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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich
SOZIALPHILOSOPHIE

Moderne und natürliche Gesellschaft

Prof. Dr. Norbert Brieskorn SJ

In der ersten Vorlesung haben wir uns über grundlegende Dinge unseres Verhältnisses zur Gesellschaft unterhalten, zuerst über unsere Einstellung des Wohlwollens: Ohne Wohlwollen keine richtige Erkenntnis, auch nicht der Gesellschaft, mag sie uns auch manches zugefügt haben. Zweitens haben wir uns über das Erkennen von Gesellschaft unterhalten. Es ist nur möglich, weil wir nie total von der Gesellschaft ergriffen sind. Gesellschaft hat nie völlig von uns Besitz genommen. Nur deswegen ist es möglich, dass unser Geist sie anschaut und erkennt. Prinzipiell ist unser Geist eine Fähigkeit, welche gerade zur Eigenart hat, sich nicht bändigen und einfangen zu lassen. „Der Geist entwischt“, wie ich das in der ersten Vorlesung gesagt habe.

Bei der zweiten Vorlesung ging es um das Sprechen über Gesellschaft. Wir haben die Gefahr aufgezeigt, dass unser Sprechen über Gesellschaft, Menschen und Institutionen diese verdinglicht und sie damit ihre Lebendigkeit verlieren. Auch über das Sprechen, das immer ein Allgemeines ist, verlieren wir die Individualität dessen, was wir erkennen wollen. Im letzten Schritt sind wir dann auf Wissenschaften eingegangen, die sich mit Gesellschaft beschäftigen: Sozialwissenschaft, Soziobiologie, Konventionstheorie und Sozialphilosophie und wir haben diese als eine engagierte Philosophie des gesellschaftlichen Lebens herausgestellt.

Worum es im Folgenden geht, ist ein wenig Geschichte. Geschichte der Trennung von zwei Begriffen und damit auch von zwei Sachen, nämlich zwischen Staat und Gesellschaft. Dann geht es um das Wesen der Gesellschaft, seine klassische Formulierung und einen eigenenVorschlag.

1. Etymologische Auskunft

Erstens also die etymologische Auskunft: Gesellschaft findet sich etymologisch, also was die Wortherkunft angeht, in „Sälen“ das heißt genauer: in dem Versammlungsraum. Gesellschaft ist demnach ursprünglich etwas, wo Menschen sich versammeln, um Entscheidungen zu treffen. Geselle ist ebenfalls ein Wort, in welchem wir Bestandteile von Gesellschaft finden. Geselle ist der Mensch mit mir, der mit mir geht, nicht der Mensch neben mir. Der Wortteil „sell“ von Gesellschaft bezeichnet nicht bloßes Nebeneinander von Menschen, sondern eine gemeinsame Unternehmung, das heißt ein Aufeinandereinwirken von Menschen auf Menschen. In anderen Sprachen, wie in dem romanischen und angelsächsischen, finden wir das lateinische societas in Société oder Society, was Genossenschaft oder Gemeinschaft bedeuten kann.

2. Ausdifferenzierung von Gesellschaft aus Staat

Schauen wir uns die Geschichte der Ausdifferenzierung von Gesellschaft genauer an. In der griechischrömischen Zeit haben wir Begriffe, um das Gemeinwesen zu bezeichnen: Koinonia, griechisch die polis, bezeichnet den Staat oder Stadtstaat. Der lateinische Begriff civitas oder res publica bezeichnet wiederum die öffentliche Angelegenheit.

Es ist festzustellen, dass bis in das 18. Jahrhundert hinein Staat und Gesellschaft nicht unterschieden wurden. Man trennte nicht auf in die politische Organisation einerseits und einen ihr gegenüber stehenden eigenen Raum des sozialen Lebens andererseits. Vielmehr umfasste die politische Organisation das öffentliche Leben, die Erziehung der Kinder auf das öffentliche Leben hin, aber auch das Leben im Haus und anderen Lebensgemeinschaften.

Koinonia bezeichnete ursprünglich den Kultverband, dann auch den zweckbestimmten Zusammenschluss von Menschen, die nicht allein durch Instinkt oder Natur zusammen getrieben worden waren, sondern aus eigener Wahl zusammengehörten.