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Andrea Komlosy
Arbeit

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

4., unveränderte Auflage 2015

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Die Autorin

Andrea Komlosy, geboren 1957 in Wien, ist Professorin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Sie veröffentlicht zu Themen der Globalgeschichte und ihrer Verflechtung mit regionalen Beziehungen. Komlosy ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des »Internationalen Instituts für Sozialgeschichte« in Amsterdam. Zuletzt erschien von ihr im Promedia Verlag: »Grenze und ungleiche regionale Entwicklung. Binnenmarkt und Migration in der Habsburgermonarchie« (2003).

Inhalt
Einführung
Begriffe und Konzepte
Die eurozentrische Meistererzählung
Grenzen der eurozentristischen Erzählung
»Arbeit« gegen den Strich erzählen: Die feministische Perspektive
»Arbeit«gegen den Strich erzählen: Die globalgeschichtliche Perspektive
Arbeitsdiskurse
Überwindung der Arbeit
Lob der Arbeit
Transformation der Arbeit
Sprachfeld Arbeit
Arbeit(en) und Werk(en) im Grimmschen Wörterbuch
Übersicht Wortfeld Arbeit heute
Arbeitsbegriffe in der chinesischen Sprache
Analysekategorien
Bezugsrahmen von Arbeit
Begriffspaare zur Kategorisierung von Arbeitsverhältnissen
Grauzonen im Übergangsbereich von Arbeit und Nicht-Arbeit
Quer durch alle Bereiche und Kategorien
Formen der Arbeitsteilung: Gleichzeitigkeit und Kombination unterschiedlicher Arbeitsverhältnisse
Örtliche Verbindungen
Überörtliche Verbindungen
Zeitschnitte
1250
Charakteristik
Arbeitsverhältnisse vor Ort
Überregionale Verbindungen
Großräumige Verbindungen
1500
Charakteristik
Arbeitsverhältnisse vor Ort
Überregionale Verbindungen
Großräumige Verbindungen
1700
Charakteristik
Arbeitsverhältnisse vor Ort
Überregionale Verbindungen
Großräumige Verbindungen
1800
Charakteristik
Arbeitsverhältnisse vor Ort
Überregionale Verbindungen
Großräumige Verbindungen
1900
Charakteristik
Arbeitsverhältnisse vor Ort
Überregionale klein- und großräumige Verbindungen
2010
Charakteristik
Arbeitsverhältnisse vor Ort
Überregionale Verbindungen
Großräumige Verbindungen
Kombination von Arbeitsverhältnissen in der longue durée
Relationen
Tendenzen
Gleichzeitigkeit
Literatur

Einführung

Der Band beschäftigt sich mit Arbeitsverhältnissen in verschiedenen Weltregionen im historischen und interkulturellen Vergleich. Der Fokus liegt dabei auf der Verbindung unterschiedlicher Arbeitsverhältnisse.

Als Grundlage der Darstellung dieser Verbindungen dient die Hypothese von der Gleichzeitigkeit und der Kombination unterschiedlicher Arbeitsverhältnisse. Die Vorstellung einer linearen oder stufenweisen Abfolge von Produktionsweisen und mit diesen verbundenen Arbeitsverhältnissen wird zurückgewiesen. Vielmehr konzentrieren wir uns auf die große Vielfalt von Tätigkeiten, die in jeder historischen Epoche dem Überleben und der Selbstfindung der Menschen dienten. Arbeit umfasste und umfasst Tätigkeiten für den Markt und für die Selbstversorgung, für das nackte Überleben und für die Befriedigung von Luxus und Statusbedürfnissen, von kultureller Repräsentation und zur Demonstration von Macht und Glaube. Eine Trennung von Arbeits- und Wohnort, Arbeits- und Freizeit blieb lange Zeit die Ausnahme und trat erst im Zuge der Industriellen Revolution an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert mit der Zentralisierung der Erwerbsarbeit in Fabriken und Büros in den westlichen Industrieländern in den Vordergrund. Dies traf weder für alle Menschen in der Industriegesellschaft zu, wo bäuerliche Landwirtschaft, Handwerk und Heimarbeit, Haus- und Subsistenzarbeit sowie eine große Bandbreite von Tätigkeiten, mit denen sich Nicht-Erwerbstätige durchbrachten, weiterhin das Arbeitsleben prägten. Noch weniger traf es für jene Regionen in- und außerhalb Europas zu, in denen die Fabrikindustrie zunächst keine und – im Laufe nachholender Industrialisierung – keine dominierende Rolle spielte und Fabrikarbeit immer nur eine Erwerbsform unter vielen Überlebenstätigkeiten war und ist, die in Kombination mit anderen Tätigkeiten im Verband von Haushalt und Familie verrichtet werden.

Die Gleichzeitigkeit und Kombination unterschiedlicher Arbeitsverhältnisse wird in diesem Buch in Form von sechs Zeitschnitten (1250, 1500, 1700, 1800, 1900, 2010) und den durch diese gebildeten Perioden vorgestellt.

Das Jahr 1250 steht für die Verdichtung der Urbanisierung und des Austauschs von Gütern des täglichen Bedarfs im Zusammenhang mit der Herausbildung eines eurasischen Weltsystem (Abu-Lughod 1989), dessen Dynamik im Westen vom lateinischen Europa, im Osten von der Reichsbildung der Mongolen geprägt war. Raub, Plünderung und Entführung von Fachkräften entzogen den eroberten Regionen Werte, eine Kontrolle über die überregionale Arbeitsteilung erreichten die damaligen Großmächte jedoch nicht. Im städtischen Handwerk begann sich ein werkzeug- und qualitätsorientierter Arbeitsbegriff herauszubilden, der sich von der mühevollen Arbeit im Haus und in der Landwirtschaft abhob.

Das Jahr 1500 steht für das westeuropäische Ausgreifen auf amerikanische Plantagen und Bergwerke. Die Arbeit, die Indigene und Sklaven zur Erwirtschaftung von Rohstoffen verausgabten, floss in das westeuropäische Gewerbe ein, das sich auf Fertigwaren konzentrierte. Auch innerhalb von Europa begann sich eine Arbeitsteilung zwischen westlichen Gewerberegionen und osteuropäischen Agrarregionen herauszubilden, die Waldprodukte und Nahrungsmittel zulieferten. Im eurasischen Kontext waren die Kompetenzzentren der gewerblichen Produktion jedoch in West-, Süd- und Ostasien angesiedelt: europäische Händler und Handelskompagnien und ihre Regierungen setzten alles daran, am innerasiatischen Handel mit Spezereien und gewerblichen Artikeln zu partizipieren. Sie verwendeten dafür Silber, das ihnen aus der Plünderung der amerikanischen Minen zur Verfügung stand.

Um 1700 trat in der gewerblichen Produktion neben die häusliche Selbstversorgung der Dörfer und die städtischen Zunfthandwerker das von Händlern betriebene Verlagswesen: Diese Händler beschränkten sich nicht auf den Handel mit Gewerbewaren, die vor Ort gefertigt wurden, sondern sie verbanden die ländlichen Produzenten durch ihre Aufträge in einer von ihnen kontrollierten Arbeitsteilung und eröffneten damit Güterketten klein- und großräumiger Reichweite. Die asiatische Handwerkskunst stand nach wie vor an der Weltspitze, indische Baumwolltextilien gelangten über die britische East India Company auf europäische, afrikanische und amerikanische Märkte. Afrikanische Sklavenhändler nahmen indische Textilien in Zahlung, amerikanische Plantagensklaven trugen Kleidung aus indischen Baumwollstoffen. Das kapitalistische Weltsystem (Wallerstein 2004a) verleibte sich die diversen, lokal bestehenden Arbeitsverhältnisse einer ungleichen internationalen, unter westeuropäischer Ägide stehenden Arbeitsteilung ein.

Um 1800 verschob sich mit der Industriellen Revolution die Kontrolle über die globalen Güterketten in jene westeuropäischen Regionen, die – zunächst in Großbritannien, in der Folge auch in anderen europäischen Staaten – die gewerbliche Produktion in Fabriken mit mechanischem Antrieb zentralisierten. Mit der Mechanisierung verlagerte sich die Lohnarbeit von Haus und Werkstatt in die Fabrik: Dies trug zu einer gänzlich neuen Erfahrung von Arbeit bei. Auf Arbeiterseite bedeutete Fabrikarbeit, auf ein Lohneinkommen angewiesen zu sein, ihre Anstrengungen konzentrierten sich nach einer Phase der kruden Ausbeutung darauf, Löhne und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Unternehmer betrachteten die Arbeitskraft als einen Kostenfaktor, der durch die Aneignung der in der Lohnarbeit geschaffenen Werte Kapitalakkumulation ermöglichte. Hausfrauen bildeten ein Anhängsel des Ehemannes, deren Beitrag zum familiären Überleben und zur betrieblichen Wertschöpfung nicht als Arbeit wahrgenommen wurde. Trotz der antagonistischen Positionen waren Lohnarbeit und Kapital eng aneinander gebunden. Während sich dieses Arbeitsverständnis in Europa rasch durchsetzte und Ende des 19. Jahrhunderts in die Arbeitsgesetzgebung einging, setzten die gewerblichen Produzenten in asiatischen Regionen die handwerklich-dezentrale Produktion fort: Die vielen Standbeine der ländlichen Haushalte gewährleistete, dass diese trotz niedrigerer Produktivität gegenüber den Fabrikwaren bestehen konnten. Der Vormarsch der Lohnarbeit war mit der Überwindung von feudaler Untertänigkeit und Leibeigenschaft verbunden: Der produktivitätsorientierte Diskurs diskreditierte auch den Sklavenhandel. An die Stelle von Leibeigenschaft und Sklaverei traten im Laufe des 19. Jahrhunderts neue Formen der persönlichen Abhängigkeit, die nun stärker über den Markt vermittelt wurden.

Erst um 1900 trat die Verengung des Arbeitsbegriffs auf außerhäusliche Erwerbsarbeit ihren globalen Siegeszug an: Zwar wurde das Versprechen der Ökonomen, die Lohnarbeit würde sukzessive sämtliche anderen, aus früheren Produktionsweisen herrührenden Arbeitsformen, wie Hausarbeit, Sklaverei, Selbstversorgungslandwirtschaft und Handwerk, aus dem Arbeitsalltag verdrängen, niemals eingelöst. Indem der neue, auf moderne Lohnarbeit beschränkte Arbeitsbegriff jedoch weltweit Eingang in die Gesetzeswerke, die Planvorgaben der Regierungen und die Forderungslisten der ArbeiterInnenbewegung fand, eroberte er sich einen, den Diskurs des 20. Jahrhunderts bestimmenden Platz. Die Vielfalt der lebenserhaltenden, Einkommen schaffenden und Einkommen unterstützenden Tätigkeiten existierte weiterhin: der verengte Arbeitsbegriff übersah die damit verbundene Wertschöpfung.

Als die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, mit der die Krise der industriellen Massenproduktion seit den 1980er Jahren in Angriff genommen wurde, das klassische »Normalarbeitsverhältnis« auch in den entwickelten Industrieländern in den Hintergrund drängte, hat sich der Diskurs über Arbeit weit geöffnet. Eingespielte Muster, Bilder und Begriffe gelten nicht länger. Dies hilft den zunehmend global agierenden Unternehmern, die arbeitsrechtlichen Standards und sozialpolitischen Sicherheiten – die mit Sozialdemokratie und Sozialpartnerschaft in Westeuropa, mit den kommunistischen Parteien in Osteuropa etabliert wurden – wieder zurückzudrängen. Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien sehen dem hilflos zu. Während der Zusammenbruch des realen Sozialismus in Osteuropa, Öffnung und Reform in China die soziale Frage diskreditiert und tabuisiert haben, melden sich die weltweit Prekarisierten zu Wort. Um 2010 ist es angebracht, für die Debatten um die Zukunft der Arbeit eine neue konzeptionelle Grundlage zu entwickeln. In diese Bemühungen reiht sich das vorliegende Buch ein.

Zum Einstieg werden in mehreren kurzen Kapiteln Arbeitsbegriff, Arbeitsdiskurse und das Sprachfeld Arbeit im historischen Wandel vorgestellt. Auf dieser Grundlage werden die analytischen Instrumente entwickelt, die der chronologischen Darstellung der Zeitschnitte sowie den langfristigen Veränderungstendenzen zugrunde liegen.

Jeder Zeitschnitt wird mit einem Überblick über politische und wirtschaftliche Grundlagen in den Großräumen des Weltsystems sowie die wichtigsten Entwicklungen der Epoche eröffnet. In der Folge wird die Kombination von Arbeitsverhältnissen zuerst auf der Ebene der Haushalte betrachtet. In einem zweiten Schritt werden Spezialisierung, Arbeitsteilung und Austausch im kleinräumigen und regionalen Maßstab betrachtet, bevor drittens die Arbeitsteilung und das Zusammenwirken von Arbeitsverhältnissen im großräumigen Maßstab untersucht wird. Eine Darstellung, die den Besonderheiten und Perspektiven aller beteiligten Regionen gerecht wird, lässt sich aus arbeitspraktischen Gründen nicht durchhalten. Bei der Darstellung der kleinräumigen und regionalen Austauschverhältnisse wird vorrangig ein zentraleuropäischer Standpunkt eingenommen, von welchem aus die europäische und die globale Perspektive eröffnet wird. Eine durchgängige Multiperspektivität würde sich nur in einem kooperativen Vorhaben realisieren lassen, in welches Forschende mit Regionalkompetenzen aus allen betroffenen Weltregionen eingebunden sind.

Abschließend wird nach den langfristigen Veränderungen in der kleinräumigen, regionalen und globalen Kombination der Arbeitsverhältnisse gefragt. Hierfür werden Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt am Internationalen Institut für Sozialgeschichte (Amsterdam) herangezogen, das Daten über die verschiedenen Ausprägungen von Arbeit in fünf Zeitschnitten von 1500 bis 2000 gesammelt hat, um die qualitative durch eine quantitative Perspektive zu ergänzen.

Andrea Komlosy

Wien, im Februar 2014

Begriffe und Konzepte

Arbeit ist ein geflügeltes Wort, jeder und jede kennt sie und weiß, was darunter zu verstehen ist. Bei näherem Hinsehen erweist sich Arbeit jedoch als ein wahres Chamäleon: jeder versteht etwas anderes darunter, die Definitionen und Begriffe sind in ständiger Veränderung. Dass ältere Vorstellungen weiterhin mitschwingen, wenn neue Konzepte von Arbeit auftauchen, führt zu einer Koexistenz unterschiedlicher Begriffe von und Einstellungen zu Arbeit.

Grundsätzlich wird in diesem Buch einem breiten Arbeitsbegriff das Wort geredet, der Arbeit nicht auf Erwerbsarbeit reduziert, sondern das breite Spektrum von Arbeitsformen zur Kenntnis nimmt, die im Haushalt, in der Familie, für Grundherren oder Meister, im eigenen Betrieb oder als unselbständige Lohnarbeit für einen Unternehmer oder Auftraggeber geleistet wird (Komlosy 2011b: 244). Ob diese Arbeit bezahlt oder unbezahlt verrichtet wird, steht ebenso auf einem anderen Blatt wie die Frage, ob sie überhaupt bezahlbar ist. Ein großer Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, die Arbeit des Gebärens und Aufziehens der Kleinkinder, ist – auch wenn einzelne Teile davon in Erwerbsarbeit verwandelt wurden – schlichtweg unbezahlbar. Auch Fronarbeit (Robot) oder die Herstellung von Abgaben für einen Grundherrn war Arbeit, auch wenn sie nicht gegen Bezahlung, sondern – unter Einsatz von Machtmitteln – von den Untertanen aufgrund der sozialen Unterschiede in einer ständischen Gesellschaft erzwungen werden konnte.

Welche Personen bestimmte Arbeiten in einer Gesellschaft verrichten oder nicht verrichten, ist von vielen Faktoren abhängig. Jede Gesellschaft wies Männern, Frauen und Kindern, Alten und Jungen, Herren und Untertanen, Eignern und Besitzlosen, Einheimischen und Zugezogenen, Flüchtlingen und Gästen jeweils unterschiedliche Aufgaben zu. Wir müssen uns davor hüten, die Arbeitsteilung, die unsere heutige, westliche Lebenswelt in ihrer west- und zentraleuropäischen Ausprägung bestimmt, für eine selbstverständliche, der Menschheit auf den Leib geschriebene Arbeitsteilung zu halten, die wir auf frühere Zeiten bzw. andere Weltregionen übertragen können. Die Verteilung von Arbeit und die Frage, was überhaupt als Arbeit angesehen wurde, unterliegen starken Veränderungen. Daher wäre es falsch, von vornherein irgendein Arbeitsverhältnis auszuschließen.

Unser Interesse gilt dem historischen Arbeitsbegriff, wie er für einzelne Perioden, Regionen, Gesellschaften bzw. soziale Milieus charakteristisch war. Dabei zeigt sich, dass das, was gesellschaftlich als Arbeit angesehen und honoriert wurde, höchst wandelbar war und ist. Unser eigener Sprachgebrauch hat vieles, was früher bzw. anderswo als Arbeit galt, längst aus dem im 20. Jahrhundert in den Zentren der Weltwirtschaft vorherrschenden Verständnis von Arbeit ausgeschieden. Der Arbeitsbegriff, der Arbeit mit Erwerbsarbeit gleichsetzt und der unsere Sprechweise beherrscht, hat sich im 19. und 20. Jahrhundert in den entwickelten Industriestaaten herauskristallisiert. An der Definition von Arbeit als außerhäusliches, bezahltes, rechtlich kodifiziertes, institutionalisiertes und sozial abgesichertes Beschäftigungsverhältnis wurde das gesamte wirtschafts- und sozialpolitische Regelwerk der Industriegesellschaft festgemacht.

Heute, im postindustriellen Übergang, ist die gesellschaftliche und individuelle Selbstvergewisserung durch Arbeit ins Wanken geraten. Der erwerbsorientierte Arbeitsbegriff stimmt mit der Vielfalt deregulierter Arbeitsverhältnisse, die auch in den ehemaligen Industrieländern die dauerhaften Erwerbsidentitäten und Erwerbsbiographien ablösen, nicht mehr überein. Er muss selbst als Produkt spezifischer räumlicher und zeitlicher Umstände betrachtet werden.

In diesem Kapitel wird die Vorstellung von Arbeit in ihrer historischen Entwicklung dargestellt. Es orientiert sich zunächst an den Epochen und Zäsuren der europäischen Geschichte, um in einem zweiten Schritt die Grenzen auszuleuchten, die dieser Perspektive inne wohnen.

Dabei stellen sich epochenübergreifend die Grundfragen,

1)was jeweils als Arbeit und was nicht als Arbeit betrachtet wurde,

2)wie die verschiedenen Arbeitstätigkeiten, je nachdem was sie hervorbrachten und wer sie verrichtete, anerkannt und bewertet wurden.

Die eurozentrische Meistererzählung

Der Sozialhistoriker Werner Conze legte im Historischen Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland (Conze 1972) eine geraffte und pointierte Einordnung von Arbeit im historischen Wandel vor. Er beginnt mit der Arbeitsverachtung der griechischen Antike und stellt sie dem Doppelcharakter gegenüber, die Arbeit in der jüdisch-christlichen Tradition einnahm. Diese Ambivalenz aus Arbeitsleid und Arbeitsfreude wurde erst mit der Fortschrittsapologetik der frühen Kapitalismustheoretiker beiseite geschoben, die Arbeit zur Quelle von Wertschöpfung, Reichtum und Wachstum der Nation hochstilisierte. Im Widerspruch zur Reduktion von Arbeit auf eine Ware, die durch Kosten, Zeit, Geld und Ertrag bestimmt wurde, formierten sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert kritische Strömungen, die christlich-konservative Sozialreform, utopischen Sozialismus oder sozialistische Transformation der kapitalistischen Industrie propagierten. Durch die Betrachtung im historischen Längsschnitt kann Conze die Kontinuitäten herausarbeiten, die über Brüche hinweg zur Überlappung älterer und jüngerer Vorstellungen von Arbeit führten.

Conzes Werk ist der gelungene, geraffte Ausdruck der eurozentrischen Meistererzählung, die die Historiographie der Arbeit seit Max Webers (1864-1920) Grundlegungen der Moderne (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus 1920/1988; Wirtschaft und Gesellschaft 1922/1985) prägen. Wer über Arbeit forscht, kann ihr nicht entkommen. Es gibt eine schier unüberschaubare Fülle an Literatur, die dieser Darstellung folgt (empfehlenswert: Applebaum 1992; Aßländer 2005; Ehmer/Sauer 2005; Füllsack 2009; Kocka/Offe 2000). Darüber hinaus vermitteln Querschnittstudien vertiefende Einblicke in einzelne Epochen. Auch Einwände gegen die Monumentalität der Erzählung, kritische Einwände und Forschungskontroversen folgen im Wesentlichen ihren Vorgaben (eine Zusammenfassung kritischer Einwände und offener Fragen: Ehmer/Lis 2009). Der folgende Überblick skizziert die zentralen Elemente dieser Erzählung.

In der griechischen Polis (4. Jh. v.u.Z.) wurde Hand- und Lohnarbeit verachtet. Dies galt sowohl für die zum Überleben erforderlichen mühevollen Verrichtungen (pónos), die in der hauswirtschaftlichen Lebens- und Produktionseinheit, dem oikos, von Bauern, Taglöhnern und Sklaven verrichtet wurden; Frauenarbeit fiel generell in diese Kategorie, fand aber keine gesonderte Erwähnung. Auch Freie ohne Landbesitz, die als Handwerker oder Händler tätig waren, leisteten verachtete Arbeit: aufgrund der Handfertigkeit (érgon), die für die Herstellung eines Produktes notwendig war, war ihre Arbeit höher angesehen. Auf der nächsten Stufen der ständischen Hierarchie standen Geschäfte und Künste, die allerdings nicht als Arbeit im eigentlichen Sinn galten. Der freie Bürger zeichnete sich dadurch aus, dass er weder arbeitete noch Geschäfte trieb, sondern sich bildete und am politischen Leben beteiligte. Diese angemessene Tätigkeit wurde als praxis bezeichnet. Das Ideal war also nur möglich, wenn Sklaven und andere, unfreie Haushaltsmitglieder für den Lebensunterhalt und die öffentliche Infrastruktur sorgten. Sklaven wurden als Werkzeuge angesehen, die aufgrund ihrer natürlichen Beschränkungen zu diesem Schicksal bestimmt waren. Frauen von Freien und Bürgern galten ihnen gegenüber zwar als Menschen, ihre Zuständigkeit für die niederen Dienste ergab sich aus ihrer natürlichen Bestimmung.

Durch die Schriften der griechischen Philosophen wurde eine Sozial- und Wertordnung für die Nachwelt tradiert. Die negative Besetzung körperlicher Arbeit und die Verachtung von allem, was mit häuslicher Tätigkeit zu tun hatte, wurde hier grundgelegt – auch in den Begriffen, die die weitere Sprachentwicklung beeinflusste. Zu den negativen Seiten des Wirtschaftslebens zählte nach Ansicht der Philosophen auch die Chrematistik, das auf Gewinn zielende Wirtschaftstreiben, das der Selbstversorgungswirtschaft des Haushalts gegenübergestellt wurde. Dieser Gegensatz zwischen Oikonomik und Chrematistik spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Haltungen wider, die dem Geld entgegengebracht wurden. Fest steht, dass dieses seinen Ursprung in der gesellschaftlichen Differenzierung der Polis sowie der Notwendigkeit der Finanzierung von Kriegen und Fernhandel hatte und zur Grundlegung der Vorstellungen von Gebrauchswert und Tauschwert führte. Es ist heute schwer verständlich, wie der positive Bezug auf einen selbstversorgenden Haushalt mit der Verachtung der dafür notwendigen Tätigkeiten der Sklaven und Frauen zusammengehen konnte. Die Auseinandersetzung um die Legitimität von Gewinnstreben und Geldvermehrung zeigt deutlich, dass der oikos keineswegs die Geschlossenheit hatte, die ihm von der Ideologie her zugeschrieben wurde.

Das Römische Reich übernahm vieles aus der Begriffs- und Vorstellungswelt der Griechen. Arbeit (labor) aus purer Notwendigkeit (necessitas) wurde den auf Ehre (honor) und Klugheit (prudentia) des freien Mannes gegründeten edlen Künsten (artes liberales) gegenübergestellt. Anders als in der griechischen Polis verlegte sich der Inbegriff der angemessenen Tätigkeit vom Dienst am Gemeinwesen auf die privaten Geschäfte. Die Arbeitsverachtung lockerte sich. So wurde der Landbau freier Männer in der bäuerlichen Tradition Roms von der Missachtung der Arbeit ausgenommen. Auch das Handwerk, das ein Werkstück (opus) hervorbrachte, erlebte eine gesellschaftliche Aufwertung. Schließlich brach die jüdisch-christliche Vorstellung, die sich seit dem 1. Jahrhundert im Römischen Reich herauskristallisierte, mit der antiken Auffassung. Arbeit wurde in Anlehnung an pónos (griechisch) → labor (lateinisch) einerseits als Leid und Mühsal begriffen, das die Menschen mit der »Vertreibung aus dem Paradies« zu tragen hatten. Andererseits ruhte der Segen Gottes auf ihr und verwandelte jede Arbeit, unabhängig von der Tätigkeit und sozialen Rangordnung, in Dienst an Gott. Sie wurde dadurch der Verachtung entrissen und in eine Tugend (virtus) verwandelt. Im Werk (opus) hingegen spiegelt sich die schöpferische Kreativität. Arbeit erhielt damit jenen Doppelcharakter von mühevoller Last und kreativer Verwirklichung, der ihr bis zur Ökonomisierung im 18. Jahrhundert anhaften sollte.

Im Mittelalter sorgte die Kombination von ora et labora dafür, dass schwere, unbezahlte oder niedrig bezahlte Tätigkeit aufgrund des göttlichen Auftrags eine positive Konnotierung erfuhr. Die mittelalterlichen Klöster setzten auf die christliche Arbeitsethik und entwickelten die Klosterwirtschaft auf der Basis der christlich motivierten Mönche und Laien und bäuerlichen Untertanen zu einer höchst effektiven Wirtschaftsform.

Die scholastische Philosophie eines Thomas von Aquin (1225-1274) hingegen knüpfte an Aristoteles an und stellte Beschaulichkeit und Kontemplation einer vita contemplativa über die vita activa, das »tätige Leben«. Bettelorden galten als legitime Form des Lebens. Ihre Mitglieder lebten von den Almosen, mit denen tätige Bürger ihre mangelnde Hingebung an Gott kompensierten. Sich der mühevollen Arbeit zu entziehen, war solange keine Sünde, als die Muße mit Gottesdienst verbunden war.

Mit der Herausbildung des bürgerlich-zünftischen Handwerks in der mittelalterlichen Stadt des 12./13. Jahrhunderts erhielt die Arbeit der Handwerker eine Aufwertung, die sich nicht aus Mühsal und Pein und ihrer betenden Überhöhung, sondern aus der Berufung zu einer Profession ableitete. Einen weiteren Schub in Richtung der Anerkennung einer Arbeitsethik brachte die mit Urbanisierung und Frühkapitalismus einhergehende Kommerzialisierung der Gesellschaft. Ob die Reformation dabei als Triebkraft wirkte oder als Ausdruck sozio-ökonomischer Umbrüche anzusehen ist, scheidet idealistische und materialistische Herangehensweisen an den historischen Wandel. Die Folge war, dass das Nichtstun, sei es in Form parasitären Lebens des Adels und der Geistlichkeit, sei es in Form von Almosen erbettelnder Armer, als »Müßiggang« angeprangert wurde. Dies kann als Beginn einer Arbeitsgesellschaft angesehen werden, in der die vielfältigen Tätigkeiten der Menschen einer generellen Verpflichtung zu tätigem Schaffen und harter Mühe unterworfen wurden. Gleichzeitig entstand mit der handwerklichen Spezialisierung ein Qualitätsanspruch, der Ausbildung zur Voraussetzung der Berufsausübung machte.

Die christliche Janusköpfigkeit der Arbeit als Last und Erfüllung blieb auch im Protestantismus aufrecht. Sie wurde erst mit der Philosophie der Aufklärung überwunden, die den Übergang zum Kapitalismus begleitete. Im Zuge dessen löste sich der Arbeitsbegriff aus der Verbindung mit Mühe und Last. Die wissenschaftliche Revolution des 16./17. Jahrhunderts sah Arbeit und Technik als die Voraussetzungen, mit deren Hilfe sich der Mensch die Natur unterordnete; unerschlossene Regionen wurden ebenso wie Frauen und Indigene unter den Natur-Begriff subsumiert. Die Tugenden auf dem Weg zur Glückseligkeit hießen Fleiß, Industriosität und Arbeitsamkeit; der Mühsal-Charakter einer, mit religiösen Verpflichtungen assoziierten leid- und mühevollen Arbeit trat gegenüber einer säkularisierten, von ihrem Doppelcharakter befreiten Arbeit in den Hintergrund. Im Selbstverständnis der Menschen und ihrem Sprachgebrauch wirkte die christliche Vorstellung von Arbeitsmühe und ihre tugendhafte Verkehrung als ora et labora jedoch weiter. In der Philosophie des Utilitarismus und ihrer nationalökonomischen Umsetzung, dem Merkantilismus, hingegen war Arbeit in Hinkunft frei von Ambivalenzen: Sie machte »glückselig« und »frei«.

Conze wertet den Übergang zum Kapitalismus, der in der Sprache der Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts als »Ökonomisierung« bezeichnet wurde, als entscheidende Zäsur in der Geschichte der Arbeit. »Arbeit wurde in Hinkunft als produktive Leistung gewertet, grundsätzlich alle unter diese Bestimmung fallende Tätigkeit als ›Arbeit‹ bezeichnet und nach ihrem ökonomischen Effekt gemessen« (Conze 1972: 174). Arbeit wurde zum Produktionsfaktor. Ziel war nicht die bloße Existenzerhaltung, sondern die Bildung und Vermehrung von Kapital. Die Arbeitswissenschaft begann als Glückseligkeitslehre: »Die Menge der genießbaren Sachen … muss unaufhörlich vervielfältiget werden …; desto glücklicher wird die ganze Gesellschaft … Diese Materien zum Glück der Menschen herbeischaffen und vervielfältigen, … verteilen, umformen und verarbeiten und auch verarbeitet wieder verteilen; dieses sind die zwei großen Geschäfte, welche der menschlichen Gesellschaft ihre Glückseligkeit zubereiten«, formulierte der deutsche Nationalökonom Johann August Schlettwein (1731-1802) das Prinzip der Kapitalakkumulation (in: Conze 1972: 175). Adam Smith (1723-1790) verortete die Arbeit in seinem Werk »An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations« (1776) als eigentliche Quelle des Reichtums, sie liege aller Wertschöpfung zugrunde und sei der wahre Maßstab des Tauschwerts aller Güter (Smith 1776/1988: 44). Der Denkfehler, dass nur die Arbeit in der Urproduktion, der Verarbeitung und Verteilung als »produktiv« angesehen wurde, während sämtliche Dienstleistungen als »unproduktiv« galten (d.h. »nichts hervorbrachten, wofür man eine gleiche Quantität Arbeit erkaufen könnte«), tat der Innovation des Arbeitsbegriffs keinen Abbruch; er wurde später zugunsten einer Inklusion des tertiären Sektors in die wertschöpfende Tätigkeit korrigiert.

David Ricardo (1772-1823) griff den Arbeitsbegriff von Smith auf und machte ihn zur Grundlage seiner Wertlehre. Arbeit wurde zum einzigen Produktionsfaktor, denn sie setzte sich aus »lebendiger Arbeit« und »vorgetaner Arbeit« zusammen, welche als Kapital zum Einsatz kam. »Der Wert einer Ware oder die Quantität einer anderen Ware, gegen die sie ausgetauscht wird, hängt ab von der verhältnismäßigen Menge an Arbeit, die zu ihrer Produktion notwendig ist, nicht aber von dem höheren oder geringeren Entgelt, das für diese Arbeit bezahlt wird.« (Ricardo 1817/1994: 5). Daraus ergab sich der »natürliche« Preis einer Ware, der aufgrund des Interessenskonflikts zwischen Lohn und Profit bzw. dem Angebot und der Nachfrage nach Arbeitskraft Marktpreis und Marktlohn ergab. Wertschaffende Arbeit war damit als neutrale »Produktivkraft« aus ihrem sozialen Umfeld und ihrer, im christlichen »Tugend durch Mühe«-Verständnis verhafteten religiös-ethischen Bestimmung herausgelöst. Um Arbeitskraft verfügbar zu machen, wurden Einschränkungen der Freizügigkeit sowie außerökonomische Zugriffe auf untertänige Arbeit sukzessive zurückgedrängt. Arbeit war die Quelle von Wachstum: durch dessen Verbindung mit der Nationalökonomie entstand das National- oder Sozialprodukt. Je größer die Zunahme, desto besser; organisatorische, rechtliche und technologische Maßnahmen dienten zur verbesserten Ausnutzung der Arbeitskraft. An die Stelle der Dichotomie von Mühe und Verwirklichung im Werk trat der optimistische Glaube an Wachstum und Fortschritt, der bis heute den Kapitalismus beflügelt.

Die Ökonomisierung der Arbeit in der liberalen Weltanschauung, die Freiheit und Freizügigkeit losgelöst von der sozialen Verantwortung betrachtete, blieb nicht ohne Widerstände und Gegenmodelle. Genährt wurden diese nicht zuletzt von der Erfahrung der Mühe der Industriearbeit in den frühen Fabriken der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo es keinerlei Grenzen für die Ausbeutung der Arbeitskräfte gab.

Die Vorbehalte der antik-christlichen Tradition blieben im Zeitalter des Industriekapitalismus trotz der Verabsolutierung der Arbeit zur Quelle des Fortschritts weiterhin lebendig. Sie bildeten die Grundlage für eine konservative Kritik an der Industriearbeit, der ständisch-patriarchale Verantwortung für die ArbeiterInnen und handwerklich-zünftische Beziehung zum Werk zugrunde lagen, wie sie etwa von Friedrich von Schlegel (1772-1829) oder von Novalis (1772-1801) formuliert wurden, die stark von russischen Schriftstellern rezipiert wurden. Die konservative Kritik erhielt ihren philosophischen Ausdruck in der Romantik, die sich als geistige Strömung insbesondere in jenen europäischen Regionen entfaltete, die nicht zu den Vorreitern der Industrialisierung zählten. Diese konservativen Strömungen setzten auf das Ideal ständischer Ordnung, auf Selbsthilfe kleiner Eigenproduzenten sowie auf sozialpolitische Reformen anstelle von Revolution (Conze 1972: 193).

Antik-christliche Traditionen bildeten aber auch die Grundlage für frühsozialistische Vorstellungen, die in und im Gefolge der Französischen Revolution zum politischen Programm erhoben wurden. Nicht Stand und Eigentum, sondern Arbeit und Bedürfnis allein berechtigten demnach zur Teilnahme am Glück und am Wohlstand der Gesellschaft. Im Einzelnen wiesen die gesellschaftspolitischen Utopien von Gracchus Babeuf (1760-1797), Henri de Saint-Simon (1760-1825), Robert Owen (1771-1858), Charles Fourier (1772-1832), Louis Blanc (1811-1882) und anderen, die in Form von sozialpolitischen, genossenschaftlichen und kommunitären Industrie-, Wohn- und Lebensprojekten teilweise auch praktische Umsetzung erlebten, große Unterschiede auf (Heyer 2006). Gemeinsam war ihnen der zentrale Stellenwert der Arbeit, die unter den Mitgliedern der Gemeinschaft aufgeteilt werden und die Grundlage für den Austausch von Waren sowie die Teilnahme am Wohlstand bilden sollte. Sie teilten also trotz der radikalen Kritik an der Ausbeutung den fortschrittseuphorischen Arbeitsbegriff der Ökonomisten, verknüpften ihn allerdings mit dem Ideal der Gleichheit. »Der Mensch hört auf, den Menschen auszubeuten; aber in Assoziation mit den anderen Menschen beutet er die Welt aus und unterwirft sie seiner Macht« (Saint-Simon 1831: 6).

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) übertrug die Spannung von Last und Lust an der Arbeit in die Dialektik von Entfremdung und Emanzipation und schuf damit eine analytische Grundlage, um die mit Knechtschaft oder Ausbeutung verbundene Entäußerung zu fassen (Hegel 1807). Hegel ging davon aus, dass nur Arbeit die Verwirklichung des Menschen ermögliche, diese durch Knechtschaft jedoch verhindert werde. Entfremdung und Entäußerung erzeugten jedoch zwangsläufig den Wunsch des Arbeiters (bei Hegel: Knecht), Abhängigkeit und Ausbeutung zu überwinden.

Karl Marx (1818-1883) knüpfte an Hegel an und übernahm in seinen »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten« (Marx 1844/1985) dessen Gegensatzpaar von Entfremdung und Verwirklichung, verschob seine Argumentation aber von einer idealistischen auf eine materialistische Ebene. Es ging um die Aufhebung der Entfremdung in der kapitalistisch-fremdbestimmten Arbeit durch eine Assoziation freier Individuen, in der die tätige Arbeit in die Entfaltung und Selbstfindung (Verwirklichung) des Menschen führe. Im Gegensatz zu konservativen und frühsozialistischen Vorstellungen assoziierte Marx damit nicht die Rückkehr in ständisch-handwerkliche Überschaubarkeit, sondern die Vergesellschaftung der modernen Industrie und Technik. Trotz der mit Frühsozialisten geteilten Visionen gesellschaftlicher Gleichheit und der Ablehnung der privaten Verfügbarkeit über die Produktionsmittel setzte Marx in seiner Entwicklungsvorstellung auf den Ökonomismus der Liberalen: Erst die von der Profiterwartung beflügelte technische Entwicklung löste seines Erachtens die Arbeit aus ihren traditionellen Beschränkungen und setzte mit der modernen Industrie eine Wachstumsdynamik der Produktivkräfte in Gang, die schließlich in Widerspruch mit den Produktionsverhältnissen geraten würde (Marx 1867/1953). Einen Ausweg bildeten die Überwindung der liberal-kapitalistischen Eigentumsordnung und die Realisierung einer freien, sozialistischen Gesellschaft.

Trotz der sehr unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Bezugspunkte und Ziele, die Liberale, Konservative, utopische und wissenschaftlich-marxistische Sozialisten trennte, teilten sie einen Arbeitsbegriff, der Arbeit mit Warenproduktion, Wertschöpfung und Tauschwert verbindet. Das hieß nicht unbedingt, dass Tätigkeiten, die zum unmittelbaren Überleben notwendig waren, wie Haus- und Subsistenzarbeit, nicht gesehen und anerkannt wurden: Sie wurden einerseits als Teil der Natur betrachtet, der mit der bürgerlichen Familienideologie angeblich den Frauen als natürliche Eigenschaft auf den Leib geschrieben war; oder sie wurden andererseits als Ausnahmen und Relikte vorkapitalistischer Lebens- und Produktionsweisen angesehen, die durch Kommodifizierung (Liberale) oder Vergesellschaftung (Sozialisten) von der Natur in die Sphäre der Ökonomie übertreten würden. Aus den Ausnahmen von der Regel sei Charles Fourier herausgegriffen, der die in seinen Abhandlungen »Aus der neuen Liebeswelt« (entstanden um 1820, erstmals ganz veröffentlicht 1967) oder »Die falsche Industrie« Geschlechterbeziehungen durch freie Liebe, die Aufteilung der Hausarbeit und die gleichberechtigte Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben und der Öffentlichkeit zum Ziel erklärte (http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Fourier).

Um die neue Form der Arbeit fest in den Köpfen und in der Sprache zu verankern, bedurfte es einer radikalen Veränderung der Lebensgewohnheiten. Urbanisierung, Industrialisierung und Proletarisierung trennten immer mehr Menschen von ihren Produktionsmitteln: in den Industrieländern wurde Lohn- und Erwerbsarbeit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zur zentralen Quelle des Überlebens, der persönlichen Identität und des sozialen Aufstiegs. Rechtliche, administrative und wissenschaftliche Maßnahmen begleiteten die Festigung der Vorstellung von Arbeit. Diese Einebnung des Arbeitsbegriffs erfasste auch Menschen, die nicht proletarisiert wurden, sowie Regionen, in der die Fabrikindustrie gar nicht oder nur bedingt Fuß fasste. Ein fester Erwerbsarbeitsplatz wurde auch dann als versichernde Kategorie angesehen, wenn Arbeitsplätze in bestimmten Zeiten bzw. Regionen nicht in ausreichendem Maße vorhanden waren: In der von Arbeitervertretern erhobenen Forderung nach Schaffung von Arbeitsplätzen und (Voll-)Beschäftigung spiegelte sich dennoch die mit der Industriegesellschaft verbundene Gleichsetzung von Arbeit und Erwerbsarbeit. Auch Frauenbewegungen, die den Ausschluss oder die Benachteiligung von Frauen in der Welt der Erwerbsarbeit beklagten und volle Beteiligung einforderten, trugen zur Festigung des neuen Arbeitsbegriffs bei. Dasselbe gilt für nationale Befreiungsbewegungen und postkoloniale Regierungen nach Erlangung der politischen Unabhängigkeit, wenn sie sich in ihren Bemühungen um nachholende Entwicklung an den Arbeitsbegriffen der ehemaligen Mutterländer orientierten.

Grenzen der eurozentristischen Erzählung

Damit war die Geschichte der Arbeit am Ende, denn die Gegenwart, die mit der industriellen Revolution an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und der wissenschaftlichen und rechtlichen Kodifizierung der Arbeit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eingeleitet wurde, war eine Arbeitsgesellschaft, die gleichermaßen durch die Glorifizierung von Arbeit und Beruf als Quelle von Status und Einkommen sowie durch den gleichzeitigen Ausschluss von nicht-erwerbsfähigen Formen von Arbeit als Grundlage dieser Identität gekennzeichnet war. Dies rechtfertigte den Ausschluss nicht wert-schöpfender Arbeit aus der Arbeitsgeschichte.

Die Stringenz der großen Erzählung und ihre Schlussfolgerungen waren selbstverständlich immer wieder angezweifelt worden: Sie gab Anlass zu Forschungskontroversen und Gegenentwürfen. Etwa wurde durch neuere Studien widerlegt, dass die Antike kein zweckrationales wirtschaftliches Handeln kannte, dass die mittelalterlichen Mönchsgemeinschaften nicht nur der Tugend, sondern auch dem Gewinn huldigten, aber auch dass die Auffassung von der Arbeit als mühevolle, nur durch das Gebet ins Positive zu verkehrende Aktivität die ökonomistischen Lobpreisungen des In-der-Arbeit-Glückseligwerdens bis in die Gegenwart überdauerte (Hoven 1996). Auch wurden der ideengeschichtlichen Basis der Erzählung handfeste empirisch-sozialwissenschaftliche Studien entgegengestellt, die spezifische Arbeitsverhältnisse jenseits der großen Interpretationslinien herausarbeiteten (Ehmer/Lis 2009).

Grundsätzliche Einwände betrafen die Linearität und zwangläufige Zielgerichtetheit (Teleologie) der Entwicklung sowie die mangelnde Einbettung der Erzählung in Raum und Zeit (Komlosy 2011a: 53ff). Das lineare Abfolgeschema der zwischen Antike und Moderne aufgespannten Stadien verunmöglichte, gleichzeitig stattfindende Alternativen und Gegentendenzen sowie Arbeitsverhältnisse und Auffassungen in ihrer Vielfalt wahrzunehmen. Die räumliche Beschränkung auf Europa kann nur dahingehend interpretiert werden, dass das europäische Beispiel für wegweisend, universell gültig und daher als Vorbild und Messlatte für andere Weltregionen gehalten wurde, wie dies die seit der europäischen Aufklärung betriebene Philosophie und Weltgeschichte ja auch explizit postulierte. Bei Friedrich Schiller (1759-1805), der die Antrittsrede zu seiner Professur in Jena der Frage widmete, »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte« (1789), oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), der die europäischen Nationen als Verkörperung des »Weltgeistes«, des objektiven Geistes der Weltgeschichte ansah, wurden außereuropäische Völker als Kinder dargestellt: »Völkerschaften, die auf den mannigfaltigsten Stufen der Bildung um uns (gemeint ist Europa, d. A.) herumgelagert sind, wie Kinder verschiednen Alters um einen Erwachsenen herumstehen (Schiller 1789/1959: 93).

In der europäischen Erzählung wurde keinerlei Regionalisierung der Idealtypen vorgenommen. Sie bewegt sich ohne jede Erklärung vom klassischen Athen über Rom ins mittelalterliche Italien, Frankreich und Zentraleuropa, wandert in der frühen Neuzeit nach Nordwesteuropa, ohne die Verschiebung der wirtschaftlichen und geistigen Zentren sowie die regionale Ungleichheit zu thematisieren, die es peripheren Regionen verunmöglichte, eine Entwicklung nach dem Vorbild der Zentren zu nehmen. Das jeweilige Zentrum erscheint als pars pro toto. Nord-, Ost- und Südosteuropa sowie die keltischen Ränder kommen überhaupt nicht vor. Auch Wechselwirkungen zwischen europäischen und außereuropäischen Regionen spielen keine Rolle, z. B. islamische Einflüsse auf Europa, Kreuzzüge, europäische Expansion, Missionierung und Kolonialismus. Ein weiterer Einwand betrifft die Schwerpunktsetzung, die Antike, Mittelalter und frühe Neuzeit vor allem aus ideen- und kulturgeschichtlicher Perspektive wahrnimmt, während mit der kapitalistischen Wende und der Herausbildung der Nationalökonomien der ökonomische Diskurs in den Vordergrund tritt. Darin spiegelt sich eine andere Legende, nämlich die Vorstellung, dass der Übergang zu einer rationalen, weltlichen Sicht der Dinge eine genuin europäische Errungenschaft sei. Das zweckrationale, berechenbare ökonomische Handeln, das der modernen kapitalistischen Betriebsführung zugrunde gelegt wird, verbindet die Aufklärungslegende mit der Legende vom okzidentalen Siegeszug freier Arbeit.

Eine Verunsicherung im Arbeitsverständnis trat erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts ein, als Digitalisierung sowie die Verlagerung der industriellen Massenproduktion in Entwicklungsländer die – in den Weltkriegen erschütterte, im Wiederaufbau jedoch wieder bestätigte – Sicherheit in der Erwerbstätigkeit in Frage stellte. Die Veränderungen der Arbeitswelt, die mit der Deregulierung arbeitsrechtlicher Gewissheiten in den alten Industrieländern und der Reorganisation der Güterketten im globalen Maßstab verbunden sind, waren mit dem alten Arbeitsbegriff nicht mehr zu fassen. Unterbezahlte Arbeit und deregulierte Arbeitsverhältnisse nahmen auch in den alten Industrieländern zu, sodass sie nicht länger als Relikte oder Ausnahmen vom Regelarbeitsplatz angesehen werden konnten. Der Arbeitsbegriff erlebte eine Öffnung. Während sich die organisierte ArbeiterInnenbewegung an der Vergangenheit orientiert, den Verlust der Arbeitsplätze durch Rationalisierung und Auslagerung beklagt und »Arbeit« durch Beschäftigungsmaßnahmen einfordert, entspann sich seit den 1980er Jahren eine Diskussion darüber, wie Arbeit aus ihrem ökonomistischen Korsett befreit und in ihrer Vielfalt anerkannt und verteilt werden kann.

»Arbeit« gegen den Strich erzählen:
Die feministische Perspektive

Im Arbeitsdiskurs der sich industrialisierenden europäischen Staaten spielte unbezahlte Arbeit, weder als Haus- und Subsistenzarbeit noch als soziales und politisches Engagement, mit dem Übergang zum Industriekapitalismus keine Rolle. Dieser installierte in den Köpfen seiner Apologeten wie Kritiker nur jene Tätigkeit als wert-schaffende Arbeit, die Produkte für den Verkauf am Markt herstellte. Auch wenn der Übergang fließend war und ältere Vorstellungen von Arbeit überlebten, kann das 18. Jahrhundert als Zäsur angesehen werden. 100 Jahre vorher hätte eine Trennung von produktiver und reproduktiver, bezahlter und unbezahlter, für den Eigenbedarf oder den Verkauf auf dem Markt geleisteter Arbeit überhaupt keinen Sinn gemacht, denn in den grund- und gutsherrlichen Betrieben, in den Bauernwirtschaften und im Handwerk flossen alle diese Tätigkeiten, zugeordnet nach Status, Geschlecht und Lebensalter, im »ganzen Haus« zusammen. Wenn der Haushalt klein und kein Grund vorhanden war (z.B. bei Kleinhäuslern), wurde kurzfristig oder dauerhaft außerhäusliche Lohnarbeit aufgenommen, um das Familieneinkommen zu ergänzen. All dies war Arbeit, die Haushaltsmitglieder bildeten eine – in sich hierarchisierte – Lebens-, Arbeits- und Versorgungsgemeinschaft. Diese Versorgungsorientierung war dem Wachstumsziel, das von merkantilistischen Herrschern und kapitalistischen Unternehmern eingefordert wurde, nicht zuträglich. Im Laufe des 18. Jahrhundert gelang es ihnen, durch Vorpreschen, Ausnahmegenehmigungen, legistischer und politisch-administrativer Rückendeckung durch staatliche Stellen die Einheit von Leben, Arbeiten und Wirtschaften in die einzelnen Bereiche aufzusprengen. In der Folge löste sich der Arbeits- vom Wohnort, die Lohnarbeit von der sozialen Absicherung, die markt- und verkaufsorientierte Tätigkeit von allem, was der Eigenversorgung und der Reproduktion diente. Letzteres wurde aus dem Bereich der Wirtschaft (»außerhäuslich«) in den Bereich der Familie (»häuslich«) transferiert; es wurde ihm der Arbeitscharakter abgesprochen; und es wurde naturalisiert und sexualisiert, d.h. den Frauen kraft ihres Geschlechts als Eigenschaft zugeordnet (Bock/Duden 1977; Hausen 2012). Aus dieser, im Rahmen der Familienideologie formulierten Verbindung von weiblichem Geschlecht und Versorgungsarbeit in der Familie wurde Frauen die alleinige Verantwortung für diesen Bereich aufgebürdet. Frauenarbeit in der Familie galt fürderhin nicht mehr als Arbeit. Der männliche Erwerbstätige wurde zum »Familienerhalter« erkoren und die in vielen Familien dennoch erforderliche Erwerbsarbeit von Frauen als »Dazuverdienen« abqualifiziert und dementsprechend geringer entlohnt (Komlosy 2011b: 247).

Als Arbeit galt in Hinkunft die zielgerichtete, verkaufsorientierte, remunerierte Tätigkeit, während anlass- und bedürfnisbezogene, nicht remunerierte Tätigkeit davon ausgeschlossen wurde. Es entstand eine scharfe Grenze zwischen Arbeit und Nichtarbeit, die der Überlappung und Kombination von Arbeitsverhältnissen im Leben der meisten Menschen überhaupt nicht entsprach. Diese Grenze war sexualisiert, insofern unbezahlte Arbeit im Haushalt und in der Familie als weiblich galt. Damit wurden Regionen, vorrangig in Ländern der »Dritten Welt«, in denen Subsistenzarbeit weiterhin eine zentrale Rolle für das Überleben spielte, in das Geschlechterstereotyp einbezogen, auch wenn dort Frauen und Männer an der unbezahlten Arbeit beteiligt waren. Einige feministische Autorinnen haben für diese Übertragung in den 1980er Jahren den etwas sperrigen Begriff der »Hausfrauisierung« geschaffen: Sie wollten damit darauf aufmerksam machen, dass unbezahlte Arbeit, wo auch immer, nach dem Muster der Hausfrau aus der Wahrnehmung und Anerkennnung als wert-schaffender, wertvoller Beitrag ausgeklammert wurde, gleichzeitig aber als Quelle der Erhaltung und Versorgung für die im Erwerbssektor beschäftigten bezahlten Arbeitskräfte in den Dienst genommen wurde (Mies/Bennholdt-Thomsen/Werlhof 1983).

»Arbeit«gegen den Strich erzählen:
Die globalgeschichtliche Perspektive

Diese Diskussion über ein neues, weniger produktivistisches, erwerbsorientiertes Verständnis von Arbeit ist auf die alten, westlichen Industrieländer konzentriert, von wo der auf Erwerbsarbeit verengte Arbeitsbegriff im 19. Jahrhundert seinen universalisierenden Siegeszug angetreten hatte. In den Schwellenländern der »Dritten Welt«, die im Zuge der Verlagerung der industriellen Massenproduktion eine Ausweitung von Lohnarbeitsverhältnissen erleben, macht sich verstärkt proletarisches, um Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Lohnarbeit bemühtes Selbstverständnis breit. Während viele in den alten Zentren sich in der begrifflichen Selbstgewissheit wähnen, beim Umbau der Industrie- in eine postindustrielle, wissensbasierte Gesellschaft handle es sich um ein universelles Phänomen und um neue Identitäten jenseits der (Erwerbs-)Arbeit suchen, bescheren die neuen Industrieländer dem ehemals eurozentristischen Arbeitsbegriff ein Comeback.