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Das merkwürdige
Verhalten von
Schimpansen in
Kinderkleidung

Felicitas Auersperg

Das merkwürdige
Verhalten von
Schimpansen in
Kinderkleidung

und andere
sozialpsychologische
Experimente

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www.kremayr-scheriau.at

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Aron und Dutton – Hängebrückeneffekt

Die beflügelnde Wirkung von Hängebrücken

Rosenthal und Jacobson – Pygmalioneffekt

Wer Genies sucht, findet sie

Tice – Veränderung des Selbstkonzepts

Fake it till you make it

Pennebaker und Sanders – Reaktanz

„Jetzt erst recht!“

Kellogg – Der Affe und das Kind

Das merkwürdige Verhalten von Schimpansen in Kinderkleidung

Zimbardo – Stanford-Prison-Experiment

Die Finsternis in Menschenherzen

Hartley – Voreingenommenheit

Gefährliche Danerianer

Harlow – Bindungsverhalten

Über Rhesusäffchen und die Liebe

Sherif – Ferienlager-Experimente

Die Rache der Klapperschlangen

Festinger – Kognitive Dissonanz

Als ein Reißverschluss beinahe die Rettung der Welt verhindert hätte

Latané und Darley – Bystander-Effekt

Mit vierzehn Messerstichen

Loftus – Hinweisreize

Die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen

Heider und Simmel – Attribution

Belebte Geometrie

Milgram – Gehorsam-Experiment

Die Hölle, das sind immer die anderen

Bartlett – Schemata

Wie Unkonventionelles Konventionellem weichen muss

Rosenhan – On Being Sane in Insane Places

08/15-Patienten oder Jeder kann über das Kuckucksnest fliegen

Dank

Literaturverzeichnis

Weiterführende Videos

Einleitung

Tausende Psychologie-Studenten, die sich jährlich der Aufnahmeprüfung stellen, beweisen ebenso wie die inflationäre Konsultation durch die Medien das große Interesse an diesem Fach. Der Grund für diese Aufmerksamkeit liegt möglicherweise in der Hoffnung, mit Hilfe wissenschaftlicher Forschung Fragen zu beantworten, mit denen wir uns jeden Tag konfrontiert sehen, auf die wir aber keine befriedigende Antwort finden.

Die Psychologie scheint als Projektionsinstrument für die großen Probleme der Menschheit zu fungieren, mit denen sich Philosophen schon in der Antike herumschlugen. Diese Rätsel mit exakten naturwissenschaftlichen Methoden beantworten zu können, wirkt verführerisch und weckt die Erwartungshaltung, alltagspraktische Schwierigkeiten mit gut ausformulierten, ja sogar von renommierten Wissenschaftlern empfohlenen Strategien bewältigen zu können. Dieser Überfrachtung mit erwartungsvollen Forderungen kann die Psychologie natürlich nicht gerecht werden und reagiert mit einer Sprachlosigkeit, die sich hinter unverständlichen Formulierungen versteckt. Diese weckt bei ihren hoffnungsfrohen Interessenten zuweilen eher Ratlosigkeit als das ersehnte Verständnis von alltäglichen Problemen, die aus den Eigenheiten des menschlichen Geistes entstehen.

Die Ernüchterung nach den ersten Semestern des Studiums oder einem Blick in die aktuelle Fachliteratur ist daher häufig groß: Viele Fragestellungen der Psychologie wirken abgehoben und völlig losgelöst von den eigentlichen Bedürfnissen der Interessierten. Allzu biologische Ansätze wechseln sich mit hochkomplexen, eher philosophischen Abhandlungen ab. Dieser erste Eindruck wirkt häufig entmutigend und einschüchternd, obwohl die psychologische Literatur ausgesprochen brauchbare und oft sogar humorvolle Hinweise auf die Eigenheiten des Familien- und Berufslebens und die Merkwürdigkeiten menschlichen Verhaltens geben kann. Insbesondere die Sozialpsychologie eignet sich hervorragend, um einen Eindruck dieser praktischen Ausrichtung der Wissenschaft zu vermitteln.

In diesem Buch werden einige bekannte, aber auch weniger populäre sozialpsychologische Experimente vorgestellt, deren alltäglicher Nutzen meist weit über die kurze Diskussion am Ende jedes Kapitels hinausgeht.

Die Entscheidung, gerade die Sozialpsychologie und nicht einen der vielen anderen Forschungszweige der Psychologie in den Vordergrund zu stellen, fiel wegen ihrer besonderen Perspektive auf das menschliche Verhalten: Sie beschäftigt sich mit dem Einfluss der Gesellschaft auf das Individuum und umgekehrt den Möglichkeiten des Individuums, bewusst oder unbewusst auf die Gesellschaft einzuwirken. Natürlich wurden schon in der Antike Überlegungen zu diesen Fragen angestellt. Platon und Aristoteles setzten sich mit der Rolle Einzelner für größere Zusammenschlüsse von Menschen wie dem Staat auseinander. Auch in der späteren Philosophie finden sich unzählige Konzepte, die sozialpsychologische Problemstellungen erklären sollen, zum Beispiel im frühen 17. Jahrhundert jene von Thomas Hobbes. Die Inhalte der Sozialpsychologie sind also deutlich älter als sie selbst, wenn man die Institutionalisierung dieses Forschungszweigs als seine Geburtsstunde betrachtet. Erst im späten 19. Jahrhundert wurden die ersten experimentalpsychologischen Labors gegründet, wodurch die Emanzipation der Psychologie von ihrer Mutterdisziplin, der Philosophie, gelang. Der als Gründervater der Psychologie in Europa bezeichnete Wilhelm Wundt, seines Zeichens eigentlich Physiologe, prägte zu dieser Zeit die Entstehung der Sozialpsychologie mit seiner „Völkerpsychologie“, die sich mit jenen Phänomen beschäftigte, die erst aus dem Zusammentreffen mehrerer Individuen entstehen. In seinen Augen entzogen sich diese komplexen psychologischen Erscheinungen der sauberen experimentellen Erforschung. Dennoch wurde das Experiment eine der zentralen Methoden der Sozialpsychologie. Als die Sozialpsychologie sich als psychologische Disziplin etablieren konnte, nahmen gleich mehrere internationale „Ideen-Vorläufer“ Einfluss, die es unmöglich machen, den Tag ihrer Entstehung genau festzulegen. Die ersten bekannten Experimente mit diesem Schwerpunkt wurden bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchgeführt.

Die in diesem Buch beschriebenen Experimente stammen ausschließlich aus dem 20. Jahrhundert. Diese Einschränkung wirft möglicherweise Fragen auf: Aus welchem Grund sollte man sich mit zum Teil beinahe hundertjährigen Untersuchungen befassen, die schon lange veraltet sind? Hat die Sozialpsychologie in den letzten 20 Jahren nichts Neues hervorgebracht?

Sich mit der Geschichte einer Wissenschaft zu befassen, ist für viele Studierende zunächst wahrscheinlich ein rätselhaftes, vielleicht sogar exzentrisches und ein wenig verschrobenes Interesse, das kaum Einfluss auf ihren späteren Erfolg als Psychologen und Psychologinnen nimmt und auch für die Beantwortung alltagspraktischer Fragen keine Rolle spielt. Der Charme der Wissenschaftsgeschichte wird erst mit kleinen Episoden und Anekdoten offenkundig, die verdeutlichen, dass der Weg zur Erkenntnis nicht nur ausgesprochen holprig, sondern auch von zwischenmenschlichen Verirrungen und biografischen Brüchen geprägt ist. Leitsterne der Psychologie wie Wilhelm Wundt, Hermann Ebbinghaus oder Philip Zimbardo waren oder sind eben auch nur Menschen, deren Forschungsdrang manchmal nur durch das wütende Einschreiten ihrer entsetzten Ehefrauen (mehr dazu im Kapitel „Die Finsternis in Menschenherzen“) gebremst werden konnte – wobei anzumerken ist: Auch wenn in den hier dargestellten Untersuchungen mehr männliche Versuchsleiter vorgestellt werden, spielen Frauen in der Psychologie keineswegs nur als Unterstützerinnen im Hintergrund eine wichtige Rolle. Psychologinnen wie Charlotte Bühler prägten sie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entscheidend. Durch die Beschäftigung mit ihrer Vergangenheit lässt sich die beinahe abenteuerliche Anfangsstimmung der psychologischen Forschung erahnen, die heute zum Großteil langweiligen Berechnungen von Daten gewichen ist, die nur bestätigen sollen, was man schon vorher wusste. Ihre Pioniere behalfen sich mit äußerst gewitzten und kreativen Versuchsanordnungen, wenn es darum ging, die Komplexität menschlicher Begegnungen einzufangen. Fragestellungen wurden zum Teil jahrelang verfolgt und ohne den Druck, rasch publizieren zu müssen, aus mehreren Perspektiven bearbeitet, wobei der Spaß dabei laut manchen Psychologen keineswegs zu kurz kommen sollte (siehe Kapitel „Als ein Reißverschluss beinahe die Rettung der Welt verhindert hätte“). Außerdem finden sich in älteren Studien, die bereits Berühmtheit erlangt haben, jene Vorannahmen, auf die sich die Wissenschaft heute selbstverständlich beruft, sehr häufig ohne sie überhaupt in Frage zu stellen. Beschäftigt man sich mit diesen Untersuchungen im Original, wird schnell klar, dass sie zum Teil eklatante methodische Mängel aufweisen, falsch zitiert und in ihren Überlieferungen oft geschönt dargestellt werden. Genauso spannend sind jene älteren Experimente, die es nicht zu besonderer Beliebtheit in der Psychologie gebracht haben und in Lehrbüchern, wenn überhaupt, nur in einem Nebensatz erwähnt werden, geben sie doch Aufschluss darüber, wie viele Alternativen es zur heutigen Ausrichtung der Forschungsrichtung gegeben hätte und welche oft völlig irrationalen Faktoren dazu führten, dass bestimmte Zweige gekappt wurden. Die Einbettung in den geschichtlichen Hintergrund zeigt auf, dass bestimmte Fragestellungen nur in kurzen Zeitfenstern eine Chance hatten und dass gesellschaftliche Entwicklungen, die auf den ersten Blick nur wenig mit Wissenschaft zu tun haben, erheblichen Einfluss darauf nehmen, welcher Inhalte sich die Forschung annimmt. Geschichte wird meist mit der Absicht verfasst, den eigenen Werdegang zu erklären und seinen Ausgang als scheinbar alternativenlosen Entwicklungshöhepunkt zu deuten. Die vielen Irrtümer, denen die Wissenschaft unterworfen ist, machen aber deutlich, dass dieser verklärte Rückblick nur eine Konstruktion ist. Die hier dargestellten Experimente wurden bewusst mit der Absicht gewählt, eine ausgewogene Mischung aus in diesem Konstrukt – das ja auch zur Stabilisierung des Selbstverständnisses der Psychologie dient – etablierten Experimenten abzubilden. Sie enthält sowohl berühmte Untersuchungen, die das Verständnis von Sozialpsychologie in der Medienlandschaft prägen, als auch solche Versuche, die heute beinahe in Vergessenheit geraten sind. Zusätzlich dienen die ausgewählten Experimente als Beispiele für den eingangs erwähnten Alltagsbezug und Humor, der in vielen psychologischen Studien zu finden ist. Die beschriebenen, oft witzigen und zugleich aussagekräftigen Untersuchungen und die genialen Köpfe, die hinter ihnen stehen, sollen auch Nicht-Psychologen zeigen, was mich an diesem Fach so begeistert: der die ganze Forschungsrichtung dominierenden Wunsch zu verstehen, ohne dabei auf Kreativität und Flexibilität zu verzichten. Die merkwürdige Sonderstellung der Psychologie zwischen Natur- und Geisteswissenschaft eröffnet eine in kaum einer anderen Wissenschaft erreichte Freiheit, ungewöhnliche Fragestellungen zu bearbeiten, die von vielen ihrer in diesem Buch vorgestellten Vertreter voll ausgeschöpft wurde.

Aron und Dutton – Hängebrückeneffekt

Die beflügelnde Wirkung von Hängebrücken

Elegante Restaurants sind für viele der perfekte Rahmen, um jemandem näherzukommen oder eine langjährige Partnerschaft aufzufrischen. Aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Ihr nächstes Rendezvous an einen abenteuerlicheren Ort zu verlegen? In diesem Fall gilt: Mut wird belohnt!

Schwitzende Hände, klopfende Herzen, Engegefühl im Hals und leichte Übelkeit – ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Symptome keimender Liebe jenen einer Magen-Darmerkrankung zum Verwechseln ähnlich sind? Versucht man, sich mit all seiner Empathie in die Lage Betroffener zu versetzen, um diese ersten Anzeichen nachzuempfinden, werden den meisten Menschen eine Reihe anderer, kaum angenehmerer Szenarien in den Sinn kommen: schwierige Prüfungen, Staus auf der Autobahn, Samstagnachmittage im Einkaufszentrum und vielleicht das zögerliche Überqueren einer langsam im Wind schaukelnden Hängebrücke.

Genau zu dieser Hängebrücke führt uns das von den Psychologen Arthur Aron und Donald Dutton durchgeführte Experiment, bei dem sie im Jahr 1974 arglose Passanten über einem Abgrund des Capilano Canyons in British Columbia in ein ungewöhnliches Versuchsdesign verwickelten. Die 140 Meter lange Capilano Canyon Suspension Bridge führt in 70 Meter Höhe über eine beschauliche Schlucht: Überquerende blicken auf die Baumkronen majestätischer Douglasfichten, auf Kiesbetten, die geheimnisvoll schimmerndes, dunkelgrünes Wasser umsäumen, und in den sicheren Tod, sollten sie auf der für ihr Quietschen und Schwanken bekannten frei schwingenden Hängebrücke, die kaum breiter ist als der Reifen eines Lkws, plötzlich den Halt verlieren.

Diese ein wenig destabilisierenden Bedingungen machten sich Aron und Dutton zunutze, um die Geheimnisse menschlicher Anziehung zu erforschen. Unter welchen Bedingungen empfinden wir unser Gegenüber als attraktiv? Welche Faktoren führen dazu, dass eine Zufallsbekanntschaft tatsächlich wie versprochen anruft? Und inwiefern könnten Horrorfilme dazu beitragen, sich näher zu kommen?

Eine unerschrockene Studentin erklärte sich dazu bereit, den Lockvogel zu spielen, und platzierte sich in der Mitte der Capilano Suspension Bridge, um den Abgrund überquerende Männer zwischen 18 und 35 Jahren zu befragen. Die von dem unkonventionellen Untersuchungsort vermutlich ein wenig überraschten Spaziergänger füllten einen Fragebogen aus und sollten danach eine Geschichte zu einem Bild erzählen, das die Studentin ihnen zeigte. Sobald die fingierte Untersuchung vorbei war, erklärte die attraktive junge Frau, dass sie die Absichten und Ergebnisse ihrer Studie gerne jederzeit bei einem Kaffee darlegen würde, riss ein kleines Stück Papier vom Fragebogen ab, auf das sie ihre Telefonnummer kritzelte, und händigte der Versuchsperson die Nummer aus.

Genau mit derselben Vorgehensweise versuchte dieselbe junge Dame an einer ungleich weniger beeindruckenden Stelle ihr Glück. Diese Kontrolluntersuchung fand auf einer stabilen, breiten Brücke mit hohem Geländer statt, die nur wenige Meter über dem Wasser einen komfortablen Weg zur Überquerung bot. Eigentlich ideale Bedingungen für einen kleinen Flirt, so ganz ohne das mulmige Gefühl, auf einer quietschenden, unsicheren Hängebrücke über Baumkronen zu schaukeln, oder? Überraschenderweise gingen aber deutlich weniger junge Männer (nämlich nur 12,5 Prozent) auf das freundliche Angebot der attraktiven Studentin, sie anzurufen, ein, wenn diesem der begleitende Nervenkitzel fehlte. Im Vergleich dazu hatte die Frau auf der Brücke im Capilano Canyon deutlich größeren Erfolg: Etwa 50 Prozent der von ihr angesprochenen Versuchspersonen riefen sie noch am selben Abend an. Außerdem unterschieden sich die Bildergeschichten, die auf der Hängebrücke entstanden waren, deutlich von jenen, die auf der sicheren, breiten Fläche der Kontrollbrücke entstanden sind. Sie wiesen beinahe doppelt so häufig mit Sexualität assoziierte Inhalte auf.

Wie war es zu diesen signifikanten Unterschieden gekommen? Aus welchem Grund war die junge Frau auf einer Brücke, die wegen ihres eindringlichen Quietschens und Knatschens als „Laughing Bridge“ bekannt ist, so viel begehrenswerter als in einer weniger bedrohlichen Situation?

Um eine befriedigende Antwort auf diese Frage geben zu können, werfen wir einen Seitenblick in die biologische Psychologie. In belastenden Situationen, die Angst auslösen, reagiert der Körper mit der Ausschüttung von Hormonen, die uns zu größtmöglicher Leistung befähigen sollen. Dabei verändert sich die Atmung, das Herz schlägt spürbar schneller, die Pupillen werden größer und die Blutgefäße ziehen sich zusammen. Diese Erregungsphänomene verbinden wir mit einem Auslöser, wir suchen also den Grund für unsere körperliche Reaktion, der meist unmissverständlich auf der Hand liegt: ein unmittelbar bevorstehender unangenehmer Termin, eine Spinne, die plötzlich über unseren Fuß krabbelt, oder ein merkwürdiges Geräusch im Nebenzimmer.

Im hier beschriebenen Hängebrücken-Experiment gibt es allerdings zwei mögliche Auslöser für die vielen mit Stress verbundenen körperlichen Reaktionen: Natürlich die beeindruckende, wenig einladende Hängebrücke, aber eben auch die attraktive Studentin, die den Versuchspersonen ihre Nummer zusteckte. Die jungen Männer, die mitten auf der Suspension Bridge angesprochen wurden, konnten kaum zwischen den von der Frau ausgelösten und den von der alarmierenden Location verursachten Gefühlen unterscheiden. Klopfte ihr Herz so, weil sie gerade ein wenig zu lang nach unten auf die in 70 Meter Entfernung schimmernden Kieselsteine gesehen hatten, oder waren sie dabei, sich zu verlieben? Könnte der schelmische Blick der sie befragenden Studentin verantwortlich für die plötzlich schwitzenden Handflächen sein, oder lag es doch eher an den quietschenden Geräuschen der unangenehm dünnen Trägerseile? Die in dieser ungewöhnlichen Situation aufkommenden Gefühle konnten also dem von Aron und Dutton engagierten Lockvogel zugeschrieben werden. Auf der sicheren, stabilen und weniger malerischen Brücke konnte es nicht zu solchen Verwirrungen kommen, weshalb die Versuchspersonen in diesem Setting deutlich seltener die Telefonnummer der Studentin wählten.

» Alltäglicher Nutzen des Aron und Dutton-Experiments

Das von Aron und Dutton durchgeführte Experiment zeigt eindrucksvoll, wie alltagsnah psychologische Forschung ausfallen kann, wenn sie sich mit Fragen beschäftigt, die Menschen tatsächlich bewegen. Zum einen liefert es eine wunderbare Strategie, um interessant erscheinende Menschen von sich zu überzeugen: Eine Fahrt mit der Hochschaubahn oder eben das gemeinsame Ansehen eines Horrorfilms könnten beispielsweise durchaus unterstützend wirken. Zum anderen war diese Untersuchung der Grundstein für eine Reihe von Folgestudien, die ein wenig Licht in die Erforschung gut funktionierender Beziehungen bringen konnten.

Neuere Studien bestätigen den von Aron und Dutton beschriebenen Effekt in unterschiedlichen Anordnungen. Die Psychologen Meston & Frohlich untersuchten zum Beispiel 2002 die Auswirkungen von Fahrten mit der Hochschaubahn auf die Einschätzung von Attraktivität. So profitieren auch langjährige Partnerschaften von gemeinsamen aktivierenden Erfahrungen, und ein Tag im Kletterpark könnte stabilisierender wirken als jeder Schnulzenmarathon im Kino. Außerdem wirft die Erkenntnis, dass Emotionen offenbar fehlattribuiert werden können, Fragen auf, die zeigen, wie wenig wir über die menschliche Emotionsverarbeitung wissen und wie viel komplexer die menschliche Psyche ist, als wir es ihr unterstellen.

Rosenthal und Jacobson – Pygmalioneffekt

Wer Genies sucht, findet sie

Schüler wissen: Manchmal entscheidet viel weniger der Inhalt als der Name auf dem Umschlag des Schularbeitsheftes, mit welcher Note ihre Bemühungen belohnt oder bestraft werden. Rosenthal und Jacobson untersuchten dieses Problem, das auch im Alltag von Erwachsenen eine wichtige Rolle spielt.

Die Geschichte von Pygmalion ist, wie so viele griechische Mythen, geprägt von sexuellen Verwirrungen und Verirrungen: Der Bildhauer Pygmalion beschäftigte sich so intensiv mit einer seiner Statuen in Gestalt einer wohlgeformten Frau, dass er sich nicht mehr damit begnügen konnte, an ihrer zierlichen Nase zu meißeln, sondern begann, sich angeregt mit ihr zu unterhalten, sie zu pflegen und sie nach ihrem Befinden zu fragen, bis er sich schließlich in sie verliebte. Was heute als Fetisch oder sogar als eine beginnende Psychose diagnostiziert werden würde, war zu Pygmalions Zeit kein echter Grund zur Besorgnis, sondern nur ein Motiv, um Kontakt zu den Göttern zu suchen. Er rief also am Festtag der Aphrodite, die Göttin der Liebe, an und bat sie inständig, ihm eine Frau zu schicken, die nach dem Ebenbild seiner geliebten Statue geformt sein sollte. Gerührt von Pygmalions Leidenschaft für die von ihm selbst geschaffene Figur, beließ es Aphrodite nicht bei einem solchen bescheidenen Abklatsch, sondern entschloss sich, ihre Macht zu beweisen, indem sie der bis dahin kalten und harten Statue Leben einhauchte.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Indem Pygmalion seine Statue behandelte wie einen Menschen, schuf er die Grundvoraussetzungen, um sie zu einem Menschen werden zu lassen.

Robert Rosenthal und Leonore Jacobsen, zwei US-amerikanische Psychologen, wollten herausfinden, welchen Einfluss die Erwartungshaltung von Lehrern auf die Entwicklung ihrer Schüler hat. Das Experiment, das sie dazu an einer Schule durchführten, und der daraus resultierende sogenannte Pygmalion-Effekt, verhalfen der mythologischen Figur auch in diesem Fachgebiet zu unsterblichem Ruhm.

Angeregt durch ein wenige Jahre zuvor, 1963, von Rosenthal und Fode durchgeführtes Ratten-Experiment, entschlossen sich die beiden Wissenschaftler zu untersuchen, ob und wenn ja, inwieweit die Erwartungen von Lehrern Einfluss auf die Leistungen ihrer Schüler haben. Im Vorläuferexperiment wurden Psychologiestudenten (die die eigentlichen Versuchstierchen in dieser Studie waren) mit Ratten ausgestattet, denen entweder nachgesagt wurde, besonders intelligent, oder aber eher unterdurchschnittlich begabt zu sein. Tatsächlich gab es überhaupt keine Unterschiede zwischen den angeblich schlauen oder dummen Ratten und sie waren den beiden Gruppen nach dem Zufallsprinzip zugeteilt worden. Trotzdem erzielten die Ratten, je nach der vorangegangenen Etikettierung, entweder sehr gute oder besonders schlechte Ergebnisse bei der Lösung eigens konzipierter Rattenrätsel. Was mag der Grund für diese überraschenden Ergebnisse gewesen sein? – Er liegt in den Erwartungen der Studierenden, die die Ratten für die bevorstehenden Aufgaben trainiert hatten. Während jene angehenden Psychologen, denen angeblich ausgesprochen dumme Ratten zugeteilt worden waren, ihre Schützlinge möglicherweise mit wenig Hoffnung auf Erfolg trainiert hatten, vermutete Rosenthal, dass die anderen Studenten ihre vorgeblich hochintelligenten Nagetiere ebenfalls im Sinne ihrer Erwartungen an sie behandelt und schließlich auch beurteilt hatten. Abhängig von den Erwartungen, die an die pelzigen Rätsellöser gerichtet worden waren, schienen sich also deren Leistungen zu verändern.

Schon dieses Experiment ist für die heutige Psychologie von großem Wert, da es verdeutlicht, wie sehr die Erwartungen und Hoffnungen oder auch Befürchtungen des Versuchsleiters die Ergebnisse einer Studie verfälschen können. Doch was haben diese Ergebnisse für schlechte Schüler zu bedeuten, die sich ihren Lehrern häufig ebenso ausgeliefert fühlen , wie es auch die Versuchsratten im von Rosenthal und Fode durchgeführten Experiment getan haben müssen? Dieser Frage versuchten Rosenthal und Jacobson nachzugehen, indem sie im Jahr 1965 in einer amerikanischen Grundschule Tests durchführten, die noch vor Beginn des Schuljahres Informationen über die Intelligenz und das Entwicklungspotenzial der Schüler geben sollten. Die sogenannten Tests of General Ability, abgekürzt TOGA, wurden aus den umfangreichen Testbibliotheken der Psychologie ausgewählt, da sie einerseits nicht nur erlernbares, schulspezifisches Wissen abfragten, und andererseits den meisten Lehrern mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vertraut waren. Ihnen wurde gesagt, dass die Psychologen mit einem bekannten, an der Harvard University entwickelten Test arbeiteten und die Ergebnisse ihnen Auskunft über die später zu erwartenden schulischen Entwicklungen der Schüler geben würden. Tatsächlich war der gewählte Test allerdings nicht zu einer solchen Prognose fähig. Dennoch wurden in jeder der sechs getesteten Klassen einige Kinder identifiziert, von denen die Psychologen Rosenthal und Jacobson im Brustton der Überzeugung behaupteten, es handle sich um Genies, die kurz vor ihrem intellektuellen Aufblühen stünden. Sie wären nur mehr wenige Monate von einem Entwicklungsschub entfernt, der ihnen den schulischen Durchbruch ermöglichen würde.

Wie Sie wahrscheinlich schon vermutet haben, waren diese Ergebnisse frei erfunden und die angeblich bald strebsamen und an ihrem schulischen Erfolg hochinteressierten Schülern, die gar nichts von ihrem Glück ahnten, waren völlig zufällig und ohne bestimmte Kriterien zu berücksichtigen ausgewählt worden. Diese Kinder unterschieden sich also, was ihre zu erwartende schulische Entwicklung betrifft, nicht von allen anderen Schülern, die getestet wurden.

Am Ende des Schuljahres wurden die TOGA-Tests wiederholt und die echten Testergebnisse der Kinder wurden mit den zu Beginn erhobenen Daten verglichen. Ganz ähnlich wie bei den Ratten im eingangs erwähnten Experiment hatten sich die Resultate signifikant verändert. Jene Schüler, die als besonders intelligent und kurz vor einem Entwicklungsschub stehend charakterisiert worden waren, waren wirklich aufgeblüht und konnten mit beachtlich gesteigerten Ergebnissen in den Tests glänzen. Hatten ihre Lehrer erwartet, dass sich ihre schulischen Leistungen verbessern würden, war es nach kurzer Zeit tatsächlich so gekommen. Besonders stark waren die beobachteten Effekte bei den jüngeren Schülern in den unteren Schulstufen zu bemerken.

Wie konnte es zu diesen Veränderungen kommen, waren doch bei der ersten Testung keine auffälligen Unterschiede zwischen den Kindern festgestellt worden?