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Nr. 2918

 

Die Psi-Verheißung

 

Ein Bhal wendet sich an die Tefroder – sein Angebot klingt unwiderstehlich

 

Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Begegnung mit dem Fremden

2. Spaziergänge im Wald

3. Das Mädchen und der Zauberer

4. Unverhofftes Wiedersehen

5. Das Ende eines Lebens

Stellaris 59

Vorwort

»Die Arkonidin und die Echse« von Ruben Wickenhäuser

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Wir schreiben das Jahr 1551 NGZ, gut dreitausend Jahre vom 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung entfernt. Nach großen Umwälzungen in der Milchstraße haben sich die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sternenreichen beruhigt; im Großen und Ganzen herrscht Frieden.

Vor allem die von Menschen bewohnten Planeten und Monde streben eine positive Zukunft an. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Trotz aller Spannungen, die nach wie vor bestehen: Perry Rhodans Vision, die Galaxis in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, scheint sich langsam zu verwirklichen. Man knüpft sogar vermehrt Kontakte zu anderen Galaxien. Gegenwärtig befindet sich Rhodan selbst im Goldenen Reich der Thoogondu, die ebenfalls eine Beziehung zur Milchstraße aufbauen wollen.

In der Milchstraße hingegen werden die Gemeni aktiv. Sie geben sich selbst als Gesandte einer Superintelligenz aus und wollen die verwaiste Mächtigkeitsballung von ES beschützen. Die Gemeni bieten den Völkern der Milchstraße Geschenke an, die wahrhaft atemberaubend sind. Eines davon geht an die Tefroder und verspricht DIE PSI-VERHEISSUNG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Die Maske des Unsterblichen fällt.

Toio Zindher – Sie muss gleichzeitig loyale Tefroderin, Bulls treue Frau und eine sorgende Mutter sein.

Icho Tolot – Der Haluter will sein »Kleines« nicht verlieren.

Ainberid – Der Bhal von SHINAE unterbreitet ein verlockendes Angebot.

Shinae – Ihre Wünsche sollen ernst genommen werden.

1.

Begegnung mit dem Fremden

 

Der Wind wehte von Kamaluc landeinwärts Richtung Norden. Mit sich trug er den Geruch nach Meer, Fäulnis und Verzweiflung.

Gut, das mit der Verzweiflung bildete ich mir wahrscheinlich nur ein. Aber wie sonst sollten sich die wenigen verbliebenen Bewohner der großen Küstenstadt und deren Vororte fühlen?

»Gibt es etwas Neues, Reginald?«

Toio trat neben mich an das hüfthohe Geländer der Aussichtsplattform auf dem höchsten Turm des verlassenen Klosters. Von dieser Stelle hatten früher gewiss die einstigen Bewohner, Mitglieder einer Hanen-Sekte, über die Wälder und das Land bis zum Ozean geschaut. Vielleicht hatten sie die Ruhe genossen und über ihr Schicksal meditiert, das sie auf der Suche nach Schutz vor ihrer Regierung auf die Gipfel der Hügel geführt hatte.

Der achtzig Meter hohe Turm bildete das Zentrum eines Pentagons, dessen Ecken mit fünf weiteren, niedrigeren Türmen besetzt waren. Oder vier, wenn man nur die zählte, die noch standen ...

Ich fragte mich, ob die Hanen den Hauptturm bereits schief gebaut hatten oder ob er sich erst durch den Einsturz des Nordturms geneigt hatte. Vermutlich Letzteres.

Also nicht gerade der sicherste Unterschlupf, den wir uns ausgesucht hatten. Da der Zugang zur Stadt Allerorten aber nun einmal in diesem Bauwerk lag, war er die logische Wahl für unser Versteck. Außerdem: So viel Pech, dass auch der Hauptturm ausgerechnet innerhalb der nächsten Tage einstürzte, hatten wir bestimmt nicht. Recht viel länger würde unsere Zukunft auf dem Planeten Krynn ohnehin nicht dauern.

Falls uns eine vernünftige Idee kam, wie wir alle zusammen verschwinden konnten.

Noch einmal ließ ich den Blick über die in der Abendsonne funkelnde Kulisse der Stadt Kamaluc wandern. Sie lag beinahe neunzig Kilometer entfernt, doch von unserer erhöhten Position erkannten wir deutlich die Raumschiffe, die darüber schwebten. Sie spuckten kleine Beiboote aus, die über den Gebäuden wimmelten, ihre Kreise zogen oder irgendwo landeten, während andere gerade starteten und zu den Mutterschiffen zurückkehrten. Sie wirkten wie ein Schwarm Insekten über einer vergammelnden Frucht.

»Alles unverändert«, sagte ich.

Toio gab ein ersticktes Ächzen von sich. »Was für ein Gestank hier oben!«

»Die glorreichen Folgen der Evakuierung.«

Ich verabscheute diesen technischen, distanzierten, beinahe freundlich klingenden Ausdruck, der völlig verschleierte, welche schrecklichen Schicksale er beschrieb. Ich dachte an all das Leid, an all die Tränen, die sich hinter dem Wort versteckten.

Bis auf die umherwuselnden Schiffe sah ich zwar nichts von der hektischen Betriebsamkeit, die nicht nur in Kamaluc, sondern überall auf Krynn herrschte, trotzdem konnte ich sie mir lebhaft vorstellen.

Landwirte ließen die nur teilweise eingebrachte Haroggen-Ernte auf den Äckern liegen, wo die kopfgroßen, hellroten Erdknollen innerhalb eines Tages verfaulten und diesen allgegenwärtigen, penetrant süßlichen Geruch verströmten. Erntemaschinen standen verlassen auf den Feldern. Werkzeuge lagen achtlos im Dreck.

Familien verloren ihre Heimat, den Großteil ihres Hab und Guts, ihre Wurzeln. Sie wandten sich von einem Leben ab, zu dem sie wahrscheinlich nie zurückkehren würden.

Kinder weinten vor Angst, weil sie nicht begriffen, was vor sich ging und warum die Soldaten und Roboter sie in die Beiboote und von dort in die Rettungsschiffe trieben, wo sie zusammengepfercht ausharren mussten, bis sie in ein Zwischenlager kamen.

Eltern standen unter Schock, waren abwechselnd reizbar, lethargisch oder verzweifelt, weil sie es nur zu gut begriffen.

Und das alles wegen dieses sonderbaren Raumschiffs, das einige Kilometer außerhalb von Kamaluc über den Feldern schwebte wie ein monströses, tiefblaues liegendes Ei.

»Wenn du mich fragst«, sagte ich, »übertreibt der Tamaron damit, den gesamten Planeten räumen zu lassen. Das Schiff ist seit einigen Tagen nicht mehr gewachsen.«

Toio sah mich von der Seite an, und ich glaubte, ihren bösen Blick zu spüren. »Der Maghan weiß sehr genau, was er tut.«

Ja, er zerstört die Leben von Millionen Tefrodern wegen einer Gefahr, die so groß nicht zu sein scheint. Und darüber hinaus ruiniert er unsere Tarnexistenz. Ich sprach es nicht aus.

Wenn es um Vetris-Molaud ging, ließ ich mich mit meiner Frau besser auf keine Diskussion ein. Mir kam der Begriff Tamaron schon schwer über die Lippen, wie der offizielle Titel des Regierungschefs im Neuen Tamanium lautete. Niemals jedoch würde ich ihn bei der inoffiziellen Bezeichnung Maghan nennen, mit der die Tefroder ihm gegenüber ihren besonderen Respekt zum Ausdruck brachten. Für mich blieb Maghan der Titel der Meister der Insel. Und größere Verbrecher hatte ich kaum jemals kennengelernt.

Daran änderte auch nichts, dass ich seit zwei Jahren vorgab, ein Tefroder zu sein. Im Gegensatz zu Toio verehrte ich Vetris-Molaud nicht.

Alles andere als das.

»Lass uns reingehen!«, sagte sie. »Der Gestank ist nicht zu ertragen. Außerdem kommt Shinae sicher bald zurück.«

Unsere Tochter war mit Icho Tolot im Wald unterwegs. Kein ungefährlicher Ort mit den von Unterholz und Gestrüpp verborgenen Felsspalten, gefährlichen Tieren und vielleicht auch unverhofft auftauchenden Soldaten, doch ich wusste Shinae bei dem Haluter in Sicherheit. Gleich nach ihrer Geburt hatte Icho sie als »sein Kleines« bezeichnet und damit gewissermaßen adoptiert. Keinesfalls würde er zulassen, dass ihr etwas zustieß.

Trotzdem behagte es uns nicht, dass sie in einem unbeobachteten Moment auf der schrägen, nur durch ein lächerliches Geländer gesicherten Aussichtsplattform herumstromern könnte. Deshalb gingen wir selbst nur hinaus, wenn sie nicht in der Nähe war.

Seit einigen Tagen benutzten wir die oberste Ebene des Turms nun als Unterschlupf.

Einerseits bot sie den besten Blick über die Umgebung. Der Wald, das Kloster, etwas abseits die Hallen und Sektoren der Mechanischen Stadt und die Gebäude der Wohnstadt – all das lag uns zu Füßen.

Andererseits befand sich in der mittleren Turmebene, also nur vierzig Meter unter uns, der Eingang zur Breviatur. Falls alle Stricke rissen, konnten wir über sie vor anrückenden Soldaten in die Stadt Allerorten fliehen. Wenn es dabei nur nicht dieses klitzekleine Problem gäbe ...

»Komm schon!«, holte mich Toios Stimme aus den Gedanken.

Wir gingen ins Innere des Turms. Ich verschloss die zweiflügelige Tür aus einem trüb-transparenten Kunststoff und verbarg die Welt hinter einem nebelhaften Schleier. Jene Welt, auf der wir bis vor wenigen Tagen unter falschen Namen ein neues Leben geführt hatten. Ich als Lorn-Rootar, der Allesmonteur, und meine Frau Toio Zindher als Sanja Boghul.

Zwei Jahre in einer schlichten, aber wohltuenden Existenz, in denen wir nicht befürchten mussten, dass Toio als fahnenflüchtige Verräterin angeklagt wurde. Zwei Jahre, in denen ich kaum einen Gedanken an eine Rückkehr nach Terra verschwendet hatte. Oder daran, welche Wirkung mein chaotarchisch umgeprägter Zellaktivator auf die Psyche zeigte.

Zwei Jahre, in denen wir einfach nur in der Milchstraße lebten.

Bis das ovoide Raumschiff auf dieser Welt heranwuchs, von Samengröße zu diesem Monstrum am Horizont.

Bis tefrodische Soldaten anrückten und ich mit meiner Familie vorsichtshalber aus dem Haus floh, um ihnen nicht in die Hände zu fallen.

»Wie konnte unser Leben nur innerhalb kürzester Zeit so aus den Fugen geraten?«, fragte ich.

»Uns war immer klar, dass es eines Tages so weit kommen würde.«

»Aber nicht eines so frühen Tages. Wie soll man einem siebenjährigen Mädchen erklären, dass es nicht mehr nach Hause gehen kann? Dass es vorläufig keine Pfannkuchen mit Smertbeermarmelade mehr geben wird? Dass ...«

»Hör auf!«, sagte Toio. »Du tust gerade so, als würden wir schon ewig auf Krynn wohnen und nicht erst seit zwei Jahren. Außerdem: Unterschätz unsere Tochter nicht. Sie ist reif genug, um das alles zu verstehen. Ich glaube, sie sieht in der Situation im Augenblick eher ein Abenteuer.«

Ich sparte mir eine Antwort und setzte mich auf einen der hochlehnigen Stühle, die wir neben einigen gestapelten Klapppritschen, leeren, ungeordnet durcheinanderstehenden Regalen und drei ovalen Tischen in der obersten Ebene des Turms gefunden hatten. Womöglich hatte der Raum den Hanen früher als Lager oder Werkstatt gedient. Groß genug war er. Immerhin nahm er die gesamte obere Turmebene ein, durchmaß also gut 25 Meter.

Inzwischen standen und lagen auch einige Dinge herum, die uns Icho aus seiner Höhle zur Verfügung gestellt hatte oder die aus den Ruinen der Wohnstadt und der Mechanischen Stadt stammten. Drohnen, Sonden, Steuerelemente, Wasserfiltrationskuben, Kabelstränge und ähnlicher technischer Krimskrams. Das meiste war defekt, aber wozu hatte ich mir als Allesmonteur einen gewissen Ruf erworben?

Wohnlich machte die Ansammlung von Technoschrott unseren Unterschlupf keineswegs. Wozu auch? Allzu lange würden wir nicht bleiben.

Der mobile Trivid-Projektor zeigte gerade die Nachrichten des kontinentalen Senders Wissen und Informationen, sofern man die vom Sorgfaltsministerium des Neuen Tamaniums gefilterten Inhalte so nennen durfte. Szenen der Evakuierung von überall auf dem Planeten, unterlegt von einer leisen Stimme, die die Organisation lobte und die Notwendigkeit der Räumung unterstrich. Gelegentlich kamen Flüchtlinge zu Wort, die sich mit strahlenden Gesichtern bei den Soldaten bedankten, dass sie sie vor der drohenden Gefahr retteten, und die den Maghan für seine Weitsicht rühmten.

Schon klar.

Ich schüttelte den Kopf.

Erneut wechselte das Bild und zeigte etwas, das ich eben mit eigenen Augen gesehen hatte: das geheimnisvolle blaue Schiff. Den Spross SHINAE.

Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, warum er ausgerechnet diesen Namen trug. Den Namen meiner Tochter.

Sicherlich, sie hatte das damals noch winzige Schiff gefunden, war sogar irgendwie von ihm gestochen worden. Aber woher wusste der Kommandant, wie sie hieß? Hatte er uns aus der Miniatur heraus belauscht, während der Spross noch in Shinaes Zimmer auf einem Regalbord gelegen hatte? War womöglich auch die Besatzung des blauen Eies erst herangewachsen?

Eine weitere Frage fiel mir ein und ließ mich frösteln. Hatten wir uns in Anwesenheit des so unscheinbaren Miniraumschiffs bei den echten Namen genannt? Ich wusste es nicht mehr, konnte es mir aber durchaus vorstellen. Und falls wir es getan hatten: Bedeutete das das Ende unserer Tarnidentitäten?

Deutlich erinnerte ich mich an die Stimme, die sich vor drei Tagen über Funk gemeldet hatte – vermutlich überall auf dem Planeten oder sogar darüber hinaus.

»Wir sind die Gemeni«, hatte sie gesagt. »Wir kommen in Frieden und im Auftrag GESHODS. Wir errichten eine Schutzzone über der verwaisten Mächtigkeitsballung. Mit dem Spross SHINAE pflanzen wir im Gosenasystem das zweite Pacische Rhizom.«

Seither herrschte Ruhe. Das Schiff war nicht weiter gewachsen. Sämtliche Fragen blieben unbeantwortet. Wer war GESHOD? Worum handelte es sich bei einem Pacischen Rhizom? Und weshalb war es das zweite? Gab es bereits zuvor eines in der verwaisten Mächtigkeitsballung und falls ja, ebenfalls in der Milchstraße oder in einer anderen Galaxis der Lokalem Gruppe? Andromeda? Hangay? Magellan? Wie viele weitere würden folgen?

Die Nachrichten schwiegen sich über solche Fragen aus. Entweder wusste wirklich niemand etwas – oder der Bevölkerung wurde dieses Wissen vorenthalten. Was ich für wahrscheinlicher hielt.

Die einzige öffentliche Reaktion des Neuen Tamaniums bestand darin, dass der Tamaron die Evakuierung anordnete. Fünf Tage setzte er als Frist, um jeden einzelnen Bewohner von Krynn mit Rettungsschiffen wegzubringen. Den Planeten aus eigener Kraft zu verlassen, hatte die Evakuierungsleitung der Bevölkerung aus organisatorischen Gründen untersagt.

Von wegen organisatorische Gründe. Ich war mir gewiss, dass es in Wirklichkeit um Überwachung ging. Darum, nicht gesondert überprüfen zu müssen, ob jemand, der nicht an Bord eines Rettungsschiffs registriert war, Krynn tatsächlich verlassen hatte, anstatt einfach zu bleiben.

Noch zwei Tage bis zum Ende der Frist, dann würden wir feststellen, ob unsere Abwesenheit auffiel.

Plötzlich erlosch das Holobild der Nachrichten. Stattdessen erschien das eines vage humanoiden Wesens, das dennoch pflanzlich auf mich wirkte. Vermutlich wegen der blättrig wirkenden Haut und dem wie ein Baumstamm strukturierten Hals.

Ich richtete mich auf dem Stuhl auf. »Toio!«, rief ich. »Sieh dir das an! Das ist nie und nimmer eine offizielle Sendung.«

Anstatt einer Nase und eines horizontalen Mundes durchzog eine vertikale Fuge das blauviolette Gesicht. Die übereinanderstehenden, lidlosen Augenpaare links und rechts des Spalts schienen mich direkt anzuschauen. Mich – und nur mich.

Ich vermutete jedoch, dass dieses Gefühl jeden überkam, der die Sendung sah.

»Wer ist das?«, fragte Toio, die sich neben meinen Stuhl stellte.

»Niemand, den ich kenne.« Trotzdem hegte ich eine gewisse Vermutung.

Der Kopf des Fremden ging in einen pilzförmigen Aufsatz mit mehreren Auswüchsen über, die an Schneckenfühler erinnerten. Ich konnte nicht beurteilen, ob es sich um einen Helm handelte oder ob die Wölbung einen Teil des Schädels darstellte. Der Körper des Wesens steckte in einem eigenwilligen Gewand, einer Mischung aus Mantel, Umhang und Panzer von ähnlich blauvioletter Färbung wie die Haut.

»Ich heiße Ainberid«, sagte er mit leiser Stimme. »Ich bin der Bhal des Sprosses SHINAE.«

Ich hatte es geahnt. Der Bhal – vermutlich der Kommandant – des Schiffs, das den Namen unserer Tochter trug.

Toio legte ihre Hand auf meine, und ich bemerkte, wie fest ich die Stuhllehne umklammerte.

»Wie ich bereits in meiner ersten Botschaft sagte, sind wir gekommen, um eine Schutzzone zu errichten. Wir bedeuten für euch keinerlei Gefahr. Es gibt keinen Grund, vor uns zu fliehen oder uns mit Aggressivität zu begegnen.«

Ich bezweifelte, dass diese Zusicherung Vetris-Molaud dazu bringen würde zu sagen: »Oh, wenn das so ist, blasen wir die Evakuierung ab.«

»Um euch von unseren guten Absichten zu überzeugen, öffnen wir den Spross SHINAE für euch. Mehr noch: Wir werden euch beschenken. Mittels Psi-Implantator sollen all jene, die es wünschen und die sich als geeignet und würdig erweisen, Paragaben erhalten.«

 

*

 

Ich starrte das Trivid noch an, als es längst wieder Nachrichten zeigte. Niemand in der Sendung verlor ein Wort darüber, was gerade geschehen war.

Toio setzte sich auf einen Stuhl neben mir. »Glaubst du, man kann ihm vertrauen?«

»Dem Bhal? Schwer zu sagen. Auf Terra gab es eine Redewendung aus einem altertümlichen Epos. Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen. Sie geht zurück auf das Trojanische Pferd, das ...« Ich winkte ab. »Egal. Auf jeden Fall sagt sie aus, dass man unerwarteten Präsenten mit einer gewissen Skepsis begegnen sollte.«

»Selbst solchen Geschenken?«

Ich lächelte. »Besonders solchen Geschenken.«

»Hast du nie von einer Parabegabung geträumt?«

»Als Kind nach der Lektüre von Superheldencomics womöglich. Aber ansonsten?« Ich dachte kurz nach. Noch immer wusste ich nicht, wie sich die Neuprägung meines Zellaktivators langfristig auf mich auswirkte und ob ich mich nicht eines Tages in einen bösartigen, chaotarchischen Schurken verwandelte. Das wäre bereits schlimm genug. Aber ein bösartiger Schurke mit Paragaben? »Nein, das ist nichts für mich.«

»Für dich vielleicht nicht.«

Ich wusste genau, worauf Toio anspielte. Schon lange hoffte sie, die Vitaltelepathin, dass Shinae etwas von ihrer Begabung geerbt haben könnte, obwohl sich bisher nichts dergleichen bei ihr gezeigt hatte. Wie verlockend musste da das Angebot der Gemeni auf sie wirken?

Eine Paragabe für unsere Tochter ...

»Außerdem hat ihr Geschenk auch einen offensichtlichen Haken«, sagte ich. »Nur wer sich als geeignet und würdig erweist, erhält es. Und wer entscheidet darüber? Selbstverständlich die Gemeni – nach Maßstäben, von denen wir derzeit nicht einmal etwas ahnen können. Ainberid hat es nicht für nötig gehalten, das näher zu erläutern.«

Oder den Tefrodern war es gelungen, die offensichtlich von dem Bhal gekaperte Trivid-Frequenz zurückzuerobern und ihm damit das Wort abzuschneiden. Wie auch immer: Uns fehlten Informationen, um einem solchen Angebot guten Gewissens zu vertrauen.

»Du übersiehst etwas, Lorn-Rootar«, sprach sie mich bei meinem Tarnnamen an.

»Nämlich?«

»Dass wir im Augenblick auf Krynn festsitzen. Ein Evakuierungsschiff zu benutzen, scheidet aus, wenn wir nicht auffliegen wollen. Mit viel Glück bemerken sie nicht, dass wir zurückgeblieben sind. Aber dass wir anschließend auf einem raumhafenlosen Kontinent eines verhältnismäßig rückständigen Planeten ein überlichtfähiges Raumfahrzeug finden, ist eher unwahrscheinlich. Die Gemeni könnten eine Fahrkarte von Krynn darstellen. Vielleicht sogar die einzige.«

»Uns bleibt der Weg über Allerorten«, widersprach ich, obwohl ich es besser wusste.

»Mach dir nichts vor!«

Ich seufzte. Toio hatte recht. Unser Passepartout, die Zugangsberechtigung nach Allerorten, war erloschen. Lediglich das von Shinae galt noch. Sie durfte jedoch maximal zwei Personen mitnehmen. Dummerweise gab es mit Toio, Icho Tolot und mir drei potenzielle Begleiter. Wenn wir niemanden zurücklassen wollten, schied dieser Weg folglich aus.

Das galt auch für die Variante, den Zurückbleibenden während eines zweiten Durchgangs nachzuholen, denn das Netz der Aus- und Übergänge zu den über zahlreiche Galaxien verstreuten Stadtteilen war so stark beschädigt, dass sich der Endpunkt nicht mehr voraussagen ließ. Wenn Shinae also nach Krynn zurückkehren wollte, um beispielsweise Tolot nachzuholen, landete sie wahrscheinlich woanders. Und selbst falls sie Krynn durch einen wahnwitzigen Zufall doch wieder erreichte, barg der nächste Übergang die neuerliche Gefahr, an einem unbekannten Ort im Universum zu stranden.

Mathematischer ausgedrückt: Die Wahrscheinlichkeit, von A nach B, zurück nach A und dann erneut nach B zu wechseln, ohne versehentlich bei einem anderen Buchstaben in einem Alphabet mit unzähligen Möglichkeiten zu landen, lag nahezu bei null.

Trotzdem fiel es mir schwer, ausgerechnet den Spross als Ausweg aus dem Dilemma anzusehen.

»Vielleicht hast du recht«, gestand ich ein. »Aber die Gemeni können ihr Schiff noch so weit öffnen – solange es ein Sicherheitskordon aus tefrodischen Soldaten und Robotern umgibt, kommen wir dort nicht hin. Wir sollten ...«

Das Kombiarmband, mit dem ich Kontakt zu Icho Tolot hielt, meldete sich. »Wir sind zurück«, ertönte die Stimme des Haluters. Im Hintergrund hörte ich Shinaes leises, glockenhelles Lachen.

»Wir kommen runter«, antwortete ich – erleichtert, vorerst nicht weiter über das Angebot der Gemeni nachdenken zu müssen.

Der Turm verfügte zwar über zwei Antigravschächte, allerdings funktionierte keiner. Also mussten wir eines der Treppenhäuser benutzen, die die Schächte spiralförmig umgaben.

Kaum traten wir unten ins Freie, stürmte uns Shinae zwischen den pflanzenüberwucherten Bruchstücken des eingestürzten Turms entgegen. Sie hielt einen Stoffbeutel am ausgestreckten Arm, der hin und her pendelte. »Mama, Papa! Wir haben ganz viele Beeren gefunden. Davon können wir Smertbeermarmelade kochen.«

»Sind denn Smertbeeren dabei?«, fragte Toio.

»Nein. Aber so grünliche Dinger mit einem lustigen Haarflaum.«

»Dann könnte es schwierig werden mit Smertbeermarmelade.«

»Hm«, machte Shinae, schaute einen Augenblick nachdenklich und strahlte sofort wieder. »Icho hat ganz allein einen riesigen Felsbrocken aufgefuttert! Stellt euch das mal vor.«

»Ich hatte Hunger«, sagte der Haluter mit etwas, das er vermutlich für eine leise, verlegene Stimme hielt. Dann lachte er sein dröhnendes Lachen.

Shinae pressten die Hände auf die Ohren, stimmte aber ein. Offenbar war es dem riesenhaften Wesen gelungen, sie etwas aufzumuntern.

»Gibt es weitere Neuigkeiten?«, fragte ich. »Habt ihr Soldaten im Wald gesehen? Oder Roboter?«

»Nein«, krähte Shinae. »Aber eine Herde Borstenstampfer.«

Ich schauderte. Borstenstampfer war Shinaes Bezeichnung für Grocas, grundsätzlich übellaunige, wildschweinartige Tiere mit langen, spitzen Hauern und acht massiven Beinen, die alles niedertrampelten, was sich ihnen in den Weg stellte. Vielleicht mit Ausnahme eines Haluters.

»Keine Sorge«, sagte Icho. Er deutete zu dem sattelähnlichen Sitz auf seiner Schulter, den er eigens für Shinae angefertigt hatte. »Sie sind ihr nicht zu nahe gekommen.«

Die Kleine lief zu Toio und präsentierte stolz den Inhalt des Stoffbeutels.

»Lasst es euch schmecken«, sagte der Haluter. »Ich ziehe mich zurück in meine Höhle.«

Icho hielt sich nicht gerne mit uns oben im Turm auf. Ihm war klar – und er hatte sich auch damit einverstanden erklärt –, dass er derjenige war, der bei einer potenziellen Flucht nach Allerorten zurückbleiben würde. Deshalb sah er das Gebäude als Falle an.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich.

»Ich mache mir nur Gedanken. Wegen meines Artgenossen. Wegen seiner Krankheit.«

»Befürchtest du, dich angesteckt zu haben?« Nachdem vor drei Wochen ein Haluterschiff über Krynn abgeschossen worden war und sich eines der Besatzungsmitglieder namens Fagur Ord als Amok laufende Bestie erwiesen hatte, war es bei dem Kampf zwischen ihm und Icho Tolot zwangsläufig zu engem Kontakt gekommen. Ord war schließlich gestorben, weil sein Körper eine vermutlich unfreiwillige Strukturumwandlung durchmachte, aus der er sich nicht mehr befreien konnte. Er war in die Unumkehrbarkeit gestürzt, wie er es selbst formuliert hatte.

Seitdem machte ich mir Sorgen um meinen Freund. Zu allem Überfluss waren bei dem Kampf auch unsere Kombistrahler zerstört worden.

»Nein«, sagte er. »Aber ich hätte die Leiche gerne untersucht, um mehr herauszufinden.«

»Schlecht möglich«, erwiderte ich. »Nachdem die Tefroder sie gleich an sich gebracht und auf eines ihrer Schiffe abtransportiert haben.«

»Trotzdem würde ich mir die Sache gerne ansehen. Doch obwohl ich seit Tagen darüber nachdenke, ist mir nichts eingefallen, wie ich das bewerkstelligen soll.«

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Illustration: Swen Papenbrock

»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich wünschte, ich könnte mit einem Geistesblitz dienen, aber ...«