Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
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8.
9.
10.
Epilog
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 1967
Die List des Scoctoren
Der lange Weg zum Fünften Boten – und Tekeners gefährliche Mission
von Uwe Anton
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Als Mhogena, der Fünfte Bote von Thoregon, über die Brücke in die Unendlichkeit ins Solsystem zu den Terranern kam, hoffte er auf die Hilfe der Menschheit. Sein Volk, die wasserstoffatmenden Gharrer, ist nämlich von einer ungeheuren Gefahr bedroht: Invasoren haben die Galaxis Chearth angegriffen und das Verderben über zahlreiche bewohnte Planeten gebracht.
Das ist nicht alles. Die Invasoren beabsichtigen, den geheimnisvollen Sonnentresor zu öffnen. Wenn sie dies tun, werden die Guan a Var ausbrechen, die Sonnenwürmer – und das würde über kurz oder lang den Tod der ganzen Galaxis bedeuten.
Hinter der Attacke steckt offensichtlich Shabazza, der Gegenspieler der Koalition Thoregon. Seine Machenschaften sorgten bereits in der Milchstraße und anderen Galaxien für Tod und Vernichtung.
Mhogena konnte bei seinem Besuch auf der Erde nur einen kleinen Erfolg verzeichnen. Aus der Milchstraße brach eine winzige Hilfsflotte auf: die GILGAMESCH der Zellaktivatorträger unter Befehl des Arkoniden Atlan und zehn Kampfschiffe der wasserstoffatmenden Maahks.
Mit dieser bescheidenen Streitmacht nimmt Atlan den Kampf gegen die Invasoren auf. Immerhin konnten erste Siege errungen werden. Jetzt müssen sich die Verbündeten auf ein gefährliches Spiel einlassen – und auf DIE LIST DES SCOCTOREN ...
Mhogena – Der Bericht des Fünften Boten umfasst auch kosmische Ereignisse.
Ronald Tekener – Der Smiler begibt sich freiwillig in die Höhle des Löwen.
Vil an Desch – Der ehemalige Anführer der Algioten lässt sich auf eine Verabredung ein.
Dro ga Dremm – Der neue Scoctore der Algiotischen Wanderer bittet zum Gespräch.
Atlan – Der Arkonide bleibt nach wie vor misstrauisch.
Ganzetta – Der Wlatschide begibt sich an Bord eines Feindraumschiffs.
Mhogena
1218 NGZ: Chethona
»Protektor«, sagte Mhogenas persönlicher Adjutant Nokdael, »die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zu deinem siebzigsten Geburtstag sind so gut wie abgeschlossen. Die Bevölkerung kann es nicht erwarten, zu deinen Ehren bei einem großen Volksfest die Vereinigung einzugehen und sich vor dir in Einklang mit der Schöpfung bringen zu lassen ...«
»Alle sind eins«, murmelte Mhogena.
»Wir haben mittlerweile für sämtliche Würdenträger anderer Welten Unterkünfte gefunden. Die Meister des Sandes, die sich angesagt haben, sind im besten Hotel deiner Geburtsstadt Peltuwpar untergebracht, und ...«
Mhogena hörte nur noch mit halbem Ohr hin.
Fünfzig Jahre, dachte er. Fünfzig Jahre bin ich nun alt ...
Waren wirklich schon vierzig Jahre vergangen, seit sein äußerstes linkes Auge sich aufgehellt hatte und völlig starr geworden war?
Und er den Zwilling gesehen hatte, den geheimnisvollen und legendären Großmeister des Ordens des Grauen Sandes, den stärksten Psi-Reflektor, den das Volk der Gharrer angeblich je hervorgebracht hatte ... Ob in einer Vision oder in Wirklichkeit, er hatte es noch immer nicht herausgefunden.
Falls ja, waren sie für ihn vergangen wie vierzig Monde. Andererseits ... es musste eine lange Zeit vergangen sein, denn er hatte bereits mehr erlebt als mancher Gharrer in der gesamten Spanne, die die Schöpfung ihm zugestand. Und er hatte das Gefühl, noch längst nicht am Ende seines Weges angekommen zu sein.
Unter den Fittichen Phisagons, eines Meisters des Sandes, der zu seinem Vorbild und Lehrmeister geworden war, hatte er an einer Eliteakademie studiert und sich schließlich für eine Laufbahn als Diplomat entschieden.
Phisagon, dachte er traurig, der Meister des Sandes, dessen körperlicher Makel aus einer beulenartigen Wulst hinter dem Augenkamm bestand. Vor einigen Jahren war er gestorben.
Schon das allein machte Mhogena auf brutale Weise deutlich, wie viel Zeit tatsächlich vergangen war.
Mit lediglich zwanzig Jahren – schon damals ein kosmoregional angesehener Diplomat, mit dem man gern Umgang hatte – war er zum Protektor seiner Heimatwelt Pauthor ernannt worden, und bei dem großen Volksfest zu seinem Amtsantritt hatte er etwas vollbracht, was noch keinem Gharrer zuvor gelungen war.
Als natürliche Psi-Reflektoren vollzogen die Gharrer ein Ritual, das unter dem Motto »Alle sind eins« stand. Dabei vereinigten sie ihre Kräfte zu einem Schild, der die gesamte Welt umgab, auf der das Fest vollzogen wurde.
Doch unter Mhogenas Einfluss hatte der psionische Schild nicht nur Pauthor, den fünften Planeten der Sonne Whekrol, umschlossen, sondern das gesamte System mit allen zehn Planeten.
Nun, in der Rückschau, kam es Mhogena fast zwangsläufig vor, dass man ihn in den Kreis der Meister des Sandes aufgenommen hatte. Zum einen hatte seine gesamte Ausbildung darauf abgezielt, zum anderen verfügte er von Natur aus über eine besonders starke psi-reflektorische Kraft. Mit fünfundzwanzig Jahren erfuhr er die Initiierung zum Meister des Sandes – und von einem älteren Kollegen namens Botagho einiges über den tatsächlichen Aufbau des Universums, seine Zwiebelschalen der Evolution, auf deren höchster Stufe auf dieser Seite der Materiequellen und -senken die Superintelligenzen standen.
Nisaaru war die Superintelligenz, in deren Mächtigkeitsballung Chearth lag, die Heimatgalaxis der Gharrer, und mit dreißig Jahren hatte Mhogena seine erste Begegnung mit ihr, noch in Begleitung Phisagons. Dieser wollte sich nach dem Schicksal des Mhogena persönlich nicht bekannten Fünften Boten von Thoregon erkundigen, der als Meister des Sandes dem Volk der Gharrer entstammte.
Doch Nisaaru hatte abweisend, fast barsch reagiert und jede Auskunft verweigert.
Danach hatte Mhogena die Superintelligenz noch einige Male in ihrem Haus aufgesucht, zuerst in Begleitung erfahrenerer Meister, dann auch allein, aber in den letzten zehn Jahren nicht mehr. Er hatte erkannt, dass er ihr lästig wurde, und respektierte ihren Wunsch, dass die Meister des Sandes, die sich der Betreuung Nisaarus verschrieben hatten, sich nur noch in überaus wichtigen Angelegenheiten an sie wandten.
Doch er war in den zwanzig Jahren, die seit seinem ersten Besuch bei der Superintelligenz verstrichen waren, nicht untätig gewesen. Er war weiterhin Protektor seiner Heimatwelt Pauthor, doch in Zeiten des galaxisweiten Friedens in Chearth bestand seine eigentliche Aufgabe in dieser Position nur darin, die Bevölkerung von Zeit zu Zeit durch das Ritual zu führen, wie die Tradition es vorschrieb.
Also hatte er sich als Diplomat engagiert, unzählige kleinere und größere Konflikte in Chearth entschärft, bevor sie das Gefüge der Verständigung und Einheit ernsthaft bedrohen konnten. Seine Ratschläge hatten sich stets als richtig erwiesen, seine Lösungsvorschläge als praktikabel für alle beteiligten Parteien. Mittlerweile verlangte man häufig nach ihm, und er konnte längst nicht alle Gesuche um Vermittlung berücksichtigen.
Und er hatte intensiven Kontakt zu anderen Meistern des Sandes gepflegt, kannte mittlerweile die meisten der sechshundert von ihnen zumindest dem Sehen nach. Er hatte Informationen gesammelt über die Koalition Thoregon, in deren Auftrag die Gharrer den Sonnentresor bewachten, über den Fünften Boten der Koalition, einen ehemaligen Meister des Sandes, dessen Identität – aus welchen Gründen auch immer – geheim gehalten wurde ... und über den Zwilling.
Aber über ihn hatte er so gut wie nichts in Erfahrung gebracht, genau wie über die Meister des Grauen Sandes, die angeblich stärksten Psi-Reflektoren der Gharrer. Er hatte nicht einmal bestätigen können, dass sie überhaupt existierten. In dieser Hinsicht musste er sich allein auf Botaghos Aussage verlassen.
Wirst du angesichts deines Ehrentags melancholisch?, fragte sich Mhogena, schüttelte die Gedanken an die Vergangenheit ab und konzentrierte sich auf die Worte seines Adjutanten, der unverdrossen weitergesprochen und anscheinend nicht mitbekommen hatte, dass sein Vorgesetzter überhaupt nicht zuhörte.
»Über einhundert Meister des Sandes wollen dir ihre Aufwartung machen«, sagte Nokdael. »Vielleicht sollten sie alle an der Vereinigung teilnehmen und so ...«
Mhogena hob die Hand, um seinen Gehilfen zum Schweigen zu bringen, und sog scharf den Wasserstoff ein. Er roch eigentümlich, anders als sonst. Eine vertraute und gleichzeitig fremdartige Ausdünstung lag in ihm.
Der Meister des Sandes verharrte abrupt in der Bewegung. Wie lange war es her, dass er diesen Gestank zum letzten Mal wahrgenommen hatte? Zehn Jahre? Oder gar fünfzehn?
Den Geruch nach Verwesung und Verfall, nach Fäulnis, die Ausdünstung des Todes, die seine früheste Erinnerung darstellte.
Eines seiner drei Gelegegeschwister war ein Totling gewesen, schon im Ei gestorben, bevor es die Schale zertreten konnte, und Mhogena hatte es gewusst, noch bevor seine Mutter ihn angelegt hatte, um ihn zum ersten Mal zu säugen.
Danach hatte sein Schattenbruder sich noch einige Male bei ihm gemeldet, ihn durch diesen Geruch darauf aufmerksam gemacht, dass ihm Gefahren drohten oder seinem Leben wichtige Veränderungen bevorstanden. Gelegentlich hatte er auch zu ihm gesprochen, doch der Sinn seiner Worte war Mhogena manchmal erst nach Jahren, manchmal nie klargeworden.
»Riechst du nichts?«, fragte er seinen Adjutanten.
Nokdael bewegte sämtliche Geruchsorgane an den Seiten des halbmondförmigen Kopfes, hob dann die Hände und spreizte die jeweils vier Finger und zwei Daumen. »Nein, Erhabener. Gar nichts.«
»Aber ...« Mhogena verstummte. Nur er konnte die Stimme seines Schattenbruders hören, wie er wusste, seit er sie zum ersten Mal vernommen hatte. Seine Schwestern Rhavet und Chethona waren Zeuginnen der unerklärlichen Begegnung gewesen, hatten aber nur gesehen, wie er in die Luft gestarrt und mit einem Unsichtbaren gesprochen hatte. Warum sollte es bei dem Geruch des Todes anders sein?
Immer stärker wurde der Gestank, immer durchdringender, eine beißende Ausdünstung, die tiefe Übelkeit in ihm hervorrief. Und dann drangen wie aus weiter Ferne Worte in seinen Geist.
»Chethona lässt dich grüßen«, vernahm er klar und deutlich das hohe Zirpen seines Schattenbruders. »Sie ist genau wie ich der Ansicht, dass dein Leben vom heutigen Tag an nie mehr so sein wird wie zuvor. Du wirst Dinge sehen, die dein Verständnis übersteigen, aber das ist nur ein Vorspiel dessen, was dich in einigen Jahrzehnten erwartet.«
»Was ...« Als er bemerkte, dass Nokdael ihn entgeistert musterte, hielt er inne. »Chethona«, murmelte er dann.
Schon früh hatte er die wahre Begabung seiner Gelegeschwester erkannt und ihr empfohlen, sich für eine Tätigkeit in der Agrarökonomie ausbilden zu lassen.
Auch Rhavet, seine zweite Gelegeschwester, hatte er schon in früher Kindheit genau richtig eingeschätzt. Vor allen anderen hatte er ihr mathematisches Genie erkannt.
Beide hatten seine Ratschläge bezüglich der Berufswahl befolgt. Während Rhavet allerdings als anerkannte Hyperphysikerin an zahlreichen Universitäten gelehrt hatte und noch immer lehrte, war Chethona als Kolonistin nach Keroufa gegangen, einer neu besiedelten Welt im Kugelsternhaufen Horo-27, rund 100.000 Lichtjahre in westlicher Richtung vom galaktischen Zentrum entfernt. Dort hatte sie sich als Bäuerin niedergelassen und ihre Erfüllung gefunden.
Und nun bestellte sein Schattenbruder ihm Grüße von ihr. Das konnte nur eins bedeuten ...
Aber vielleicht war es ja noch nicht zu spät.
»Nimm Kontakt mit der MAGREDU auf!« Als Meister des Sandes, Diplomat und Protektor von Pauthor stand ihm jederzeit ein Raumschiff zur Verfügung. Im Augenblick handelte es sich dabei um eine Walze von zweihundert Metern Länge. Sie war nach dem Ersten Boten Thoregons aus dem Volk der Gharrer benannt worden. »Der Kommandant soll sie sofort startklar machen. Unser Ziel: der Planet Keroufa im Kugelsternhaufen Horo-27. Ich bin unterwegs zum Raumhafen.«
»Aber ... die Feierlichkeiten zu deinem Geburtstag, Erhabener ...«
»Werden verschoben. Oder ganz abgesagt. Nach allem, was ich gerade erfahren habe, bezweifle ich, dass ich in absehbarer Zukunft nach Pauthor zurückkehren werde.«
Er ignorierte Nokdaels verwirrten Blick und marschierte aus seinem Büro.
*
Keroufa war erst vor wenigen Jahrzehnten besiedelt worden, und die Bevölkerungszahl war noch zu gering, als dass der Planet schon über einen eigenen Protektor verfügt hätte. Daher wurde Mhogena von Haduahl begrüßt, dem Sprecher der planetaren Verwaltung, kaum dass die MAGREDU sich in Reichweite der Funkgeräte befand. Er kannte den etwa Hundertjährigen flüchtig von den letzten Besuchen her, die er Chethona auf ihrer neuen Heimatwelt abgestattet hatte.
»Deine Schwester befindet sich zur Zeit nicht in der Hauptstadt«, sagte der Administrator. Mhogena wusste, dass der Begriff »Hauptstadt« ein Euphemismus für die größte der vier dauerhaften Ansiedlungen auf dieser Welt war, in der Chethona sich niedergelassen hatte. »Sie ist mit einem Team von Agrarökonomen auf die Dekkaret-Hochebene auf der anderen Seite des Planeten geflogen, um zu überprüfen, ob sie sich für eine Intensivbepflanzung mit Ammoniakgebirgsgras eignet. Die Bedingungen dort kamen ihr ideal vor. Die Ebene wird von bis zu sechzehntausend Meter hohen Bergen umgeben, die sie vor den Witterungseinflüssen schützen, und ...«
»Wann habt ihr zum letzten Mal von der Gruppe gehört?«, unterbrach ihn Mhogena.
Obwohl Haduahls Gesicht auf dem Bildschirm in der Zentrale der MAGREDU nicht besonders groß abgebildet war, ließ sich die Verwunderung darauf deutlich ausmachen.
»Vor über einer Woche. Aber das ist nicht außergewöhnlich. Wie gesagt, die Ebene liegt auf der anderen Seite von Keroufa, und unsere Infrastruktur lässt sich nicht mit der erschlossener Welten vergleichen. Das Team arbeitet selbständig und meldet sich nur bei besonderen Anlässen.«
»Ich möchte dich trotzdem bitten, uns die Koordinaten der Hochebene zu überspielen.«
»Natürlich, Erhabener.«
Mhogena zögerte kurz und entschloss sich dann, seinem Instinkt zu vertrauen. »Und schick sofort ein Medoteam hin!«
Nun wurde aus dem Befremden des Verwaltungschefs Misstrauen. »Würdest du mir verraten, wieso? Die MAGREDU befindet sich noch im Anflug, hat nicht einmal den Orbit unserer Welt erreicht ...«
Chethona lässt dich grüßen ...
Und Mhogena tat etwas, das er noch nie zuvor getan hatte. Es widerstrebte ihm zutiefst, aber er hatte keine Zeit für Erklärungen.
Er nutzte seinen Rang aus.
»Weil ein Protektor und Meister des Sandes dich darum bittet«, sagte er und zuckte innerlich zusammen.
Ihn trieb eine irrwitzige Hoffnung. Aber als der Kommandant bestätigte, dass er die Koordinaten erhalten hatte, und die Verbindung mit Keroufa unterbrach, glaubte er, erneut die Stimme seines Schattenbruders zu hören.
Sie stieß ein höhnisches Gelächter aus, das ihm Ammoniakschauer über den Rücken trieb.
*
Schon aus dem hohen Orbit verrieten zuerst die Massetaster und später, viel später, dann auch die optischen Ortungssysteme, dass jede Hoffnung vergebens war.
Die Dekkaret-Hochebene existierte nicht mehr, jedenfalls nicht so, wie sie in den Aufzeichnungen ausgesehen hatte, die Haduahls Mitarbeiter ihm zusammen mit den Koordinaten geschickt hatten.
Unter der MAGREDU dehnte sich eine schier endlose Felswüste aus. Kilometerweit erstreckten sich die Geröllbrocken vom Hang eines Zwölftausenders bis zu einem Hochgebirgstal inmitten der Ebene, das sie zur Hälfte aufgefüllt hatten. Stellenweise erreichte der Felsschutt eine Höhe von 400 Metern. Auf dreihundert Kilometer hing Staub schwer und dicht in der Atmosphäre und behinderte die optische Ortung, und die riesige Wolke dehnte sich noch immer aus.
Dort bildete sich ein Sturm gigantischen Ausmaßes, und man würde so schnell wie möglich etwas tun müssen, um zu verhindern, dass er große Teile des Planeten einhüllte und verwüstete und mit seinem Staub zu ernsthaften Temperaturschwankungen führte, die die Ökologie der Wasserstoffwelt auf Jahrhunderte nachhaltig störte.
Dem Gipfel des Zwölftausenders fehlten die obersten sechshundert Meter.
Der Berg wirkte, verglichen mit den Unterlagen, wie abgeschnitten, als hätte die Strahlenwaffe eines gigantischen Raumschiffs einfach seine Spitze desintegriert.
Und sein Inneres schien ausgehöhlt worden zu sein, ausgelöffelt von der Kelle Hernstals, des legendären Weltenschöpfers der Wlatschiden. Dieser Riese war beim Urknall von der anderen Seite der Amplitude des Nichts auf diese hinübergewechselt und hatte mit seinem Löffel, der so groß war, dass nur er ihn heben konnte, die Ursuppe der neu entstehenden Materie verteilt und Universen geschaffen, Galaxien und Sternenballungen, in denen seine Geschöpfe, die er frei nach seiner Phantasie gestaltet hatte, nun Großes taten.
Die Ränder des kraterähnlichen Gebildes waren glasiert, wie unter starker Hitze geschmolzen und wieder erstarrt.
Undeutlich bekam Mhogena mit, dass Administrator Haduahls Gesicht auf einem Bildschirm in der Zentrale flimmerte. Noch verschwommener nahm er Satzfetzen des Verwaltungschefs wahr, doch ihr Sinn war ihm schmerzlich klar.
»Eine Katastrophe ... seismische Geräte ausgefallen ... Orter erst jetzt entdeckt ... von noch höheren Bergen umgeben ... wohl ein erloschener Vulkan ... plötzlich ausgebrochen ... Rauchwolke ... gravierende Umweltschäden ... Hilfe unterwegs ...«
Für Chethona kam jede Hilfe zu spät. Es sollte noch eine geraume Weile dauern, doch schließlich entdeckte man mit Hilfe der empfindlichen Instrumente der MAGREDU unter und zwischen den Gesteinsmassen die zerschmetterten und teilweise verbrannten Überreste von vierzehn Gharrern, genauer gesagt, das wenige, was noch von ihnen vorhanden war.
Die Expedition hatte aus vierzehn Agrarökonomen bestanden.
Eine abstruse, wenn auch verständliche Hoffnung hatte Mhogena an den Worten seines Schattenbruders zweifeln lassen, doch diesmal hatte der Totling nicht in Rätseln gesprochen.
Chethona hatte ihn ein letztes Mal gegrüßt. Schon aus dem Reich der Schatten.
»Alle sind eins, Chethona«, murmelte er, als die MAGREDU über der Dekkaret-Ebene höher stieg und dann Kurs auf die Hauptstadt Keroufas nahm. »Du bist nun Teil eines anderen Ganzen.«
*
»Alle sind eins.«
Mhogena sprach die Worte, und überall auf der Welt im Kugelsternhaufen Horo-27, wo Gharrer lebten, wurden sie wiederholt.
Die Bewohner Keroufas hatten seine Bitte, das Ritual mit ihnen zu vollziehen, trotz des traurigen Anlasses bereitwillig akzeptiert, wenn nicht sogar insgeheim voller Freude. Da ihre Welt noch nicht über einen Protektor verfügte, waren sie darauf angewiesen, sich von dem einer anderen Welt oder einem Meister des Sandes führen zu lassen, wenn sie eins mit der Schöpfung werden wollten.
»Alle sind eins«, wiederholte Mhogena und öffnete die parapsychischen Sinne.
Das Ritual war für ihn schon längst zur Routine geworden, zumindest, was den Ablauf betraf. Die Ehrfurcht, die er bei der Vereinigung mit der Schöpfung empfand, war allerdings noch genauso groß wie beim ersten Mal.
Er öffnete den Geist und sah ihn sofort vor sich, den Flickenteppich aus unzähligen Knoten, ein jeder davon die psi-reflektorische Kraft der Gharrer. Und er vereinigte ihn mühelos, fügte ihn zusammen zu einem Schild, einem Schirm, der bis in den Orbit der Welt reichte. Und dehnte ihn aus, bis er schließlich das gesamte Sonnensystem umspannte.
Doch diesmal war etwas anders als sonst.
Mhogena nahm den Hauch der Schöpfung wahr, wurde eins mit ihr, doch sie zerrte ihn und sämtliche Gharrer dieser Welt an einer seltsamen Schnur entlang, einem Strang aus Ritualen, eins älter als das andere, immer weiter ...
Immer tiefer zurück in die Vergangenheit, dachte er.