Ein Roman von Barbara Corsten
© dead soft verlag, Mettingen 2016
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Cover: Irene Repp
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1. Auflage
ISBN 978-3-96089-053-9
ISBN 978-3-96089-054-6 (epub)
Das Leben in einem kleinen Fischerdorf ist hart und beschwerlich. Für Ante ist es allerdings die Hölle, weil er ständig verbalen sowie körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist. Die Dorfbewohner sehen weg, keiner eilt ihm zur Hilfe. In einem Moment der tiefsten Verzweiflung trifft er auf Kristijan, der ihm so etwas wie Hoffnung vermittelt. Vielleicht gibt es doch einen Ausweg aus seinem nicht enden wollenden grauen Dasein.
Mein Herz seit 33 Jahren … immer nur du!
Als Ante wieder zu sich kam, lag er mit dem Gesicht auf dem Boden und atmete den erdigen Duft des Waldes ein. Seine zittrigen Finger berührten trockenes Laub und Piniennadeln. Unter seiner Hand, die zögerlich, beinahe suchend über den Boden glitt, raschelten die toten Blätter des vergangenen Jahres. In seinen dichten, dunklen Locken hatten sich einzelne Nadeln und Blätter verfangen. Seine Sinne scannten als Erstes die Umgebung: Von seinen Angreifern war nichts mehr zu hören. Jetzt erst erlaubte Ante es sich, den Schmerzen in seinem Körper nachzuspüren, in sich hinein zu horchen.
Nein, diesmal hatte er keine Brüche davongetragen. Doch er schmeckte Blut im Mund.
Prüfend fuhr er mit der Zunge über seine Zähne. Auch hier schien alles in Ordnung, aber seine Unterlippe war dick aufgeworfen und sein linkes Auge begann zuzuschwellen. Morgen würde er wahrscheinlich aussehen, als wäre er durch den Fleischwolf gedreht worden.
Er drehte sich vom Bauch auf die Seite und rollte sich zusammen, die Knie schützend vor die Brust gezogen. Ein trockenes Schluchzen schüttelte seinen Körper. Keine Tränen rollten an den verschmutzen Wangen hinab. Er hatte das Weinen schon lange aufgegeben. Es nutze nichts, ließ ihn sich nur noch schäbiger fühlen.
Wie oft hatte er sich gewünscht, diesem Leben zu entkommen … Hier in dem kleinen Fischerdorf war er ein Nichts. Ein Niemand. Was sollten auch die kernigen Fischer, gestählt durch Wind, Wetter und harte Arbeit auf den Booten, mit einem zierlichen Jungen wie ihm anfangen? Mit diesen seelenvollen, großen, braunen Augen?
Niemand traute Ante zu, der schweren Arbeit auf einem der Fischkutter gewachsen zu sein. Und die Ablehnung der Erwachsenen schlug sich im Spott der Kinder nieder: Zu klein, zu zart, fast wie ein Mädchen! Das Wort „Schwuchtel“ war nur wegen seines Aussehens schnell in aller Munde. Das war schon in der Schule so gewesen, wo Ante den grausamen Späßen und der Häme hilflos ausgesetzt war, und besserte sich auch danach nicht. Ganz im Gegenteil, die Attacken wurden brutaler. Heimlicher. Man lauerte ihm auf, bevor man ihn auf den Boden schubste, beschimpfte oder verprügelte …
Leise stöhnend kam Ante auf die Knie, stützte sich an einem Baum ab und zog sich hinauf.
Mist! Wie es aussah, hatten seine Rippen wieder einiges abbekommen. Er würde sich morgen bei der Feldarbeit schwer tun.
Die Begrüßung seiner Mutter war entsprechend: „Oh, Ante! Hast du dich schon wieder geprügelt? Wo soll das noch mit dir hinführen, Junge?“
Ante dachte einmal mehr, dass ihre Existenznot sie hatte hart werden lassen. Sein Vater war auf See geblieben und seine Mutter hatte ihn alleine großgezogen. Sie schuftete schwer, denn das Leben an der Küste war kein Spaziergang, wenn man kein reicher Tourist war. Alles, was man zum Dasein brauchte, musste hart erarbeitet werden. Die kargen Böden gaben nicht viel her und dieses Leben hatte seine Spuren im Gesicht der Mutter hinterlassen sowie ihren Körper gezeichnet. Marija Juric liebte ihren Sohn sehr, doch das Leben hatte ihr die Märchen aus dem Kopf vertrieben, die sie früher an den Abenden ihrem kleinen Sohn zugeflüstert hatte. Es machte aus ihrem „Ich liebe dich, mein kleiner Ante!“ ein „Hol Feuerholz!“ oder ein „Geh das Feld umgraben!“
Wieder verkniff er sich die Erklärung, dass er sich nicht hatte prügeln wollen, sondern einfach Schläge hatte einstecken müssen. Ante erzählte ihr nie, woher seine häufigen Verletzungen kamen, warum sein einstmals strahlendes Lächeln die Augen nicht mehr erreichte. Jung an Jahren sprachen seine Gestik und seine Mimik eher von einem Menschen, der bereits zu viel erlebt hatte, als dass er den Märchen der Kindheit mit den glücklichen Endungen noch Glauben schenken könnte.
Was sollte es ändern?
Es würde seiner Mutter nur Sorgen bereiten.
Und Ante wusste mit seinen neunzehn Jahren sehr wohl, dass es im Leben nicht immer fair zuging. Es hatte keinen Zweck, seine Mutter noch mehr aufzureiben, als es ihr Alltag bereits tat.
Er verkroch sich in seinem Zimmer, goss etwas Wasser aus einer großen Kanne in seine Waschschüssel und säuberte sein Gesicht. Schmerzhaft zuckte er zusammen, als das feuchte Tuch die wunden Stellen berührte.
Warum? Warum musste ausgerechnet sein Leben so furchtbar sein?
Er stützte sich mit beiden Händen auf seinem Waschtisch ab. Sein Kopf sank auf die Brust. Der Schmerz in ihm war zu groß, zu intensiv, suchte einen Ausgang und fand ihn nicht.
Seine Zukunft lag grau und trostlos vor ihm. Ein steiniger Weg, ohne überraschende Wendungen und keine Blume, die den eintönigen Weg schmücken könnte. Er sah sich selbst auf diesem Pfad, in dem die Vergangenheit genau die gleiche, leblose Einöde war wie der Weg, der vor ihm lag.
Sollte das sein ganzes Leben sein?
Er brach unter der Last seiner Gedanken in die Knie.
Hatte nicht jeder Mensch wenigstens ein bisschen Hoffnung verdient? Ein bisschen Licht, das den Weg erhellte?
Wo war sein Licht, seine Hoffnung?
Gab es denn keine Abzweigung, keinen Stopp auf diesem für ihn so vorhersehbaren Weg?
Plötzlich bekam Ante keine Luft mehr.
Er musste hinaus, raus ans Meer, musste die Wellen hören, den Wind spüren, damit er das Leben in sich fühlen konnte.
Er rannte hinaus, die Gasse hinunter, am Hafen vorbei und den Hang hinauf, bis er mit stechender Lunge und heftigem Herzklopfen am Kliff stand.
Seine Augen erfassten das unendliche Blau, suchten die dünne Linie, an der sich Wasser und Himmel vereinten. Während der Wind an seinen Locken zerrte, sog Ante immer und immer wieder die salzige Luft ein. Langsam, ganz langsam kam er zur Ruhe. Obwohl seine Rippen schmerzten, als wollten sie ihn zerreißen, beruhigten die Weite und die Abgeschiedenheit sein aufgewühltes Gemüt.
Und endlich flossen die Tränen, gegen die er sich so lange gewehrt hatte.
Sie trösteten nicht, löschten nicht den Kummer, doch schufen sie immerhin ein Ventil.
Als Ante plötzlich wohlbekannte Stimmen vernahm, versteckte er sich in einem dichten Ginsterbusch. Er fluchte, als seine Kleidung immer wieder an den Dornen hängenblieb und seine Arme und Hände zerkratzt wurden.
Die tiefe Stimme gehörte Dario. Die ihm antwortende kam ohne jeden Zweifel von Joso. Der spöttische Tonfall war unverkennbar.
Über Antes Arme zog sich eine Gänsehaut. Zu oft war er Josos Opfer geworden … und nicht nur von dessen Spott. Josos Fäuste waren hart und schwielig von der Arbeit auf dem Boot seines Vaters und er wusste sie einzusetzen.
Die dritte Stimme konnte Ante nicht einordnen. Leise und ruhig brachte sie die beiden anderen zum Verstummen.
Ante wagte einen Blick.
Behutsam schob er einige Äste zur Seite – und sah direkt in die beinahe schwarzen Augen von Kristijan.
Ante erstarrte.
Entdeckt!
Er war entdeckt worden. Dabei hatte er doch heute genug Prügel von Joso und Dario eingesteckt. Noch eine Runde würde er nicht durchstehen. Zu Hilfe würde ihm sowieso niemand kommen. Das passierte nie! Bestenfalls sahen die Menschen zur Seite, schauten weg, als würde es sie nichts angehen, dass einer ihrer Mitmenschen blutig geschlagen wurde.
Ja! Das Leben ist hart, Kleiner! Schluck es oder stirb! Ante sah diese Gedanken jedes Mal in ihren Augen, las sie als leuchtende Schrift auf ihrer Stirn.
Er schluckte es, schluckte solange bis sein Hals schmerzte, sein Herz sich zusammenzog und sein Magen verkrampfte.
Noch immer sahen ihn die schwarzen Augen an, bemerkten seinen wunden Blick, registrierten die Blessuren. Beinahe unmerklich schüttelte Kristijan den Kopf.
Unendlich vorsichtig ließ Ante die Zweige los, wartete auf den Schrei und auf die Hände, die ihn aus seinem Versteck zerren würden. Aber alles, was er wahrnahm, war die ruhige Stimme Kristijans, der Dario und Joso zum Strand locken wollte.
Sofort protestierten die beiden.
„Du hast uns versprochen, du springst heute für uns“, keifte Joso.
Kristijans Blick streifte die Büsche, ging zurück zu seinen Freunden, bevor er schließlich nachgab: „Okay, aber nur ein Sprung. Danach treffen wie uns am Strand. Ich hab Lust auf ein Lagerfeuer, ein paar hübsche Touristinnen und ein Bier.“
Die beiden anderen Jungen johlten und sahen ehrfürchtig zu, wie der große, kräftige Junge sich sprungbereit machte.
Kristijan war eine lokale Berühmtheit. Er arbeitete nicht als Fischer. Seinem Vater gehörte die kleine Fabrik am Rande des Dorfes, die den gefangenen Fisch weiter verarbeitete. Kristijan hatte eine höhere Schule besucht und ging nun zur Universität. Nur in den Semesterferien kam er nach Hause. Er hatte als Einziger im Dorf den Mut, die höchste Klippe herabzuspringen. Wunderschön, jeden Muskel gestreckt. Schwerelos wie ein Vogel während des Fluges, elegant und geschmeidig wie ein Delfin im Wasser.
Wenn Kristijan von der hohen Klippe sprang, wurde es überall angekündigt. Das Dorf machte Werbung mit ihm, damit aus der Umgebung zahlende Gäste herkamen und ihre Devisen daließen.
Dass er heute nur für die anderen Jungen sprang, war selten. Für ihr Vergnügen nutzen sie die flacheren Klippen, die nicht so gefährlich waren. Ein falscher Schritt und ein Absprung, der nicht weit genug vom Rande wegführte, konnte tödlich sein.
Kristijan bereitete sich sorgfältig vor, wärmte seine Muskulatur, streckte und reckte seine Sehnen und Gelenke, dann trat er näher an den Rand. „Bringt mir meine Sachen mit!“, rief er den anderen Jungen über die Schulter zu. „Hab keine Lust, heute Abend ohne Schuhe nach Hause zu kommen.“
Dario und Joso nickten unisono, traten nun ebenfalls an den Abgrund, um den Flug und das Abtauchen beobachten zu können.
Kristijan holte noch einmal tief Luft und sprang dann mit einem gewaltigen Satz ab. Die kräftigen Muskeln unter seiner Haut spielten im Licht. Sein Körper schien einen Moment zu schweben, bis er der Schwerkraft nachgab und nach unten verschwand. Er veränderte elegant die Flugbahn, indem er seinen Kopf zuerst nach unten brachte und die Hände nach vorn nahm, um das Eintauchen abzufedern – dann verschwand er aus Antes Sichtfeld.
Die beiden anderen Jungen riefen und klatschten, sodass er wusste, dass Kristijan gut angekommen war. Schon stoben Dario und Joso davon, nicht ohne die abgelegten Kleidungstücke aufzusammeln.
Einen Augenblick blieb Ante noch in seinem Gebüsch, kämpfte sich dann hinaus und trat an den Rand der Klippe. Sein Blick fiel nach unten, dorthin, wo Kristijan gerade an den Klippen vorbei Richtung Strand kletterte.
Täuschte Ante sich oder sah Kristijan gerade zu ihm herauf? Aber warum sollte er das tun? Ante war niemand, ein ängstlicher Niemand, für den sich niemand interessierte.
Endlich war er wieder alleine hier oben. Doch Ruhe wollte sich nicht mehr in Antes Herz schleichen. Er blieb dennoch. Wo sollte er auch sonst hin?
Stunden später – die Sonne war gerade untergegangen – schrak Ante auf, als ihn eine Stimme ansprach: „Du bist immer noch hier? Ein Glück, ich wollte nämlich mit dir reden.“
Kristijan!
Antes Körper schaltete sofort auf Fluchtinstinkt, worauf der andere Junge beschwichtigend die Hände hob.
„Keine Angst! Ich habe dir noch nie etwas getan und werde dir niemals etwas tun.“
Ante ließ sich wieder zurücksinken, lag mit dem Rücken im Gras und beobachtete den dunkler werdenden Himmel.
Es stimmte, Kristijan hatte ihm noch niemals wehgetan. Zudem war er größer und wahrscheinlich wesentlich schneller als Ante. Flucht war zwecklos. Also, was wollte Kristijan von ihm?
Die Frage wurde ihm umgehend beantwortet: „Warum lässt du dir so viel von den anderen gefallen? Wehr dich endlich, dann lassen sie dich in Ruhe!“
Ante schnaubte leise. Wehren? Lächerlich!
„Weißt du, körperliche Kraft ist nicht alles. Zeig ihnen, was in dir steckt. Mach sie mundtot. Sei du selbst und versteck dich nicht … so wie heute!“
„So wie heute? Hast du mich mal genau angesehen? Josos Fäuste hätte ich heute kein zweites Mal ertragen. Irgendwann schlägt er mich tot.“
„Weil du ein leichtes Opfer bist. Mach ihm klar, dass du ein fühlender, schmerzempfindender Mensch bist ... Mit allen Hoffnungen und Träumen, die auch er hat.“
Träume, welche Träume? Ante antwortete nicht, sondern floh. Floh vor der winzigen Hoffnung, die diese Worte geweckt hatten. Floh vor Kristijan, der bei ihm Herzklopfen verursachte, und floh vor der vagen Chance, seinem Leben eine andere Richtung geben zu können.
Kristijans Worte blieben jedoch in seinem Herzen, setzten eine Saat, die bereit war aufzublühen, wenn man sie nur ließe …
Doch Antes Angst saß zu tief.
Einige Wochen später war es wieder so weit. Große Plakate verkündeten den nächsten Sprung des bekannten Klippenspringers Kristijan Vucovic. Einige Charterboote brachten die Touristen hinaus zur Klippe, wo sie den Sprung vom Wasser aus beobachten konnten. Andere Touristen und Einheimische wiederum sammelten sich oben auf der Klippe, beobachteten den athletischen jungen Mann, der konzentriert seine Vorbereitungen traf.
Auch Ante war vor Ort, wollte sehen, wie der Junge, der seit Tagen sein Herz beschäftigte, sprang. Er wusste nicht, warum alleine Kristijans Anblick reichte, seinen Pulsschlag zu erhöhen und ihm ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Eben dieses Lächeln, das nun abrupt verblasste, als eine allzu bekannte Stimme hinter ihm sagte: „Na, Ante? Jetzt sag nicht, du wolltest auch mal springen? Aber was sag ich da? Kleine Schwuchteln wie du finden niemals den Mut dazu.“
Schon krallte sich eine Hand in sein Haar und wirbelte ihn herum. Ein Schwinger landete in seinem Bauch. Keuchend krümmte sich Ante vor Schmerz zusammen.
„Starr Kristijan nicht so gierig an“, zischte Joso, „sonst steche ich dir die Augen aus, verstanden?“
Wieder einmal sah niemand hin. Die paar Touristen, welche die Schlägerei beobachteten, schienen eher unangenehm berührt, oder trauten sich wegen der Sprachbarriere nicht einzugreifen.
Der nächste Schlag traf Antes Kinn. Fest schlugen seine Zähne aufeinander. Er spürte, wie ein Zahn beinahe brach.
Was hatte Kristijan gesagt? Joso sei ein Mensch mit Träumen? Dann wollte Ante keine Träume haben, denn so ein Mensch wollte er nicht sein. Und träumen tat er selbst schon lange nicht mehr. Zugegeben ... die letzten Tage und Nächte geisterte öfters ein bestimmtes Gesicht durch seinen Verstand. Doch waren das schon Träume? Und nein, ganz bestimmt keine Hoffnung!
Er riss sich los, spuckte Joso mit Blut vermengten Speichel ins Gesicht. Dann rannte er auf die Klippe zu, an einem erstaunt blickenden Kristijan vorbei.
Schnell entledigte Ante sich seines Shirts, streifte die Sandalen von den Füßen und warf einen Blick zurück. Joso war dicht hinter ihm, seine Miene kündigte Mord an. Als er allerdings sah, wie dicht Ante vor der Kante der Klippe stand, glitt ein höhnisches Lächeln über sein Gesicht. „Das traust du Ratte dich sowieso nicht!“
Ante nahm ihn nicht mehr wahr. Sein Blick war von Kristijans Augen gefangen, die ihn voller Sorge beobachteten.
„Tu es nicht, Ante! Es wird dich dein Leben kosten! Bitte, spring nicht!“
Ein süßes Lächeln voll tiefster Traurigkeit glitt über das hübsche Gesicht des Jungen, den man einmal zu oft gequält hatte. „Du hast selbst gesagt, überzeuge sie mit deinen Taten. Weißt du, viel zu lange lag mein Weg in Grau gezeichnet vor mir. Ich habe eine Abzweigung gefunden. Ich weiß nur noch nicht, wohin sie führt.“
Joso feuerte ihn an: „Spring, spring, spring …“, während Kristijan einen verzweifelten Satz nach vorne machte.
Noch einmal schenkte Ante ihm ein Lächeln. Bevor ihn Kristijan jedoch erreichen konnte, streckte er seinen Körper, hob die Arme in die Luft – so, wie er es bei Kristijan gesehen hatte – und sprang …
Für Ante fühlte es sich einen winzigen Augenblick tatsächlich wie Fliegen an. Er war schwerelos … endlich frei!
Dann zerrte ihn die Schwerkraft mit aller Macht nach unten. Das Wasser kam, einer Betonwand gleich, in rasender Geschwindigkeit auf ihn zu. Dennoch fühlte Ante keine Angst.
Eher eine gewisse Neugierde, wie dieses Wagnis enden würde.
Immerhin schaffte er es sich zu drehen und mit den Füßen voran einzutauchen. Da sich sein Körpergewicht ein wenig nach hinten verlagerte, schlug er dennoch so heftig mit dem Rücken auf der Wasseroberfläche auf, dass es ihm die letzte Luft aus den Lungen presste. Er sah wie betäubt den Luftblasen nach, die sein Atem unter Wasser zauberte.
Interessiert beobachtete er das Sonnenlicht über sich, wie es Speerspitzen gleich ins Wasser stach. Helle Strahlen, die sich mit jedem Meter weiter verloren, während er tiefer sank.
Seltsam, er war schon oft getaucht, war alleine große Stücke ins Meer hinausgeschwommen, doch nie hatte er bewusst darauf geachtet, wie anders die Wellen aussahen, wenn man sie von unten betrachtete. Eine ganz eigene, faszinierende Schönheit, die Ante mit Staunen erfüllte.
Noch immer machte er keine einzige Bewegung, die ihn nach oben und an die Oberfläche bringen würde.
Selbst als seine Atemnot zu groß, der Drang zu atmen unwiderstehlich wurde, bewegte er weder Arme noch Beine.
Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, verdichteten sich zu einer dunklen Woge, die alles Licht verschluckte.
Ante gab sich ihr hin, ja, er lächelte sogar. Warum sollte er sich gegen das Unvermeidliche wehren? Es war einfacher, es nicht zu tun …
Kristijan hatte gerade seine Dehnübungen gemacht, als Ante plötzlich an ihm vorbei gestürmt war.
Für einen seltsamen Moment schienen sich ihre Gefühle miteinander zu verstrickten. Vergangenheit wurde zu Gegenwart: Kristijan dachte an die vielen versteckten Blicke, mit denen er Ante heimlich beobachtet hatte. Er dachte an das unerwartete Herzklopfen, wenn sie einander ansahen. Erinnerte sich an seine plötzlich roten Wangen und heißen Ohren.
Sein Atem stockte für einige Sekunden, als ihn Antes leidvoller Blick aus verschatteten Augen traf.
Wie ein Schlag traf ihn die Gewissheit über das, was Ante im Begriff stand zu tun. „Tu es nicht, Ante! Es wird dich dein Leben kosten! Bitte, spring nicht!“
Irgendwo im Hintergrund hörte er Josos Gröhlen, sah, wie Ante seinen Körper streckte, und sprang vor, um Ante rechtzeitig abzufangen.
Es gelang ihm nicht.
Er hatte in seinem Schrecken wie erstarrt gestanden, bevor er hinter Ante hergesprungen war.
Einen furchtbaren Augenblick lang konnte er Ante im Wasser nicht finden, verlor kostbare Zeit bei der Suche. Sein Blick huschte panisch über die glitzernde und glänzende Wasseroberfläche, die ihn blendete und sein Auge narrte. Kostbare Sekunden, die ihm zu Antes Rettung bitter fehlen würden, zerstoben im Nichts.
Endlich!
Kristijan sah ihn unter sich, sah, wie Ante immer mehr versank, in die Tiefe des Ozeans, wo das sterbende Licht das Wasser in eine immerwährende graue Dämmerung hüllte. Schon bald könnte er ihn endgültig aus den Augen verlieren, ihn nicht mehr erreichen. .
Kristijans Herz raste, pumpte das Blut in heftigen Schüben durch seine Adern, ließ es in seinen Ohren rauschen.
Ohne noch einmal Luft zu holen, folgte er dem sinkenden Körper.
Gefühlte Ewigkeiten vergingen, bis er Ante einholte. Endlich konnte er ihn am Arm packen und begann, sie beide nach oben zu bringen. Verzweifelt versuchte Kristijan, die Angst zu verdrängen, dass sie beide nie wieder nach oben kommen würden. Die Atemnot wurde beinahe unerträglich. Purer Überlebensinstinkt hielt ihn davon ab, einfach den Mund zu öffnen und seine Lungen mit salzigem Tod zu füllen.
Sein Blick trübte sich, die Oberfläche schien so weit entfernt. Er zwang seine Beine zu weiteren Schlägen. Brachten sie ihn überhaupt noch vorwärts, oder sorgte Antes Gewicht dafür, dass sie wieder in die Tiefe sanken? Wie lange konnte Kristijan noch durchhalten, bis sein Körper der Luftnot nachgeben würde? Und was war mit Ante? Lebte er noch?
Kristijan spürte keine Bewegung, nichts, das ihm zeigte, dass Ante ebenso darum kämpfte, die rettende Oberfläche zu erreichen. Zum ersten Mal in seinem jungen Leben betete Kristijan, flehte um Rettung. Keine Sekunde dachte er daran, Ante loszulassen, ihn zu opfern um selbst zu überleben.
Täuschte er sich oder wurde das Licht wirklich heller? Oder war es nur einen Halluzination, verursacht durch den Sauerstoffmangel in seinem Gehirn?
Tatsächlich! Sie durchbrachen die Wasseroberfläche.
Gierig sog Kristijan den dringend benötigten Sauerstoff in seine malträtierten Lungen. Ante hing bleich und regungslos in seinen Armen. Kein Atemzug hob den Brustkorb, keine Augenbewegung hinter den geschlossenen Lidern ließ erkennen, ob Ante noch lebte.
Kristijan war zu Tode erschöpft. Er war gerade noch in der Lage, sich über Wasser zu halten. Kaum selbst mehr bei Bewusstsein, nahm er wahr, wie ihm Antes Gewicht aus den Armen gezogen wurde. Er hatte Mühe, seine verkrampften Finger um Antes Arm zu lösen.
Endlich an Deck, in einer Decke eingehüllt, beobachtete er die hilflosen Versuche, Ante wiederzubeleben. Menschen riefen in den unterschiedlichsten Sprachen, versuchten Tipps zu geben, die niemand verstand. Noch immer war keine Regung Antes zu erkennen. Wieder sah Kristijan, wie der zierliche Körper hin und her gedreht, von einer Hand zur anderen weiter gereicht wurde. War hier denn niemand in der Lage, Erste-Hilfe-Maßnahmen einzuleiten?
Schließlich ließ es ihm keine Ruhe mehr. Beinahe rabiat stieß er die anderen beiseite und kniete sich neben den leblosen Körper. In einer heißen Welle überrollte ihn ein dermaßen starker Beschützerinstinkt, dass er nach Luft schnappen musste. Seine Hände drückten immer wieder auf den zerbrechlich erscheinenden Oberkörper. Kristijan flehte ihn unbewusst an, endlich wieder zu atmen. Die Augen zu öffnen – zu leben!
„Oh bitte, Ante! Tu mir das nicht an! Atme endlich!“ Er beugte sich vor, drückte seine Lippen auf die des Jungen, der noch immer keine Regung erkennen ließ. Blies seinen Atem, seine Hoffnung, sein Flehen in Antes Lungen … immer und immer wieder. „Bitte, Ante! Bitte mache endlich deine Augen auf und ATME!“
Wieder drückte er seine Handflächen auf den Brustkorb, drückte, massierte seine Forderung in Antes Körper. Kristijan schluchzte beinahe, als Ante endlich die Augen aufschlug. Doch noch war der Kampf nicht gewonnen. Erst als Ante das Wasser schwallartig erbrach und verzweifelt Luft einsog, entspannte Kristijan sich endlich.
Er sah die blauen Flecken, sah neue Wunden und alte Narben, die Ante im Laufe der Jahre davongetragen hatte. Und verstand nicht, wie dieser Junge etwas anderes in einer Person wecken konnte, als das Verlangen, ihn zu halten, ihn zu schützen und alles Übel dieser Welt von ihm fernzuhalten.
Woher kam die Aggression, die Ante in anderen Menschen weckte? Woher kam deren Härte?
Sah denn wirklich niemand außer Kristijan, wie sehr dieser Junge litt?
Wie sehr er einfach nur Schutz suchte und eine Hand, die ihn stützte?
So wie jetzt gerade, als Ante sich an ihn schmiegte. Zitternd und wohl voller Angst, eingeschüchtert von den vielen Menschen um ihn herum.
Ante spürte einen unglaublichen Druck auf seinem Brustkorb, der sich verstärkte, nachließ, wieder verstärkte, immer und immer wieder. Ein lautes Summen klang in seinen Ohren. Allmählich erkannte er, dass es Stimmen waren, die durcheinanderriefen, miteinander redeten, auf ihn einredeten – der Konsens menschlicher Sprache in einem beinahe babylonischen Gewirr.
Da war eine Stimme an seinem Ohr, die er kannte, die er mochte. Die einzige Stimme, die ihm keine Angst machte. Warum konnte diese Stimme ihn nicht in Ruhe lassen? Warum forderte sie ihn wieder und wieder auf, etwas zu tun, dass er nicht wollte? Ante war müde und, nein, er wollte die Augen ganz bestimmt nicht öffnen. Ganz sicher wollte er sich nicht erneut dieser Welt stellen, die ihn ihrerseits doch auch nicht beachten wollte.
Doch die Stimme blieb hartnäckig, sie flehte, ja, bettelte ihn an: „Bitte, Ante! Bitte mache endlich deine Augen auf und ATME!“
Wieder spürte Ante, wie etwas seinen Brustkorb fordernd zusammenpresste.
Ob er wollte oder nicht, sein Körper versuchte der Forderung nachzukommen. Doch keine Luft füllte seine Lunge. Da war kein Platz mehr, nicht einmal für ein Quäntchen Sauerstoff. Endlich krampfte Antes Körper und in einem Schwall erbrach er das salzige Meerwasser. Sofort halfen starke Hände ihm, sich zur Seite zu drehen, sodass nichts in seine Lungen zurückfließen konnte.
Immer wieder kam neues Wasser, machte Antes mühsame Atemzüge zur Qual. Tränen liefen seine Wangen herab. Er spürte Hände, die ihn hielten, hörte die Stimme, die wie in einem Mantra wiederholte: „Gott sei Dank, oh Gott sei Dank, du lebst!“
Jetzt erst nahm Ante die Menschen wahr, die um ihn herumstanden. Ganz offensichtlich war er auf einem der Touristenboote, die eigentlich hierhergekommen waren, um Zuschauer für Kristijans Show zu bringen.
Ein Mann in weißer Kapitänsuniform drängte sich durch die Menge der Gaffenden. „Junge, geht es dir gut?“
Ante nickte eingeschüchtert. Er hätte es auch dann getan, wenn er jetzt seinen Kopf unter dem Arm trüge.
„Er muss trotzdem in ein Krankenhaus!“, unterbrach Kristijan den Blickkontakt der beiden ungleichen Menschen. „Er hat zu viel Wasser geschluckt, und man muss aufpassen, dass daraus keine Lungenentzündung entsteht!“
Ante wollte erschrocken auffahren, zuckte dann schmerzhaft zusammen, als sein Rücken ihn an den heftigen Aufprall auf der Wasseroberfläche erinnerte.
„Nein! Nein, bitte nicht in ein Krankenhaus!“, keuchte er. Seine Mutter und er konnten sich so einen Aufenthalt unmöglich erlauben!
Behutsam drückte Kristijan ihn an sich, versuchte den aufgewühlten Jungen zu beruhigen.
„Bitte!“ flüsterte Ante flehend, vergrub sein Gesicht an Kristijans Brust, als wolle er den neugierigen und sensationslüsternen Blicken entkommen. „Bitte, Kristijan, kein Krankenhaus! Ich will nach Hause!“
„Wenn du dir sicher bist, dass es dir gut geht, bringt dein Freund dich nach Hause“, bestimmte der Kapitän. Es war ihm eindeutig an seiner Miene abzulesen, wie froh er war, dass ihm weitere Scherereien mit Polizei, Krankenhaus und Behörden erspart blieben.
Seufzend gab Kristijan nach. Verdammt, er war auch erst einundzwanzig Jahre alt und mit dieser Situation eindeutig überfordert.
Überfordert von dem zitternden Körper in seinen Armen, überfordert mit den seltsam forschenden Blicken auf seiner Haut, und ganz bestimmt von den unbekannten Gefühlen, die in seinem Inneren tobten.
Endlich erreichten sie den Hafen des kleinen Fischerdorfs. Mühsam quälte Ante sich auf die Beine, als das kleine Ausflugsschiff endlich anlegte.
Er wünschte sich, er wäre schon vom Schiff herunter, könnte der Meute und ihren Fragen entkommen. Solange Kristijan ihn gehalten hatte, waren die Leute zurückhaltend gewesen. Kristijans Blick hatte gereicht, um die Menge fernzuhalten, doch nun wollte jeder seine Neugierde stillen.
Für einen Jungen wie Ante, der aus Gründen des Selbstschutzes am liebsten nicht wahrgenommen werden wollte, war die Situation beinahe unerträglich.
Am Anleger des Schiffes warteten bereits die Dorfbewohner, die das Unglück mitverfolgt hatten. Noch mehr Fragen wurden gestellt, auf die Ante weder eine Antwort geben wollte noch geben konnte.
Er zuckte heftig zusammen, als er Joso gewahr wurde. Der strich mit dem Finger eindeutig über seine Kehle. Offensichtlich bedeutete er Ante, nicht zu viel von den Ereignissen auf der Klippe zu erzählen, sollte ihm sein Leben etwas wert sein.
Während Ante versuchte, sich durch die Menge zu drängen, hörte er, wie sich die Theorien von einem Unfall langsam änderten. Selbstüberschätzung, munkelte jemand. Immerhin hatte man gesehen, wie Ante Shirt und Schuhe ausgezogen hatte und freiwillig gesprungen war, obwohl Kristijan ihn aufhalten wollte. Eine verächtliche Stimme rief: „Absoluter Größenwahn!“ Eine andere konterte: „Oder Dummheit! Was willst du von so einem anderes erwarten?“
Kaum jemand hatte die vorherige Situation mitbekommen, und die, die sie gesehen hatten, hielten den Mund. Ante las es deutlich aus ihren Gesichtern: Sie schwiegen, aus Gewohnheit, aus Angst, in etwas hineingezogen zu werden, das ihren Alltag durcheinanderbringen konnte, aus Angst, eine Verantwortung und daraus resultierende Konsequenzen zu tragen, aus einem Unwohlsein für das eigene Wegsehen heraus, aus schlechtem Gewissen oder einfachem Desinteresse.
Egal wie das Urteil des Einzelnen ausfiel, für Ante war es verheerend. Man drückte ihn noch weiter an den Rand der Dorfgesellschaft, machte aus dem Opfer wieder mal einen Täter. Es gab doch staatliche Stellen. Polizei und Jugendfürsorge. Bisher war doch niemand eingeschritten, also konnte es nichts so schlimm sein …
So oder ähnlich bekam es Ante zu hören, während er sich durch die Menschenmenge quetschte.
Er wollte nach Hause. Oh bitte, er wollte so sehr nach Hause, in sein Bett, die Decke über den Kopf ziehen und am liebsten ein Jahrhundert verschlafen.
Würde es ihm gehen wie der Prinzessin aus dem Märchen? Würde er nach all den Jahren wach werden und sein Traum würde vor ihm sitzen? Ihn küssen und versichern, dass nun alles wieder gut sei? Und warum hatte der Prinz in seiner Vorstellung Kristijans Gesichtszüge?
Mit einem Mal sehnte er sich nach nichts mehr als den alles vergessen machenden Schlaf.
Er schaffte es kaum, auf den Beinen zu bleiben, während er in das Gewirr der Altstadtgässchen eintauchte. Die Gasse zum kleinen, alten Haus seiner Mutter hinauf war ein Kraftakt, den er nicht meistern konnte. Er taumelte, stützte sich haltsuchend an einer Mauer ab.
Plötzlich hob ihn jemand hoch. Er schrie vor Schreck leise auf. Sein Körper zuckte dermaßen zusammen, dass er beinahe den Armen entglitten wäre, die ihn hielten. Angst schnürte seinen Brustkorb zusammen. Er erwartete das Schlimmste, wobei Schläge noch der harmloseren Version seiner Ängste entsprachen.
„Scht, keine Angst, Kleiner! Ich bin es nur … Kristijan!“
Die Erleichterung schlug über Ante zusammen wie vorher der blaue Mantel der See.
„Du schaffst es ja noch nicht einmal mehr dich auf den Beinen zu halten. Ich bringe dich zu deiner Mutter!“
Ante schämte sich über das Ausmaß seiner Schwäche, schämte sich über die Erleichterung, die er empfand, und dass er es genoss, einmal umsorgt zu werden. Er strampelte schwach mit den Beinen.
„Nicht, bitte! Die anderen … sie werden mich nie wieder in Ruhe lassen. Und dich auch nicht, wenn sie sehen, wie du dich um mich kümmerst!“
„Sie sind noch alle unten am Hafen und zerreißen sich ihre Mäuler. Hier kann uns niemand sehen. Lass mich dir ein wenig helfen, Ante, bitte!“
Ante war müde, er war schwach und unendlich glücklich, ausgerechnet von den Armen gehalten zu werden, nach denen er sich so sehr sehnte.
Er gab nach, lehnte den Kopf gegen die Schulter, die so großzügig Trost und Halt bot.
Auch wenn er es morgen bereuen sollte, jetzt gerade, hier, in diesem winzigen Augenblick war er trotz aller Ereignisse des Tages glücklich.
Antes Mutter erwartete sie bereits an der Haustür. Natürlich hatte man auch ihr Bescheid gegeben. Die alte Zinkbadewanne war bereits mit heißem Wasser gefüllt und Antes Bett aufgeschlagen. Heißer Tee mit Honig wartete auf ihn. Die Liebe seiner Mutter äußerte sich nicht in großen Worten, sondern in einfachen Gesten, dachte Kristijan sich.
Behutsam setzte er den erschöpften Ante in der kleinen Küche auf einem Stuhl ab. Gerade wollte er sich verabschieden, als Antes Mutter sagte: „Bitte, kannst du bleiben? Er sieht so schwach aus, und nach dem Bad wird er noch müder sein und braucht bestimmt Hilfe. Ich glaube, es ist ihm angenehmer, wenn du das übernimmst, Kristijan.“ Sie stockte einen Moment und fuhr dann fort: „Weißt du, er ist ein Junge, gerade erst der Pubertät entwachsen. Es ist ihm sicher peinlich, wenn ich als Frau das übernehme.“
Kristijan zuckte zusammen. Ging das Ganze hier nicht ein wenig zu weit? Sicher, er hatte seine Hilfe angeboten. Aber nach all seinen ungeordneten Gedanken Ante nun nackt zu sehen, ihm in die Wanne und wieder hinaus zu helfen – was würde das mit seinen Gefühlen für Ante anstellen? Was bedeutete dieses Gefühlswirrwarr überhaupt? Es machte Kristijan auf eine unbestimmte Art und Weise Angst. Er war ein Mann! Durfte er so für einen anderen Mann empfinden? Auch wenn dieser Mann sehr jung und zartgliedrig war und mehr einem aus dem Nest gefallenen Küken glich, war er dennoch unleugbar ein Mann.
Nach einem kurzen inneren Kampf nickte Kristijan stumm. Antes Mutter ließ die beiden jungen Männer alleine.
Ante saß wie ein Häufchen Elend zusammengesunken auf seinem Stuhl. Für einen Augenblick bezweifelte Kristijan sogar, dass er noch viel von seiner Umgebung wahrnahm, doch Ante belehrte ihn eines Besseren. „Du musst mir nicht helfen“, wisperte er. „Ich schaffe das auch schon alleine! Irgendwie ...“
„Sei nicht dumm! Natürlich werde ich dir helfen. Komm schon!“ Er wollte Ante gerade an den Armen nach oben ziehen, als dieser ihn traurig aus seinen großen, braunen Augen ansah. Ein Blick, der Kristijan durch Mark und Bein ging. Niemand in diesem Alter sollte so aussehen. So abgeklärt … so wund.
„Ich habe dein Zögern bemerkt, deinen Widerwillen. Es ist schon okay, Kristijan, wirklich!“ Der dunkle Wuschelkopf senkte sich wieder. „Ich kenne das schon – diese Abscheu. Geh nur, Kristijan, bevor du mich auch hasst!“
Worte, die wie Tränen auf den rohen Holzboden tropften.
Jetzt war es Kristijan, der unter der Gewalt des Geflüsterten zusammenbrach.
Er sank vor Ante auf die Knie. Rau verließ sein Atem seine Kehle. Er nahm Antes Gesicht zwischen seine Hände. Tränen des Mitleids verschleierten seinen Blick. „Ich könnte dich nie hassen, Ante! Nie!“
Einen Moment verharrten sie so.
Ante sah ihn so erschüttert an, wie Kristijan sich selbst fühlte. Erschüttert darüber, wie sehr seine Worte der Wahrheit entsprachen.
Sie waren ihm entwischt, bevor er über sie hatte nachdenken können. Sie entsprachen seinen Gefühlen, seinen Emotionen, aber nicht seinem Verstand, der nach Flucht schrie, bevor er sich hier in etwas verstrickte, das er nicht mehr steuern konnte.
Dennoch blieb er.
Auf den Knien.
Vor Ante.
Und er hatte das Gefühl, ihn nie wieder loslassen zu können.
Das Bad brachten die beiden Jungen hochnotpeinlich berührt und schweigend hinter sich. Ante wäre am liebsten ganz alleine gewesen, aber seine Mutter sollte recht behalten.
Im warmen Wasser entspannte sich sein Körper und alles Adrenalin, alle aufputschenden und schmerzunterdrückenden Hormone verließen ihn. Die Erschöpfung kehrte mit aller Macht zurück und mit ihr die Schmerzen. Ante wäre beim besten Wille nicht in der Lage gewesen, alleine aus der Wanne heraus zu klettern.
Das Wasser wurde langsam kalt, doch er traute sich nicht, Kristijan um Hilfe zu bitten. Der hatte sich umgedreht und wollte wohl auf diese Weise wenigstens den Anschein von Privatsphäre herstellen. Vielleicht wartete er auch auf Antes Zuruf. Doch als dieser Ruf nicht erfolgte, wandte er sich irgendwann herum. Antes auskühlender Körper zitterte und bebte.
Kopfschüttelnd schimpfte Kristijan: „Wie kann man nur so unvernünftig sein. Sieh dich nur an: Du frierst lieber, anstatt ein Wort zu sagen!“ Er hob Ante aus der Wanne heraus und wickelte ihn komplett in das bereitgelegte Handtuch ein.
Als Ante dabei beinahe zusammensackte, bückte Kristijan sich, schlang einen Arm unter Antes Kniekehlen, den andern um Antes Rücken und hob ihn einfach hoch.
Den darauffolgenden Schmerzenslaut konnte Ante nicht unterdrücken.
Kristijan stieß ein leises Knurren aus.
„Dein Zimmer?“, fragte er kurz angebunden.
„Die Treppe rauf, direkt unter dem Dach“, antwortete Ante leise und versuchte jede weitere Schmerzäußerung zu vermeiden.
Kristijan musterte ihn nur, ohne etwas zu erwidern. Seine gepresste Atmung konnte Ante nicht verbergen, und dass seine gebräunte Haut ungewöhnlich fahl und grau aussah, hatte er selbst bemerkt.
An Antes Mutter vorbei, die den beiden Jungen erstaunt nachsah, wurde Ante von dem mindestens zwei Köpfe größeren Kristijan in sein Zimmer getragen. So leicht, als würde dieser eine Puppe tragen.
Dort setzte Kristijan ihn behutsam auf dem Bett ab.
„Wo hast du die Schmerzen? An deinen Rippen oder deiner Wirbelsäule? Falls ja, müssen wir dich in ein Krankenhaus bringen!“
Ante schüttelte erschrocken den Kopf. „Nein! Nicht! Da …“ Er räusperte sich, setzte neu an: „Da ist nichts! Es … es geht schon! Ich muss mich nur ein wenig ausruhen!“
„Ante, man springt nicht als blutiger Laie eine Klippe herunter und hat nichts, wenn man es überlebt! Du bist garantiert heftig aufgekommen. Lass mich nachsehen!“ Kristijan griff nach dem Handtuch.
Ehe Ante sich wehren konnte, flog das Handtuch in hohem Bogen auf den Boden.
Nackt, mit hochrotem Kopf und Tränen der Scham in den Augen saß Ante vor dem so viel größeren Jungen.
Sofort griff Kristijan wieder nach dem Handtuch und legte es Ante in den Schoß. „Tut mir leid, Ante, wirklich! Aber ich muss wissen, ob und wie stark du verletzt bist!“
„Warum?“
„Was, warum? Wie meinst du das? Ich könnte mich doch jetzt nicht einfach herumdrehen und dich hier sitzenlassen.“
„Warum nicht? Es hat bisher nie jemanden interessiert, ob man mich verletzt hat, ob ich mich verletzt habe. Warum dich, warum jetzt?“
Kristijan schüttelte einfach nur den Kopf und verweigerte Ante eine Antwort.
„Was ist jetzt mit dir? Ich habe doch bemerkt, dass du Schmerzen hast!“
Ante senkte ergeben den Kopf, so, wie er es immer tat.
Doch diesmal blieb ihm ein Gefühl von Wärme. Diesmal hatte er nicht das Gefühl der Geschlagene zu sein – im wahrsten Sinne des Wortes.
Kristijan weckte keine Angst in ihm. Im Gegenteil! Ante musste die ganze Zeit gegen das Bedürfnis ankämpfen, sich einfach wieder in dessen Arme fallen zu lassen. Er hatte sich dort so geborgen gefühlt, wie er es noch nie in seinem bisher kurzen Leben erfahren durfte.
„Mein Rücken“, wisperte Ante. „Ich bin mit meinem Rücken auf die Wasseroberfläche aufgeprallt. Es hat mir die Luft aus den Lungen getrieben.“ Er wandte den Oberkörper um und präsentierte seinen Rücken.
Kristijan sog scharf die Luft ein. „Oh Gott, Ante! Das sieht furchtbar aus. Wie hältst du das nur aus?“
„Wie schlimm ist es denn?“
„Dein ganzer Rücken leuchtet in den verschiedensten Blautönen. Die Prellungen ziehen sich bis zu den Seiten und um die Rippen herum zur Vorderseite. Wahrscheinlich ist auch die eine oder andere Rippe geprellt. Ein Wunder, dass du ungehindert atmen kannst!“
Ante zuckte nur mit den Schultern.
Sollte er ihm sagen, dass Schmerz mittlerweile sein täglicher Wegbegleiter war? Nein, das lohnte nicht. Außerdem konnte er selbst spüren, wie sehr die Schmerzen sich in der letzten Stunde gesteigert hatten. Er vermutete, dass er in der Nacht nicht besonders viel Ruhe finden würde.
„Ante, damit müsstest du wirklich besser in ein Krankenhaus, schon alleine um Rippenbrüche auszuschließen.“
„Es geht nicht, das können wir uns nicht leisten. Wir haben gerade genug, um über die Runden zu kommen.“
„Ich frage deine Mutter nach einer Salbe. Wir müssen zumindest etwas gegen die Blutergüsse tun.“
Kristijan stand auf, wollte das winzige Zimmer verlassen.
„Nicht, Kristijan!“, versuchte Ante ihn mit leiser Stimme aufzuhalten. „Sie würde sich nur wieder Sorgen machen. Und eine Salbe haben wir eh nicht im Haus. Sie würde zu Doktor Babic gehen und ihn um Hilfe bitten. Das will ich nicht!“
„Aber wieso? Babic ist ein guter Arzt, er könnte dir bestimmt helfen!“
„Sicher könnte er das, aber …“ Ante stoppte, wollte nicht recht mit der Sprache herausrücken.
„Aber was?“
„Sie hat nur noch ihren Ehering. Er ist alles, was ihr von Vater geblieben ist!“
Mehr erklärte er nicht, aber Kristijan schien zu verstehen – er drehte sich von der Tür weg. Ante hörte den verzweifelten Frust in Kristijans Stimme, als dieser sagte: „Ich weiß nicht, wie ich dir helfen soll. Ich sitz hier in meiner Badehose, habe keine Ahnung, ob jemand meine Kleidung vom Kliff mit heruntergebracht hat, muss gleich auf nackten Füßen nach Hause gehen. Ich habe nicht einen Kuna bei mir, mit dem ich dir helfen könnte.“
„Das musst du doch auch nicht!“ Ante war sehr wohl bewusst, dass Kristijans Sprünge normalerweise anders abliefen und seine unüberlegte Tat alles durcheinandergewirbelt hatte.
„Aber es muss doch irgendetwas geben, was ich für … was ich tun kann?“
Ante lächelte. Ihm waren die vielversprechenden – oder mehrdeutigen? – Untertöne von Kristijans unterbrochenem Satz nicht entgangen. Er hatte schon früh gelernt auf Tonlagen, auf den Subkontext der Gespräche, auf Gestik und Mimik zu achten und sie richtig zu interpretieren. Weil es ganz einfach lebensnotwendig gewesen war. Wahrscheinlich hatte ihn diese Fähigkeit schon mehr als einmal vor Schlägen bewahrt.
Ante zweifelte keine Sekunde daran, dass er entweder in diesem Dorf sterben würde, weil irgendwer endgültig die Beherrschung verlor, oder er hier bald verschwinden musste, um zu überleben. Doch solange seine Mutter hier war, konnte er nicht abhauen. Er konnte sie nicht sich selbst überlassen, dem Wohl und Weh der Dorfbewohner ausgeliefert, die ihm so übel mitspielten. Er hatte kein Vertrauen in seine Nachbarn, seinen Mitmenschen, in niemanden … außer vielleicht … Es war müßig, darüber nachzudenken.
Während dieser Überlegungen fielen Ante immer wieder die Augen zu.
Auch Kristijan bemerkte es offenbar. Er seufzte und sagte: „Also gut, dann muss ich darauf vertrauen, dass du deinen Körper gut genug kennst und einschätzen kannst, ob du professionelle Hilfe benötigte oder nicht!“ Sein Zweifel war deutlich seinem Tonfall zu entnehmen.
Er drückte Ante nach hinten auf das Bett, half ihm, sich auf die Seite zu drehen, zog die Decke unter seinem Körper hervor und deckte ihn zu. „Okay, schlaf dich aus! Ich komme morgen wieder. Versprich mir, Hilfe zu suchen, sollte es noch schlimmer werden.“
Ante nickte folgsam, bereits kurz vor dem Einschlafen. Er wusste jedoch, dass dies nie passieren würde. Er kannte die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten schon lange und hatte sie akzeptiert. Sie lebten, hatten ein Dach über den Kopf und meist genug zu essen. Mehr war eben nicht möglich. Er würde mit den Gegebenheiten leben müssen, so, wie sie es immer taten. Es wäre nicht das erste Mal, dass er oder seine Mutter einen Arzt brauchten und sie ihn sich nicht leisten konnten. Sie hatten bisher immer überlebt …
Es kam, wie Ante es befürchtet hatte: Er wachte mitten in der Nacht mit einem furchtbaren Husten auf, der einen grausamen Schmerz durch seinen Körper schickte. Hundemüde versuchte er wieder einzuschlafen, doch es gelang weder auf der Seite, deren Rippen protestierten, noch auf dem Rücken. Die Bauchlage brachte die gleichen Schmerzen und verstärkte noch den Husten. Trotz aller Erschöpfung trieb es Ante aus dem Bett. Weiter liegen zu bleiben war unmöglich. Er stützte sich mit den Händen an dem kleinen Waschtisch ab. Aufrecht stehen konnte er gar nicht, genauso wenig wie tief einatmen.
Er hatte gewusst, dass es schlimm werden würde, aber so?
Vorsichtig drehte er sich um, wollte in dem kleinen Spiegel über der Kommode seinen Rücken überprüfen. Gab es überhaupt eine heile, helle Stelle an seinem Rücken? Eine durchgehend verfärbte Fläche prangte darauf. Seine Muskeln waren derart verkrampft, dass es aussah, als hätte er eine verwachsene Wirbelsäule.
Eines stand fest: So konnte er morgen unmöglich auf dem Feld arbeiten.
Seine Mutter würde wissen wollen warum und er würde die Enttäuschung in ihrem Blick kaum ertragen können. Nicht darüber, dass er krank war. Nein, ihre Sorge darüber, dass er für einige Tage kein Geld heimbringen würde, wäre ein zusätzlicher Stich in seinem Herzen. Sie würde mehr arbeiten müssen, um den Verlust abzufedern.
Seine Mutter hatte ihn nicht gefragt, was passiert war, warum er gesprungen war.
Ante wusste auch nicht, wie er auf eine solche Frage reagieren sollte. Tief in sich ahnte er eine Wahrheit, der er sich zurzeit nicht stellen wollte. Und es würde bedeuten, endlich mit der Wahrheit über das Verhalten der Dorfgemeinschaft herauszurücken. Doch das würde seine Mutter nur noch mehr erschüttern. Was sollte sie auch tun, um Ante zu schützen? Sie konnten hier nicht fort, das kleine Häuschen war alles, was sie hatten. Ante hatte keinen anständigen Beruf erlernt und seine Mutter war seiner Meinung nach zu alt, um irgendwo neu anzufangen. Er musste hier ausharren, ob es ihm gefiel oder nicht.
Wieder tat sich seine Zukunft wie ein dunkler Schacht vor ihm auf.
Er war machtlos gegen die Tränen, die nun aus seinen Augen stürzten. Er wollte nicht weinen, versuchte die Tränen zu unterdrücken, verstärkte damit lediglich sein Schluchzen. Qualvoll erschütterte es seinen Körper, er war kaum in der Lage zu atmen. Die Prellungen seiner Rippen und der riesige Bluterguss auf seinem Rücken schnürten seinen Brustkorb wie eine Fessel ein.
Als ihn ein weiterer Hustenfanfall schüttelte, verlor er den Kampf gegen die Schmerzen, gegen die Atemnot und die dadurch aufkommende Panik. Zum zweiten Mal heute wogte ihm Schwärze entgegen, die selbst die Dunkelheit der Nacht auslöschte. Den Aufprall auf dem Boden bemerkte er kaum mehr.
„Mamica, nicht weinen! Tata kommt wieder nach Hause. Er hat es mir versprochen!“
Egal, wie sehr Ante versuchte, seine Mutter zu erreichen, ihr schmerzerfülltes Weinen blieb in seinem Ohr.
„Ante, mein kleiner, süßer Ante!“
Warum nur konnte er seine Mamica nicht trösten? Sie sollte nicht so furchtbar weinen, nicht so traurig sein. Er würde ein braver Junge sein und ihr keinen Grund für Tränen geben, wenn sie nur aufhören würde so schrecklich zu weinen.
„Ich liebe dich, Ante! Ich liebe dich so sehr, mein wunderschöner, lieber Junge!“
Wieso fiel es ihm so schwer zu sprechen? Er wollte seine Mati umarmen, ihr versprechen, dass er ab jetzt ganz lieb sein würde und sie nicht mehr um Tata trauern musste.
Es ging nicht!
Dann war nur schwärzeste Dunkelheit um ihn.
Keine Töne, keine Farben, kein Fühlen, kein Empfinden.
Nur Leere, furchtbare Leere.
„Mamica?“
Wo war seine Mami? Er wollte zu seiner Mami.
„… besser wird … Krankenhaus!“
Wer sprach da?
„… Medikamente?“
Diese Stimme kannte Ante.
Er fror entsetzlich.
Stille.
„Tata, ich wusste, du kommst zurück. Mamica wollte es mir nicht glauben!“
Geborgenheit legte sich wie eine warme Decke um Ante, als sein Vater ihn liebevoll ansah. Er schmiegte sein Gesicht in dessen große, schwielige Hand, sah glücklich zu seinem Vater auf. Warum schüttelte sein Tata so nachsichtig lächelnd den Kopf?
Fremde Geräusche, fremde Gerüche.
Ante hatte furchtbare Angst.
„Tata? Mamica?“
Ihm war so heiß.
Das Atmen tat weh.
„Wir … Nacht abwarten … besteht Hoffnung!“
Das war nicht sein Zuhause. Aber da war eine Stimme, eine Hand in seiner.
Vertrauen!
„Kristijan?“
Husten tat noch mehr weh als Atmen.
Wie lange nur hielt der Nebel in seinem Gehirn an? Er behinderte sein Denken, nahm Ante die Möglichkeit, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Da war Schmerz, der in Antes Körper pulsierte. Mal stärker, mal schwächer, doch in einem beständigen Pochen … Nie ganz verschwunden, bereit, sich erneut in sein Fleisch zu graben, wenn seine Aufmerksamkeit nachließ.
Da war immer wieder ein Kommen und Gehen. Zeiten, in denen er Geräusche erkannte und sortierte, wechselten mit Momenten, wo alles, was er wusste, und alles, was er war, in einem schwarzen Loch zu verschwinden drohte. Ein Loch, an dessen zerbröckelndem Rand er hilflos balancierte, das ihn einsaugen wollte in seine Finsternis.