RONALD M. HAHN

 

 

Die Zukunft von gestern

 

 

 

SF- und Horror-Erzählungen

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

Die Zivilisation, wie wir sie kennen (mit Thomas Ziegler) 

Als Arthur Lanthrop den Arsch voll kriegte (mit Andreas Decker) 

Die Privilegierten (mit Thomas Ziegler) 

Geschöpfe der Finsternis (als Mark Rogan) 

Begegnung in der Nacht (mit Jörg Kaegelmann) 

Der Tag vor dem Ende der Welt (als L.D. Palmer) 

Notstand (mit Andreas Decker) 

Patient mit Dachschaden (als Daniel Monroe) 

Der große Ölkrieg (als Manfred Herlitzen – mit Hans Joachim Alpers) 

Selbstverpflegung (als Daniel Monroe) 

Kontaktversuch 

Die Heldentaten des Luke Smith (als L.D. Palmer) 

Der Tag der Rache (als Daniel Monroe) 

Nachwort 

Quellenangaben 

 

 

Ist die Zukunft von gestern die Gegenwart von heute?

Die Zukunft von gestern vereinigt 13 unter Pseudonym oder mit wechselnden Ko-Autoren entstandene Science-Fiction- und Horrorgeschichten des mehrfachen Kurd- Lasswitz-Preisträgers Ronald M. Hahn, darunter Die Zivilisation, wie wir sie kennen und Die Privilegierten (mit Thomas Ziegler), Begegnung in der Nacht (mit Jörg Kaegelmann) sowie Der große Ölkrieg (mit Hans Joachim Alpers).

 

 

Ronald M. Hahn, Jahrgang 1948.

Schriftsteller, Übersetzer, Literaturagent, Journalist, Herausgeber, Lektor, Redakteur von Zeitschriften.

Bekannt ist Ronald M. Hahn für die Herausgabe der SF-Magazine Science Fiction-Times (1972) und Nova (2002, mit Michael K. Iwoleit) sowie als Autor von Romanen/Kurzgeschichten/Erzählungen in den Bereichen Science Fiction, Krimi und Abenteuer.

Herausragend sind das (mit Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs und Wolfgang Jeschke verfasste) Lexikon der Science Fiction-Literatur (1980/1987), die Standard-Werke Lexikon des Science Fiction-Films (1984/1998, mit Volker Jansen), Lexikon des Horror-Films (1985, mit Volker Jansen) und das Lexikon des Fantasy-Films (1986, mit Volker Jansen und Norbert Stresau).

Für das Lexikon der Fantasy-Literatur (2005, mit Hans-Joachim Alpers und Werner Fuchs) wurde er im Jahr 2005 mit dem Deutschen Fantasy-Preis ausgezeichnet. Insgesamt sechsmal erhielt Hahn darüber hinaus den Kurd-Laßwitz-Preis – dem renommiertesten deutschen SF-Preis - , u.a. für die beste Kurzgeschichte (Auf dem großen Strom, 1981) und als bester Übersetzer (für John Clute: Science Fiction – Eine illustrierte Enzyklopädie, 1997).

Weitere Werke sind u.a. die Kurzgeschichten-Sammlungen Ein Dutzend H-Bomben (1983), Inmitten der großen Leere (1984) und Auf dem großen Strom (1986) sowie – als Übersetzer – der Dune-Zyklus von Frank Herbert.

Ronald M. Hahn lebt und arbeitet in Wuppertal. 

(mit Thomas Ziegler)

 

Als die abgerissenen Gestalten mit den verschwitzten Haaren und den geröteten Pustelgesichtern sich zum Angriff auf die Stacheldraht-Umzäunung formierten, düsten über den kahlen Baumwipfeln des Nordwaldes auch schon die Kampfhelikopter heran.

Tränengas-Granaten wurden abgeworfen, die am Boden zerplatzten und ätzende, weiße Wolken freigaben. Die Demonstranten gerieten zwar zeitweilig ins Stocken, doch sie ließen sich nicht beirren. Ihre Logistik schien bestens zu funktionieren, denn sie trugen ausnahmslos ABC-Schutzmasken. Zu Hunderten rückten sie gegen die gefährlich aussehende Umzäunung vor und ließen lange Seile durch die Luft schwirren, an deren Enden sich metallene Enterhaken befanden. Mehrere der Haken verfingen sich in den starken Zaunmaschen, doch nun rückten von der anderen Seite Wasserwerfer an. Sie verspritzten eine ätzende Brühe, die sich durch jeden Kleiderstoff fraß und einen unerträglichen Juckreiz verursachte. Die Demonstranten wichen langsam zurück.

»Das muss man sich nur mal ansehen!«, sagte Philip O. T. Nasemann wutentbrannt, während er sich in einem vollelektronischen, autoformenden Servosessel räkelte. Mit einem Auge beobachtete er das lautlose Herannahen des Elektrokeepers, mit dem anderen musterte er das Geschehen auf dem 3D-Schirm des HoloTV. »Man stelle sich nur vor, dass das lächerliche zehn Kilometer von uns entfernt geschieht!«

»Es ist eine Schande«, bekräftigte Werner Wulf Wondraschek, ein Mann, den man sich selbst im Swimming Pool nur im maßgeschneiderten Nadelstreifanzug vorstellen konnte. Wie Nasemann gehörte auch er zum Leitenden Management der Ruhrstrom AG. Mit einem zustimmenden Zungenschnalzen ließ er sich vom Elektrokeeper einen neuen Whisky Made in Scotland einschenken. »Haben diese Laffen eigentlich nichts anderes zu tun?«, fragte er greinend. »Das können doch nur Tagediebe und Studenten sein! Anständige Menschen...« – er warf einen Blick auf seine Rolex – »müssten doch um diese Zeit noch an ihrem Arbeitsplatz sein, finden Sie nicht auch?«

Philip O. T. Nasemann nickte. »Genau!«

Der Elektrokeeper war ein waschpulverkartongroßer Kasten auf vier kleinen Rädern im Metallic-Look, mit einem elastischen Arm und einer Antenne für den drahtlosen Empfang von Mikrowellenenergie. Nachdem er auch Philip O. T. Nasemann versorgt hatte, kehrte er lautlos in sein Ruhefach unter der erleuchteten Bar zurück, um auf weitere Anweisungen zu warten.

»Es ist halt eine alte Branchen-Binse«, klagte Philip O.T. Nasemann und ließ per Knopfdruck die Oberfläche seiner Rückenlehne elastisch werden, »dass sich die Strolche in zu langen Friedensperioden wie die Ratten vermehren. – Arbeiten will ja heutzutage überhaupt keiner mehr. Die wollen alle nur noch studieren.«

Obwohl es im weiträumigen Wohnzimmer des Hohensteißbeinschen Besitzes ziemlich warm war, fröstelte er plötzlich. Der Servosessel fing an, ihm summend den Rücken zu massieren. »Und wenn sie dann keinen Job kriegen«, fuhr Philip O.T. Nasemann fort, »lungern sie auf der Straße herum und hetzen die Leute auf.«

»Es ist eine Schande«, wiederholte W.W. Wondraschek und nippte an seinem Whisky. »Was wir hier vor uns sehen, ist die Revolte der Zukurzgekommenen; der Aufstand der Neidhammel; die Rebellion der Einfaltspinsel.«

»Wie wahr, wie wahr«, sagte Philip O.T. Nasemann.

Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen. Die raffinierte Beleuchtung des Hohensteißbeinschen Parks schaltete sich ein. Mildes Licht fiel durch die Fensterwand des Wohnzimmers, das von der Klimaanlage wohltemperiert und von einem elektrischen Atmo-Cleaner mit zartem Rosenduft versehen wurde.

»Zigarre?«, wandte sich Philip O.T. Nasemann an seinen Kollegen, ohne das HoloTV aus den Augen zu lassen. In dem stetig glühenden, quadratischen Kraftfeld, das die Polizei-Projektorengerade errichtet hatte, wirkten die Demonstranten wie ziellos umher huschende graue Mäuse.

»Oh, gern.«

Nasemann grunzte. »Ich verstehe nicht, was dieses Lumpenpack überhaupt, davon hat! Wenn sie keinen Strom haben wollen, sollen sie ihre Curry-Würste doch über einem Lagerfeuer rösten! Es zwingt sie doch niemand. Strom von uns zu beziehen. Sollen sie ihre verlausten Buden doch mit Kerzen beleuchten.« Er lachte plötzlich. »Ich frage mich, was diese Radaubrüder wohl sagen würden, wenn die Bundesbahn keinen Strom mehr hätte, um sie in Sonderzügen heranzukarren.«

»Eben!«, bekräftigte W. W. Wondraschek zustimmend. »Aber vielleicht hätten sie es lieber, wenn man die Bahn wieder mit Kohle antreiben würde, wie in den fünfziger Jahren.«

»Und sowas nennt sich progressiv.« Philip O.T. Nasemann schüttelte angewidert den Kopf. »Rückschrittlich sind die! Reaktionär! Die wollen ein neues Mittelalter!«

»Es ist eine Schande«, bekräftigte W.W. Wondraschek Philip O.T. Nasemanns Ausführungen.

Philip O. T. Nasemann betätigte den Impulsgeber seines Servosessels. Aus einer Nische löste sich die flache Gestalt des Zigarromaten und rollte auf Wondraschek zu. Vor dessen Sessel angekommen, klappte er sein Oberteil auf. Leise symphonische Musik erklang.

Helles Licht beleuchtete die zwei Dutzend Zigarrensorten in dem mit Samt ausgelegten Behälter.

Wondraschek machte »Ah!« Dann griff er mit spitzen Fingern nach einer dicken Brasil. Der Zigarromat versorgte ihn mit Feuer und rollte dann auf Philip O.T. Nasemann zu.

Als W.W. Wondraschek in den Park hinausblickte, stellte er fest, dass Alfred Ludewig zu Hohensteißbein, ihr allseits verehrter Chef, soeben den beheizten, ausgeleuchteten Swimming Pool verließ und seinen voluminösen Bauch unter den Heißlufttrockner neben der Sauna und dem vollautomatisierten Fitnessraum schob. Alfred Ludewig zu Hohensteißbein war ein wenig gesäßlastig, was daher kam, dass er den größten Teil seines Lebens einer sitzenden Tätigkeit widmete. Aber er war ein guter Chef, und ein großzügiger dazu. Die Köstlichkeiten, mit denen er seine unmittelbaren Untergebenen bewirtete, kosteten in diesen unruhigen Zeiten Unsummen.

»Man sollte mit einer Eisenfaust dazwischen hauen«, ließ sich Philip O.T. Nasemann vernehmen und blies ein hellblaues Rauchwölkchen in die Luft. Die Klimaanlage summte; sogleich wurde der Qualm abgesaugt, damit die teuren Vorhänge nicht litten. »Man müsste mal richtig dreinschlagen«, wiederholte Philip O.T. Nasemann und deutete mit seinem wurstigen rechten Zeigefinger auf den Bildschirm des HoloTV. Die Demonstranten standen jetzt Rücken an Rücken und wehrten sich mit Knüppeln, Flaschen und Steinen gegen den von allen Seiten her anrückenden Polizeikordon. Die Uniformierten trugen Schutzanzüge. Ihnen tränten die Augen nicht.

»Es ist eine Affenschande!«, murmelte Wondraschek und wünschte sich insgeheim das Drei-Klassen-Wahlrecht zurück. Mit einem Knopfdruck rief er den Elektrokeeper herbei.

Inzwischen ließ sich Alfred Ludewig zu Hohensteißbein von einer strombetriebenen, jedoch völlig menschlich wirkenden Androidenzofe massieren, deren Körperformen der Filmschauspielerin Jayne Mansfield nachempfunden waren. Nachdem sie sein Blut wieder einigermaßen in Wallung gebracht hatte, kniff Alfred Ludewig zu Hohensteißbein ihr ins Hinterteil, und sie verpasste ihm noch eine lokale Spezialmassage, die er wohlig grunzend über sich ergehen ließ.

Anschließend betrat er das Förderband, dessen Plastiküberzug sich harmonisch in den Rasenteppich einfügte, und warf einen Blick auf den Sternenhimmel, von dem leider nicht allzu viel zu sehen war: Momentan lastete dichter Smog über der Landschaft. Wahrscheinlich würde er sich erst in ein paar Tagen wieder heben. Nur gut, dachte Alfred Ludewig zu Hohensteißbein, dass wir diese elende Scheiße nicht einatmen müssen. Er musterte voller Stolz das käseglockenartige Energiefeld, das seinen blühenden Besitz umschloss. Hier drin war die Atemluft sauber.

Nachdem die Fotozelle an der Tür seiner Villa ihn identifiziert hatte, betrat er das Innere des Hauses. Ein weiteres Förderband transportierte ihn ins Wohnzimmer, wo Philip O.T. Nasemann und W.W. Wondraschek es sich seit geraumer Zeit gemütlich gemacht hatten.

»Nun, meine Herren?«, fragte Hohensteißbein. »Amüsieren Sie sich ordentlich?«

»Sehr ordentlich«, erwiderte Nasemann und prostete seinem Chef zu. »Sie haben hier ein vorzügliches Tröpfchen, muss ich schon sagen.«

»Ein ganz vorzügliches Tröpfchen«, bekräftigte auch Wondraschek. Er sah dem Elektrokeeper nach und leckte sich genüsslich die Lippen.

»Der Whisky ist dreiunddreißig Jahre alt«, erklärte Hohensteißbein. Er trat an den Hausterminal, über den sämtliche Funktionen der Villa und die umfangreichen elektronischen Sicherheitsvorrichtungen des Anwesens gesteuert wurden. Dort, wo die Parkbeleuchtung den Schatten einer hohen Hecke Platz machte, funkelte es hin und wieder bläulich auf, wenn sich ein Insekt in das für menschliche Augen nicht wahrnehmbare Maschengewirr des Energieschirms verirrt hatte.

Hohensteißbein rief ein Programm ab.

»Oho!«, meinte er dann mit gespitzten Lippen. »In fünf Minuten ist die Automatenküche mit dem Dinner fertig. Ich schlage vor, wir lassen uns die Mahlzeit von den Androidenkellnern im Grünen Salon servieren. So haben wir Gelegenheit, die Laser-Show auf der Terrasse zu verfolgen.«

Nasemann und Wondraschek nickten zustimmend und murmelten Artigkeiten. Ihr Chef war wirklich ein Mann von Welt. Er tat alles, um seinen Gästen etwas zu bieten.

»Und anschließend«, fuhr Hohensteißbein triumphierend fort und fuhr sich lüstern mit der Zunge über die Lippen, »ziehen wir uns in meinen Orgien-Pavillon zurück und genießen den lauen Sommerabend in der Gesellschaft meiner allseits verwendungsfähigen Androiden-Damen. Was halten Sie davon?«

»Au ja«, sagte Nasemann.

»Au ja«, sagte Wondraschek.

Die Androiden-Damen Alfred Ludewig zu Hohensteißbeins genossen nämlich einen geradezu legendären Ruf. Sie waren japanische Produkte und auf jede vorstellbare Ferkelei programmiert. Dass sie pro Stunde etwa soviel Energie verbrauchten wie eine Kleinstadt in einer Woche, bezeugte nur, wie großzügig ihr Gastgeber war. Es galt als unerhörtes Privileg, wenn man von Hohensteißbein in seinen Orgien-Pavillon eingeladen wurde.

Als Alfred Ludewigs Blick auf das HoloTV fiel, bildete sich jedoch eine steile Falte auf seiner Stirn. »Sind diese Spinner etwa immer noch zugange?«, fragte er erstaunt. »Also, die haben ja eine Ausdauer!«

»Ins Arbeitslager sollte man die schicken«, sagte Wondraschek. »Wer arbeitet, hat auch keine Zeit zum Unruhestiften. Aber Arbeit ist für dieses Gesindel ja sowieso ein Fremdwort. Die geben doch sogar ihre Sozialhilfe noch für Flugblätter aus!«

»Tsk, tsk«, machte Hohensteißbein verständnislos. »Dass die nach all dieser Zeit noch immer keine Ruhe geben! Dabei ist die Sache mit Tschernobyl doch schon achtzehn Jahre her.«

»Eben!«, ließ sich Nasemann vernehmen. »Die tun gerade so, als würde sie das was angehen. Dabei sind bei diesem Störfall doch bloß paartausend Russen verseucht worden.«

Hohensteißbein schaltete achselzuckend die Klimaanlage etwas höher und fragte desinteressiert: »Ist das Gebiet um Kiew herum eigentlich schon wieder bewohnbar?«

Nasemann schüttelte den Kopf. »Nein. Aber das tut den Russen ja eh nicht weh. Bei dem riesigen Land, das sie haben – was sind da schon lumpige siebenhundert Quadratkilometer?«

Man sah dem HoloTV noch eine Weile zu. Als der letzte Demonstrant am Boden lag, erhoben sich die Männer aus ihren Servosesseln. Aus dem Lautsprecher der Interkom-Anlage ertönte jetzt ein leiser Gong, dem die wohlmodulierte Stimme des Hauscomputers mit der Meldung folgte, das Dinner sei angerichtet.

»Kommen Sie, meine Herren«, sagte Alfred Ludewig zu Hohensteißbein freudig, »das Essen ist fertig.«

Als sie ihm zur Wohnzimmertür folgten, sagte Philip O.T. Nasemann: »Diese elenden Spinner! Diese Phantasten! Die wollen doch tatsächlich, dass wir alle Kernkraftwerke abschalten! Wenn die je an die Macht kommen sollten... Also, ich wage nicht, mir das vorzustellen. – Wenn die an die Macht kommen, bricht unsere ganze Zivilisation zusammen.«

»Essen wir erst einmal«, sagte Alfred Ludewig zu Hohensteißbein. »Und später, wenn wir uns die Wampe voll gehauen haben, gehen wir in den Pavillon und vergessen diese ganze Scheiße.« Er kicherte. »Stoppt alle Kernkraftwerke! - Die haben sie doch nicht alle.« Er zwinkerte Philip O.T. Nasemann und W.W. Wondraschek zu. »Meine Androiden-Damen werden Sie dieses Geseire schnellstens vergessen lassen.«

Als sie hinausgingen, sagte W.W. Wondraschek: »Nasemann hat völlig Recht. Wenn die je an die Macht kommen... Es wäre wirklich das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen!«

In seiner Nische unter der Bar wartete still und unbeweglich der Elektrokeeper und lud seine Speicher mit neuer Energie auf. Denn er musste die Eiswürfel in seinem Bauch und sich selbst stets bereithalten – für den Fall, dass der nächste Impuls ihn erreichte und die Zivilisation nach einem Whisky oder einem Mixgetränk verlangte.

(mit Andreas Decker)

 

[1] Finstere Wolken dräuten über dem kleinen Tal. Die Luft würde sich bald entladen. Ein Käuzchen schrie. Irgendwo in der Ferne grunzte ein Wildschwein. Ein Köter heulte den Mond an. In der Scheuer des Bauern Morgenroth kreischte eine geile Katze. Ahörnchen und Behörnchen saßen auf ihrem Wohnbaum und knackten ein Nüsslein. Wölfi, der Sohn des Huberbauern, lag mit der Taschenlampe unter der Bettdecke und las Unternehmen Walhalla von Edmond Hamilton. Förster Pölzig reinigte am Kamin sein Gewehr und pfiff leise »Marina, Marina« vor sich hin. Seine Gattin Prunella bereitete das Abendbrot zu.

Im Dörfchen Tannenholz gingen früh die Lichter aus. Hier ging man früh zu Bett und stand mit den Hühnern auf.

 

[2] Nur in dem unheimlichen Haus auf dem Pratzenstein brannte noch Licht. Von dort oben, das wusste nicht nur Wölfi, sondern auch Förster Pölzig, konnte man das ganze Tal überblicken.

Ja! Und genau das tat Arthur Lanthrop!

Er hockte mit finsterer Miene am Fenster, fletschte die Stirn, runzelte die Zähne und ließ seinen hasserfüllten Blick über das friedliche Dörflein wandern. So wie die finsteren Wolken über dem kleinen Tal dräuten, dräuten in Arthurs Geist rabenschwarze Gedanken. Denn Arthur verachtete die Menschen. Er hatte sie schon immer verachtet. Damals, in der Untertertia, als er in der Pause neben Tommy Zubbel auf dem Klo gestanden und erkannt hatte, dass er es mit seinem Piephahn bei den Mädchen nicht weit bringen würde, war ihm schlagartig bewusst geworden:

 

ICH,

ARTHUR LANTHROP,

BIN ANDERS ALS DIE ANDEREN!

 

Fortan hatte er nach dieser Maxime gelebt und den Rest der Menschheit mit Verachtung gestraft.

Nichtsnutziges Kakerlakengezücht, dachte er, als sein Blick über die rot gedeckten Häuser von Tannenholz wanderte. Armseliges Lumpenpack. Ihr seid nur Eitergeschwüre auf dem Angesicht dieses Planeten. Die Menschen dieser Welt sind die arschlöchrigsten Parasiten des Universums. Der Blitz soll euch alle beim Scheißen treffen! 

Oh, Mann, Arthur war wirklich ein fieser Kerl. Menschen waren für ihn nur gierige Schmarotzer und dummes Gewürm. Kerbtierchen. Einzeller. Sie hatten ja keine Ahnung von den wirklichen Mysterien des Kosmos.

Arthur selbst war freilich auch nicht sonderlich beliebt. Schon als Kind hatten die Dörfler den Knaben gemieden, der sich nun, nach jahrzehntelanger Abwesenheit, in einen alten Kauz verwandelt hatte und im dem unheimlichen Haus auf dem Pratzenstein lebte. Keiner wusste, wo Arthur seit 1922 gewesen war. Man munkelte von der Fremdenlegion, aber genaues wusste keiner. Aber schien wohlhabend zu sein, denn er hatte das Haus des alten Loisl gekauft, nachdem Förster Pölzig diesen beim Wildern erlegt hatte. Ob Arthur eine Pension bezog, wusste niemand. Der Postbote wusste nur zu berichten, dass er allwöchentlich dicke Pakete aus Wörlham bekam, die so schwer waren, dass er Bücher in ihnen vermutete. Arthur war ein Eremit, er hielt keinerlei Kontakte.

Aber Arthur war nicht immer Eremit gewesen, oh nein!

Was niemand wusste: Er war ein weit gereister Mann. Er hatte sich durch die Dschungel des Amazonas geschlagen und gefürchtete Stämmen ausgeforscht, die unaussprechlichen, schrecklichen, barbarischen Kulten anhingen. Er hatte im tiefsten Afrika halb versunkene Städte aufgesucht, deren Erbauer längst im Dunkel der Zeit verschollen waren. Er hatte den Vermächtnissen aller Sekten nachgespürt, die abscheulichen Dämonen gehuldigt hatten – damals, als die Erde noch jung gewesen war: Er hatte auch nach dem Vermächtnis der ekligen Dämonengöttin Ra-Ta-Ta gesucht!

Und er war fündig geworden! In den muffigen Kellern der unterirdischen Stadt Azbul hatte er nach zähem Ringen die legendäre Schriftrolle gefunden, die den Hauptteil des magischen Buches Kytzelmytz enthielt – das gesamte verbotene Wissen, das jeden geistig gesunden Menschen sofort in den Wahnsinn getrieben hätte.

Aber dies hatte Arthur nicht gereicht. Er wollte mehr! Er wollte Macht! Macht über die kakerlakoiden Parasiten, die sich Menschen nannten und ihn in seiner Jugend wegen seines kleinen Piephahns permanent verhöhnt hatten. Macht über die Kreaturen, die sich für die Herren der Erde hielten, aber nicht mal wussten, dass sie nur Flöhe am Arsch des Universums waren und sich mit dem zufrieden gaben, was die studierten Fachidioten ihnen als wissenschaftliche Erkenntnisse verkauften.

Nee, dachte Arthur, aber nicht mit mir! Ich will mehr! Ich will die Unsterblichkeit! 

Und er war bereit, für dieses Ziel einiges zu opfern. Selbst wenn es seine Seele war.

 

[3] Nach unzähligen waghalsigen Expeditionen in die feuchten und finsteren Grüfte der geheimen Bibliotheken des Vatikans und der Deutschen Bank war er schließlich auf die wichtigste Information seines Lebens gestoßen: Die Lösung aller Rätsel befand sich im Haus eines gewissen Ochsensepp, der im 17. Jahrhundert ausgerechnet in seinem Heimatdorf Tannenholz gelebt hatte. Auch der Ochsensepp war ein eifrig Suchender gewesen. Und er hatte ebenfalls etwas gefunden: Einen mysteriösen schwarzen Monolithen, tief unter der Erde, auf dem Pratzenstein, in einer Höhle unter seinem Haus: Tor in eine andere Welt.

Der Monolith war der Sammelpunkt der Energien aller kosmischen Kräfte. Magische Energien – unsichtbar für alle Messgeräte, doch unsagbar mächtig. Und wo war Arthur nach über dreißig Jahren nach Tannenholz zurückgekehrt, hatte das fragliche Haus erworben und den verschütteten Zugang zu der besagten Höhle gefunden. Er hatte lange experimentiert, doch heute war es endlich soweit!

Die Sterne standen günstig. Heute wollte er das Dimensionstor aufstoßen und den Terror auf die Welt holen. Er würde ihn kommandieren, das stand ihm zu. Er wollte sich an allen rächen, die ihm Übles angetan hatten: Lehrer Lämpel, der ihm in Deutsch immer eine sechs gegeben hatte; Maurermeister Möppel, der ihn in der Lehrzeit ewig an den Ohren gezogen hatte; Bärbel Beckmann, die ihm bei seinem Versuch, ihre Möpse zu streicheln, auf die Finger geklopft hatte; Hauptmann Hastig, der ihn beim Militär wegen seiner langen Ohren getriezt hatte; Kaufmann Kunz, bei dem er nie hatte anschreiben dürfen; den Vorstand der Raiffeisenbank, der ihm den Kleinkredit zur Anschaffung eines Messerschmidt-Kabinenrollers verwehrt hatte...

 

[4] »Har, har!« Arthur lachte. Er blickte ein letztes Mal ins Tal hinunter und schwang triumphierend die Fäuste. Denen würde er es schon zeigen. Dann ging er ins Schlafzimmer und zog sich um. Kurz darauf öffnete er, nur mit einer Kutte bekleidet, die Kellertür.

Ein Mief, der jeden normalen Menschen sofort umgeworfen hätte, strömte ihm entgegen. Arthur störte sich nicht daran. Er war Mief gewöhnt, denn in seinem Haus roch es auch nicht viel besser. Er zündete ein Öllämpchen an und ging über die morschen Stufen vorsichtig nach unten. Der Schein seines Lämpchens enthüllte ein modriges Loch. Nun sah man, wie alt das Häuschen wirklich war, das der Ochsensepp um 1689 gebaut hatte.

Arthur schritt durch einen schmalen Gang, dann blieb er stehen. Vor ihm lag ein Eisenring auf dem Boden. Er stellte das Lämpchen ab und hob den Ring mit beiden Händen an.

Ächz.

Schnauf.

Keuch.

Die Falltür öffnete sich. Arthur drang in die Tiefe vor. Scharen von Kellerasseln und Tausendfüßlern stoben in alle Richtungen davon. Bei jeder Bewegungen, die er machte, knisterte die Luft. Sein Haar richtete sich steil auf. (Das war vielleicht ein Anblick!) Er durchquerte den Gang, bis die Decke höher wurde und er in der Höhle stand.

Der mysteriöse Monolith ragte vor ihm auf. Er war schwarz wie die Hölle und wirkte wie poliert.

Arthur setzte sich hin und kratzte magische Zeichen in den Boden: Zeichen, die sogar Eingeweihte mit Abscheu und namenloser Furcht erfüllt hätten. Er konzentrierte sich und verbannte jeden störenden Gedanken aus seinem Kopf. Dann sprach er die uralten Formeln einer längst vergessenen Sprache. Sie stammten aus dem Buch Kytzelmytz. Triumph beseelte ihn, als er sah, dass der Monolith seine Farbe änderte. Er wurde rot. BLUTROT!

Arthur lachte. »Har! Har!«

Energien, seit Unzeiten in ständigem Fluss, wurden angehalten und sammelten sich.

Arthur würde das Tor zur anderen Dimension mit der gespeicherten Energie sprengen.

 

[5] Der alte Dämon Argl-Urgl raste seit Äonen durch die eisige Kälte und die endlose Einsamkeit des Weltraums. Er war der Überbringer des Bösen und brachte die Pest – jedem nach seiner Fasson. Sein Alter kannte er nicht; er hatte schon immer existiert. Ein Schwarzer Priester des geborstenen Planeten Xantilon hatte ihn nach Äonen aus seinem todesähnlichen Schlaf geweckt. Zum Dank hatte Argl-Urgl das Grauen über seine Welt gebracht. Doch dann hatte er aus Versehen die Göttin des Üblen herausgefordert – und leider verloren! Ra-Ta-Ta hatte ihn ins All geschleudert. Seither raste er mit ungeheurem Tempo durch die Ewigkeit.

Nun näherte sich die Bestie der Erde.

Das Verderben passierte den Pluto!

 

[6] Die Luft in der Höhle wurde wärmer. Dampf waberte in der Luft. Der Monolith pulsierte im Rhythmus von Arthurs Herzschlag. Sein magisch geschulter Geist staute weiterhin die Energien. Langsam verdichtete sich das Potential. Kräfte bauten sich auf, die ausgereicht hätten, eine Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Arthurs Gesicht war in Schweiß gebadet. Die Anstrengung zehrte an seiner Substanz, doch er gab nicht auf.

Gleich hatte er es geschafft.

Gleich würde er das Tor aufstoßen.

 

[7] Argl-Urgl tastete sich am Energiestrahl entlang. Vor ihm, in der Schwärze des Alls, befand sich die blaue Erdkugel. Er tauchte wie ein Meteorit in die Atmosphäre ein, und die Reibungshitze stimulierte seinen Faaqlqurz so sehr, dass er vor Geilheit jubilierte. Er war ein unbeschreibliches Ding mit langen, erwartungsvoll ausgestreckten Tentakeln. Sein ekliger, unförmiger Schlund öffnete sich sabbernd. Er würde furchtbare Rache nehmen!

Argl-Urgl raste dem Dörflein Tannenholz entgegen – und verbreitete die Aura des Wahnsinns.

 

[8] Prunella Pölzig war schon immer feinfühlig gewesen. Als ihre Schwester gestorben war, hatte sie es in der gleichen Sekunde gewusst. Ein furchtbarer Schmerz hatte sie ergriffen, und sie war bewusstlos zu Boden gestürzt.

Auch heute Abend war sie unruhig gewesen. Etwas lag in der Luft. Sie spürte es in ihrem Sülzknie. Den ganzen Tag hatten Kopfschmerzen sie gequält, und so war sie früh zu Bett gegangen. Nun wachte sie schlagartig auf. Ihr Kopf schien zu platzen. Sie kriegte kaum Luft. Keuch. Japs. Keuch.

Luft, sie brauchte frische Luft!

Sie rappelte sich mühsam auf und wankte zum Fenster. Ihr Kopf dröhnte furchtbar. Sie öffnete das Fenster, stieß es auf und saugte gierig die kühle Nachtluft ein. Ihr Förstergatte lag schnarchend in seinem Bett und schlief den Schlaf des Selbstgerechten. LUUUUFT! Prunella rang nach Atem. Aber es half nichts. Es wurde schlimmer. Vor ihren Augen schien alles zu verschwimmen.

Ein Brausen war in der Luft. Prunella hob den Kopf. Am Himmel sauste etwas Glühendes vorbei. Eine Sternschnuppe?

Dann wich der Schmerz. Prunella atmete erleichtert auf. In der nächsten Sekunde schlug der Irrsinn mit dem Hammer zu. Sie schrie sie auf, ihr Bewusstsein war von Chaos und Grauen erfüllt. Sie blickte in die Tiefen der Hölle. Dann versagte ihr Körper, und sie brach zusammen.

Argl-Urgl zog weiter. Der Wahnsinn wich von Prunella; ihr Haar war schneeweiß geworden.

 

[9] Das Tal lag vor ihm. Argl-Urgl hielt unbeirrbar auf das Haus auf dem Pratzenstein zu. Gewaltige Energien zogen ihn an. Er ging vor Freude pfeifend auf dem Haus nieder und krachte wie eine Granate durch das Dach. Die Trümmer flogen umher, das alte Gemäuer fiel wie ein Kartenhaus zusammen.

Argl-Urgl bohrte sich mit unglaublicher Kraft in die Erde.

 

[10] Die Höhle war ein Hexenkessel. Die Wände schmolzen; jeder geistig gesunde Mensch hätte längst aufgegeben. Aber nicht Arthur Lanthrop. Er saß ganz ruhig da und hielt die Energie des Kosmos unter geistiger Kontrolle. Hurrah! Er suhlte sich in der Gewissheit seines Sieges! Auf seiner Seite war die geballte Kraft, auf der anderen die Barriere. Gleich würde er die gebändigten Kräfte gegen das Tor schleudern und es sprengen. Unaussprechliches Grauen würde sich über die Erde hinabsenken...

Jetzt! Doch als Arthur losschlagen wollte, überstürzten sich die Ereignisse. Die Decke platzte auf. Erde und Gestein prasselten auf ihn nieder. Ein amorphes Ding klatschte auf den Monolithen und packte Arthur mit Fangarmen, um ihn zu verschlingen.

Sakra! dachte Arthur. Er erwachte schlagartig aus der Trance, doch als er sich mit Händen und Füßen gegen die Fangarme wehrte, die im Begriff waren, ihn in ein sehr unästhetisches, von Millionen spitzer Zähne bewehrtes Maul zu ziehen, verlor er die Kontrolle über die aufgestaute Energie. Sie prallte gegen das Dimensionstor und wurde ohne seinen leitenden Willen zurückgeschleudert. Die geballte Kraft prallte gegen Argl-Urgls Faaqlqurz, was ihm saumäßig wehtat, und ehe er sich umsah, schleuderte sie ihn ins All zurück.

Doch die Energien bewirkten noch etwas anderes: Als Argl-Urgl Arthur verschlang, starb dieser keinesfalls! Zwar lösten seine Magensäfte Arthurs ohnehin schon recht betagten Körper auf, doch sein Geist verschmolz mit dem des Monsters. Im ersten Moment wusste Arthur nicht, wie ihm geschah, doch dann erblickte durch die tausend Augen seines grauenhaften Wirtes die unter ihm in der Schwärze des Alls verschwindende Erde.

Hätte er Augen gehabt, wären sie ihm in diesem Moment gewiss aus den Höhlen gequollen, aber natürlich steuerte nicht er, sondern Argl-Urgl seine Muskeln, und so musste er sich mit einem stummen Schrei begnügen.

Argl-Urgl war es völlig schnuppe, dass sein Inneres nun von einem Menschengeist bewohnt wurde. Und so raste er, den körperlosen Arthur in sich, durch die endlosen Weiten des Kosmos.

Arthur hatte seine Unsterblichkeit.

Für alle Ewigkeit.

 

[11] Am nächsten Tag fanden die Dorfbewohner die Trümmer des alten Gemäuers, in dem der alte Kauz gewohnt hatte. Höhle und Keller waren verschüttet. Bald hieß es, es an Arthurs letztem Wohnort spuke es. War er etwa ein Hexer gewesen? Die nun weißhaarige Prunella Pölzig war zu jedem Eid bereit. Manche Leute sahen in der Nacht seltsame Lichter über dem Trümmerfeld. Man mied den Ort.

Natürlich ahnten die braven Bürger nicht, dass ihre Angst unbegründet war: Sie wussten nichts von Schnittpunkten kosmischer Energien und Toren zu anderen Welten.

Nee, nee. In ihrer kleinen Welt hatten auch Göttinnen wie Ra-Ta-Ta keinen Platz. Sie glaubten an den Papst in Rom. Und das ist gut so. Hoffentlich wird es immer so bleiben.

(mit Thomas Ziegler)

 

Konrad Kindler saß auf der Terrasse unter dem Baldachin der bunten Hollywoodschaukel, ließ sich die Südsee-Sonne auf den Pelz brennen, nippte genüsslich an seinem Wodka und schlug sich lachend aufs Knie, weil Benny Hill, der gerade über den Fernsehschirm tobte, ein Feuerwerk seiner Gags losließ.

Soeben hatte er – »versehentlich« natürlich – einer knackigen, vollbusigen Brünetten das Mini-Röckchen vom Leib gerissen. Nun stand die Kleine an einer Londoner Bushaltestelle, musste sich den angewiderten Blicken spießig aussehender Geschäftsleute mit Bowler und Regenschirm aussetzen und bedeckte ihre wohlgeformten Blößen panisch mit den viel zu kleinen Händen.

»Mann, ist das komisch!«, sagte Konrad. Er hatte diesen Sketch zwar schon x-mal gesehen, aber er fand ihn immer noch lustig. Er fand es auch lustig, wenn jemandem eine Sahnetorte ins Gesicht flog, und wenn irgendein fetter Kerl auf einer Bananenschale ausrutschte, konnte er sich ausschütten vor Lachen. Sein Gattin Erika konnte Benny Hill und seinen Scherzen freilich weniger abgewinnen: Sie lag, nicht weit von ihm entfernt, auf einer dicken Schaumgummimatratze und blinzelte träge zum Pool hinunter. Das Wasser des Pools war glasklar und blau. An der flachen Randzone plantschten die beiden Kinder und ließen kleine Plastikboote und eine Gummiente auf dem sanften Wellengekräusel schaukeln.

Die Luft roch nach Harz, Salz und trockenem Laub, und aus dem nahen Wald kam das Rauschen des leisen Windes, der sich im Geäst verfangen hatte. Der Pool war von Palmen umgeben, die sich leicht in der Brise bogen.

»Sie haben den Verkauf von bayerischem Rindfleisch verboten«, rief Konrad seiner Frau zu, als die Sendezentrale den britischen Komiker abwürgte und Satellitennachrichten aus der Bundesrepublik übertrug. Er leerte sein Glas und tastete nach der halbvollen Wodkaflasche. »Zu hohe Barbituratkonzentration im Gewebe.«

Erika gähnte. »Diese Ruhe!«, sagte sie. »Diese himmlische Ruhe.«

»Ich frage mich«, fuhr Konrad nach der nächsten Meldung nachdenklich fort, »ob sie den Smog-Alarm im Ruhrgebiet inzwischen abgeblasen haben. Sagen tun sie jedenfalls nichts mehr darüber.«

Erika gähnte erneut. »Und erst diese Luft! Ist sie nicht wunderbar, Konrad? Wun-der-bar?«

»Das kann mal wohl sagen«, sagte Konrad und nickte. Vom Pool her drang das fröhliche Gelächter der Kinder zu ihnen herüber. »Stell dir vor, unser Kegelverein könnte uns jetzt sehen. Die würden vor Neid platzen!«

Erika lehnte sich zurück und griff nach dem Fotoapparat. »Soll ich die Kinder noch mal knipsen?«

»Klar«, rief Konrad. »Das ist doch eine Erinnerung für das ganze Leben!«, Und er fragte sich, was wohl aus der Pestbakterien-Kultur geworden war, die vorgestern aus dem Labor der Tromex-Werke ausgebrochen war. Auch darüber hatten sie im Fernsehen kein Wort mehr gesagt. Zwar hatte es vor ihrer Abreise nach Samoa keinerlei Hinweise gegeben, dass die Dinger es bis an den Rhein geschafft hatten, aber immerhin... schließlich war der Mensch ja von Natur aus neugierig.

Konrad setzte einen schlanken schwarzen Zigarillo in Brand und paffte genüsslich vor sich hin. »Ah, die Unruhen in Köln sind eingedämmt worden«, teilte er Erika mit. »Leider hat der Dom dran glauben müssen. Die Polizei hat die ganzen Penner mit Handgranaten aus dem Mittelschiff rausgetrieben. – Mensch, liegen da vielleicht Trümmer! Kuck doch mal, Erika, die Kerle da, wie die mit ihren Gasmasken durch die Gegend laufen.«

Erika setzte sich hin. »Du trinkst zu viel, Konrad«, sagte sie tadelnd. »Jetzt sind wir hier in der unberührten Natur, und du vergiftest dich trotzdem! – Probier doch mal das Wasser. Hast du schon mal reines Quellwasser getrunken? Das Zeug, das bei uns aus dem Wasserhahn läuft, ist dagegen die reinste Säure.«

»Ach, lass mich doch«, brummte Konrad. Der Wodka war nämlich auch nicht übel. Und wenn er schon mal die Gelegenheit hatte, in Privilegien zu baden, wollte er auch mal ordentlich auf die Kacke hauen. Er griff nach der Fernbedienung. Das 3-D-Bild wechselte. Auf dem neunten Satellitenkanal liefen auch gerade die Nachrichten. »Teufel, Teufel«, sagte Konrad, »die haben den Atomsprengkopf immer noch nicht entschärfen können! – Glaubst du, die werden Hamburg doch noch evakuieren?«