Camila Pfaller
Monster
Vampirroman aus der Reihe „Blutsauger“
Mondschein Corona – Verlag
Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Mondschein Corona – Verlag
Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.
Erstauflage
Erstauflage November 2016
© 2016 für die Ausgabe Mondschein Corona
Verlag, Plochingen
Alle Rechte vorbehalten
Autorin: Camila Pfaller
Lektorat/Korrektorat: Eva-Maria Stuckel
Grafikdesigner: Finisia Moschiano
Buchgestaltung: Finisia Moschiano
Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano
ISBN: 978-3-96068-081-9
© Die Rechte des Textes liegen beim
Autor und Verlag
Mondschein Corona Verlag
Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR
Teckstraße 26
73207 Plochingen
www.mondschein-corona.de
Widmung
Monster
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„Für all meine Lieben, die an mich geglaubt haben. Ihr wisst, wen ich meine.“
Leise rollte das Auto durch die Nacht, der Motor schnurrte vor sich hin und Lydia trommelte fröhlich zum Rhythmus der Musik mit den Fingern auf das Lenkrad. Scharf teilten die Scheinwerfer die undurchdringliche Schwärze der Nacht. Rasch zog die Landschaft vorbei. Felder wechselten sich mit Wiesen ab, Nachtvögel, vom Licht aufgeschreckt, flogen auf – Schatten, die mit der Dunkelheit verschmolzen, sobald der Lichtkegel sie nicht länger erfasste. Plötzlich kleine Tröpfchen auf der Frontscheibe. Jetzt begann es auch noch zu regnen! Lydia presste genervt die Lippen aufeinander, schaltete den Scheibenwischer ein und drehte die Lautstärke des Autoradios hoch. „You’re a monster in disguise, but I love your evil eyes“, brüllte ihre Lieblingssängerin aus den Lautsprechern, während harte Gitarrenriffs ihre Worte untermalten. Lydia grinste. Dieses Lied brachte für sie immer einen Hauch von Abenteuer mit sich.
Leider hatte sie noch zwei Stunden Landstraße vor sich und von Abenteuer keine Spur. Langsam wurde sie müde, ihre Augen brannten. Sie seufzte laut und strich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es wurde noch dunkler, als sie in den Wald eintauchte. Unwillkürlich erschauderte sie. Oh, wie sie dieses Waldstück hasste! Es wurde augenblicklich kälter. Sie schaltete die Sitzheizung höher und drehte die Heizung voll auf. Inzwischen schüttete es wie aus Eimern und Wind beutelte die Bäume links und rechts der Straße. Sie war gezwungen, langsamer zu fahren … und das war wahrscheinlich das einzige, was ihr das Leben rettete, als der Baum vor ihr auf die Straße krachte. Sie war wie gelähmt und konnte nur noch hilflos zusehen, wie der dunkle Stamm auf sie zuraste. In letzter Sekunde bremste sie und riss das Lenkrad herum.
Plötzlich schien alles in Zeitlupe zu geschehen. Das Auto schleuderte, prallte seitlich gegen das Hindernis, die Airbags taten ihren Dienst. Lydias nach vorn schnellender Kopf wurde von ihnen abgebremst, doch die Erschütterung breitete sich trotzdem schmerzhaft in ihrem Körper aus. Ein hässliches Geräusch war zu hören, der Motor erstarb und dann wurde es schlagartig still. Nur das Prasseln des Regens war noch zu hören.
Lydias Blick war nach innen gekehrt und sie war ganz bleich im Gesicht. Blut lief über ihr Kinn, da sie sich auf die Lippe gebissen hatte. Wie ferngesteuert befreite sie sich vom Sicherheitsgurt, öffnete die Fahrertür und fiel aus dem Auto. Kalt peitschten ihr Wind und Regen ins Gesicht. Sie zitterte erbärmlich, doch sie hätte nicht sagen können, ob wegen der Kälte oder des Schocks. Der Asphalt fühlte sich unangenehm kalt an, trotzdem presste sie ihre Hände darauf wie ein Ertrinkender, der sich an eine im Meer treibende Holzplanke klammerte. Sie war noch am Leben – wenigstens das sickerte in ihren betäubten Verstand. Einige Minuten kauerte sie auf dem kalten Boden, die Augen ins Leere blickend. Schließlich kämpfte sie sich ächzend auf die Beine. Sie musste etwas tun, irgendetwas …
Immer noch marionettenhaft stolperte sie um das Auto herum. Die komplette rechte Seite war eingedrückt, Äste hatten Fenster und Türen durchstoßen – es war ein Wunder, dass sie Lydia nicht aufgespießt hatten. Rauch stieg aus der Motorhaube, Glassplitter bedeckten die Straße und der Vorderreifen war geplatzt. Ihr war zum Heulen zumute. Wie sollte sie jetzt nach Hause kommen? Der Baumstamm blockierte die Straße vollständig. Und wie zur Hölle sollte sie die Reparatur des Schadens bezahlen?
Weinend taumelte sie zur Fahrertür, lehnte sich hinüber zum Beifahrersitz, zerrte ihre Handtasche aus dem Auto, kramte ihr Handy heraus und wählte die Nummer des Pannendienstes. Doch das Mobiltelefon hatte kein Netz. Sie verlor endgültig die Nerven. Schluchzend sank sie neben ihrem Auto auf den nassen Asphalt. Der Regen mischte sich auf ihren Wangen mit den unaufhaltsam rinnenden Tränen.
Sie wusste nicht, wie lange sie dort saß – Sekunden, Minuten, Stunden? Plötzlich streifte sie ein Lichtkegel und das Schnurren eines hochmotorisierten Autos war zu hören. Das Geräusch näherte sich rasch. Erst jetzt wurde Lydia bewusst, wie dunkel es eigentlich war. Mit zitternden Fingern wischte sie sich die Tränen von den Wangen und kam mühsam hoch. Als die Scheinwerfer sie schließlich vollständig erfassten, sah Lydia erst einmal gar nichts mehr. Das Motorbrüllen verstummte und die Sturmgeräusche kehrten schlagartig zurück. Vergeblich blinzelte sie gegen die roten Punkte vor ihren Augen an. Sie hörte, wie die Autotür geöffnet wurde und plötzlich überfiel sie eine nie gekannte Panik, schlimmer als die vorangegangene, und erschreckender, da sie für sie keinen ersichtlichen Grund hatte. Aber sie ahnte, etwas Schreckliches würde geschehen, wenn sie hier stehenblieb und auf den Fahrer des Wagens wartete. Noch immer sah sie unklar … aber dem Klang nach war es ein alter Ford Mustang, der sie da so blendete. Eine dunkle Silhouette erhob sich gegen das strahlende Licht, groß und bedrohlich. Lydias Ahnung wurde zur Gewissheit. Irgendetwas Gefährliches haftete diesem Schatten an. Sie vergaß, dass sie sich hier in einem dunklen, undurchdringlichen Wald befand, dass es stürmte und regnete, dass sie nichts anhatte außer einer Jeans, Chucks und einem dünnen Pullover. Sie gab dem Fremden keine Gelegenheit, näher zu kommen, sondern fuhr herum und begann zu rennen.
Äste peitschten ihr ins Gesicht, zerkratzten ihre Haut. Sie sah fast nichts in der vollständigen Dunkelheit, dennoch stolperte sie zwischen den Bäumen hindurch, nur geleitet durch ihre anderen Sinne, die auf einmal unglaublich geschärft waren. Sie rannte, rannte, als ginge es um ihr Leben. Angst ließ sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie handelte nur noch instinktiv. Immer mehr Abstand versuchte sie zwischen sich und dem Fremden zu bringen. Ein Rascheln in der Nähe ließ sie zusammenfahren. Sie versuchte, noch schneller zu laufen, fiel beinahe, ließ sich davon aber nicht aufhalten. Panik raubte ihr den Atem. Ihr Herz raste und sie schluchzte atemlos. Für wenige Sekunden sah sie Sterne und stürzte nun doch. Wie von Sinnen raufte sie sich die Haare, versuchte aufzustehen, stürzte wieder, kam schließlich hoch und taumelte weiter. Das Knacken einiger Äste verleitete sie dazu, sich umzusehen und für einen Moment glaubte sie tatsächlich, jemanden zu erkennen, der ihr folgte. Ein Käuzchen schrie. Sie wollte nur noch, so schnell sie konnte, weiter. Doch als sie wieder auf ihren Weg achtete, wurde ihr die Dunkelheit wieder mit aller Macht bewusst und als wäre das der Auslöser gewesen, um ihre Sinne zu trüben, prallte sie ungebremst gegen einen Baum. Diesmal blieb sie liegen und verlor das Bewusstsein.
Der Jäger näherte sich seiner Beute. Erschöpft lag sie auf dem weichen Waldboden niedergestreckt. Ihr Herz schlug gleichmäßig, ihr Atem war ruhig. Sie war bewusstlos. Schade, so konnte sie sich gar nicht wehren … Er ging neben ihr in die Knie, betrachtete das erschlaffte Gesicht. Blutige Kratzer überzogen es. Er streckte die Hand aus und strich mit den Fingern darüber. Einige Blutstropfen blieben an seinen Fingerspitzen hängen. Genüsslich leckte er sie ab. Köstlich … Er grinste und seine Augen glühten. Bald würde er mehr davon trinken, doch nicht hier und nicht jetzt, solange sie bewusstlos war.
Behutsam hob er sie hoch und trug sie zurück zur Straße. Sie war klatschnass, ihre Haut eiskalt. Er setzte sie auf den Beifahrersitz und schnallte sie an. Dann ging er zurück zu den Überresten ihres Autos und durchsuchte es grob nach persönlichen Gegenständen. Er fand eine helle Lederjacke und ein T-Shirt auf der Rücksitzbank. Danach hob er ihre Handtasche auf, sammelte deren verstreuten Inhalt von der Straße und stieg schließlich selbst in den schwarzen Ford Mustang. Er drehte die Heizung auf und fuhr rückwärts aus dem Wald hinaus. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen.
Lydia erwachte mit schrecklichen Kopfschmerzen. Ihre Kleidung klebte am Körper. Dennoch fror sie kaum. Ein bleiches, von blutigen Striemen entstelltes Gesicht sah sie aus müden Augen an. Sie zuckte zurück, blinzelte und kehrte schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Das Gesicht war ihr eigenes, das sich im Fenster des Autos spiegelte. Von außen prasselte Regen dagegen. Das Auto brummte vor sich hin, der Sitz war bequem, die Heizung lief auf Hochtouren und aus dem Radio erklang Rockmusik.
„Na, wach?“
Lydia hörte das Lächeln in der Stimme. Sie drehte langsam den Kopf und begegnete den amüsiert funkelnden Augen des Fahrers. Schwach nickte sie und drückte sich noch mehr in ihren Sitz, als würde sie das vor seinem forschenden Blick bewahren.
„Du hattest großes Glück, dass der Baum dich nicht unter sich begraben hat“, fuhr ihr selbst ernannter Retter fort, als sie schwieg.
Jetzt und hier in der Wärme des Autos erschien Lydia ihre Angst von vorhin geradezu lächerlich. Er war jünger, als sie erwartet hatte und besaß eine angenehme, warme Stimme. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie im Wald solche Panik bekommen hatte, dass sie geradezu vor ihm geflohen war. Weit schien sie jedoch nicht gekommen sein, schließlich hatte er sie gefunden und das bei völliger Dunkelheit. Wie Angst doch die Sinne verwirren konnte! Sie war sich sicher gewesen, sich tief im Wald befunden zu haben.
„Sag mal, warum bist du eigentlich weggelaufen?“, erkundigte er sich prompt. Die Frage sollte beiläufig klingen, doch Sorge und ein unterschwellig misstrauischer Ton schwangen darin mit.
Sie zuckte die Schultern. Augenblicklich verkrampften ihre Muskeln und sie holte zischend Luft. Sofort lagen die Augen des Fahrers wieder auf ihr. Sie hätte schwören können, dass sie dunkler geworden waren, obwohl sie ihr Gegenüber noch immer nur schemenhaft erahnen konnte, da ihr Blick getrübt war und sein Gesicht im Schatten lag.
„Hast du Schmerzen? Soll ich anhalten?“
Lydia biss die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf. „Geht schon“, murmelte sie.
Er griff hinter sich und warf ihr ein Bündel in den Schoß. Verwundert registrierte sie, dass es sich dabei um ihr T-Shirt, ihre Lederjacke und ihre Handtasche handelte.
„Du solltest etwas Trockenes anziehen.“ Als sie keine Anstalten machte, der Aufforderung nachzukommen, fügte er hinzu: „Ich schau auch bestimmt nicht hin …“
Viel würde er bei dem diffusen Licht eh nicht erkennen können, beruhigte sich Lydia und beschloss, auf ihn zu hören. Sie schnallte sich ab und schlüpfte aus dem nassen Pullover.
„Wirf die Sachen einfach auf die Rücksitzbank.“
Lydia zuckte zusammen und verdrehte innerlich die Augen über ihre eigene Schamhaftigkeit. Aber es war ihr immer noch unangenehm, wenn jemand ihren Oberkörper sah. Die Narben darauf waren wahrlich kein schöner Anblick. Sie bedeckte sich notdürftig mit der Jacke, bis die Feuchtigkeit auf ihrer Haut von der Heizung getrocknet worden war, dann zog sie T-Shirt und Jacke über. In ihrer Handtasche fand sie ein Haargummi, mit dem sie ihre Locken zu einem lockeren Knoten bändigen konnte. Sie schnallte sich wieder an und ließ sich in den Sitz sinken.
„Besser?“
„Ja, viel besser“, antwortete sie und lächelte zum ersten Mal. Sie schien ihm wirklich Unrecht zu tun. Dennoch erkundigte sie sich: „Wohin fahren wir?“ Diesmal hörte sie ihn lachen.
„Keine Angst, ich entführe dich schon nicht. Ich habe aus deinem Kennzeichen geschlossen, dass du in die nächste Stadt musst. Das ist auch meine Richtung. Doch fast alle Straßen dahin sind gesperrt, überall hat der Sturm große Schäden angerichtet. Daher fahre ich jetzt eine Umleitung, die uns zwar ziemlich viel Zeit kosten wird, doch uns bestimmt an unser Ziel bringt, in Ordnung?“
Sie sah ihn an und nickte. Was hätte sie auch sonst tun sollen? Langsam kam sie sich wirklich paranoid vor. Was hatte er ihr denn getan? Er hatte sie nicht im Wald liegen lassen, hatte ihre persönlichen Habseligkeiten aus dem Auto geholt und fuhr sie sogar nach Hause. Was war nur los mit ihr? Tief im Inneren wusste sie, woher ihre Angst kam, aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um alte Dämonen zu wecken. „Ich werde trotzdem kurz meinen Eltern Bescheid geben, damit sie sich keine Sorgen machen“, meinte sie und fuhr sich verlegen durchs Haar.
„Mach nur.“
Lydia kramte in ihrer Handtasche, aber so sehr sie auch suchte, ihr Handy war nicht auffindbar. Sie fischte in ihren Jackentaschen danach, doch nichts, es war weg. Sie musste es bei ihrer Flucht verloren haben, obwohl sie sicher gewesen war, dass sie es in ihrer Tasche gehabt hatte … oder vielleicht doch nicht?
„Sag mal, hast du ein Handy?“, fragte sie und konnte nicht verhindern, dass sie so unsicher klang, wie sie sich fühlte.
Ihr Fahrer warf ihr einen kurzen Blick zu. „Ja, klar. Warte …“ Er suchte mit einer Hand in seinen Jacken- und Hosentaschen. „Verdammt“, murmelte er. „Ich muss es verloren haben, als ich nach dir gesucht habe.“
Lydia schluckte. Ein kleiner, gemeiner Gedanke machte sich in ihr breit: Niemand weiß, wo du bist und keiner wird dich finden.
Die nächsten Worte ihres Retters zerstreuten ihre Angst jedoch sofort wieder.
„Wir werden einfach bei der nächsten Tankstelle anhalten und du rufst von dort an, okay?“
„Danke.“ Lydia hörte selbst, wie erleichtert sie klang. Sie hoffte, dass sie sich das spöttische Lächeln ihres Fahrers einbildete. Schutzsuchend und erschöpft kuschelte sie sich wieder tiefer in den Sitz und zwang sich, ruhiger zu atmen. Sie stand immer noch unter Schock, das musste es sein.
„Wie heißt du eigentlich?“, fragte er, während er das Gaspedal durchtrat und den Mustang vorwärts peitschte.
„Lydia. Und du?“
Zögern, dann erwiderte er: „Alec.“
Schweigen trat ein. Nur noch das Radio, der Motor und der Regen waren zu hören. Aber Lydia mochte die Stille. Sie war nicht unangenehm und gab ihr die Möglichkeit, ihre Ängste zu verdrängen und sich stattdessen auf die Musik zu konzentrieren. Alec hatte anscheinend einen ähnlichen Geschmack wie sie.