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Fachbereich

SOZIALPHILOSOPHIE

Religion in (Post)moderner Gesellschaft

Dr. phil. Michael Reder

1. Die erneute Aufmerksamkeit gegenüber der Religion

Religion ist heute wieder ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Das ist nicht erst seit dem 11. September so. In ganz unterschiedlichen Bereichen findet sich dieses Themenfeld wieder. Religionen nehmen Stellung zu politischen Fragen oder mischen sich in öffentliche Debatten ein. Religionsgemeinschaften, seien sie christlich, islamisch, hinduistisch, buddhistisch, werden überall auf der Welt zu immer wichtigeren zivilgesellschaftlichen Akteuren. In diesem Zusammenhang wird auch von einer Repolitisierung der Religion gesprochen.

Darüber hinaus lässt sich auch innerhalb der Religionen eine facettenreiche Ausdifferenzierung beobachten. Viele Sprachspiele, die früher genuin nichtreligiös waren, nehmen heute religiöse Elemente auf und bauen sie in ihre eigene Sprache und Bilder ein. Religion ist daher in ganz unterschiedlichen Bereichen verankert.

Dazu einige Beispiele: In vielen aktuellen Filmen, ob im Fernsehen oder im Kino, wird immer wieder Religion thematisiert. Religiöse Sprache und Ideen werden sowohl direkt als auch indirekt aufgenommen. Vor dem Erscheinen des letzten Harry-Potter-Bandes hat man beispielsweise lange darüber diskutiert, ob Harry Potter sich als eine Erlöserfigur im Kampf gegen die bösen Kräfte opfern wird und so eine Erlösungsbotschaft in den Roman einfließt. Solch eine Thematik findet sich ebenfalls in vielen aktuellen Filmen – man denke zum Beispiel an die Matrix Trilogie.

Ein weiteres Feld ist die Ökonomie, denn religiöse Symbolik hat auch in das Wirtschaftsleben Einzug gehalten. So wird beispielsweise in einer Werbung Milch als „Quelle des Lebens“ bezeichnet und mit hellem Licht angestrahlt. Diese Reklame greift dezidiert auf eine religiöse Semantik zurück.

Auch im öffentlichen politischen Diskurs wird Religion zum Thema. Im so genannten Kopftuchstreit wurde über die Frage debattiert, ob Beamtinnen im öffentlichen Dienst, beispielsweise in der Schule, aufgrund ihrer religiösen Überzeugung ein Kopftuch tragen dürfen. Ist das ein religiöses Symbol, das nur privat zulässig ist? Darf der Staat hier eingreifen? – so die aufkommenden Fragen, die intensiv diskutiert wurden. In vielen Städten wird zudem sehr hitzig und kontrovers gestritten, ob islamische Religionsgemeinschaften Moscheen bauen dürfen, und wenn ja, wie hoch das Minarett im Vergleich zum Kirchturm sein darf.

Auch im politischen Tagesgeschehen weltweit ist die religiöse Thematik zu finden. Die Wahlkämpfe zur US-Präsidentschaft sind traditionell von religiöser Sprache geprägt. Zudem haben gegenwärtig unterschiedlichste spirituelle Gruppierungen und charismatische Gemeinschaften erheblichen sozialen und gesellschaftlichen Einfluss, nicht nur in Lateinamerika oder Afrika, sondern auch in den westlichen Industrienationen. In Deutschland zeigt sich das große Interesse an der Religion am deutschen Papst Benedikt XVI. oder Veranstaltungen wie dem Weltjugendtag. Religion, so die implizite Botschaft, hat nicht nur im politischen, sondern auch in einem breiteren gesellschaftlichen Leben wieder an Bedeutung gewonnen.

Der Diskurs über die Säkularisierung hat sich in den vergangenen Jahren als Reaktion auf diese Entwicklungen deutlich gewandelt. Trotz nach wie vor anhaltender Tendenzen der Säkularisierung in einigen europäischen Regionen wird kaum noch von einem bevorstehenden Aussterben der Religion gesprochen. Dass Religionen auch in heutigen modernen und demokratischen Gesellschaften eine wichtige Bedeutung haben, schein ein Allgemeinplatz zu sein.

Auch die Philosophie hat in den vergangenen 15 Jahren intensiv auf diese Entwicklungen reagiert und Religion wieder stärker thematisiert. Verschiedene Philosophen wie Jürgen Habermas, der Franzose Jacques Derrida, Gianni Vattimo aus Italien und der US- Amerikaner Richard Rorty haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Funktion Religion in modernen Gesellschaften übernehmen kann.

2. Positionen