ROBERT E. HOWARD

 

 

Kull von Atlantis -

Die komplette Saga

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

Das Hyborische Zeitalter 

 

Flucht aus Atlantis 

Das Königreich der Schatten 

Der Altar und der Skorpion 

Der schwarze Abgrund 

Delcardes' Katze 

Der Schädel der Stille 

Zauberer und Krieger 

Nur einen Gongschlag lang 

Der König und der Eichenbaum 

Im Land der Schatten   

 Der Herr von Valusien 

Die Schwerter des Purpurnen Königreichs 

Die Spiegel des Tuzun Thune 

Epilog I 

Epilog II: Der Fluch des goldenen Schädels 

 

Einzelnachweise 

 

Das Buch

 

Kull ist ein auf Atlantis Geborener von unbekannter Herkunft. Er entkommt der Rache seiner barbarischen Stammesgenossen und gelangt schließlich nach Valusien, wo er nach blutigen Kämpfen die Königswürde an sich reißt. Umgeben von tödlichem Verrat, von Intrigen, Heimtücke und Schwarzer Magie, regiert er sein Königreich mit starker Hand und führt Valusien, wo er ein Fremder unter Fremden bleibt, zu neuem Glanz, und wo immer ihm das Böse begegnet, bekämpft er es mit Schwert und Streitaxt...

 

Robert E. Howard erschuf vor dem Hintergrund rätselhafter Mythen, barbarischer Völker, versunkener Kulturen und im Dunkel liegender Geheimnisse die Figur des KULL, der in vielfacher Hinsicht ein Prototyp von Howards populärster Schöpfung CONAN, des legendären Barbaren, ist. Der Band Kull von Atlantis versammelt erstmals sämtliche Texte um KULL in einer deutschsprachigen Gesamtausgabe. 

Der Autor

 

Robert Ervin Howard (* 22. Januar 1906, + 11. Juni 1936).  

 

Robert Ervin Howard war ein US-amerikanischer Autor von Fantasy-, Abenteuer- und Horrorgeschichten sowie mehrerer Westernromane. Er gilt als stilprägender Vertreter der Low Fantasy.

Howard wuchs in der kahlen und trockenen Landschaft von West-Texas auf und unternahm nur wenige Reisen. Als Heranwachsender arbeitete er auf den örtlichen Ölfeldern; darüber hinaus arbeitete er als Baumwollpflücker, Cowboy, Verkäufer, in einem Rechtsanwaltsbüro, als Landvermesser und als Journalist, bevor er sich durch den Verkauf seiner Geschichten an diverse Pulp-Magazine - vor allem Weird Tales, Thrilling Adventures, Argosy und Top-Notch - ein regelmäßiges Einkommen sichern konnte.

Seine erste Geschichte Spear And Fang verkaufte er im Jahre 1924 an Weird Tales. Dies war der Start einer ebenso kurzen wie beeindruckenden (und vor allem: nachwirkenden) Karriere als Schriftsteller: In den Folgejahren erschuf Howard seine bekanntesten Zyklen um Conan den Cimmerier, Kull von Atlantis, den Pikten Bran Mak Morn, den irischen Piraten Turlogh O’Brien und den englischen Puritaner Solomon Kane.

Die meisten Helden in Howards literarischem Nachlass sind latent depressiv (Solomon Kane, Turlogh O’Brien, Kull von Atlantis), was biographische Bezüge vermuten lässt. Lediglich Conan ist ein tendenziell naiver, von keinen Skrupeln oder tieferen Gefühlen berührter Abenteurer und Krieger. Über den Charakter Conan, der - vor allem auch durch die Verfilmungen in den Jahren 1982 und 1984 (beide mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle) sowie 2011 (mit Jason Momoa in der Rolle des Barbaren)  - wohl die populärste der von ihm geschaffenen Figuren ist, sagte er, sie sei die realistischste von allen, da sie eine intuitive Kombination diverser Männer darstelle, mit denen er in seinem Leben zu tun gehabt habe.

Viele von Howards Fantasy-Geschichten spielen vor dem Hintergrund des – fiktiven – Hyborischen Zeitalters.

Howard war ein Brieffreund H. P. Lovecrafts, der auch Einfluss auf Howards Geschichten ausübte. Umgekehrt geht das fiktive Buch Unaussprechliche Kulte, dessen Erfindung häufig Lovecraft zugeschrieben wird, auf Howard zurück.

Robert E. Howard Howard beendete sein Leben im Alter von 30 Jahren durch Selbstmord. Als seine kranke Mutter ins Koma fiel und wenig Hoffnung auf Genesung bestand, stieg er in seinen Wagen und erschoss sich in der Einfahrt zu seinem Haus.

  Das Hyborische Zeitalter

 

  Aus jener Ära, die von den nemedischen Chronisten das Vorsintflutliche Zeitalter genannt wird, ist uns nur wenig überliefert, mit Ausnahme vielleicht des letzten  Abschnitts, aber selbst dieser liegt hinter einem Schleier von Legenden verborgen. Die Geschichtsaufzeichnung beginnt mit dem Verfall der vorsintflutlichen Zivilisation, in der die Königreiche Kamelien, Valusien, Verulien, Grondar, Thule und Kommorien dominierten. Die Völker dieser Länder besaßen verwandte Sprachen,  was auf einen gemeinsamen Ursprung hindeutet. Es existierten noch weitere Königreiche, nicht weniger zivilisiert, aber deren Bewohner gehörten zu anderen, offenkundig älteren Rassen.

  Die Pikten waren die Barbaren jener Epoche; sie lebten auf einer Inselgruppe weit im westlichen Ozean. Weitere Barbarenrassen waren die Atlanter - beheimatet auf einem kleinen Kontinent zwischen den Pikten-Inseln und dem Hauptkontinent Thuria - und die Lemurier, die eine Kette von großen Inseln in der östlichen Hemisphäre bewohnten.  

  Es gab viele Gebiete unerforschten Landes. Die zivilisierten Königreiche nahmen entgegen ihrer enormen Ausdehnung nur einen kleinen Teil des gesamten Planeten  ein. Valusien war das westlichste Königreich des Thurischen Kontinents, Grondar das östlichste. Östlich von Grondar, dessen Volk nicht so hoch entwickelt war wie die Bewohner der anderen Königreiche, erstreckte sich ein wildes, raues Land, welches größtenteils aus Wüste bestand. In den fruchtbaren Gebieten, in den Dschungeln und  Bergen, lebten verstreute Sippen und Stämme primitiver Eingeborener. Weit im Süden befand sich eine mysteriöse Zivilisation, die nichts mit der thurischen  Kultur gemeinsam hatte und bei der es sich offenkundig um eine vormenschliche Kultur handelte.

  An den fernen östlichen Küsten des Kontinents wiederum lebte eine andere Rasse: menschlich, rätselhaft und nicht-thurisch, mit der die Lemurier von Zeit zu Zeit in Kontakt kamen. Sie stammte vermutlich von einem geheimnisvollen namenlosen Kontinent weit östlich der lemurischen Inseln.  

  Schließlich zerfiel die thurische Zivilisation; ihre Armeen bestanden zum größtenteils aus Barbaren-Söldnern; Pikten, Atlanter und Lemurier waren ihre Generäle, ihre  Staatsmänner und nicht selten ihre Könige.

  Aber von den  Streitigkeiten zwischen den Königreichen und von den Kriegen zwischen Valusien und Kommorien, wie auch von den Eroberungszügen, mit denen die Atlanter ein Königreich auf dem Festland errichteten, erfahren wir mehr aus Legenden als aus geschichtlichen Aufzeichnungen.

 

  Flucht aus Atlantis

 

  Die Sonne ging unter.

  Ihr letzter Schein fiel gleich einem roten Mantel über das Land und schuf eine  Krone aus Blut auf den von Schnee bedeckten Gipfeln. Die drei Männer, die das Sterben des Tages beobachteten, atmeten tief den würzigen Duft ein, den der frühe Abendwind aus den fernen Wäldern herbeitrug. Erst dann wandten sie sich  wieder anderen Dingen zu. Einer von ihnen briet Wild über einem kleinen Feuer. Behutsam strich er über das brutzelnde Fleisch und kostete es mit der Miene eines  Feinschmeckers.

  »Es ist fertig - Kull, Khor-nah, lasst uns essen.« Der Sprecher war jung, ihm spross der erste Bartflaum. Er war hochgewachsen, mit breiten Schultern und schmalen Hüften, und er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Leoparden. Einer seiner Begleiter war ein älterer Mann, kräftig gebaut, mit dichtem Haarwuchs und einem harten Gesicht, das schon zahlreiche Kämpfe gesehen hatte. Der andere schien fast ein Ebenbild  des Sprechers, nur war er ein wenig größer und eine  Spur breiter um Brust und Schultern. Mehr noch als der Jüngling am Feuer vermittelte er den Eindruck von ungeheurer Geschicklichkeit und Flinkheit.  

  »Sehr gut«, murmelte er. »Ich bin hungrig.«  

  »Wann bist du das nicht, Kull?«, spottete der erstere.  

  »Wenn ich kämpfe«, erwiderte Kull ernst.  

  Der Jüngling warf dem Freund einen forschenden Blick zu, als wolle er in sein Inneres sehen, denn nicht  immer wurde er klug aus ihm.  »Und dann bist du durstig - blutdurstig«, warf der  Ältere ein.

  »Genug der Rederei, Am-ra; Schneide das  Fleisch.«

  Die Nacht brach herein, die ersten Sterne funkelten am Himmel. Der Nachtwind strich über das Bergland. Irgendwo in der Ferne brüllte ein Tiger. Instinktiv tastete Khor-nahs Hand nach dem Speer mit der Steinspitze, der neben ihm lag.

  Kull drehte den Kopf. Ein eigentümliches Licht flackerte in seinen eisgrauen Augen. »Die gestreiften Brüder jagen heute Nacht«, stellte er fest.

  »Sie verehren den Vollmond.« Am-ra deutete nach Osten, wo ein rötliches Glühen sichtbar wurde.

  »Aber aus welchem Grunde?«, wunderte sich Kull. »Der Mond verrät sie doch ihrer Beute und ihren Feinden.«

  »Vor vielen hundert Jahren«, erzählte Khor-nah, »bat ein Königstiger, der von den Jägern verfolgt wurde, die Frau im Mond um Hilfe. Sie warf ihm eine Ranke herab, an der er hochkletterte und sich in Sicherheit  brachte. Viele Jahre blieb er auf dem Mond. Seither  verehren alle der Gestreiften den stillen Gefährten der  Nacht.«   

  »Ich glaube nicht an solcherlei«, brummte Kull. »Weshalb sollten die Gestreiften den Mond verehren, bloß weil er einem ihrer Rasse vor so langer Zeit geholfen hat? So mancher Tiger ist das Todesriff emporgeklettert und dadurch den Jägern entkommen. Doch ich habe nicht gehört, dass auch nur einer der Gestreiften es deshalb verehrt. Woher sollten sie überhaupt wissen, was vor so langer Zeit geschehen ist?«   

  Khor-nahs Miene verfinsterte sich. »Es steht dir  nicht an, Kull, abfällig über die Worte der Älteren zu  urteilen oder dich über die Legenden des Volkes lustig zu machen, das dich bei sich aufnahm. Die Geschichte muss wahr sein, denn sie wurde von Generation an Generation weitergegeben, länger schon, als die Menschen sich zu erinnern vermögen. Was immer war, wird auch immer sein.«

  »Ich glaube es nicht«, widersprach Kull erneut. »Diese  Berge waren schon immer, aber eines Tages werden sie zerfallen und verschwinden. Eines Tages wird das Meer sie überspülen...«

  »Genug von diesen Lästerungen!«, rief Khor-nah. »Kull, wir sind gute Freunde, und ich halte deiner Jugend mancherlei zugute, doch eines musst du lernen: Respekt  vor den Überlieferungen. Du verspottest die Sitten und  Gebräuche unseres Volkes, das dich aus der Wildnis rettete und dir ein Zuhause und einen Stamm gab.«  

  »Ich war ein nackter Affe, der in den Wäldern umherstrich«, gab Kull offen zu. »Ich kannte die Sprache der Menschen nicht, und meine einzigen Freunde waren die Tiger und Wölfe. Ich weiß nicht, welchem Volk ich entstamme oder wessen Blutes ich bin.«

  »Das ist bedeutungslos«, warf Khor-nah ein. »Deinem Äußeren und Wesen nach könntest du ein Überlebender des Stammes jener Geächteten sein, die im Tal der Tiger lebten und der Großen Flut zum Opfer fielen.  Doch - wie ich schon sagte - es ist ohne Bedeutung. Du hast dich als tapferer Krieger erwiesen...«

  »Wo findet man schon einen Jüngling, der ihm im  Speerwerfen oder im Ringen auch nur ebenbürtig ist«, unterbrach ihn Am-ra mit leuchtenden Augen.  

  »Wohl gesprochen.« Khor-nah lächelte. »Er ist eine Bereicherung für den Stamm, der an den meerumspülten Bergen zu Hause ist. Trotzdem muss er lernen, seine Zunge  im Zaum zu halten und die heiligen Dinge der Vergangenheit und Gegenwart zu ehren.«  

  »Ich spotte nicht«, erklärte Kull ohne Zorn. »Doch ich weiß, dass vieles, was die Priester predigen, nicht der Wahrheit entspricht. Ich bin unter Tigern aufgewachsen, habe mit ihnen gejagt, und ich kenne die wilden Tiere besser, als die Priester sie zu kennen behaupten. Tiere sind weder Götter noch Dämonen, sondern auf ihre Art Menschen, doch ohne deren Laster...«   

  »Welch üble Lästerung!«, schrie Khor-nah ergrimmt. »Der Mensch ist Valkas größte Schöpfung.«  

  Hastig versuchte Am-ra das Thema zu wechseln.  »Ich hörte die Küstentrommeln früh am Morgen. Es herrscht Krieg auf dem Meer. Valusien kämpft gegen die lemurischen Piraten.«  

  »Mögen sie sich gegenseitig umbringen«, brummte  Khor-nah.  

  Wieder flackerte das Feuer in Kulls Augen. »Valusien! Land voll des Zaubers! Eines Tages werde ich die große Stadt der Wunder sehen.«  

  »Das wird eine schlimme Zeit für dich sein«, knurrte  Khor-nah. »Ketten werden dich niederdrücken, und der Foltertod wird dir gewiss sein. Kein Mann unserer Rasse bekommt die Große Stadt zu Gesicht - außer als  Sklave!«

  »Möge das Unglück sie heimsuchen«, murmelte Am-ra.

  »Verwüstung und Verheerung!«, rief Khor-nah. Er starrte gen Osten und schüttelte die Fäuste. »Für jeden Tropfen atlantischen Blutes, das sie vergossen haben, für jeden Sklaven, der sich auf ihren Galeeren zu Tode rudert, soll eine andere Seuche Valusien und die Sieben Reiche heimsuchen.«  

  Begeistert sprang Am-ra auf die Füße und echote den Fluch.

  Ungerührt schnitt Kull sich ein weiteres  Stück Fleisch ab. »Ich habe gegen die Valusier gekämpft«, sagte er  kauend. »Sie waren weder von besonderer Tapferkeit,  noch schwer zu töten. Aber ihre Züge waren auch nicht von Schlechtigkeit gezeichnet.«  

  »Du hast gegen die schwachen Wächter der Nordküste gefochten«, brummte Khor-nah. »Oder gegen die  Besatzung gestrandeter Kauffahrer. Warte ab, bis du  dich eines Angriffs der Schwarzen Reiter erwehren  musst oder der Großen Armee - wie ich. Hai! Dann fließt Blut in Strömen! Mit Gandaro vom Speer machte ich die valusischen Küsten unsicher, damals war ich  noch jünger als du, Kull. Ja, wir trugen Feuer und  Schwert weit hinein ins Reich. Fünfhundert waren wir, von den gesamten atlantischen Küstenstämmen. Zu viert nur kehrten wir zurück. Außerhalb von  Hawks, einem kleinen Städtchen, das wir brandschatzten, zermalmte uns die Vorhut der Schwarzen Reiter. Hai! Dort tranken die Speere, und auch die Schwerter litten keinen Durst. Wir töteten und sie töteten, doch als der  Schlachtgesang verstummte, hatten nur noch wir vier das Glück zu entkommen, und alle schwer verwundet.«

  »Von Ascalante hörte ich«, ließ Kull nicht locker, »dass die Mauern um die Kristallstadt zehnmal höher als ein Mann sind, dass das Leuchten des Goldes und Silbers das Auge blendet und dass die Frauen, die durch Straßen lustwandeln oder sich aus ihren Fenstern lehnen, in Gewänder aus seltsam glatten Stoffen gekleidet sind, die bei jeder Bewegung rascheln und in verschiedenen Farben schillern.«    

  »Ascalante dürfte es wohl wissen«, sagte Khor-nah  grimmig,. »Er war lange genug als Sklave unter ihnen, so lange, dass er seinen guten atlantischen Namen vergaß und sich nun wohl an den halten muss, den die Valusier ihm gaben.«

  »Er entfloh«, gab Am-ra zu bedenken. »Er hatte Glück. Doch für jeden Sklaven, dem es gelingt, den Klauen der Sieben Reiche zu entkommen,  schmachten sieben in ihren Verliesen und sterben jeden Tag ein bisschen mehr, denn ein Atlanter ist nicht  zum Sklaven geboren.«  

  »Seit Anbeginn der Zeit sind wir die Feinde der Sieben Reiche«, sagte Am-ra nachdenklich.  

  »Und werden es bleiben, bis die Welt untergeht«, erklärte Khor-nah mit finsterer Genugtuung. »Denn Atlantis, Valka sei Dank, ist der Feind aller Menschen.«  

  Am-ra stand auf und nahm seinen Speer, um Wache  zu halten. Die beiden anderen legten sich ins Gras und  schliefen. Wovon Khor-nah wohl träumte? Vom  Schlachtgetümmel oder dem Donnern der Büffelhufe  oder einem Höhlenmädchen?   

  Und Kull?

  Durch die Schleier seines Schlafes echoten wie aus weiter Ferne die triumphierenden Weisen goldener Trompeten. Wolken strahlenden Ruhms schwebten über ihm und ließen sich wie ein Vorhang beiseiteschieben, um  seinem Traum-Ich ein gewaltiges Bild freizugeben. Eine riesige Menschenmenge erstreckte sich bis in die  Endlosigkeit, und Jubelrufe in einer fremden Sprache   drangen aus ihrer aller Kehlen. Schwerter klirrten, und wie Schatten reihten sich links und rechts mächtige Armeen. Die Dunstschleier lösten sich auf, ein Gesicht hob sich kühl hervor, eine Krone über der Stirn - ein fest geschnittenes, gelassenes Gesicht mit Augen  wie das Grau der kalten See. Wieder jubelte die Menschenmenge, und nun konnte er sie verstehen: »Heil  dem König! Heil König Kull!«

  Kull fuhr aus dem Schlaf hoch. Der Mond warf seinen Silberschein auf die Berge am Horizont, der Wind  säuselte durch das hohe Gras. Khor-nah schlief ruhig  neben ihm, und Am-ra hob sich wie eine Bronzestatue gegen den sternenfunkelnden Himmel ab. Kulls Augen wanderten über sein einziges Kleidungsstück - ein  Leopardenfell, das er sich um die Hüften geschlungen  hatte. Ein nackter Barbar war er - aber Kulls gletschergraue Augen glitzerten. Kull, der König!  

  Er schlief wieder ein.  

  Am frühen Morgen machten sie sich auf den Weg, zurück zu den Höhlen ihres Stammes. Die Sonne stand  noch nicht sehr hoch, als das blaue Band des breiten  Stromes in Sicht kam und sie sich den Höhlen näherten.  

  »Seht doch!«, schrie Am-ra. »Sie verbrennen jemanden!«

  Ein Scheiterhaufen war vor den Höhlen errichtet,  und ein junges Mädchen darauf an den Brandpfahl gebunden. Die harten Augen der Herumstehenden verrieten kein Mitleid.  

  »Sareeta«, erklärte Khor-nah kalt. »Sie heiratete einen lemurischen Piraten, diese Dirne!«

  »Meine eigene Tochter«, brummte eine Frau mit erbarmungsloser Miene. »Sie brachte Schande über den  Stamm. Nicht länger ist sie mein Fleisch und Blut. Ihr  Gefährte starb. Sie wurde an den Strand gespült, als ein atlantisches Schiff das ihre zerstörte.«  

  Kull betrachtete das Mädchen voll Mitleid. Er konnte  es nicht verstehen - weshalb verdammten diese Leute das arme Ding, nur weil es sich der Liebe zu einem  Feind bekannte, weil es sich ihn zum Manne erwählt  hatte?

  Von all den Augen, die auf die junge Frau gerichtet waren, zeigte nur ein einziges Paar Mitleid - Am-ras.  

  Es ist schwer zu sagen, was Kulls eigenes, unbewegtes Gesicht verriet. Aber die Augen des zum Tod durch Feuer verdammten Mädchens blieben an ihm hängen.  Keine Furcht sprach aus ihnen, doch ein tiefes Flehen. Kulls Blick wanderte zu dem Reisig unter ihren Füßen. Bald würde der Priester, der sie nun mit leiernder Stimme  verfluchte, die brennende Fackel an die dürren Zweige  halten. Kull sah, dass die Frau mit einer schweren Holzkette, wie nur die Atlanter sie anzufertigen wussten, an  den Pfahl gebunden war. Er könnte diese Kette nicht zerbrechen, selbst wenn es ihm gelingen würde, sich einen Weg durch die dichte Menge zu bahnen. Aber ihre Augen flehten.  

  Kull schlug unerwartet und blitzschnell wie eine Kobra zu. Er riss den Dolch hoch und warf ihn. Er traf die Verurteilte direkt ins Herz und schenkte ihr so einen  sofortigen, gnädigen Tod.

  Während die Menschen noch wie vom Donner gerührt standen, wirbelte Kull herum und floh. Katzengleich kletterte er die steile Felswand empor. Noch immer schienen die meisten wie erstarrt. Endlich  spannte ein Mann seinen Bogen und zielte. Gerade schwang sich Kull über den Rand der Steilwand. Die Augen des Schützen verengten sich. Wie aus Versehen stolperte Am-ra gegen seinen Arm. Der Pfeil pfiff weit an seinem Ziel vorbei. Und dann war Kull verschwunden.  

  Er hörte die grimmigen Schreie seiner Stammesbrüder, die ihn verfolgten. Die Blutlust trieb sie an, der Rachedurst, ihn zu töten, weil er gegen ihre grausamen  Sitten verstoßen hatte.

  Doch kein Mann in Atlantis war flinker und geschickter als Kull.

 

  Kull entkommt seinen aufgebrachten Stammesbrüdern, fällt jedoch kurz darauf den Lemuriern in die  Hände. Die nächsten beiden Jahre ist er als Galeerensklave an die Ruderbänke gekettet. Erst dann gelingt  ihm die Flucht. Er schlägt sich nach Valusien durch und haust als Gesetzloser in den Bergen, bis er gefangen genommen und in die Verliese der Goldenen Stadt geworfen wird.  

  Doch das Glück ist mit ihm. Nachdem er seinen Mut als Gladiator in der Arena bewiesen hat, wird er als Soldat in der valusischen Armee aufgenommen und rückt  in kürzester Zeit zum Heerführer auf. Mit Unterstützung von Söldnern und gewisser unzufriedener Elemente in höheren Kreisen streckt Kull die Schwerthand nach  dem Thron aus. Er tötet den tyrannischen König Borna und reißt ihm die Krone vom blutigen Haupt.  

  So ist der Traum des Barbaren wahr geworden: Kull von Atlantis herrscht über das uralte Valusien...  

  Das Königreich der Schatten

 

 

  1. 

 

  Die Trompeten schallten lauter, dem tiefen Brausen der Brandung, dem sanften Grollen der Abendflut an den schimmernden Küsten Valusiens gleich. Die Menschenmenge schrie, Frauen warfen Rosen von den Dächern, als das rhythmische Stampfen der Silberhufe näher kam und die erste gewaltige Reihe in die breite weiße Straße einbog - in jene Prunkstraße, die rund um den Turm des Glanzes führte, dessen goldene Spitze in der Sonne flammte.

  Voran ritten die Trompeter, schlanke Jünglinge in scharlachroter Pracht, die voll Stolz in ihre langen, goldenen Instrumente stießen. Es folgten die Bogenschützen, hochgewachsene Männer aus den Bergen, und hinter ihnen das schwer bewaffnete Fußvolk. Die breiten Schilde klirrten im Takt mit den Schritten, die langen Speere hoben und senkten sich rhythmisch in perfekter Harmonie.

  Hinter dieser eindrucksvollen Schar kam die mächtigste Truppe der Welt: die Roten Reiter. Vom Helm bis zu den Sporen in Rot gerüstet, saßen sie auf rassigen Pferden und ritten stolz einher, den Blick starr geradeaus, scheinbar unbekümmert um das Rufen der Menge. Sie glichen Bronzestatuen, und kein Schwanken ging durch den Wald ihrer aufragenden Speere.

  Dieser stolzen und Respekt einflößenden Garde folgten die bunten Reihen der Söldner, grimmige, wilde Krieger, Männer aus Mu und Kaa-u, aus den Bergen des Ostens und den Inseln des Westens. Auch sie waren mit Speeren bewaffnet, und mächtige Schwerter hingen an ihrer Seite. Etwas Abstand haltend, marschierten in dichter Gruppe die lemurischen Bogenschützen. Dann kam das leichte Fußvolk des Landes, und den Schluß bildeten wiederum Trompeter.

  Ein prächtiger Anblick, ein Anblick, der ein wildes Gefühl des Triumphes aufwallen ließ in der Brust Kulls, des Königs von Valusien. Nicht auf dem Topas-Thron vor dem königlichen Turm des Glanzes saß er, sondern im Sattel eines vollblütigen Hengstes – ein wahrhaftiger Kriegerkönig! Er hob seine mächtigen Arme in Erwiderung des Grußes, als die Parade vorüberzog. Sein Blick überflog die prächtigen Trompeter, haftete etwas länger an den nachfolgenden Soldaten. Seine Augen blitzten auf, als die Roten Reiter vor ihm anhielten, mit Waffengeklirr und dem Schnauben der Pferde, um ihm die Ehrenbezeugung zu erweisen; sie verengten sich ein wenig, als die Söldner defilierten. Sie salutierten niemandem, diese stolzen Krieger. Mit zurückgeworfenen Schultern marschierten sie vorbei und maßen Kull kühn und herausfordernd, aber nicht ohne Anerkennung. Ihre Gesichter waren grimmig, der Blick ihrer Augen wild unter zottigen Mähnen und buschigen Brauen.

  Und Kull gab diesen Blick zurück. Tapferen Männern gestand er vieles zu, und es gab keine mutigeren auf der Welt, selbst nicht unter den wilden Stämmen, die sich

weigerten, ihn anzuerkennen. Aber Kull war zu sehr Barbar, um besondere Zuneigung für sie zu empfinden. Dazu waren die Fehden zwischen ihnen zu zahlreich. Die meisten waren seit endlosen Generationen Feinde von Kulls Volk. Und obgleich der Name Kull nun verflucht war in den Bergen und Tälern seiner Heimat, und obgleich er sich ihr nicht mehr zugehörig fühlte, ließen sich doch die alten Abneigungen nicht so leicht fortwischen. Denn Kull war kein Valusier, sondern ein Atlanter.

  Als die Kampftruppen hinter dem Turm des Glanzes seinem Blick entschwunden waren, gab Kull seinem Pferd die Zügel und machte sich auf den Rückweg zum Palast. Unterwegs besprach er sich mit seinen Heerführern. Mit wenigen Worten betonte er das Wesentlichste: »Die Armee ist ein Schwert«, sagte er. »Ein Schwert, das nicht rosten darf.« So ritten sie durch die Straßen, und Kull schenkte dem Geflüster, das an seine Ohren drang, keine Beachtung.

  »Seht, das ist Kull! Valka! Welch ein König! Und welch ein Mann! Seht seine Arme! Seine Schultern!« 

  Und ein drohendes, finsteres Gemurmel: »Kull! Der verfluchte Thronräuber von den Heideninseln!« 

  »Schande über Valusien - ein Barbar auf dem Thron...« 

  Kull scherte sich nur wenig darum. Mit kraftvoller Hand hatte er nach dem morschen Thron des uralten Valusiens gegriffen, und mit noch kraftvollerer Hand hielt er jetzt das Zepter: ein Mann gegen eine Nation.

  Die Ankunft im Palast beendete die Besprechung. Hier musste Kull das Hofzeremoniell über sich ergehen lassen und die schmeichlerischen Huldigungen der Edlen und ihrer Damen in angemessener Form beantworten. Mit grimmiger Belustigung nahm er diese Zeitvergeudung auf sich. Endlich verabschiedeten sich die Höflinge, und Kull lehnte sich auf dem Hermelinthron zurück, um Regierungsgeschäfte zu überdenken. Doch nicht lange war er dazu in der Lage, denn schon bald trat ein Diener ein und erbat die Erlaubnis des großen Königs, sprechen zu dürfen. Er meldete einen Abgesandten der piktischen Botschaft.

  Kull holte seine Gedanken zurück aus dem kaum übersehbaren Labyrinth valusischer Staatsaffären, wohin sie sich verirrt hatten, und musterte den Pikten mit wenig Freundlichkeit. Der Mann erwiderte den Blick mit unbewegter Miene. Er war ein schmalhüftiger mittelgroßer Krieger, mit breiten Schultern und der dunkelbronzefarbigen Haut seiner Rasse, Furchtlose, unergründliche Augen blickten aus einem scharf geschnittenen Gesicht, das wie eine undurchschaubare Maske wirkte.

  »Das Ratsoberhaupt des Stammes, Ka-nu, die rechte Hand des Königs der Pikten, sendet Grüße und tut kund: Auf dem Fest des aufgehenden Mondes steht ein Thron bereit für Kull, den König der Könige, Edelsten der Edlen, Herrscher von Valusien

  »Gut«, dankte Kull. »Sage Ka-nu, dem Ehrwürdigen, Botschafter der Westinseln, dass der König von Valusien mit ihm Wein trinken wird, wenn der Mond über die Berge von Zalgara zieht.«

  Der Pikte zögerte. »Ich habe eine Botschaft für den König, nicht...« - er deutete verächtlich auf die Diener -  »...für diese Sklaven.«

  Kull befahl ihnen, sich zu entfernen, und behielt den Pikten-Krieger wachsam im Auge.

  Der Bronzehäutige trat näher und sagte leise: »Kommt ohne Begleitung zum Fest heute Abend, Lord König. So lauten die Worte Ka-nus.«

  Des Königs Augen zogen sich zusammen und glänzten so kalt wie grauer Schwertstahl.

  »Ohne Begleitung?«

  »Ohne Begleitung!« wiederholte der Pikte.

  Schweigend starrten sie sich an. Unter der Maske konventioneller Förmlichkeit schwelte die uralte Feindschaft ihrer Stämme. Über ihre Lippen kam die kultivierte Sprache, kamen die höfischen Phrasen einer überzüchteten Rasse, die nicht die ihre war, doch aus ihren Augen funkelten die Urinstinkte des Wilden. Kull mochte der König von Valusien sein, und der Pikte ein Gesandter an seinem Hof, aber hier in der Thronhalle starrten sich zwei Barbaren an, wild und misstrauisch, während die Erinnerung an grimmige Kämpfe und uralte Fehden in ihnen brannte.

  Der König war im Vorteil, und das bereitete ihm ungemeine Freude. Das Kinn auf die Hand gestützt, musterte er den Pikten, der wie eine Bronzestatue vor ihm stand, den Kopf zurückgeworfen, die Augen auf ihn gerichtet.

  Über Kulls Lippen huschte ein spöttisches Lächeln. »Ich soll also kommen - ohne Begleitung!«, fragte er mit drohendem Unterton.

  Des Pikten Augen funkelten gefährlich, doch er schwieg.

  »Wie soll ich wissen, ob dich auch tatsächlich Ka-nu schickt?«

  »Ich habe es gesagt«, kam finster die Antwort.

  »Seit wann spricht ein Pikte die Wahrheit?«, höhnte Kull. Er wusste, dass Pikten die Lüge nicht kannten, aber er wollte den Gesandten reizen.

  »Ich durchschaue Eure Absicht, König«, sagte der Pikte kalt. »Ihr wollt die Wut in mir entfesseln. Bei Valka, Ihr braucht nicht weiter zu gehen! Ich bin ergrimmt genug. Und ich fordere Euch zum Zweikampf mit Speer, Schwert oder Messer, zu Pferd oder unberitten. Seid Ihr König oder ein Mann?«

  Kulls Augen verrieten den Respekt, den ein Krieger ungewollt einem tapferen Feind zollt. Dennoch nahm er die Gelegenheit wahr, seinem Gegner einen weiteren Stich zu versetzen.

  »Ein König lässt sich nicht auf einen Zweikampf mit einem namenlosen Krieger ein«, höhnte er. »Auch tastet der Herrscher von Valusien die Immunität eines Gesandten nicht an. Du magst gehen. Sag Ka-nu, ich werde allein kommen.«

  Mörderische Wut leuchtete aus den Augen des Pikten. Nur mühsam vermochte er sich zu beherrschen. Abrupt wandte er dem König den Rücken und verließ mit hastigen Schritten die Empfangshalle.

  

  Erneut lehnte sich Kull auf dem Hermelinthron zurück

und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Das Ratsoberhaupt der Pikten wünschte also, dass er ohne Begleitung kam. Doch aus welchem Grunde? Hatte er die Absicht, ihn in eine Falle zu locken? Grimmig langte Kull nach seinem Schwert. Unwahrscheinlich. Die Pikten legten viel zu großen Wert auf das Bündnis mit Valusien, als dass sie es alter Stammesfehden wegen aufs Spiel setzen würden. Kull mochte ein atlantischer Krieger sein und dadurch ein Erbfeind der Pikten, er war aber auch König von Valusien, der mächtigste Herrscher aller westlichen Länder.

  Kull grübelte lange über die seltsame Situation nach, die ihn zum Verbündeten alter Feinde und zum Gegner alter Freunde gemacht hatte. Er erhob sich und lief wie ein gefangener Löwe ruhelos in der Halle hin und her.

  Um seine Ambitionen zu befriedigen, hatte er mit den Traditionen gebrochen und die Freundschaft seines Stammes geopfert.

  Und bei Valka, Gott des Meeres und des Landes, er hatte seinen Traum verwirklicht!  

  Er war König von Valusien - ein verfallenes, degeneriertes Valusien zwar, ein Valusien, das vom Glanz vergangener Zeiten zehrte, aber dennoch ein mächtiges Land und das größte der Sieben Reiche. Valusien, Land der Träume, nannten es die Barbaren, und manchmal kam es Kull vor, als lebte er selbst in einem Traum. Fremd waren ihm die Intrigen des Hofes, der Armee und des Volkes. Alles schien ihm wie ein Fest der Verkleidung, wo Männer und Frauen ihre wahren Gedanken und Gefühle hinter einer undurchsichtigen Maske verbargen.

  Die Eroberung des Thrones war einfach gewesen - kühn hatte er die Chance genutzt: ein ausgeklügeltes Komplott mit ehrgeizigen Staatsmännern, die in Ungnade gefallen waren, ein rascher Streich mit dem Schwert, ein Griff nach der Krone am blutigen Haupt des verhassten Tyrannen - und Kull, der ruhelose Abenteurer, der Ausgestoßene aus Atlantis, hatte die schwindelnde Höhe seines Traums erreicht: Er war nun Herrscher von Valusien, König der Könige. Doch er erkannte immer mehr, dass es leichter gewesen war, den Thron zu erobern, als ihn zu halten. Der Pikte hatte alte Erinnerungen an seine ungebundene wilde Jugend in ihm wachgerufen. Und wieder, wie schon oft in den letzten Tagen, überfiel ihn eine nagende Unruhe. Ein Gefühl der Unwirklichkeit ergriff von ihm Besitz. Wer war er, ein gewöhnlicher Mann aus den fernen Bergen und Seen, dass er ein Volk regieren wollte, eine Rasse, in deren Bewusstsein die unbegreifliche Weisheit von

Jahrtausenden schlummerte?

  »Ich bin Kull!«, dröhnte seine Stimme. Wild warf er den Kopf zurück, wie ein Löwe die Mähne. »Ich bin Kull!« 

  Seine raubvogelscharfen Augen strichen über die Halle. Sein Selbstvertrauen kehrte zurück.

  In einem verborgenen Winkel der Halle bewegte sich - kaum zu erkennen - ein Wandbehang.

 

 

  2. 

 

  Der Mond war aufgegangen, und flackernde Fackeln in silbernen Pfannen erhellten den Garten, als Kull sich auf dem Thron niederließ, den Ka-nu, Botschafter der Westinseln, an seinem Tisch hatte bereitstellen lassen.

  Der betagte Pikte, der sehr wenig von der Wildheit seiner Rasse an sich hatte, saß rechts neben Kulls. Hoch an Jahren, war Ka-nu in der Staatskunst wohl erfahren. Er war mit ihr alt und weise geworden. In den Augen, die Kull abschätzend musterten, lag kein Hass; keine alte Stammesfeindschaft trübte sein Urteilsvermögen: Jahrzehntelanger Umgang mit Staatsmännern der zivilisierten Welt hatte den Schleier der Vorurteile weggewischt. Ka-nu fragte nicht: Wer oder was ist dieser Mann? Sondern: Kann ich ihn für meine Zwecke benutzen, und wenn ja - wie? Stammesvoreingenommenheit kannte er nur dann, wenn sie seiner Sache dienlich war.

  Kulls Augen ruhten sinnend auf Ka-nu. Während der Unterhaltung, die von seiner Seite aus sehr einsilbig war, überlegte er, ob die Zivilisation auch ihn einmal so verwandeln wurde wie den Pikten. Denn Ka-nu war beleibt und wirkte kraftlos. Viele Jahre waren vergangen, seit der Botschafter ein Schwert geschwungen hatte. Gewiss, er war alt, aber Kull hatte ältere zuvorderst im Schlachtgetümmel gesehen.

Und die Pikten - waren eine langlebige Rasse.

  Ein Mädchen von großer Schönheit stand hinter Ka-nu und füllte seinen Becher immer wieder. Ka-nu zündete ein Feuerwerk von Späßen und heiteren Bemerkungen, und obgleich Kull Geschwätzigkeit verachtete, ließ er sich doch nichts vom scharfsinnigen Humor des Alten entgehen.

  Piktische Häuptlinge und Staatsmänner nahmen an der Festlichkeit teil. Die Staatsmänner heiter und frei in ihren Äußerungen, die Krieger dagegen förmlich und offensichtlich durch ihre eingefleischte Stammesabneigung gehemmt. Trotzdem beneidete Kull sie um ihre freie, ungezwungene Art, die sich so sehr von den steifen Sitten am valusischen Hof unterschied. Diese Freiheit gab es auch in den noch nicht von der Zivilisation erfassten Lagern der Atlanter.

  Kull zuckte die Schultern. Aber zweifellos hatte Ka-nu Recht, der anscheinend, wo es uralte Traditionen und Vorurteile betraf, vergessen hatte, dass er ein Pikte war. Und er, Kull, würde gut daran tun, ein echter Valusier zu werden.

  Als der Mond endlich den Zenit erreicht hatte, lehnte sich Ka-nu, der genussvoll so viel wie drei seiner Gäste gegessen und getrunken hatte, zufrieden zurück. »Geht nun, Freunde, denn der König und ich möchten uns über Dinge unterhalten, die nicht für die Ohren von Kindern bestimmt sind«, sagte er freundlich. »Ja, auch du, meine Schöne. Aber erst einen Kuss auf deine roten Lippen - so, und nun tanze hinweg, meine Rosenknospe.«

  Ka-nus Augen über dem weißen Bart blinzelten verschmitzt, als er Kull musterte, der steif aufgerichtet, grimmig und kompromisslos neben ihm saß.

  »Ich weiß, was Ihr jetzt denkt, Kul!«, begann der greise Staatsmann plötzlich. »Dass dieser Ka-nu ein unnützer alter Narr ist, der nichts anderes im Kopf hat, als

Wein zu saufen und Weiber zu küssen.«

  Das kam so unerwartet und traf so genau seine Gedanken, dass Kull fast erschrak. Aber er zeigte es nicht.

  Ka-nu gluckste, und sein gewaltiger Bauch hüpfte vor Vergnügen. »Wein ist rot und Frauen sind sanft«, meinte er nachsichtig. »Aber glaube nicht, dass mich das zu beeinflussen vermag.«

  Wieder schüttelte er sich vor Lachen, und Kull wurde unruhig. Es hatte fast den Anschein, als nähme der Alte ihn nicht ernst.

  Ka-nu griff nach dem Weinkrug, füllte seinen Becher und sah Kull fragend an. Doch der schüttelte unwillig den Kopf.

  »Auch gut«, brummte Ka-nu friedfertig. »Nur ein alter Kopf verträgt größere Weinmengen. Ich werde alt, Kull. Warum gönnt ihr jungen Männer mir nicht die Freuden, die sich ein greiser Mann suchen muss? Ja, ich werde alt und kraftlos, ohne Freunde, ohne Freuden.«

  Aber sein Aussehen und seine Art, wie er es sagte, straften seine Worte Lügen. Sein rotes Gesicht strahlte nur so, und seine Augen blitzten vergnügt. Das Weiß seines Bartes passte gar nicht recht dazu. Er sieht so richtig wie ein verschmitzter Kobold aus, dachte Kull beinahe neidvoll. Der alte Gauner hatte alle primitiven Tugenden verloren, die seiner und Kulls Rasse eigen waren, dennoch, oder gerade deswegen, schien er sich seiner alten Tage zu erfreuen.

  »Hört, Kul!«, sagte Ka-nu und sah ihn nachdenklich an. »Ich weiß, es ist selten ratsam, einen jungen Mann zu loben, trotzdem muss ich Euch meine wahren Gedanken offenbaren, will ich Euer Vertrauen gewinnen.«

  »Falls Ihr Euch einbildet, durch Schmeichelei...«

  »Pah, wer spricht von Schmeichelei? Man schmeichelt nur denen, die Schmeichelei nicht als solche erkennen.«

  Ein wacher Glanz war in Ka-nus Augen, ein eisiges Glitzern, das nicht zu seinem trägen Lächeln passte. Er war ein guter Menschenkenner, und er wusste, wollte er bei diesem raubtierhaften Barbaren etwas erreichen, musste er offen sein. Denn wie ein Wolf, der die Falle wittert, wurde er unfehlbar jede Falschheit durchschauen.

  »Es liegt in Eurer Hand, Kul!«, sagte er und wägte jedes Wort noch sorgfältiger, als er es in den Ratsversammlungen der Stämme tat, »der mächtigste aller Könige zu werden und dem längst verblassten Ruhm Valusiens wieder Farbe zu geben. Valusien bedeutet mir nicht viel - obwohl seine Frauen und sein Wein berauschend sind -, außer der Tatsache, dass mit der Macht Valusiens auch die Macht der Pikten wächst. Mehr noch, mit einem Atlanter auf dem Thron, schließt sich vielleicht auch Atlantis dem Bündnis an.«

  Kull lachte bitter. Ka-nu hatte an einer alten Wunde gerührt. »Atlantis hat meinen Namen verdammt, als ich auszog, um Ruhm und Reichtum in den Städten ferner Länder zu finden. Wir - sie - sind uralte Erzfeinde der Sieben Reiche, Feinde der Verbündeten des Reiches, wie Ihr eigentlich wissen solltet.«

  Ka-nu zupfte an seinem Bart. Ein undefinierbares Lächeln spielte um seine Lippen.

  »Gut. Vergesst es. Aber ich weiß, wovon ich rede. Streitigkeiten und Kriege, die ohnehin keinen Sinn haben, werden aussterben. Ich sehe eine Welt des Friedens und des Wohlstands - wo jeder den Nächsten liebt, das absolut Gute. Das alles könnt Ihr erreichen - wenn Ihr am Leben bleibt!«

  »Ho!« Kulls schlanke Hand umspannte den Schwertknauf. Er sprang mit solcher Plötzlichkeit auf, dass Ka-nu, den dynamische Männer begeisterten wie andere edle Pferde, sein altes Blut stürmisch durch die Adern brausen fühlte. Valka, welch ein Krieger! Nerven und Sehnen aus Stahl und Feuer in perfekter Verbindung, der Kampfinstinkt, der erst den gefürchteten Krieger macht. Aber sein leicht spöttischer Ton verriet nichts von seiner Begeisterung. »Ruhig, Kull, Setzt Euch wieder und schaut Euch um. Die Garten sind verlassen, die Stühle leer, von den unseren abgesehen. Ihr werdet doch nicht mich fürchten?«

  Kull sank auf den Thron zurück und blickte sich wachsam um.

  »So erkennt man den Barbaren«, brummte Ka-nu. »Selbst wenn ich Verrat plante, glaubt Ihr denn, dass ich Euch ausgerechnet hier umbringen ließe? Hier, wo der Verdacht sofort auf mich fallen würde?« Er schüttelte den Kopf. »Ihr jungen Krieger habt noch viel zu lernen. Meine Häuptlinge fühlen sich gehemmt, weil Ihr in den Bergen von Atlantis geboren wurdet, und Ihr verachtet mich tief in Eurem Innern, weil ich ein Pikte bin. In Euch sehe ich Kull, den König von Valusien, nicht den tollkühnen Atlanter, den Anführer der Plünderer, die die Westinseln unsicher machten. Und so solltet Ihr in mir nicht den Pikten sehen, sondern den Staatsmann, der zwischen den Völkern steht. Doch zurück zu Euch. Hört mir genau zu! Wenn man Euch morgen erschlüge, wer wurde dann den Thron besteigen?«

  »Kaanuub, der Baron von Blaal.«

  »Stimmt. Ich habe viele Gründe, Abneigung gegen Kaanuub zu hegen, vor allem jedoch, weil er nur eine Marionette ist.«

  »Wie das? Er war mein erbittertster Gegner, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass er andere als seine eigenen Interessen verfolgte.«

  »Die Nacht hat Ohren«, sagte Ka-nu dunkel. »Es gibt Welten in Welten. Aber Ihr könnt mir vertrauen. Und Ihr könnt Brule, dem Speerschleuderer, vertrauen. Hier!« Er zog einen goldenen Armreif aus einem Gewand. Er stellte einen dreifach gewundenen, geflügelten Drachen dar, mit drei Rubinhörnern auf dem Kopf. »Seht ihn Euch genau an. Brule wird ihn an seinem Arm tragen, wenn er morgen Nacht zu Euch kommt. Daran werdet Ihr ihn erkennen. Vertraut Brule, wie Ihr Euch selbst vertraut, und tut, was er Euch sagt. Und als Beweis meines Vertrauens - seht her!«

  Mit der Geschwindigkeit eines schlagenden Habichts riss der Alte etwas aus seinem Umhang hervor, etwas, das ein unheimliches grünes Licht auf die beiden Männer warf, und ließ es sofort wieder verschwinden.

  »Der geraubte Stein!« Kull fuhr zurück. »Das grüne Juwel aus dem Schlangentempel! Valka! Ihr? Und warum zeigt Ihr es mir

  »Um Euer Leben zu retten. Um Euch zu beweisen, dass Ihr mir vertrauen könnt. Wenn ich Euch betrüge, könnt Ihr mir mit gleicher Münze heimzahlen. Ihr habt mich nun in Eurer Hand. Ihr seht, ich kann Euch nicht verraten. Täte ich es, wäre ich auf ein Wort von Euch hin tot.«

  Trotz seiner so ernsten Worte strahlte der alte Gauner über das ganze Gesicht und schien ungemein mit sich zufrieden.

  »Aber warum gebt Ihr Euch in meine Hand?«, fragte Kull überrascht und wusste immer weniger, was er von all dem halten sollte.

  »Das habe ich Euch schon erklärt. Ihr wisst nun, dass ich kein falsches Spiel mit Euch treiben will. Und wenn Euch Brule morgen Nacht besucht, werdet Ihr seinen Rat befolgen, ohne zu befürchten, dass er etwas gegen Euch im Schilde führt. Doch genug. Einer meiner Männer wartet bereits vor dem Garten, um Euch sicher zum Palast zurück zu geleiten.«

  Kull erhob sich. »Aber Ihr habt noch nicht gesagt, worum es eigentlich geht!«

  Ka-nu schüttelte den Kopf, »Wie ungeduldig die Jugend ist!« Mehr denn je erinnerte er in diesem Augenblick an einen mutwilligen Kobold. »Geht jetzt und träumt von Thron und Macht und Königreichen, und lasst mich von edlem Wein und sanften Frauen und duftenden Rosen träumen. Glück auf Eurem Weg, König Kull.«

  Während Kull durch den Garten schritt, blickte er noch einmal zurück und sah Ka-nu mit vergnügter Miene bequem auf seinem Diwan zurückgelehnt – ein mit sich und der Welt zufriedener und Weiser alter Mann.

 

  Ein berittener Krieger wartete außerhalb der Gartenmauer auf den König. Kull war etwas überrascht, in ihm den Gesandten Ka-nus wiederzuerkennen, der die

Einladung gebracht hatte. Kein Wort fiel, weder als Kull das Pferd bestieg, noch während des Rittes durch die leeren Straßen.

  Die bunten Farben und die Fröhlichkeit des Tages hatten der gespenstischen Stille der Nacht Platz gemacht. Im Schein des silbernen Mondes wurde das ehrwürdige Alter der Stadt noch deutlicher. Die gewaltigen Säulen der Villen und Paläste reckten sich hoch zu den Sternen empor. Die breiten Treppen, still und verlassen, schienen in den Himmel zu wachsen. Stufen zu den Sternen, kam es Kull in den Sinn. Seine Phantasie war beflügelt von der seltsamen, grandiosen Szenerie.

  Klapp, klapp, hämmerten die Silberhufe auf den mondlichtbleichen Straßen. Das Alter der Stadt und ihre Geschichte, die weiter zurückreichte, als die Gelehrten zu berichten wussten, drückten Kull nieder. Ihm schien, als lachten ihn die großen schweigsamen Gebäude aus, als beschwerten sie sich lautlos über ihn. Welche Geheimnisse sie wohl bergen mochten?

  »Du bist jung«, flüsterten die Paläste. »Wir aber - sind alt. Die Welt war wild und ungestüm. als man uns erbaute. Du und dein Stamm, ihr werdet vergehen, aber wir sind unbezwingbar, unzerstörbar. Wir hielten Wacht über eine fremde Welt, lange bevor Atlantis und Lemuria sich aus dem Meer erhoben. Und wir werden noch stehen, wenn die grünen Wasser tief und ruhelos über die Türme von Lemuria und die Felsen von Atlantis wogen und die Westinseln die Gebirge einer neuen Welt bilden werden. Wie viele Könige sahen wir durch diese Straßen reiten, ehe Kull von Atlantis ein Gedanke wurde im Gehirn Kas, des Vogels der Schöpfung! Reite nur, Kull von Atlantis. Größere werden dir folgen. Größere gab es vor dir. Sie sind Staub, sie sind vergessen. Wir aber stehen. Wir wissen, wir sind. Reite weiter, Kull von Atlantis, Kull, der König, Kull, der Narr

  Und es schien Kull, als trommelten die Hufe in stetem Rhythmus immer die gleichen höhnenden Worte in die Nacht hinaus: Kull-der-König! Kull-der-Narr! Scheine, Mond! Dein bleiches Licht weist einem König den Weg. Leuchtet, Sterne! Ihr seid die Fackeln im Zug eines Herrschers. Pocht, Silberhufe! Ihr verkündet, dass Kull durch Valusien reitet. Wach auf, Valusien! Es ist Kull, der durch die Nacht trabt. Kull, der König! 

  »Wir haben viele Könige gekannt«, murmelten die stillen Hallen Valusiens.

  Über solchen Gedanken brütend, erreichte Kull den Palast, wo ihn seine Leibwächter erwarteten, Männer der Roten Reiter, um die Zügel seines Pferdes zu nehmen und ihn zu seinen Gemächern zu geleiten.

  Der schweigsame, finstere Pikte riss mit einem Ruck sein Ross herum und verschwand wie ein Phantom in der Nacht. Kulls noch immer erregte Phantasie sah in ihm einen Geisterreiter, dessen Erscheinen von Unheil kündet.