre Wurzeln vielleicht in alten Tagen hatte, wie sie ihre Frucht in der Zukunft treiben wird.

 

Solange der Mensch jung ist, nimmt er die Zeit, wie sie kommt: er blickt heiter aus das Gestern zurück, kümmert sich wenig um das Heute und kennt keine Sorge für den nächsten Tag. Die Jugend ist der Frühling mit seiner frischen Morgenröte und seinen schönen Abenden; zieht manchmal ein Sturm am Himmel aus, so bricht er unter Donner los und ist ebenso rasch vorüber: der Himmel aber blaut noch einmal so schön, die Atmosphäre ist noch einmal so rein und die ganze Natur lächelt freundlicher, denn zuvor.

 

Wozu an die Ursachen dieses Sturmes denken, der rasch wie eine Laune, ephemer wie eine Phantasie vorübergeht? Ehe wir die Lösung des meteorologischen Rätsels haben, ist der Sturm vorbeigerauscht.

 

Anders aber ists mit diesen furchtbaren Phänomen, die gegen Ende des Sommers unserer Ernte drohen, die im Herbste unsere Weinberge belagern: man fragt sich, wohin sie gehen, man kümmert sich darum, woher sie kommen und sucht das Mittel, ihren Schaden abzuwenden.

 

Für den Denker, für den Geschichtsschreiber, für den Dichter nun liegt ein ganz anderer Stoff tieferen Erwägens in den Revolutionen, diesen Stürmen der sozialen Atmosphäre, die die Erde mit Blut bedecken und eine ganze Generation von Menschen vernichten, als in den Stürmen des Himmels, die eine Fruchternte überschwemmen, und eine Weinernte verhageln, das heißt, die Hoffnung eines einzigen Jahres vernichten und ein Unheil anrichten, das, weit gegriffen, das folgende Jahr wieder gut machen kann, wenn der Herr nicht gerade, seine Zornestage hat.

 

Ehedem würde ich, sei es aus Vergesslichkeit, sei es aus Gleichgültigkeit, vielleicht auch aus Unwissenheit — glücklich wer da nicht weiß! unglücklich wer da weiß! — ehedem würde ich wohl die Geschichte, die ich meinen Lesern heute mittheilen will, erzählt haben, ohne mich bei dem Orte auszuhalten, wo die erste Scene meines Buches spielt, ich hätte ohne Weiteres diese Scene geschrieben, ich hätte den Süden wie eine zweite Provinz behandelt, Avignon wie eine zweite Stadt genannt.

 

Aber heute ist das nicht mehr der Fall: ich lebe nicht mehr in den Stürmen des Frühlings, sondern in den Wettern des Sommers und den Ungewittern des Herbstes. Wenn ich heute Avignon nenne, so zitiere ich ein Gespenst und wie Antonius, als er das Totentuch von Cäsars Leiche wegnahm, ausrief: »Hier schauet! fuhr des Cassius Dolch herein: seht, welchen Riss der tück'sche Casca machte! Hier stieß der viel geliebte Brutus durch!« so sage ich, indem ich das blutige Leichentuch der päpstlichen Stadt anblicke: »Hier fließt das Blut der Albigenser, dort das Blut der Camisarden: hier das Blut der Republikaner, dort das Blut der Royalisten: hier das Blut Lescuyers, dort das Blut des Marschalls Brune.«

 

Und ich fühle mich von einer tiefen Trauer erfasst und beginne zu schreiben: aber bei den ersten Zeilen gewahre ich, dass, ohne mich dessen zu versehen, der Griffel des Historikers in meiner Hand an die Stelle des Romanschreibers getreten.

 

Nun, wir wollen beides sein: gönne, lieber Leser, die zehn, die fünfzehn, die zwanzig ersten Seiten dem Historiker, die übrigen gehören dem Romanschreiber.

Sagen wir deshalb einige Worte von Avignon, dem Orte, wo die erste Scene des neuen Buches spielt, das wir dem Publikum übergeben.

Vielleicht ist es gut, ehe man liest, was wir davon sagen, einen Blick, aus das zu werfen, was sein nationaler Geschichtsschreiber, Franyois Nouguier, davon sagt.

 

»Avignon,« sagt er, »eine edle Stadt durch ihr Alter, angenehm durch ihre Lage, stolz durch ihre Mauern, lachend durch die Fruchtbarkeit ihrer Ländereien, reizend durch den sanften Charakter ihrer Einwohner, prachtvoll durch ihren Palast, schön durch ihre großen Straßen, bewundernswert durch die Bauart ihrer Brücke, reich durch ihren Handel und bekannt in der ganzen Welt.«

 

Der Schatten Franyois Nouguiers möge uns verzeihen, wenn wir seine Vaterstadt nicht mit ganz denselben Augen ansehen.

Die, welche Avignon kennen, werden entscheiden, wer sie richtiger geschildert, der Historiker oder der Romanschreiber.

 

Die Gerechtigkeit erfordert vor allem festzustellen, dass Avignon eine ganz besondere Stadt ist, das heißt die Stadt der extremsten Leidenschaften: die Epoche religiöser Kämpfe, die in ihr den politischen Hass entzündet, gehört dem 12. Jahrhundert an: die Täler des Ventoux bargen nach seiner Flucht aus Lyon Pierre de Vaux und seine Waldenser, die Vorfahren jener Protestanten, welche unter dem Namen Albigenser den Grafen von Toulouse viele Verfolgung zuzogen und die sieben Schlösser, welche Raimund IV. in Languedoc besaß, dem Papste eintrugen.

 

Als mächtige, von Podestas regierte Republik verweigerte Avignon seine Unterwerfung unter den König von Frankreich. Eines Morgens erschien jedoch Ludwig VIII., der es viel einfacher fand, einen Kreuzzug nach Avignon zu unternehmen, wie es Simon von Montfort getan, als nach Jerusalem zu ziehen, wie Philipp August, eines Morgens sagen wir, erschien Ludwig VIII. vor den Toren von Avignon und verlangte, die Lanze eingelegt, den Helm aus dem Kopfe, mit flatternden Bannern und schmetternden Kriegstrompeten, Einlass.

 

Die Bürger verweigerten ihn: sie boten dem König von Frankreich als äußerste Konzession den friedlichen Einlass an, wenn er das Haupt entblößen, die Lanze im Bügel halten und nur das königliche Banner entfalten wolle. Der König begann die Blocade: diese Blocade dauerte drei Monate, während welcher, sagt der Chronist, die Bürger von Avignon den französischen Soldaten Pfeil mit Pfeil, Wunde mit Wunde, Tod mit Tod bezahlten.

Die Stadt kapitulierte endlich. Ludwig VIII. führte in seiner Armee den Cardinallegaten Romain de St. Ange mit sich: dieser diktierte die Bedingungen, echte Priesterbedingungen, hart und absolut.

 

Die Bewohner von Avignon wurden dazu verurteilt, ihre Bollwerke zu demolieren, ihre Gräben aufzufüllen, dreihundert Türme niederzureißen, ihre Schiffe auszuliefern und ihre Kriegsmaschinen zu verbrennen. Sie mussten außerdem eine ungeheure Kontribution bezahlen, die Waldenser Ketzerei abschwören und in Palästina dreißig Bewaffnete vollständig equipirt unterhalten, um zur Befreiung des heiligen Grabes mitzuwirken. Um endlich die Vollziehung dieser Bedingungen zu überwachen, von denen die Bulle noch in den Stadtarchiven existiert, wurde eine Brüderschaft von Büßenden gestiftet, die sich durch sechs Jahrhunderte bis aus unsere Zeit erhalten hat.

 

Im Gegensatz zu diesen Büßenden, welche man die weißen Büßenden nennt, wurde der Orden der schwarzen Büßenden gestiftet, welcher ganz das Gepräge des Oppositionsgeistes des Grafen Raimund von Toulouse trug.

 

Von diesem Tag schlug der religiöse Hass in politischen Hass um.

Es war für Avignon nicht mehr genug, das Land der Ketzerei zu sein, es musste der Schauplatz des Schismas werden.

 

Man erlaube uns in Beziehung aus das französische Rom eine kurze historische Abschweifung; genau genommen wäre sie hinsichtlich des Vorwurfs, den wir behandeln, nicht nötig, und vielleicht würden wir besser daran tun, uns mit einem Sprung mitten in das Drama hinein zu versetzen, aber wir hoffen, dass man uns verzeihen wird. Wir schreiben überdies für solche, welche in einem Roman bisweilen gerne etwas anderes finden, als Roman.

Im Jahre 1285 bestieg Philipp der Schöne den Thron.

 

Das Jahr 1285 ist ein Datum von großer historischer Bedeutung. Das Papsttum, das in der Person Gregor VII. dem Kaiser von Deutschland die Stirne bot; das Papsttum, das, materiell von Heinrich IV. besiegt, ihn moralisch unterjochte; das Papsttum wird von einem einfachen sabinischen Edelmann geohrfeigt und der eiserne Handschuh Colonnas machte das Gesicht Bonifatius VIII. erröten.

 

Aber der König von Frankreich, durch dessen Hand die Ohrfeige eigentlich gegeben worden, was hatte er unter dem Nachfolger Bonifatius VIII. zu erwarten?

Dieser Nachfolger war Benedict XI., ein Mann von niederer Herkunft, der jedoch vielleicht ein Mann von Genie gewesen, wenn man ihm die Zeit gegönnt.

Zu schwach, um sich mit Philipp dem Schönen in einen Kampf einzulassen, fand er ein Mittel, um das ihn zweihundert Jahre später der Stifter eines berühmten Ordens beneidet hätte. Er verzieh Colonna großmütig und öffentlich.

Colonna verzeihen hieß Colonna für schuldig erklären; nur die Schuldigen bedürfen der Verzeihung.

Wenn Colonna schuldig war, so war der König von Frankreich mindestens sein Mitschuldiger.

Es war einige Gefahr dabei, einen solchen Beweis aufrecht zu erhalten; Benedict XI. war auch nur acht Monate Papst.

Eines Tages erschien eine verschleierte Frau, welche sich für eine Konvertitin der h. Petronilla von Perouse ausgab, als er gerade bei Tische saß, und überreichte ihm ein Körbchen mit Feigen.

 

War eine Natter darin verborgen, wie in dem der Cleopatra? Tatsache ist, dass der Heilige Stuhl andern Tages vakant wurde.

Damals hatte Philipp der Schöne eine seltsame Idee, so groß, dass sie ihm anfangs wie eine Halluzination erscheinen musste.

Es war dies die Idee, das Papsttum von Rom nach Frankreich zu ziehen, es an Ketten zu legen, und es Münzen zu seinem Nutzen schlagen zu lassen.

 

Die Regierung Philipp des Schönen war die Zeit der Ankunft des Goldmessias. Das Gold war der einzige und alleinige Gott dieses Königs, der einen, Papst geohrfeigt. Der h. Ludwig hatte einen Priester zum Minister, den würdigen Abt Suger: Philipp der Schöne hatte zwei Banquiers zu Ministern, die beiden Florentiner Biscio und Musciato.

Du erwartest wohl, lieber Leser, wir werden in den philosophischen Gemeinplatz der Verwünschung des Goldes verfallen? Du täuschest Dich!

Im 13. Jahrhundert ist das Gold ein Fortschritt.

Bis dahin kannte man nur die Erde.

 

Das Gold war die gemünzte Erde, die bewegliche, tauschbare, transportable, teilbare, verfeinerte, so zu sagen vergeistigte Erde.

Solange die Erde nicht ihre Repräsentation im Golde hatte, hatte der Mensch wie der Gott Terminus, dieser Grenzstein der Felder, die Füße in der Erde stecken. Ehedem nahm die Erde den Menschen mit sich fort: jetzt nimmt der Mensch die Erde mit sich fort.

Aber das Gold musste man von dem Orte heben, wo es lag: und wo es lag, war es ganz anders vergraben, als in den Minen von Chili oder Mexico.

Das Gold- war bei den Juden und in den Kirchen.

Um es aus dieser doppelten Mine zu heben, brauchte es mehr, als einen König, es brauchte einen Papst.

 

Deshalb beschloss Philipp der Schöne, dieser große Schatzgräber, eines Papstes Gunst gewinnen zu wollen.

Benedict XI. war tot, das Konklave in Perugia; die französischen Kardinäle bildeten die Majorität im Konklave.

Philipp der Schöne warf sein Auge auf den Erzbischof von Bordeaux, Bertrand de Got. Er kam mit ihm in einem Walde bei Saint Jean d'Angely zusammen.

Bertrand de Got hütete sich bei der Zusammenkunst zu fehlen.

Sie hörten dort die Messe und als das Sanktissimum erhoben wurde, schwuren sie sich bei dem Gott, den man verherrlichte, absolute Verschwiegenheit.

 

Bertrand de Got wusste noch nicht, um was es sich handelte.

Als die Messe zu Ende war, sagte Philipp der Schöne zu ihm:

»Erzbischof, es liegt in meiner Macht, Dich zum Papste zu machen.«

Bertrand de Got achtete anfangs nicht darauf, und warf sich dem König zu Füßen.

»Was muss ich tun, um das zu erreichen?« fragte er.

»Mir sechs Gunstbezeugungen erweisen, die ich von Dir verlangen werde,« antwortete Philipp der Schöne.

»Es ist an Dir zu befehlen, und an mir zu gehorchen,« sagte der künftige Papst.

Der Schwur der Dienstbarkeit war geleistet.

Der König erhob sich, küsste ihn auf den Mund und sagte:

»Die sechs Gunstbezeugungen, die ich von Dir verlange, sind folgende:

»Die erste, dass Du mich vollkommen mit der Kirche aussöhnst und dass Du mir die Missetat vergeben lassest, die ich an Bonifaz VIII. begangen;

Die zweite, dass Du mir und den Meinigen das Nachtmahl wieder gebest, das der Hof von Rom mir entzogen;

Die dritte, dass Du mir die Zehnten der Geistlichkeit in meinem Königreich auf fünf Jahre zuerkennst, um die im flandrischen Kriege gehabten Unkosten zu decken;

Die vierte, dass Du das Andenken an Papst Bonifacius VIII, vernichtest und annullierst;

Die fünfte, dass Du den Messires Jacopo und Pietro de Colonna die Kardinalswürde verleihest;

Von der sechsten Gunstbezeugung und Versprechung behalte ich mir vor, zur geeigneten Zeit am geeigneten Orte mit Dir zu sprechen.«

 

Bertrand de Got beschwor die bekannten Versprechungen und Gunstbezeugungen und die unbekannte Versprechung und Gunstbezeugung. Diese letztere, welche der König nicht hinter den andern nennen wollte, war die Aushebung des Templer-Ordens.

Außer dem Versprechen und dem Schwur aus das Corpus Domini gab Bertrand de Got seinen Bruder und zwei seiner Neffen als Geißel.

Der König schwur seinerseits, dass er ihn zum Papst erwählen lassen werde.

 

Diese Szene, welche an dem Kreuzweg eines Waldes in der Dunkelheit vor sich ging, glich weit mehr einer Beschwörung zwischen einem Zauberer und dem Teufel, als einem Vertrag, den ein König mit einem Papst abschließt.

Die Krönung des Königs, welche einige Zeit später in Lyon stattfand und mit der die Gefangenschaft der Kirche begann, schien Gott wenig zu gefallen.

 

Im Augenblicke, als der königliche Zug vorüberkam, stürzte eine mit Zuschauern besetzte Mauer zusammen, verwundete den König und tötete den Herzog von Bretagne.

Der Papst wurde umgeworfen, die Tiara rollte in den Kot.

Bertrand de Got wurde unter dem Namen Clemens V. zum Papste erwählt.

Clemens V. leistete alles, was Bertrand de Got versprochen hatte.

 

Philipp wurde für unschuldig erklärt, das Nachtmahl ihm und den Seinen wieder gegeben, der Purpur floss von den Schultern der Colonna, die Kirche wurde verpflichtet, die flandrischen Kriege und den Kreuzzug Philipps von Valois gegen das griechische Kaiserreich zu bezahlen. Das Gedächtnis, Papst Bonifacius VIII. wurde, wenn auch nicht vernichtet und annulliert, so doch beschimpft: die Mauern des Tempels wurden niedergerissen und die Templer aus dem Wallgange des Pont-Neuf verbrannt.

 

Alle diese Edikte — man hieß sie von dem Augenblick an, da sie die weltliche Macht diktierte, nicht mehr Bullen — alle diese Edikte waren von Avignon datiert.

 

Philipp der Schöne wurde der reichste König der französischen Monarchie; er besaß einen unerschöpflichen Schatz: es war dies sein Papst. Er hatte ihn gekauft, er bediente sich seiner, er legte ihn unter die Presse, und wie aus einer Presse Most und Wein fließen, so floss aus diesem zerdrückten Papst Gold.

Das Pontifikat, das in der Person Bonifacius VIII. geohrfeigt worden war, abdikierte von seiner weltlichen Herrschaft in der Person Clemens V.

Wir haben erzählt, wie der blutige König und der goldene Papst erstanden.

Man weiß, wie sie von hinnen gingen.

 

Jacob von Molau hatte Beiden von seinem Scheiterhaufen herab ein Jahr bestimmt, in dem sie vor Gott erscheinen sollten. »Der sterbende Greis hat die Gabe einer Sybille,« sagt Aristophanes.

Clemens V. schied zuerst von der Erde: er hatte im Traume seinen Palast brennen sehen.

»Von diesem Augenblicke an,« sagt Baluze, »wurde er traurig und genas nicht mehr.«

 

Sieben Monate später kam die Reihe an Philipp; die einen lassen ihn aus der Jagd sterben, von einem Wildschwein umgeworfen. Dante gehört zu diesen. »Der,« sagt er, »den man an der Seine hatte Münzen fälschen sehen, starb von dem Stoß eines Wildschweinzahns.« Aber Guillaume de Nangis lässt den königlichen Falschmünzer eines weit mehr aus das Walten der Vorsehung deutenden Todes sterben.

 

»Abgezehrt durch eine den Ärzten unbekannte Krankheit starb Philipp,« sagt er, »zum großen Erstaunen aller Welt, ohne dass sein Puls oder sein Urin die Ursache der Krankheit oder die drohende Gefahr verraten hätten.«

»Der ausschweifende König, der tumultuarische König Ludwig X.« sagt Hutin, »folgte seinem Vater Philipp dem Schönen, Johann XXII. Clemens V.«

 

Avignon wurde damals in der Tat ein zweites Rom. Johann XXII. und Clemens VI. machten es zur Königin des Luxus. Die Sitten der Zeit machten daraus die Königin der Verschwendung und Üppigkeit. An der Stelle seiner Türme, welche Romain de St. Ange niedergerissen, umgab Hernandez de Heredi, der Großmeister des Johanniterordens von Jerusalem, seine Hüfte mit einem Mauergürtel. Die Stadt besaß ausschweifende Mönche, welche die heiligen Umfriedungen der Klöster zu Orten der Liederlichkeit und Üppigkeit machten: sie besaß schöne Kurtisanen, welche die Diamanten aus der Tiara brachen, um sich Arm- und Halsbänder daraus zu machen: endlich hatte sie die Echos von Baucluse, die ihr die süßen und melodiösen Lieder Petrarcas sangen.

 

Dies dauerte, bis König Karl V., ein kluger und religiöser Fürst, welcher dem Skandal ein Ende zu machen beschlossen, den Marschall von Boucicaut schickte, um den Gegenpapst Benedict XIII. aus Avignon zu vertreiben: bei dem Anblick der Soldaten des Königs von Frankreich erinnerte sich dieser jedoch, dass er, ehe er Papst unter dem Namen Benedict XIII. geworden, Kapitän unter dem Namen Peter de Luna gewesen. Fünf Monate verteidigte er sich, selbst aus den Mauern seines Schlosses die Kriegsmaschinen richtend, welche weit mörderischer waren, als seine päpstlichen Blitze. Endlich zu fliehen gezwungen, entkam er durch ein Schlupfthor aus der Stadt, nachdem er hundert Häuser zerstört, und viertausend Avignoneser getötet und flüchtete nach Spanien, wo der König von Arragonien ihm ein Asyl bot. Dort segnete er jeden Morgen von einen Turm herab, in Gegenwart zweier Priester, aus denen er sein heiliges Collegium gebildet, die Welt, der es darum nicht besser ging, und exkommunizierte seine Feinde, denen es darum nicht schlimmer ging.

 

Als er sich endlich dem Tode nahe fühlte und fürchtete, das Schisma möchte mit ihm aufhören, so ernannte er seine beiden Vikare zu Kardinälen, unter der Bedingung, dass, wenn er gestorben, der eine den andern zum Papst erwähle. Die Wahl ging vor sich. Der neue Papst setzte einen Augenblick, von dem zweiten Kardinal unterstützt, der ihn gewählt, das Schisma fort. Endlich traten beide in Unterhandlung mit Rom, taten öffentliche Abbitte und kehrten in den Schoß der heiligen Kirche zurück, der eine mit dem Titel eines Erzbischofs von Sevilla, der andere mit dem eines Erzbischof von Toledo.

 

Von diesem Augenblick bis zum Jahre 1790 wurde Avignon, das seine Päpste Verloren hatte, von Legaten und Vize-Legaten regiert: es hatte sieben päpstliche Herrscher, die während siebenmal zehn Jahren in seinen Mauern residiert: es hatte sieben Spitäler, sieben büßende Brüderschaften, sieben Männerklöster, sieben Frauenklöster, sieben Parochieen und sieben Kirchhöfe.

 

Man begreift, dass jene beiden büßenden Brüderschaften, von denen die eine die Ketzerei, die andere die Orthodoxie, die eine die französische Partei, die andere die römische Partei, die eine die absolut Monarchisch gesinnten, die andere den konstitutionellen Fortschritt repräsentierte, nicht die Elemente des Friedens und der Sicherheit für die alte päpstliche Stadt waren; man begreift, sagen wir, dass in dem Augenblicke, wo in Paris die Revolution losbrach und diese Revolution sich durch die Einnahme der Bastille manifestierte, die beiden Parteien, welche noch von den Religionskriegen unter Ludwig XIV. glühten, nicht untätig gegenüber voneinander blieben.

 

Für die, welche Avignon kennen, gab es zu jener Zeit und gibt es noch zwei Städte in der Stadt: die Stadt der Geistlichen, das heißt die römische Stadt, und die Stadt der Handeltreibenden, das heißt die französische Stadt.

Die Stadt der Priester mit ihrem päpstlichen Palaste, ihren hundert Kirchen, ihren zahllosen Glocken, welche stets bereit sind, die Brandrufe und das Totengeläute des Mords ertönen zu lassen.

 

Die Stadt der Handeltreibenden mit ihrer Rhone, ihren Seidenfabrikarbeitern und ihrem Transit, der von Nord nach Süd, von West nach Ost, von Lyon nach Marseille, von Nimes nach Turin geht.

Die französische Stadt war die verfluchte Stadt, eifersüchtig darauf, einen König zu haben, neidisch aus neue Freiheiten: sie zitterte bei dem Gedanken, ein sklavisches Gebiet, ein Priestergebiet zu sein; das die Geistlichkeit zu Herren hätte.

 

Die Geistlichkeit, nicht die Geistlichkeit, wie es welche zu allen Zeiten in der römischen Kirche gab und wie wir sie heute kennen: fromm, tolerant, streng im der Pflicht und der christlichen Liebe festhaltend, nur in der Welt lebend, um sie zu trösten und zu erbauen, ohne sich in ihre Freuden oder ihre Leidenschaften zu mischen; sondern die Geistlichkeit, wie sie durch die Intrige, den Ehrgeiz und die Begierde geworden, das heißt, jene Hofabbés, die Rivalen der römischen Abbés, müßige Libertins, kecke Elegants, Könige der Mode, Autokraten des Salons, welche die Hand der Damen küssten, deren Cicisbeos zu sein sie sich die Ehre gaben und ihre Hände den Frauen aus dem Volke reichten, denen sie die Ehre erwiesen, sie zu Maitressen zu nehmen.

 

Will der Leser einen Typus jener Abbés haben, so nehme er den Abbé Maury. Stolz wie ein Herzog, anmaßend wie ein Lakai, Sohn eines Schusters und aristokratischer, als der Sohn eines großen Herrn.

 

Wir nannten Avignon eine Priesterstadt, fügen wir noch hinzu, eine Stadt des Hasses. Nirgends lernt man mehr, als in den Klöstern hassen. Das Herz des Kindes, das überall sonst rein von bösen Leidenschaften ist, ward hier voll Hass geboren, der sich seit achthundert Jahren vom Vater aus den Sohn vererbt, und nach einem Leben voll Hass vermachte der Vater die ganze diabolische Erbschaft wieder seinen Kindern.

 

Beim ersten Schrei der Freiheit, welchen Frankreich aufstieß, erhob sich die französische Stadt voll Freude und Hoffnung; der Augenblick war endlich für sie gekommen, laut die von einer jungen minorennen Königin, die ihre Sünden abkaufen wollte, geschehene Auslieferung einer Stadt, einer Provinz und mit ihr, einer halben Million Seelen streitig zu machen. Mit welchem Rechte waren diese Seelen in Altertum an den härtesten und habgierigsten Herrn, den römischen Stuhl, verkauft worden?

 

Frankreich versammelte sich aus dem Marsfelde in brüderlicher Umarmung der Föderation. War es nicht Frankreich? Man ernannte Abgesandte, diese begaben sich zum Legaten und baten ihn ehrerbietig zu gehen.

Man gönnte ihm vierundzwanzig Stunden, um die Stadt zu verlassen.

Während der Nacht machten sich die Papisten den Spaß, einen Gliedermann mit der dreifarbigen Concarde an den Galgen zu hängen.

 

Man leitet die Rhone, man kanalisiert die Durance, man baut den wilden Sturzbächen, die beim Schneegang sich in flüssigen Lawinen von den Höhen des Vertoux herabstürzen, Dämme. Aber diese furchtbare Strömung, diesen lebendigen Strom, diesen menschlichen Sturzbach, der den jähen Abhang der Straßen von Avignon hinabbraust, hat, nachdem er einmal losgelassen war und dahin stürzte, selbst Gott nicht versucht, zu hemmen.

 

Beim Anblick des Gliedermanns mit den Nationalfarben, der am Ende eines Strickes baumelte, erhob sich die französische Stadt wie ein Mann und stieß ein lautes Wutgeschrei aus. Vier dieses Vergehens verdächtige Papisten, zwei Marquis, ein Bürger und ein Arbeiter wurden aus ihren Häusern herausgerissen und an die Stelle des Gliedermanns gehängt.

 

 

Es war am 11. Juni 1790.

Die ganze französische Stadt schrieb an die Nationalversammlung, dass sie sich Frankreich unterwerfe: und mit ihr die Rhone, ihr Handel, der Süden, die Hälfte der Provence.

Die Nationalversammlung hatte einen ihrer reaktionären Tage, sie wollte sich nicht mit dem Papste brouillieren, sie schonte den König: sie vertagte die Sache. Von Diesem Augenblick war die Bewegung von Avignon eine Empörung und der Papst konnte aus Avignon machen, was der Hof nach der Einnahme der Bastille aus Paris gemacht, wenn die Nationalversammlung die Proklamation der Menschenrechte vertagt hätte.

 

Der Papst befahl alles zu annullieren, was in der Grafschaft Venaissin geschehen war, die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit wieder herzustellen, und die Inquisition in ihrer ganzen Strenge wieder einzuführen.

Die päpstlichen Dekrete wurden angeschlagen.

Ein einziger Mann wagte es, am hellen Tage, im Angesichte Aller, gerade aus die Mauer zuzugehen, wo das Dekret angeklebt war und es abzureißen.

Er hieß Lescuyer.

 

Er war kein junger Mann: ihn riss nicht das Ungestüm der Jugend hin. Nein, es war beinahe ein Greis, der nicht mal aus diesem Lande, sondern ein Franzose, Picarde, war, ein feuriger und doch zugleich bedächtiger Charakter: ein ehemaliger Notar, der sich vor langer Zeit in Avignon niedergelassen.

 

Es war ein Verbrechen, welches das römische Avignon nicht vergaß.

Ein Verbrechen so groß, dass die h, Jungfrau darüber weinte.

Ihr wisst, Avignon ist bereits Italien, Es braucht um jeden Preis Wunder und wenn Gott keine tut, so findet sich sicher Jemand, der welche ersinnt. Und dann muss das Wunder ein Wunder der Heiligen Jungfrau sein. Die heilige Jungfrau ist alles für Italien, dieses poetische Land. Ja Madonna! Der ganze Geist, das ganze Herz, die ganze Sprache der Italiener ist voll von diesen zwei Worten.

 

In der Eglise des Cordeliers geschah dies Wunder.

Die Masse strömte hinzu.

Es war viel, dass die Jungfrau weinte, aber es verbreitete sich zu gleicher Zeit ein Gerücht, das die Masse in Aufregung versetzte: eine große Kiste war durch die Stadt geführt worden: diese Kiste hatte die Neugierde der Bewohner von Avignon rege gemacht. Was konnte sie enthalten?

Zwei Stunden später war es nicht mehr eine Kiste, von der man sprach: sondern achtzehn Kisten, die man nach der Rhone hatte bringen sehen.

Was für Effekten sie enthielten, hatte ein Lastträger verraten: es waren die Effekten des Leihhauses, welche die französische Partei mit sich nahm, indem sie sich von Avignon verbannte.

Die Effekten des Leihhauses, das heißt die abgelegten Kleider der Armen.

Je ärmer eine Stadt ist, desto reicher ist das Leihhaus. Wenige Leihhäuser konnten sich rühmen, so reich zu sein, als das von Avignon.

 

Es war nicht mehr eine Ansichtssache, sondern ein Diebstahl und zwar ein infamer Diebstahl. Weiße und Rote liefen nach der Eglise des Cordeliers und schrien, die Munizipalität müsse ihnen Rechenschaft ablegen.

Lescuyer war der Sekretär der Munizipalität.

 

Sein Name wurde unter die Menge geworfen, nicht als der, welcher die beiden päpstlichen Dekrete abgerissen, — dann hätte er augenblicklich Verteidiger gehabt — sondern als der, welcher den Befehl an den Beamten des Leihhauses unterzeichnet, dass man die Effekten abgebe.

 

Man schickte vier Männer fort, welche Lescuyer ergreifen und nach der Kirche bringen sollten. Man fand ihn aus der Straße, aus dem Wege nach dem Rathause; die vier Männer warfen sich aus ihn und schleppten ihn unter wildem Geschrei nach der Kirche.

Dort angekommen, sah Lescuyer an den flammenden Blicken, die aus ihn geheftet waren, an den ausgestreckten Fäusten, die ihm drohten, an dem Geschrei, das seinen Tod forderte, dass er in einem der Höllenkreise sei, welche Dante vergessen.

 

Der einzige Gedanke, der ihm kam, war, dass der gegen ihn sich empörende Hass durch die Verstümmelung der päpstlichen Anschläge veranlasst sei; er bestieg die Kanzel und wollte sich eine Tribüne daraus machen. Mit der Stimme eines Mannes, der sich nicht nur nichts vorzuwerfen hat, sondern bereit, ist, von neuem zu beginnen, sagte er:

»Meine Brüder, ich hielt die Revolution für notwendig; demzufolge handelte ich mit all' meiner Macht . . .«

 

Die Fanatiker begriffen, dass, wenn Lescuyer sich erklärte, er gerettet war.

Das wars nicht, was sie brauchten. Sie warfen sich aus ihn, rissen ihn von der Tribüne, stießen ihn unter die brüllende Menge, welche ihn nach dem Altar schleppte, indem sie jenes furchtbare Geschrei aufstieß, welches die Mitte hält zwischen dem Pfeifen der Schlange und dem Gebrüll des Tigers, jenes mörderische Zu! Zu!, das dem Avignoneser Volke eigentümlich ist.

Lescuyer kannte diesen unheilvollen Schrei; er suchte sich an den Fuß des Altars zu retten.

 

Er flüchtete sich nicht dahin, er stürzte vielmehr daran nieder.

Ein Polstermacher, der mit einem Stocke bewaffnet war, hatte ihm eben einen so heftigen Schlag damit aus den Kopf versetzt, dass der Stock in zwei Stücke zerbrochen war.

Man stürzte sich nun aus den armen Leichnam, und mit jener Mischung von Wildheit und Lustigkeit, welche den Völkern des Südens eigentümlich ist, begannen die Männer singend ihm auf dem Bauch herumzutanzen, während die Frauen, zur Sühne der Blasphemien, die er gegen den Papst ausgestoßen, ihm mit ihren Scheren die Lippen abschnitten oder besser gesagt, festonierten.

 

Und aus dieser Masse der Wütenden drang ein Geschrei oder vielmehr ein Röcheln hervor; dieses Röcheln sagte:

»Im Namen des Himmels! im Namen der Jungfrau! Im Namen der Menschlichkeit! macht doch ein Ende mit mir!«

Dieses Röcheln wurde gehört: wie aus einen Wink entfernten sich die Mörder.

Man ließ den Unglücklichen blutend, entstellt, zerstoßen seinen Todeskampf langsam auskosten.

Er dauerte fünf Stunden, während welcher dieser arme Leichnam unter dem Gelächter, den Beschimpfungen und Verspottenden der Menge aus den Stufen des Altars zuckte.

So mordet man in Avignon.

 

Aber man höre, es gibt noch eine andere Art.

Ein Mann von der französischen Partei hatte die Idee, aus das Leihhaus zu gehen und sich zu erkundigen, wie es dort stand.

Alles war in bester Ordnung: es war kein silbernes Besteck von dort weggekommen.

Also nicht als Mitschuldigen an einem Diebstahl, sondern als Patrioten hatte man Lescuyer so grausam hingemetzelt.

Er war zu jener Zeit ein Mann in Avignon, der mit dem Volke nach Belieben schaltete und waltete.

All diese furchtbaren Rädelsführer des Südens haben eine so traurige Berühmtheit erlangt, dass es genügt, sie nur zu nennen, und selbst der Unbelesenste wird sie kennen.

Dieser Mann hieß Jourdan.

Ein Großsprecher und Lügner, hatte er die Leute vom unteren Volke glauben gemacht, dass er es sei, der dem Kommandanten der Bastille den Hals abgeschnitten.

Man nannte ihn deshalb auch Jourdan Coupetéte.

 

Dies war nicht sein Name: er hieß eigentlich Matthieu Jouve. Er war kein Provenzale, sondern aus Puy - en – Belay. Er war anfangs Maultiertreiber aus den rauen Höhen um seine Geburtsstadt gewesen, dann Soldat ohne Krieg — der Krieg hätte ihn vielleicht menschlicher gemacht; — zuletzt Schenkwirt in Paris.

In Avignon war er Krapphändler.

Er sammelte dreihundert Männer, bemächtigte sich der Thore der Stadt, ließ dort die Hälfte seiner Truppe, und mit dem Rest marschierte er nach der Eglise des Cordelieres, während zwei Kanonen voran fuhren.

 

Er stellte diese vor der Kirche aus und schoss ins Blaue hinein.

Die Mörder zerstreuten sich wie ein Flug aufgescheuchter Vögel, indem sie einige Tote aus den Stufen der Kirche zurückließen.

Jourdan und seine Leute schritten über die Leichen weg und betraten den heiligen Ort.

Hier war nur die heilige Jungfrau und der unglückliche Lescuyer zurückgeblieben, welcher noch atmete.

Jourdan und seine Kameraden hüteten sich wohl, Lescuyer den Garaus zu machen; sein Todeskampf war ein ausgezeichnetes Mittel zur Aufwiegelung. Sie nahmen diesen Rest von Leben, diese drei Viertel Leichnam und trugen ihn blutend, keuchend und röchelnd hinaus.

Jedermann floh bei diesem Anblick und schloss Türen und Fenster.

 

Nach Verfluß einer Stunde waren Jourdan und seine drei Hundert Herren der Stadt.

Lescuyer war tot, aber das hatte wenig zu sagen: man brauchte seinen Todeskampf nicht mehr.

Jourdan benützte, den Schrecken, den er der Stadt eingejagt, und verhaftete oder ließ vielmehr achtzig Personen ungefähr verhaften, die Mörder oder wenigstens die angeblichen Mörder Lescuyers.

 

Dreißig vielleicht hatten nicht mal den Fuß in die Kirche gesetzt; findet man jedoch eine gute Gelegenheit, sich seiner Feinde zu entledigen, so muss man sie benützen, denn die guten Gelegenheiten sind selten.

 

Diese achtzig Personen wurden in dem Trouillasturm aufgeschichtet.

Man hat ihn geschichtlich »Tour de la Glaciére« genannt.

Weshalb den Namen Trouillasthurm ändern? Der Name ist schmutzig und passt vortrefflich für die schmutzige Handlung, die dort begangen worden.

Er war der Schauplatz der inquisitionellen Tortur.

 

Heute noch sieht man dort an den Wänden den fetten Ruß, der mit dein Rauch von dem Holzstoße aufstieg, aus welchem die menschlichen Leiber verbrannt wurden: heute noch zeigt man Dir das sorgfältig aufbewahrte Handwerkszeug der Folter: den Kessel, den Ofen, den spanischen Bock, die Ketten, die Falltüren, und es fehlt nichts, bis herab zu den alten Gebeinen.

 

In diesem von Clemens V. gebauten Turm schloss man die achtzig Gefangenen ein.

Nachdem man diese Achtzig zu Gefangenen gemacht und eingeschlossen, war man in großer Verlegenheit: was mit ihnen anfangen.

Durch wen sie aburteilen lassen?

Es gab kein legal zusammengesetztes Tribunal, als die Tribunale des Papstes.

Die Unglücklichen umbringen lassen, wie sie Lescuyer umgebracht?

Wir sagten bereits, dass ein Drittheil, vielleicht sogar die Hälfte nicht nur keinen Teil an dem Meuchelmord genommen, sondern nicht mal den Fuß in die Kirche gesetzt.

Sie hinrichten lassen? Das Gemetzel würde als Repressalie gelten.

Aber um diese achtzig Personen hinzurichten, brauchte man eine gewisse Anzahl von Henkern.

 

Eine Art von Tribunal, das Jourdan improvisirt, hielt seine Sitzungen in einem der Säle des Palastes: es hatte einen Gressier mit Namen Raphel, einen Präsidenten, der halb Italiener, halb Franzose war, einen Redner im Volkspatois, mit Namen Barbe-Savournin de la Roua; dann drei oder vier arme Teufel, einen Bäcker, einen Speckhändler, die Namen verlieren sich bei der untergeordneten Stellung.

 

Das waren die Menschen, welche riefen:

»Man muss sie alle umbringen; wenn ein Einziger entkäme, würde er als Zeuge dienen.«

Aber wie wir sagten, die Henker fehlten.

 

Man hatte kaum zwanzig Menschen im Hofe zur Verfügung, sie gehörten alle den unteren Volksklassen von Avignon an: ein Perückenmacher, ein Damenschuhmacher, ein Seifensieder, ein Maurer, ein Tischler; alle kaum, wie es eben der Zufall fügte, bewaffnet. Der eine mit einem Säbel, der andere mit einem Bayonnet, dieser mit einer Eisenstange, jener mit einem am Feuer gehärteten Stück Holz.

Alle diese Menschen waren von einem seinen Oktoberregen durchfröstelt.

Es war schwer, aus diesen Leuten Mörder zu machen.

Wohl! aber dem Teufel ist nichts schwer.

Es gibt in solchen Zeiten eine Stunde, wo es ist, als wenn Gott das Vaterland verließe.

Dann kommt der Teufel an die Reihe.

Der Teufel trat in Person in diesen kalten und schmutzigen Hof.

 

Er hatte die Gestalt und das Äußere eines einheimischen Apothekers Namens Mendes angenommen; er stellte einen von zwei Laternen beleuchteten Tisch aus; diesen bedeckte er mit Gläsern, Kannen, Krügen und Flaschen.

Welcher Art war das höllische Gebräu, das in diesen geheimnisvollen Gefäßen mit den bizarren Formen verschlossen war? Man weiß es nicht, aber die Wirkung kennt man wohl.

Alle, welche von der diabolischen Flüssigkeit tranken, fühlten sich plötzlich von einer fieberhaften Wut, von einem Mord- und Blutdurst ergriffen.

Nun brauchte man ihnen nur noch die Thür zu zeigen, sie stürzten sich von selbst in das Gefängnis.

Die Metzelei dauerte die ganze Nacht; die ganze Nacht hindurch hörte man Schreien, jammern und Todesröcheln durch die Dunkelheit dringen.

Man metzelte und erwürgte alles, Männer und Frauen: die Schlächter waren, wie wir sagten, berauscht und schlecht bewaffnet.

Aber es gelang ihnen doch.

Inmitten der Schlächter machte sich ein Kind durch seinen unbändigen Blutdurst bemerkbar.

Es war der Sohn von Lescuyer.

Er mordete und mordete in einem fort: er rühmte sich, ganz allein, mit seiner kindlichen Hand, zehn Männer und vier Frauen gemordet zu haben.

»O, ich kann morden, wie ich will,« sagte er, »ich bin noch nicht fünfzehn Jahre, man wird mir nichts anhaben.«

Wie man mordete, so warf man Tote und Verwundete, Leichen und Lebendige in den Hof des Trouillas-Thurms: sie fielen sechzig Fuß hoch herunter: die Männer wurden zuerst hinabgeschleudert, dann die Frauen. Die Mörder brauchten Zeit, um die Leichen derjenigen, welche jung und hübsch waren, zu schänden.

Um neun Uhr morgens, nach einer zwölfstündigen Metzelei, rief eine Stimme aus der Tiefe dieses Grabes:

»Habt Gnade! macht ein Ende mit mir, ich kann nicht sterben.«

Ein Mann, der Waffenschmied Bouffier, beugte sich über die Brüstung hinab: die andern wagten es nicht.

»Wer ruft denn?« fragten sie.

»Es ist Lami,« antwortete Bouffier.

Und als er wieder unter die Übrigen getreten war, fragten sie:

»Nun, was hast Du da drunten gesehen?«

»Eine drollige Marmelade,« sagte er, »alles durcheinander, Männer und Frauen, Priester und hübsche Mädchen, 's ist um vor Lachen zu bersten.«

»Der Mensch ist wahrhaftig eine garstige Raupe,« sagte der Graf von Monte-Christo zu Herrn von Villefort! . . .

 

Nun, in diese von den jüngsten Metzeleien noch blutende, noch heiße, noch aufgeregte Stadt wollen wir die beiden Hauptpersonen unserer Geschichte einführen.

 

Erste Abtheilung.

I. Die Table d'Hôte.

 

Am 9. Oktober des Jahres 1799, an einem schönen Tage jenes südlichen Herbstes, der an beiden Enden der Provence die Orangen von Hyéres und die Trauben von Saint-Peray reisen lässt, fuhr eine mit drei Postpferden bespannte Kaleschen gestreckten Trabes über die Brücke der Durance zwischen Cavailhon und Chateau Renard, aus dem Wege nach Avignon, der alten päpstlichen Stadt, welche ein Dekret vom 25. Mai 1791, acht Jahre vorher, mit Frankreich vereinigt hatte, eine Vereinigung, die durch den im Jahre 1797 zu Tolentino zwischen dem General Bonaparte und dem Papst Pius VI. abgeschlossenen Traktat bestätigt wurde.

 

Der Wagen fuhr durch das Aixthor und durchschnitt die Stadt mit den schmalen und winkligen Straßen, welche zugleich gegen den Wind und gegen die Sonne gebaut ist, ohne den geringsten Aufenthalt in ihrer ganzen Länge, bis sie endlich fünfzig Schritte von dem Oullethor am Hotel du Palais-Egalite hielt, das man nach und nach wieder das Hotel du Palais-Royal zu nennen begann, ein Name, den es ehedem geführt und den es noch heute führt.

 

Diese wenigen scheinbar unbedeutenden Worte bezüglich des Namens dieses Hotels, vor welchem die Postchaise hielt, aus die wir unsere Augen gerichtet haben, deutet ziemlich klar den Zustand an, in welchem sich Frankreich unter der Regierung der Thermidor-Reaktion befand, welche man das Direktorium nannte.

 

Nach dem revolutionären Kampfe, welcher, vom 14. Juli 1739 bis zum 9. Thermidor 1794 gedauert; nach den Tagen des 5. und 6. Oktober, des 21. Juni, des 10. August, des 2. und 3. September, des 21. Juni, des 31. Mai und des 5. April; nachdem man das Haupt des Königs und seiner Richter, der Königin und ihres Anklägers, der Girondisten und Cordeliers, der Moderierten und Jakobiner hatte fallen sehen, empfand Frankreich den furchtbarsten und ekelhaftesten Überdruss, den es gibt, den Überdruss an Blut!

 

Es war davon zurückgekommen und fühlte die Sehnsucht, wenn auch nicht nach dem Königtum, so doch den Wunsch nach einer starken Regierung, in die es sein Vertrauen setzen, aus die es sich stützen könnte, die für das Land handelte und ihm erlaubte, auszuruhen, während es handelte.

An der Stelle dieses unbestimmten Wunsches hatte es nun das schwache und unentschlossene Direktorium, das im Augenblick aus dem üppigen Barras, dem intriganten Sieyes, dem tapfern Monlin, dem unbedeutenden Roger Ducos und dem ehrenwerten, aber etwas zu naiven Gohier bestand.

Daraus ergab sich eine mäßige Würde nach außen und eine sehr angreifbare Ruhe nach Innen.

 

Allerdings begannen in dem Augenblick, bei dem wir angekommen sind, unsere Armeen, die sich während der epischen Feldzüge von 1796 und 1797 mit Ruhm bedeckt und nun durch die Unfähigkeit Scherers in Verona und Cassano und durch die Niederlage und den Tod Jouberts in Novi einen Augenblick zurückgedrängt waren, wieder die Offensive zu ergreifen. Moreau schlug Suwaroff bei Bassignano, Brune den Herzog von York und den General Hermann bei Bergen, Massena vernichtete die Austro-Russen bei Zürich, Korsakoff rettete sich mit großer Mühe und der Österreicher Hotze wurde mit drei anderen Generalen getötet und fünf wurden zu Gefangenen gemacht.

 

Massena rettete Frankreich bei Zürich, wie es neunzig Jahre früher Villars bei Denain gerettet.

Aber im Innern standen die Sachen nicht so gut und die Direktorial-Regierung war, muss man gestehen, in großer Verlegenheit zwischen dem Krieg in der Vendée und den Räubereien im Süden, denen wie gewöhnlich die Avignoneser Bevölkerung durchaus nicht fremd geblieben.

Ohne Zweifel hatten die beiden Reisenden, welche aus der am Hotel du Palais-Royal haltenden Postchaise stiegen, einigen Grund, die Stimmung zu fürchten, in der sich die noch immer aufgeregte Bevölkerung der päpstlichen Stadt befand, denn kurz nach Orgon, an dem Punkte, wo sich dem Reisenden drei Wege bieten, von denen der eine nach Nismes, der andere nach Carpentras, der dritte nach Avignon führt, hatte der Postillon seine Pferde angehalten und gefragt:

»Gehen die Citoyens über Avignon oder Carpentras?«

»Welches ist der kürzeste Weg?« fragte der ältere der beiden Reisenden, der, obgleich sichtbar einige Monate älter, kaum dreißig Jahre zählte, in kurzem und scharfem Tone.

»O! die Route über Avignon ist kürzer, um mindestens anderthalb Meilen.«

»Dann wollen wir die Route über Avignon einschlagen,« hatte jener geantwortet.

Und der Wagen fuhr wieder in einem Galopp, welcher andeutete, dass die aus der Reise begriffenen Citoyens, wie sie der Postillion nannte, obgleich die Bezeichnung »Herr« in der Konversation wieder zur Geltung kam, mindestens dreißig Sous Trinkgeld bezahlten.

Derselbe Wunsch, keine Zeit zu verlieren, machte sich auch beim Eintritt in das Hotel geltend.

Es war immer der ältere der beiden Reisenden, welcher, hier wie auf dem Wege, das Wort führte. Er fragte, ob man rasch speisen könne, und die Art, wie dies Verlangen vorgebracht wurde, zeigte, dass er über vielerlei gastronomische Forderungen wegsehen wolle, wenn nur das verlangte Essen rasch serviert würde.

»Citoyens,« antwortete der Wirth, der beim Geräusch des Wagens mit der Serviette in der Hand dem Reisenden entgegengeeilt war, »Sie sollen rasch und gut aus Ihrem Zimmer serviert werden: wenn ich mir jedoch erlauben dürfte, Ihnen einen Rat zu geben. . .«

Er zögerte.

»O, geben Sie, geben Sie!« sagte der jüngere der Reisenden, der zum ersten Mal das Wort nahm.

»Nun, so meinte ich, Sie würden besser daran tun, einfach an der Table d'Hôte zu speisen, wie es der Reisende macht, den dieser bereits vollständig eingespannte Wagen erwartet: das Diner dort ist ausgezeichnet und bereits serviert.«

Der Wirt deutete zu gleicher Zeit auf einen außerordentlich komfortabel eingerichteten und wirklich mit zwei Postpferden bespannten Wagen: diese scharrten mit den Füßen, während der Postillion mit der größten Geduld aus dem Fenstergesims eine Flasche Cahorswein leerte.

 

Die erste Bewegung Dessen, an den dieses Anerbieten gerichtet wurde, war ablehnend: indes nach wiederholter Überlegung machte der ältere der beiden Reisenden, als wenn er aus seinen ersten Entschluss zurückkäme, ein fragendes Zeichen gegen seinen Begleiter.

Dieser antwortete mit einem Blicke, welcher sagen wollte:

»Sie wissen wohl, dass ich zu Ihrem Befehle bin.«

»Nun, es sei,« sagte der, welcher bestimmt schien, die Initiative zu ergreifen, »wir werden an der lable d'Hôte speisen.«

Dann wandte er sich nach dem Postillion um, der abgezogenen Hutes seine Befehle erwartete.

»In einer halben Stunde spätestens müssen die Pferde am Wagen sein.«

 

Der Wirth zeigte ihnen den Speisesaal und sie traten ein, der ältere der Beiden ging voran der Andere folgte.

Man kennt den Eindruck, den gewöhnlich zwei neue Ankömmlinge an einer Table d'Hôte hervorbringen. Aller Blicke waren nach ihnen gerichtet. Das Gespräch, das ziemlich belebt schien, wurde unterbrochen.

Die Tischgesellschaft bestand aus einigen Stammgästen des Hotels, dem Reisenden, dessen Wagen eingespannt vor der Tür hielt, einem Weinhändler von Bordeaux, der sich aus Gründen, die wir später mittheilen werden, augenblicklich in Avignon aushielt, und einer Anzahl Reisender, welche mit der Diligence von Marseille nach Lyon gingen.

Die neu ankommenden begrüßten die Gesellschaft mit einem leichten Nicken des Kopfes und setzten sich an das Ende des Tisches, indem sie sich aus diese Weise durch einen Zwischenraum von drei bis vier Couverts von den andern Gästen absonderten.

 

Diese Art von aristokratischer Zurückhaltung verdoppelte die Neugier, deren Gegenstand sie waren; überdies fühlte man, dass man es mit Personen von unbestreitbarer Distinktion zu tun habe, obgleich ihre Kleidung von der größten Einfachheit war.

Beide trugen Stulpstiefeln mit kurzen Hosen, einen Frack mit langen Schößen, einen Reiseüberrock und einen Hut mit breiter Krempe. — die Tracht beinahe aller jungen Leute zu jener Zeit; was sie jedoch von den Elegants von Paris und selbst der Provinz unterschied, das waren ihre langen und glatten Haare und ihre schwarze militärisch um den Hals geschlungene Krawatte.

Die Muscadins, — so nannte man damals die jungen Modeherren, — die Muscadins trugen die an beiden Schläfen herabhängenden bauschigen Hundsohren, die Haare waren in den Nacken zurück gestrichen und in der weiten Krawatte mit langen fliegenden Zipfeln begrub sich das Kinn.

Einige trieben die Reaktion bis aufs Äußerste.

 

Das Porträt der beiden jungen Leute bot zwei vollkommen entgegengesetzte Typen.

Der Ältere von beiden, der, wie mir bemerkten, mehrmals die Initiative ergriffen, und dessen Stimme, selbst in ihren vertraulichsten Tönen, die Gewohnheit des Befehlens bekundete, war, wie gesagt, ein Mann von ungefähr dreißig Jahren mit schwarzen mitten aus der Stirne geteilten Haaren, welche glatt und lang an den Schläfen herab bis aus die Schultern fielen. Er hatte den sonnverbrannten Teint des Mannes, der in den südlichen Ländern gereist ist, dünne Lippen, eine gerade Nase, weiße Zähne und jene Falkenaugen, welche Dante dem Cäsar gibt.

Seine Gestalt war eher klein, als groß, seine Hand war zart, sein Fuß sein und elegant: in seinem Benehmen lag eine gewisse Gene, welche daraus deutete, dass er in diesem Augenblick eine Tracht trage, an die er nicht gewöhnt war, und wenn er sprach, hätte sein Mitunterredner, falls man an den Ufern der Loire und nicht an den Usern der Rhone sich befunden, bemerken können, dass er in seiner Aussprache einen gewissen italienischen Akzent hatte.

Sein Begleiter schien drei bis vier Jahre jünger, als er.