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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Philip Hasard Killigrew, Big Old Shane und Dan O’Flynn stürmten aus dem Haupttor des Anwesens der Familie Burke und trachteten, sich in Sicherheit zu bringen, da geschah es.

Die Söldner, die kurz zuvor von Batuti und den Zwillingen abgelenkt worden waren und das nahe Ufer des Corrib River aufgesucht hatten, kehrten zurück, sahen die drei flüchtenden Männer und begannen lauthals zu schreien.

„Stehenbleiben!“

„Halt, oder wir schießen!“

Hasard und seine beiden Männer dachten nicht daran, diese Aufforderung zu befolgen, denn sie wußten inzwischen, wie die Burkes, der mächtigste und tonangebende Clan von Galway, mit Gefangenen umzuspringen pflegten.

Dan O’Flynn war wegen eines Mißverständnisses festgenommen worden – Kommandant Norman Stephens und dessen Truppe hatten ihn in den Kerker des Burkeschen Besitzes geworfen, einer festungsähnlichen Anlage. Dann war George Darren Burke höchstpersönlich im Verlies erschienen, das Oberhaupt des Clans, und hatte Dan auf unvergleichlich arrogante Weise mitgeteilt, daß man ihn wegen seiner „Verbrechen“ zum Tode verurteilt habe.

Im Morgengrauen hatte dieses Urteil vollstreckt werden sollen, doch Hasard und seine Männer waren Burke und Stephens zuvorgekommen und hatten Dan in einem tollkühnen Unternehmen befreit.

Hasard, Shane und Dan liefen, so schnell sie konnten, aber jetzt waren die Söldner bereits dicht heran und eröffneten das Feuer. Bedrohlich nah pfiffen ihnen die Musketenkugeln um die Köpfe.

Doch jetzt traten Matt Davies und Gary Andrews in Aktion, die sich als Nachhut unweit des Tores hinter einem Ziehbrunnen versteckt hielten. Sie hatten geahnt, daß die ganze Aktion noch ein übles Nachspiel haben würde, und konnten vorausberechnen, daß alles zum Scheitern verurteilt war, wenn sie nicht unverzüglich handelten. Gary schlug in aller Hast Feuerstahl und Feuerstein aneinander, Matt hielt ihm die Flaschenbombe mit der Lunte entgegen, die er unter seiner Verkleidung verborgen gehalten hatte.

Zischend fing die Zündschnur Feuer. Matt richtete sich zu seiner vollen Größe auf, holte mit seiner gesunden Hand weit aus und schleuderte die Höllenflasche den Söldnern entgegen. Dicht vor den Füßen der Heranstürmenden landete sie auf den Katzenköpfen des dem Anwesen vorgelagerten Platzes, zerbrach aber nicht. Ihr Glas war dick genug, dem Aufprall standzuhalten.

Die Lunte brannte durch den Korken bis zu der Ladung aus Pulver, Glas, Blei und Eisen, dann ertönte der Donner der Explosion, und ein Blitz erhellte die Nacht.

Die Söldner schrien gellend auf. Ein sengendes gelbes Licht dehnte sich von der Stelle aus, an der sie plötzlich in panischem Entsetzen auseinandersprangen, der Blitz zog die Schwärze aus dem Tor, den Gassen und Winkeln der nahen Häuser. Das gewaltige Krachen überschwemmte alles wie eine Welle, der Druck breitete sich nach allen Seiten aus und brachte Hasard, Shane und Dan, die ihre Kameraden jetzt erreichten, fast zum Stolpern.

„Nichts wie weg hier!“ stieß der Seewolf keuchend hervor. „Gleich haben wir auch wieder die Wachen vom Hof am Hals!“

Sie tauchten in der Finsternis einer Gasse unter und liefen auf dem Weg ins Hafenviertel zurück, den Sally, ihre Helferin, ihnen vorher beschrieben hatte.

Bei den Bootspiers trafen sie auf Batuti, die Zwillinge und Arwenack, die soeben vertäut hatten und aus der Jolle kletterten. Auch das Boot hatten sie dank Sallys Hilfe beschaffen können, doch Hasard hielt es für zu riskant, es weiterhin zu benutzen. Wohin sollten sie damit fliehen? Sie kannten sich in Galway nicht gut genug aus. Wenn sie den Fluß überquerten, liefen sie Gefahr, auf der anderen Seite schon von Burkes Männern erwartet zu werden. Und wenn sie sich stromaufwärts oder -abwärts wandten? Nun, Stephens ließ jetzt sicherlich in aller Eile Boote bemannen. Somit würde binnen kürzester Zeit ein gnadenloses Kesseltreiben einsetzen, das unweigerlich mit dem Tod der Seewölfe endete.

Vier Flaschenbomben waren in raschen Zeitabständen detoniert und hatten den Gegner gründlich verwirrt. Doch jetzt hatten Hasard und seine Begleiter nur noch zwei Höllenflaschen zur Verfügung.

Damit und mit ihren wenigen Waffen konnten sie sich nicht dauerhaft gegen die Übermacht der Söldner zur Wehr setzen. Nein, sie mußten sich erst einmal verstecken, so daß der Feind glaubte, der Erdboden habe sie verschluckt. Dan war gerettet, doch was sie weiterhin unternehmen sollten, mußte erst einmal beratschlagt werden.

In dem Gewirr von Gassen gelang es ihnen, den Verfolgern, die sich jetzt von Burkes Besitz aus in Bewegung setzten, zu entrinnen. Sie versteckten sich in einem verlassenen Kellergewölbe ganz in der Nähe des Hafens, nicht weit vom Long Walk, dem Spanish Arch und der Spanish Parade entfernt.

„Sind wir hier auch wirklich sicher?“ fragte Dan O’Flynn leise, als sie in die unergründlich wirkende Dunkelheit hinunterstiegen und sich vorantasteten.

Hasard erwiderte: „Sally hat uns diesen Platz empfohlen, wie sie uns auch andere Einzelheiten über die Stadt genau geschildert hat.“

„Sally? Sie ist doch Kathryn Stephens’ Freundin! Wenn das bloß keine Falle ist!“ stieß Dan bestürzt aus.

Shane legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ganz ruhig bleiben, Mister O’Flynn, es besteht kein Anlaß zur Sorge. Wir würden ihr voll vertrauen. Ihr Mann arbeitet mit den irischen Rebellen zusammen. Obwohl ihre Ehe nicht eitel Freude zu sein scheint, hält sie doch zu ihm und hat einen Haß auf die Burkes.“

„Und wenn sie uns angelogen und verraten hätte, wäret ihr aus der Burg nicht mehr herausgekommen“, fügte Gary hinzu.

„Ja, das könnte allerdings stimmen“, sagte Dan, war aber immer noch nicht ganz überzeugt.

„Sally hat uns auch geholfen, die Flaschenbomben zu basteln“, erklärte der Seewolf. „Sie war uns in allem eine wertvolle Hilfe, auch als wir die beiden gefangenen Söldner über Burke aushorchten.“

„Was, ihr habt zwei Söldner überrumpelt?“ Dan war völlig überrascht. „Wie wäre es denn, wenn ihr mir das alles genau erzählen würdet?“

„Sofort“, raunte Hasard. „Aber jetzt laß uns erst mal sehen, wo wir uns häuslich niederlassen können.“

„Au, verdammt!“ sagte Matt Davies plötzlich. „Ich hab mir den Kopf an einem verfluchten Pfeiler gestoßen. Kann man hier denn kein Licht machen, zum Teufel noch mal?“

„Auf keinen Fall“, sagte der Seewolf warnend. „Es gibt ein paar winzige Fenster, die auf die Gasse hinausreichen, durch die könnten die Söldner auf das Licht aufmerksam werden.“

„Mist, elender!“ schimpfte Matt und rieb sich den schmerzenden Schädel.

„Dem Klang unserer Stimmen nach zu urteilen, scheinen wir uns jetzt in einem ziemlich großen Raum zu befinden“, sagte Hasard.

„Hier ist so was wie eine Bank“, brummte Shane. „Eine ziemlich lange sogar, sie ist in die Mauer eingelassen. Ich glaube, die hält. Moment, ich probiere sie mal aus.“

Er setzte sich. Kein verräterisches Knacken kündete davon, daß das Holz morsch war, die Bank hielt tatsächlich stand und bot ihnen allen genügend Platz. Sie rückten ziemlich dicht zusammen und lauschten eine Weile in die Finsternis.

Vorläufig näherte sich auch kein Schrittgetrappel. Die Wächter des Burkeschen Anwesens schienen noch um einiges von ihnen entfernt zu sein. Stille umgab das alte Gemäuer, in dem sich das Kellergewölbe befand.

„Laßt mich mal berichten, wie’s mir ergangen ist“, sagte Dan. „Diese Dreckskerle wollten mich erst foltern und dann hinrichten, weil sie mich für einen Spion der irischen Rebellen hielten.“

„Ich glaube, dieser verdammte Pferdeknecht Rory O’Brien hat da auch seine Hand im Spiel“, murmelte Matt. „Als ich ihn hinter Mulkennys Herberge verdroschen habe, hat er ganz bestimmt bittere Rache geschworen. Der hat uns bei den Burkes gründlich angeschwärzt, sage ich euch.“

Batuti stieß einen dumpfen Laut aus, dann sagte er: „Du hättest den Kerl nicht so hart anfassen sollen, Matt. Bißchen sanfter, nicht so grob.“

„Ich hab nicht mal den Haken benutzt“, zischte Matt. „Und was sollte ich wohl sonst tun? Dieser Schweinehund hielt mich für einen Galgenstrick und dachte, ich wäre hier in Galway aufs große Plündern aus. He, Sir, sollte ich das vielleicht auf mir sitzenlassen?“

„Nein. Und irgendwo eckt unsereins ja immer an, es läßt sich nicht vermeiden.“

„Das stimmt“, pflichtete Dan ihm bei. „Mit diesen Burkes, das schwöre ich euch, hätten wir über kurz oder lang sowieso Streit gekriegt. Ich will euch mal erklären, was für ein Kerl George Darren Burke ist. So ein richtiger aufgeblasener Galway-Pfeffersack, dem man am liebsten gleich eine runterhauen möchte, ehe man mit ihm spricht.“

„Augenblick mal“, sagte Big Old Shane, der in seiner Hosentasche gekramt hatte. „Ehe du weiterredest, will ich dir was geben, was dir rechtmäßig zusteht. Hier, nimm schon hin.“ Er drückte ihm etwas Hartes, Metallisches in die Hand.

Dan grinste in die Finsternis hinein. „Das sind zwei spanische Dublonen, wenn mich nicht alles täuscht. Hol’s der Henker, die nehme ich wirklich von dir an, Shane, denn die Wette, die wir in der Taverne ‚Atalia Star‘ abgeschlossen hatten, hatte ja ihre Gültigkeit.“

„Und du hast dir die Münzen sauer genug verdient“, sagte Shane. „Fast hätten sie dich deswegen um einen Kopf verkürzt.“

„Falsch. Sie wollten mich erschießen, glaube ich.“

„Das kommt ja wohl aufs gleiche hinaus“, sagte Philip junior.

„Nicht ganz, mein Junge“, erwiderte Dan. „Eine Kugel wäre mir doch lieber gewesen. Wäre ich unterm Fallbeil oder unter dem Schwert des Henkers gelandet, hätte ich mich hinterher so kopflos gefühlt.“

Keiner lachte, und auch Dan selbst fand, daß dies eine äußerst faule Art von Galgenhumor war.

Arwenack, der mit bei Batuti und den Zwillingen in der Jolle gesessen hatte, von der aus sie eine der Flaschenbomben zum Flußufer geworfen hatten, hockte jetzt zwischen Philip junior und Hasard junior, den Söhnen des Seewolfs, und legte sein zerfurchtes Schimpansengesicht in beide Vorderpfoten. Die bedrückte Stimmung „seiner“ Menschen griff auch auf ihn über, sehr wohl fühlte er sich nicht in seiner Haut. Warum saßen sie in diesem feuchten, dunklen Keller? Warum wurde wieder geschossen und gebombt wie in den alten Zeiten der „Isabella VIII.“, als die Seewölfe ihre tollkühnen Raids durchgeführt hatten?

Sollte diese Stadt nicht eigentlich ein friedlicher Platz, ein Hort der Behaglichkeit und Geborgenheit sein?

Arwenacks Affenhirn konnte sich viele Zusammenhänge nicht erklären, und darum war er gleichsam dazu verdammt, in dumpfes Brüten zu versinken und trübe vor sich hin zu blicken, ohne zu einer Lösung zu gelangen. Mit seiner Annahme aber hatte er recht: Galway, die Hafenstadt an der Westküste Irlands, hätte eigentlich ein hervorragender Ort für die Männer der „Isabella“ sein müssen, ein Sprungbrett für die Weiterreise nach England, das keine unangenehmen Überraschungen für sie bereithielt.

Und doch kam es immer anders, als man sich das ausmalte. Einmal heil in Spanien gelandet, hatten Hasard, Shane, Dan, Batuti, Gary, Matt und die Zwillinge samt Arwenack, ihrem Bordmaskottchen, Platz für die Heimfahrt auf der Galeone „Rosa de los Vientos“ gefunden, die von Cadiz nach Galway gesegelt war, um hier Fässer voll Rioja-Wein zu löschen und eine neue Ladung zu übernehmen.

Am Anfang hatte sich alles recht gut angelassen, denn Don Juan Bernardo Orosco und sein Erster Offizier Aurelio Vergara waren Freunde der Seewölfe geworden. Ebenso mit der spanischen Mannschaft hatten sich die Passagiere der Galeone alsbald sehr gut verstanden. Das lag nicht zuletzt auch daran, daß sie während der Überfahrt an Deck kräftig mit zugepackt hatten: Die „Rosa de los Vientos“ war unterbemannt und mit so wenigen Leuten Besatzung im Grunde kaum zu manövrieren.

In Galway hatte ihnen Orosco noch manchen Tip für den Aufenthalt in der Stadt gegeben, und Vergara hatte sie sogar zu der Herberge „Morris’ Arms“ begleitet, wo sie Quartier bezogen hatten.

Galway war England freundlich gesinnt, denn seine Bewohner waren überwiegend normannischer Herkunft und hatten mit den Iren nichts gemein. Mehr noch: Die Clans von Galway bekämpften die irischen Rebellen im Hinterland der Grünen Insel und versuchten, diese auszurotten.

Mit den Spaniern hingegen verstand man sich in Galway gut, seit vielen Jahrzehnten schon florierte der gegenseitige Handel.

Alles in allem hätten die Seewölfe in Galway keinen Ärger kriegen dürfen, und doch hatte es ihn gegeben. Alles hatte damit angefangen, daß sich ihr Aufenthalt länger ausgedehnt hatte als ursprünglich erwartet: Kein englisches Schiff lag auf der Reede oder am Long Walk, der langgestreckten Kaianlage, denn die Engländer mieden in der letzten Zeit die Westküste, weil die Rebellen diese Region besonders heimsuchten.

Daher waren die Aussichten, demnächst nach Plymouth zu gelangen, alles andere als rosig. Verdrossen hatten Hasard und seine Männer eine der vielen Tavernen des Hafenviertels aufgesucht, die „Atalia Star“, um den Kummer mit Bier zu bekämpfen.

Größer noch als ihr Verlangen auf eine rasche Rückkehr nach England war die Sorge um die anderen Kameraden. Was war aus Ben Brighton, Ferris Tukker, Edwin Carberry, Smoky, Blacky und all den anderen geworden? Die Abenteuer am Nil hatten einen unseligen Verlauf genommen, Hasard hatte die „Isabella VIII.“ verloren, und seine Männer waren in alle Winde versprengt worden.

In Plymouth hoffte er den einen oder anderen wiederzutreffen und wollte sich dort wenigstens umhören. Vielleicht gab es Neuigkeiten über das Schicksal der Kameraden. Aus diesem Grund hatten er und seine Begleiter es jetzt so eilig, die Strecke von Irland nach England zu überbrücken.

In der Taverne „Atalia Star“ waren unvermittelt einige putzmuntere, aufgekratzte Frauen erschienen, unter ihnen eine gewisse Kathryn Stephens und deren Freundinnen Tara, Sally, Jade und Eileen. Diese fünf hatten mit den Seewölfen angebändelt, und prompt hatte es bei den Männern handfeste Zweifel darüber gegeben, ob es sich wirklich um biedere Hausfrauen handelte, wie Aurelio Vergara behauptet hatte.

Dan hatte Vergara vertraut und die diesbezüglich mit Shane abgeschlossene Wette gewonnen: In Galway war alles anders, hier mußte nicht jede Frau, die man in einer Hafenkneipe antraf, gleich eine Hure sein. Es war hier üblich, daß nicht nur die Herren der Schöpfung, sondern auch deren Gemahlinnen ausgingen und freizügig durch die Tavernen bummelten.

Norman Stephens hielt von solchen Bräuchen überhaupt nichts – und auch der Magistrat erließ immer wieder Verordnungen, in denen er den Frauenzimmern ihr unbotmäßiges Treiben untersagte und sie kraft Gesetzes an den häuslichen Herd zurückzutreiben suchte.

Dagegen protestierten die Ladys von Galway natürlich, und so ging der Disput munter hin und her.

Norman Stephens war unverhofft in der Taverne aufgetaucht und hatte sich sogleich auf Kathryn gestürzt, um sie zu züchtigen. Dan hatte inzwischen schon ein Tänzchen mit der Dame gewagt und sah sich nun veranlaßt, sie zu verteidigen. Mit gezielten Hieben hatte er den Kommandanten der Burke-Garde zu Boden geschickt.

Im weiteren Verlauf der Angelegenheit wäre sicherlich nichts Dramatisches mehr passiert, wenn nicht plötzlich ein ganzer Trupp von Söldnern auf der Bildfläche erschienen wäre. Ehe Hasard, Shane, Batuti, Gary, Matt oder die Zwillinge hatten eingreifen können, war Dan überwältigt worden, und der wütende Stephens hatte ihn sogleich abführen lassen. Hasard hatte es für klüger gehalten, erst einmal die Entwicklung der Dinge abzuwarten, als ein gewaltiges Handgemenge vom Zaun zu brechen, bei dem er mit seinen Leuten doch den kürzeren zog.