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Prof. Dr. Michael Bordt SJ

PHILOSOPHIE

PHILOSOPHISCH NACH DEM MENSCHEN FRAGEN

GLÜCK, SINN UND DAS GELUNGENE LEBEN

EMOTIONEN UND VERNUNFT

FREUNDSCHAFT UND LIEBE

TÄTIGSEIN UND ARBEIT

LEIDEN UND TOD

Bei den sechs Kapiteln dieses Bandes handelt es sich um Mitschriften von sechs Vorlesungen, die mündlich vorgetragen und für diesen Band nicht noch einmal eigens überarbeitet worden sind. Entsprechend sollen und können die Kapitel nicht die Standards erfüllen, die an wissenschaftliche Veröffentlichungen zu stellen sind.

Inhaltsverzeichnis

PHILOSOPHISCH NACH DEM MENSCHEN FRAGEN

Anthropologie

Philosophische Anthropologie

Das Leib-Seele-Problem

Ethik

Der kategorische Imperativ

Die Tugendethik

Die Stellung des Menschen im Kosmos

Das gelebte Leben

GLÜCK, SINN UND DAS GELUNGENE LEBEN

Teleologische Ordnungen

Das glückliche Leben

Das sinnvolle Leben

Der Sinn des Lebens

Das gute Leben

Das gelungene Leben

Identität

EMOTIONEN UND VERNUNFT

Das oberste Gut

Conditio humana

Unabhängigkeit

Emotionen

Stoiker

Tugend ist Wissen

Die Körperreaktionen

Tugend

Thomas von Aquin

FREUNDSCHAFT UND LIEBE

Gemeinschaft

Sophisten

Hobbes

Freundschaften

Emotivismus

Utilitarismus

Misamoristen

TÄTIGSEIN UND ARBEIT

Arbeit und Mühe

Neolithische Wende

Arbeit und Routine

Besitz und Glück

Sinnvolle und attraktive Arbeit

Freizeit und Arbeit

Gelungenes Tätigsein

LEIDEN UND TOD

Leiden und Scheitern

Zufriedenheit

Freiheit

Sterben und Tod

Heidegger: Sein und Zeit

Platon: Der Tod als Übel?

Epikur: Der Tod geht uns nichts an

Nagel: Leben heißt Erfahrungen machen

Leben ohne Tod

Zusammenfassung

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PHILOSOPHISCH NACH DEM MENSCHEN FRAGEN

1

Was kann die Philosophie über das Wesen des Menschen sagen? Sie ist keine empirische Wissenschaft. Sind allgemeine Aussagen über den Menschen überhaupt möglich oder gar sinnvoll?

Im Dialog mit den Wissenschaften, aber auch mit der Tradition einer philosophischen Anthropologie von ihren Anfängen in der Antike, ihrem ersten Höhepunkt im 16. und ihrem zweiten Höhepunkt im 20. Jahrhundert wird diesen Fragen nachgegangen.

Meine Damen und Herren,

herzlich willkommen zu unserer Vorlesungsreihe ‚Philosophische Anthropologie’, einer Vorlesungsreihe, die sich mit der Frage beschäftigt, was eigentlich das Wesen des Menschen ist und wie wir richtig über den Menschen denken sollen. Ich halte diese Vorlesungsreihe nicht als ein Poet, als ein Schreiber von Romanen, als ein Musiker oder als ein Künstler, sondern als ein Philosoph, der eine Wissenschaft betreibt, die Philosophie. Und deswegen möchte ich Ihnen in dieser ersten Folge die Fragestellung nahe bringen, die wir als Philosophen bearbeiten, wenn wir uns fragen, was der Mensch ist.

Aber bevor ich in medias res, in die Mitte der Sache, gehe, lassen Sie mich kurz einen Ausblick geben, was Sie in diesen sechs Vorlesungen erwarten wird:

In der ersten, also in dieser, Vorlesung möchte ich der Frage nachgehen, was der philosophische und wissenschaftstheoretische Status der Thesen und Argumente der philosophischen Anthropologie ist, was also die philosophische Anthropologie als Wissenschaft auszeichnet und charakterisiert und welchen Status die Thesen und Argumente der philosophischen Anthropologie haben können.

In der zweiten Vorlesung werde ich betrachten, dass der Mensch ein Wesen ist, das nach etwas strebt und das vor allem eines im Leben möchte: glücklich werden, ein sinnvolles Leben führen, zufrieden sein oder eine gelungene Existenz leben, wie auch immer wir das noch näher bestimmen wollen.

In der dritten Vorlesung werde ich mich dann der Frage zuwenden, wie wir richtig über Emotionen denken. Denn eines ist klar: Ob wir mit unserem Leben zufrieden und glücklich sind, hängt sicherlich auch davon ab, wie es uns emotional geht.

In der vierten Vorlesung werde ich dann etwas über Freundschaft und Liebe sagen, über menschliche Beziehungen, in der fünften etwas über Arbeit, einen wichtigen Teil unseres Lebens, und in der sechsten Vorlesung werde ich mich schließlich dem Thema Leid, Tod und der Frage zuwenden, ob Überlegungen zu einem Leben nach dem Tod eine Relevanz für unser Leben hier und jetzt haben.

Anthropologie

Aber lassen Sie mich damit beginnen, dass ich Ihnen die philosophische Fragestellung deutlich mache, die Fragestellung, mit der wir uns als Philosophen beschäftigen, wenn wir über den Menschen nachdenken. Ich möchte zunächst etwas zum Wort Anthropologie sagen, dann die philosophische Anthropologie von anderen Anthropologien in der heutigen Wissenschaft abgrenzen und mich in einem dritten Schritt etwas ausführlicher mit der Frage auseinandersetzen, was denn eigentlich charakteristisch für eine philosophische Anthropologie sein sollte.

Zunächst zum Wort Anthropologie: Das Wort Anthropologie kommt aus dem Griechischen, es ist zusammengesetzt aus dem Wort anthropos für Mensch und legein für sagen oder reden. Eine Anthropologie ist also einfach, wenn man über den Menschen redet. Wenn wir uns anschauen würden, wie dieses Wort in der griechischen Umgangssprache verwendet wird, dann würden wir sehen, dass das Wort Anthropologie noch nicht die Bedeutung hat, wie es sie heute hat. Anthropolegein heißt einfach, über andere Menschen zu reden und ein anthropologos ist jemand, der sehr gerne sehr viel über andere Menschen redet, oft auch hinter deren Rücken, jemand, der gerne ‚ratscht’, wie wir heute sagen würden.

Dieser Sprachgebrauch ändert sich in der Patristik und im Mittelalter vor allem dadurch, dass die christliche Theologie und die Diskussion innerhalb des Christentums beginnen, ihre Wirkung in der Umgangssprache zu entfalten. Anthropolegein heißt nun nicht mehr, über andere Menschen zu reden, sondern, auf eine menschliche Art und Weise über Gott zu reden, z. B. von Gott zu sagen, dass er sieht oder hört oder versteht Gefühle hat, dass er liebt. Diese Art und Weise, eigentlich typisch menschliche Eigenschaften auf Gott oder die Götter zu übertragen, ist natürlich problematisch und für diese Art und Weise, über Gott zu reden hat sich der Terminus anthropolegein in der Patristik und im Mittelalter eingebürgert.

Das ändert sich interessanterweise noch einmal im 16. Jahrhundert und diesen Wechsel des Sprachgebrauchs müssen wir uns ein bisschen genauer anschauen. Im 16. Jahrhundert bürgert sich ein anderes Wort für die menschliche Art und Weise über Gott zu sprechen ein, nämlich das Wort Anthropomorphismus. Jemand, der menschlich über Gott redet und menschliche Eigenschaften auf Gott überträgt, begeht einen Fehler und dieser Fehler wird Anthropomorphismus genannt. Ab dem Moment, ab dem man diese Rede über Gott aber Anthropomorphismus nennt, ist man frei, dem Reden über den Menschen und dem Wort anthropolegein eine andere Bedeutung zu geben. Und es sind vor allem zwei Autoren im 16. Jahrhundert, einer ganz am Anfang, einer am Ende, die dem Wort Anthropologie die Bedeutung gegeben haben, die es bis heute hat: ein philosophisch-wissenschaftliches Sprechen über den Menschen.

Der erste Autor, 1449 in Magdeburg geboren, hieß Magnus Hundt und veröffentlichte im Jahr 1501 ein Werk mit dem Titel: ‚Antropologium de hominis dignitate, natura et proprietatibus, de elementis, partibus et membris humani corporis’. Übersetzt: ‚Anthropologium’ – also die Lehre vom Menschen – ‚über die Würde des Menschen, die Natur und seine Besonderheit, über die Elemente, Teile und Gliedmaßen des menschlichen Körpers’. Hundt will in seinem Werk einen Gesamtüberblick über den Menschen geben. Er will den Menschen dabei zwar auch aus naturwissenschaftlicher Perspektive betrachten. So macht er ja bereits im Buchtitel deutlich, dass seine Lehre auch von den Elementen, Teilen und Gliedmaßen des Menschen handeln wird. Aber er möchte auch etwas darüber sagen, was den Menschen als Wesen eigentlich charakterisiert. Und da finden sich zwei Worte: zum einen das Wort dignitas, also die Würde des Menschen, und zum anderen das Wort proprium, also die Sonderstellung des Menschen. Hundt war Christ. Und als Christ war er der Überzeugung, dass die Würde des Menschen in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen gegeben ist. Weil der Mensch Ebenbild Gottes ist, kommt ihm diese besondere Würde zu. Die Gottesebenbildlichkeit zeigt sich für Hundt darin, dass der Mensch eine Seele hat. Hundt ist Dualist. Er sieht den Menschen so, dass er ein zusammengesetztes Wesen ist, zusammengesetzt aus einem materiellen Körper und einer immateriellen Seele und es ist diese immaterielle Seele in der sich die Gottesebenbildlichkeit für den Menschen zeigt und die seine Würde ausmacht.

Von Hundt grenzt sich am Ende des 16. Jahrhunderts ein anderer Philosoph ab, Otto Casmann. In einer großen zweibändigen Schrift, die in den Jahren 1594 und 1596 herausgegeben worden ist, bringt er eine Anthropologie als Lehre von der menschlichen Natur heraus und hat damit dem Fach philosophische Anthropologie eine Bestimmung gegeben, die dieses Fach heute noch hat. Anthropologie ist die Lehre von der menschlichen Natur, ist die Lehre davon, wer wir und was wir als Menschen sind. Der Mensch hat eine doppelte Natur; darin stimmt Casmann mit Hundt überein. Er besteht aus einem materiellen Körper und einer immateriellen Seele. Nur besteht bei Casmann die Sonderstellung des Menschen darin, dass der materielle Körper und die immaterielle Seele zusammen eine unauflösliche Einheit bilden. Um den Menschen zu verstehen müssen wir also nicht seine Seele verstehen, wie das noch Hundt behauptet hatte, sondern wir müssen verstehen, was für ein merkwürdiges Wesen wir sind, in welchem Seele und Körper eine unauflösliche Einheit bilden.

Sowohl Hundt als auch Casmann grenzen sich in ihren Anthropologien gegenüber anderen Versuchen, Anthropologie zu betreiben ab. Es ist ja nicht so, dass erst mit dem 16. Jahrhundert die Reflektion über den Menschen beginnt. Aberesistaufschlussreich, dass Hundtund Casmann mit der Tradition brechen, einer Tradition die etwas über den Menschen sagen möchte, den Menschen dabei aber in ein viel größeres Ganzes einbettet. Hundt und Casmann wenden sich in ihren Entwürfen vor allem dagegen, den Menschen von anderen Wissenschaften her zu verstehen. Dabei sind es vor allem zwei Wissenschaften, gegen die sie sich richten: Zum einen gegen die Naturwissenschaften, also den Versuch, den Menschen vollständig dadurch zu verstehen, dass wir ihn von unserer, wie wir heute sagen würden, biologischen, physikalischen oder biochemischen Struktur her verstehen. Zum anderen richten sie sich, das ist bei Casmann besonders deutlich, gegen den Versuch, den Menschen ganz von der Metaphysik, oder wie wir heute sagen würden, von der Theologie her zu verstehen, also von einer übergeordneten anderen Wissenschaft.

Casmann versucht, die Besonderheit des Menschen deutlich zu machen. Und an diesen Versuch von Casmann werde auch ich in meiner Anthropologie anknüpfen. Deswegen stelle ich Fragen, wie wir menschliche Beziehungen, Freundschaft und Liebe verstehen können, oder was die Arbeit für uns Mensch bedeutet; Fragen also die unmittelbar für unser Leben relevant sind und, dafür werde ich argumentieren, auf die uns die Naturwissenschaft oder die Metaphysik allein keine Antwort geben kann.

Philosophische Anthropologie

Ich komme damit zur Fragestellung, was eigentlich die philosophische Anthropologie innerhalb des Spektrums der Wissenschaften, die sich ebenfalls mit dem Menschen beschäftigen, auszeichnet. Es ist ja nicht so, als ob die Philosophen allein sich mit dem Menschen beschäftigen würden. Denken Sie beispielsweise an die Humanmedizin mit ihren weitverzweigten Fächerkammern. Auch die Humanmedizin ist natürlich auf den Menschen bezogen – und nicht nur eine naturwissenschaftlich orientierte Wissenschaft wie die Humanmedizin, sondern auch Gesellschafts- oder Geisteswissenschaften, wie beispielsweise die Soziologie, die Politologie oder die Psychologie. Diese Wissenschaften sind alle auf den Menschen bezogen.

Damit die folgenden Überlegungen etwas klarer und deutlicher werden, erlauben Sie mir, dass ich Sie mit einer Unterscheidung vertraut mache: der Unterscheidung zwischen dem Materialobjekt und dem Formalobjekt einer Wissenschaft. Unter dem Materialobjekt versteht man das Material, das die Wissenschaft betrachtet. Dieses Material ist im Fall der Anthropologie der Mensch. Das Materialobjekt der Humanwissenschaft, der Soziologie und der philosophischen Anthropologie ist ein und dasselbe. Anders das Formalobjekt: Das Formalobjekt ist die Perspektive, mit der wir an die Materie, den Menschen, herangehen, der Scheinwerfer, die Fragestellung, die Methode, mit der wir den Menschen betrachten.

Nun ist das Formalobjekt des Soziologen ein anderes, als das Formalobjekt eines Philosophen. Was immer die Philosophie ist, fest steht, sie ist keine empirische Wissenschaft. Wir Philosophen kommen zu unseren Ergebnissen, Thesen und Argumenten nicht dadurch, dass wir empirische Studien machen, Fragebögen entwerfen oder Versuchsanordnungen skizzieren oder gar durchführen. Philosophen kommen zu ihren Thesen und Argumenten auf eine andere Art und Weise. Wie, das wird Ihnen im Laufe dieser Vorlesungsreihe hoffentlich noch deutlicher werden. Noch ein Zweites: Was immer Philosophie ist, sie ist auf jeden Fall keine Einzelwissenschaft, die sich mit einer einzelnen Perspektive auf den Menschen begnügt, sondern sie ist eine allgemeine Wissenschaft. Soziologie fragt nicht danach, wie wir den Menschen allgemein gesprochen verstehen können, sondern sie fragt nach dem sozialen Leben des Menschen, nach der Art und Weise des Zusammenlebens zwischen Menschen in der Gemeinschaft und in der Gesellschaft, sie fragt nach dem Sinn von Strukturen unseres sozialen Handelns, nach sozialem Wandel, nach Mobilität. Damit sieht die Soziologie ab, d. h. sie abstrahiert, von wichtigen Dingen, die uns Menschen ebenfalls ausmachen, z. B. dass wir kreativ sind, dass wir Emotionen haben oder dass wir Angst vor unserem eigenen Tod haben können. Die Philosophie möchte nicht von Aspekten des Menschseins absehen und von ihnen abstrahieren, sondern sie möchte ganz allgemein etwas darüber sagen, was den Menschen als Menschen ausmacht.

Es wäre allerdings unehrlich, wenn ich Ihnen verheimlichen würde, dass die Position, die ich vertrete, nicht die einzige ist, die es gibt, wenn man sich philosophisch mit dem Menschen beschäftigt. Es gibt zum einen eine sehr interessante und sehr lebendige Diskussion, vor allem im angelsächsischen Raum, die versucht, das Wesen des Menschen von der Naturwissenschaft her zu verstehen. Und es gibt zum anderen, vor allem im deutschen Sprachraum, eine lebendige Tradition der Ethik, die auf Immanuel Kant zurückgeht, in der das, was der Mensch seinem Wesen nach ist, eigentlich von der Ethik abhängt und es so etwas wie eine eigenständige philosophische Anthropologie nicht wirklich geben kann. Lassen Sie mich auf diese beiden Diskussionen ein wenig eingehen.

Das Leib-Seele-Problem

Die erste Diskussion, also die Anthropologie im Dialog mit der Naturwissenschaft, beschäftigt sich mit dem Leib-Seele-Problem – ein Problem, das seit 30 Jahren heftig diskutiert wird, jedoch bereits ältere Wurzeln hat. Der erste Philosoph, der das Leib-Seele-Problem zum Thema der Philosophie machte, war Platon. Es gibt einen sehr berühmten Dialog von Platon, Platons ‚Phaidon’, in dem geschildert wird, wie Sokrates, zum Tode verurteilt, den Schierlingsbecher trinkt und stirbt. An seinem letzten Tag, in den letzten Stunden vor seinem Tod, trifft Sokrates sich mit seinen Freunden und gibt seiner Hoffnung Ausdruck und argumentiert auch dafür, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, sondern dass das eigentliche Leben nun erst beginnt, weil sich mit dem Tod die Seele vom Körper trenne. Der Körper stirbt. Aber die Seele, die das Eigentliche des Menschen ist, lebt weiter. Platon war, wie Hundt, Dualist. Um den Menschen zu verstehen, braucht es zwei Dinge: den Körper und die Seele. Was aber den Menschen eigentlich ausmacht, ist seine unsterbliche Seele.

Auch heute gibt es Versuche, einen Dualismus in der Philosophie stark zu machen. Wenn wir uns von der antiken Terminologie befreien, können wir davon sprechen, dass es zum einen so etwas gibt, wie das Bewusstsein, das Mentale oder den Geist und zum anderen eben materielle Körper. Ein Dualist behauptet nun, dass das Bewusstsein und das Materiale unseres Körpers zwei ganz unterschiedlichen Kategorien und Welten angehören. Diese dualistische These ist, glaube ich, keine verstiegene philosophische Spekulation, sondern etwas, was sich in unserem Alltagsleben, vor allem, wenn wir uns mit dem Tod auseinandersetzen, nahe liegt. Das Eigentliche des Menschen ist etwas Geistiges und das kann nicht nur am Körper oder an der Materie hängen. Wir Erleben uns nicht nur als materielle Körper, umgeben von anderen materiellen Körpern, sondern wir erleben uns als geistige Wesen, als Menschen die nachdenken, Gefühle haben, über sich selbst nachdenken und Bewusstsein haben.

Zu Problemen kommt es für einen Dualisten nun dadurch, dass er auf der einen Seite sagen möchte, Geist und Materie seien tatsächlich ganz verschiedene Dinge, auf der anderen Seite aber auch weiß, dass es irgendwie einen Zusammenhang zwischen Geist und Materie geben muss. Wenn wir z. B. etwas wollen, dann ist das Wollen verantwortlich dafür, dass wir bestimmte Körperbewegungen ausüben, unser Wollen ein geistiger Akt und bestimmt als solcher, was wir mit unserem Körper machen. Es kann also nicht sein, dass Körper und Geist völlig unverbunden im Menschen zusammen sind, sondern es muss irgendwie eine Schnittstelle, eine Interaktion zwischen dem Geist und dem Körper geben.

Das haben auch schon ältere Dualisten gesehen, wie z.B. René Descartes, ein berühmter Dualist, der die These, dass Körper und Seele ganz verschiedenen Welten angehören, noch einmal zugespitzt hat. René Descartes hat angenommen, dass es die Zirbeldrüse sei, die den Interaktionismus, den Zusammenhang, die kausale Wirksamkeit des Geistigen auf das Materielle garantiert. Aber wir können uns auch auf einen modernen Forscher, einen Physiker und Biologen beziehen, den Nobelpreisträger John Eccles. Er ist 1997 gestorben und hat zusammen mit dem Philosophen Karl Popper ein Buch mit dem Titel ‚Das Ich und sein Gehirn’ geschrieben, 1977 ist dieses Buch herausgekommen. John Eccles behauptet darin mit Karl Popper, dass diese Schnittstelle auf subatomarer Ebene zu finden sei. Das Problem dieses interaktionistischen Dualismus ist freilich, dass diese Schnittstelle empirisch nicht nachgewiesen werden kann. Das Problem bei Eccles und bei anderen Dualisten ist, dass, obwohl sie sich gerade darum bemühen, in einen Dialog mit den Naturwissenschaften zu kommen, sie das Entscheidende, nämlich die Schnittstelle zwischen dem Materiellen und dem Geistigen, empirisch nicht nachweisen können. Diese Schnittstelle scheint für die Dualisten eher so etwas wie ein metaphysisch notwendiges Postulat zu sein und nichts, was man empirisch aufzeigen kann.

Deswegen, und noch aus einem anderen Grund, tendieren einige Vertreter in der Leib-Seele-Diskussion heute eher zu einer anderen Position, nämlich zur Identitätstheorie. Die meisten Vertreter in der heutigen Leib-Seele-Diskussion sind Monisten. Sie vertreten die These, dass es eine Identität von Körper und Geist gibt. Die Identitätstheorien sind aus einem bestimmten Grund heute sehr attraktiv. Die Identitätstheoretiker, die Monisten, vertreten nämlich nicht, dass wir den Geist verstehen müssen, um unseren materiellen Körper zu verstehen, sondern die überwiegende Anzahl der Monisten vertritt genau das Gegenteil. Wenn wir einmal unseren materiellen Körper richtig verstanden haben, dann haben wir auch verstanden, was der Geist ist. Der Geist, das Bewusstsein bzw. das Mentale ist eigentlich kein eigener Phänomenbereich, sondern auf die Materie reduzierbar.

Die meisten Vertreter in der heutigen Leib-Seele-Diskussion sind tatsächlich Reduktionisten. Sie vertreten eine reduktive Theorie, d. h., sie reduzieren das Mentale auf das Physische. Man spricht dabei auch von einem Physikalismus. Das ist ein neues Wort für das, was man früher Materialismus genannt hat. Die These ist: Das, was es eigentlich gibt, ist die Materie. Alles andere sind nur Epiphänomene, die auf der Materie aufruhen. Nun finden auch Vertreter des Monismus die Theorie, dass Geist und Bewusstsein eigentlich gar nichts anderes sind, als biochemische Prozesse, irgendwie unbefriedigend und so hat man versucht, verschiedene Theorien zu entwickeln, die dem geistigen Leben des Menschen irgendwie doch noch eine eigene Stellung zubilligen.

Berühmt ist der Harvarder Philosoph Hilary Putnam. 1960 hat er ein folgenreiches Buch mit dem Titel ‚Mines and Machines’ geschrieben. Darin outet er sich als Vertreter des Funktionalismus. Die Funktionalisten behaupten, dass geistige Phänomene auf materielle Phänomene reduzierbar sind, dass jedoch das spezifische Material, auf das die geistigen Prozesse reduziert werden, nicht charakteristisch für das Bewusstsein ist. Das klingt komplizierter als es ist. Hilary Putnam meint damit schlicht und einfach, dass es für das Denken egal ist, ob ein Mensch denkt, und dabei die materielle Basis sein Gehirn ist, oder ob ein Computer, eine Maschine, denkt. Der Funktionalismus ist also der Versuch, dem Geistigen doch eine gewisse Eigenständigkeit zuzusprechen.

Das Problem des Funktionalismus, das auch seine Vertreter bald gesehen haben, ist, dass diese Theorie keine Antwort auf die Frage geben kann, was das, was für uns Menschen so charakteristisch ist, eigentlich ist, nämlich das Erleben von Qualia, z. B. das Erleben von Schmerzen. Zwar ist es für das geistige Leben des Menschen charakteristisch, Qualia zu erleben, aber ein Computer beispielsweise wird niemals Schmerzen erleben können, er wird niemals wissen, was es heißt, Schmerzen zu haben. Insofern scheint es doch so etwas wie spezifisch menschliches Denken, spezifisch menschliches Bewusstsein zu geben, das nicht auf einen Computer übertragbar ist.

Deswegen hat man den Funktionalismus aufgegeben und sich anderen Theorien zugewandt, die ich nur kurz skizzieren werde. Eine dieser Theorien ist die Theorie der Emergenz. Laut dieser Theorie erwächst Bewusstsein aus Materie, wenn diese komplex genug ist. Obwohl diese Theorie zunächst attraktiv zu sein scheint, bleibt letztlich doch die entscheidende Frage offen, ob, und wenn ja, wie das Bewusstsein wiederum kausal wirksam gegenüber dem Materiellen sein kann. Diesbezüglich geben die Emergenztheoretiker, die Emergentisten, keine klare Antwort. Wenn sie die Frage bejahen, dann ist das Bewusstsein doch so etwas wie ein eigenständiger Seinsbereich, wenn sie sie verneinen, dann stellt sich die Frage, was die Emergenztheorie eigentlich erklärt.

Dieses Problem hat man versucht, dadurch in den Griff zu kommen, dass man die Idee der Emergenz aufgegeben und sie stattdessen durch die Idee der Supervenienz ersetzt hat. Die Vertreter der Supervenienztheorie behaupten, dass es keine Änderung eines mentalen Zustandes geben kann, ohne dass es zu einer Änderung des materiellen, des physischen Zustandes kommt. Für Reduktionisten ist die Supervenienztheorie natürlich alles andere als spektakulär. Weil Mentales nichts anderes als Physisches ist, müssen geistige Zustände über physischen Zuständen supervenieren.

Das Hauptproblem der Emergenz- und der Super-venienztheorie besteht darin, dass sie auf der einen Seite an der Eigenständigkeit des Geistigen festhalten wollen, auf der anderen Seite aber behaupten, dass wir das Geistige vollständig vom Materiellen her verstehen können. Diese beiden Dinge gehen aber natürlich nicht zusammen.

Ich gestehe, dass ich gegenüber der Diskussion des Leib-Seele-Problems etwas skeptisch bin. Man könnte ohne Weiteres eine sechsteilige Vorlesung über das Leib-Seele-Problem halten, wenn man mehr Zuversicht hätte, als ich sie habe, dass sich das Leib-Seele-Problem tatsächlich einer Lösung zuführen lässt. Der schon erwähnte Harvarder Philosoph Hilary Putnam hat im Jahre 2000 ein berühmtes Buch geschrieben, ‚The Threefold Cord: Mind, Body and World’. Putnam, Sie erinnern sich, hatte 1960 den Funktionalismus in die Debatte eingeführt. Derselbe Hilary Putnam ist es nun, der sich von der ganzen Diskussion des Leib-Seele-Problems verabschiedet, mit Hinweis auf den späten Ludwig Wittgestein. Putnam vertritt in diesem Buch die Auffassung, dass das ganze Leib-Seele-Problem auf einer Sprachverwirrung beruht, auf Kategorienfehlern, wie wir Philosophen sagen. Der Fehler bestehe erstens darin, dass Begriffe verallgemeinert werden. Man spreche vom Bewusstsein oder vom Geist, aber lege sich überhaupt keine Rechenschaft mehr darüber ab, was eigentlich mit diesen Begriffen genau gemeint sei, ob es überhaupt so etwas wie den Geist, wie das Bewusstsein gebe. Zweitens reiße man diese Begriffe aus dem Kontext, in dem sie eigentlich guten Sinn ergeben, heraus, abstrahiere sie woraufhin diese ein Eigenleben in Theorien führten, ohne dass man sich frage, ob dieses Wort eigentlich noch dasselbe bedeute, wie in dem Kontext, in dem es ursprünglich verwendet wurde. Wir können z. B. einen Patienten, der im Krankenhaus ohnmächtig ist, versuchen, wieder zu Bewusstsein zu bringen. In diesem Zusammenhang ist uns ganz klar, was wir unter Bewusstsein verstehen. Aber wenn die Leib-Seele-Philosophen so über das Bewusstsein und den Geist sprechen, wie sie es tun, meinen sie da überhaupt etwas, was es wirklich gibt?

So brillant, detailreich und klug die Leib-Seele-Diskussion auch geführt wird, so sehr bin ich doch unsicher, ob sie tatsächlich zu Ergebnissen kommt, die uns besser verstehen lassen, wer wir als Menschen sind. Aus diesem Grund möchte ich in meiner Vorlesungsreihe nicht an diesen naturwissenschaftlich geprägten Versuch, den Menschen zu verstehen anknüpfen, sondern mich in der Tradition der Anthropologen des 16. Jahrhunderts anderen Fragen zuwenden.

Ethik

Die zweite Art und Weise, den Menschen zu verstehen und eine philosophische Anthropologie zu entwerfen, die ich eingangs erwähnt habe, ist insbesondere im deutschsprachigen Raum populär. Es handelt sich dabei um den Ver-such, den Menschen von der Ethik her zu verstehen. Damit dieser Versuch und meine Kritik daran etwas deutlicher werden, erlauben Sie mir, dass ich etwas weiter aushole und Ihnen generell etwas darüber sage, wie Ethik betrieben werden kann.

Wenn Sie sich die philosophische Landschaft heute anschauen würden, dann würden Sie sehen, dass es drei verschiedene Arten und Weisen gibt, über Ethik nachzudenken, d. h., darüber nachzudenken, wie wir handeln sollen und was eigentlich eine Handlung gut, moralisch oder sittlich macht.

Eine dieser drei Arten und Weisen ist der Utilitarismus, der insbesondere in der angelsächsischen Welt beheimatet ist. Der Utilitarismus behauptet, dass es der Nutzen ist, der eine Handlung gut, sittlich oder moralisch macht. Aber der Nutzen für was? Der Nutzen für das Glück der Menschen. Eine Handlung ist dann sittlich und moralisch richtig, wenn sie das Glück der Menschen vermehrt oder das Leid der Menschen vermindert. Man kann den Utilitarismus auf verschiedene Weise kritisieren und er ist oft kritisiert worden. Eine mögliche Kritik ist beispielsweise, dass wir zwar in vielen Bereichen unseres Lebens den Nutzen maximieren können – denken Sie beispielsweise daran, dass Sie, wenn Sie Geld haben und sich überlegen, ob Sie Ihr Geld lieber auf ein Bankkonto legen oder ob sie Aktien damit kaufen, utilitaristische Überlegungen anstellen. Sie stellen sich die Frage: Was ist für mich von größerem Nutzen: Wenn ich mein Geld zur Bank gebe oder wenn ich Aktien kaufe? Aber viele Fragen, die wir uns auf einer tieferen Ebene stellen, lassen sich nicht mehr utilitaristisch beantworten.

Denken Sie z. B. an die Frage, ob es für Sie jetzt sinnvoll ist, dieses Buch über die philosophische Anthropologie zu lesen, oder ob Sie nicht viel eher andere Dinge tun sollten, wie z. B. sich um Ihre Familie kümmern oder Obdachlosen helfen. Es sind oft Fragen dieser Art, die uns als Menschen beschäftigen und wo wir nicht nur ein Gut, wie z. B. das Maximieren des Vermögens, miteinander zur Abwägung bringen müssen, sondern ganz verschiedene Güter. Ist es besser, etwas für die Familie zu tun oder ist es besser, sich in der Dritten Welt zu engagieren? Oder ist es besser, sozialpolitische Arbeit in Ihrem eigenen Land zu tun? Dies sind Fragen, die für uns Menschen wichtig sein können, auf die der Utilitarismus jedoch keine Antwort hat, weil er meint, dass es so etwas wie ein Gut gäbe, das maximiert werden kann. Aber es gibt nichts, was den Gütern sichum-die-Familie-kümmern, eine-philosophische-Vorlesung–hören und sich-in-der-Dritten-Welt-engagieren gemeinsam ist. Wir müssen da ganz andere Fragen stellen. Fragen, die damit zu tun haben, wie wir eigentlich leben möchten, was für eine Art von Mensch wir sein möchten usw.

Der zweite Kritikpunkt am Utilitarismus ist folgender: Wenn der Utilitarismus sagt, dass eine Handlung dann moralisch und sittlich geboten ist, wenn sie das Glück vermehrt oder das Leid vermindert, dann kann es vorkommen, dass uns eine Handlung zu tun geboten ist, die zwar unsere eigenes Glück vermindert und unsere eigenes Leid vermehrt, aber anderen Menschen zugute kommt. Und das ist sicher in vielen Fällen außerordentlich kontraintuitiv.