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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich

PHILOSOPHIE

Naturphilosophie

Von Prof. Dr. Harald Lesch

Die griechischen Naturphilosophen

Ich werde versuchen, Sie an ein paar Plätze zu führen und danach in den „Garten der Philosophie“ entlassen. Der Garten, das ist eigentlich schon das richtige Wort, das richtige Bild.

Philosophie sollte man nicht betreiben, wenn man Zahnschmerzen oder Kopfschmerzen hat oder sonst wie, wenn man schlecht drauf ist. Philosophie ist eine Sache, die dazu führen sollte, dass man sich über die Welt klarer wird. Das kann man nicht, wenn man sich ständig damit beschäftigen muss, dass einem irgendwas weh tut oder dass man Hunger hat.

Also, ich hoffe, Sie sind gut gerüstet, guter Dinge, denn dann - und nur dann - kann man sich wirklich der Philosophie zuwenden. Fröhlich, interessiert, neugierig, staunend. Das allererste, was es an Philosophie überhaupt gab, ist die Naturphilosophie.

Aristoteles – ein paar Griechen muss ich Ihnen vorstellen, nehmen Sie es mir nicht übel. Zu den großen „Resteuropäern“ kommen wir später. Fangen wir also bei den Griechen an – Aristoteles hat gleich zu Beginn in seiner Metaphysik, also offenbar einem Buch, das eigentlich gar nicht über die Physik, sondern darüber hinaus ging, geschrieben, dem Menschen seien das Staunen und die Neugierde immanent. Die seien in ihm drin. Der Mensch ist ein Lebewesen, das staunt und neugierig ist, das etwas wissen will.

Als Aristoteles das geschrieben hat, wollten schon andere viel früher als Aristoteles etwas wissen. Aristoteles konnte natürlich vor seiner Geburt nichts wissen wollen. Das klingt jetzt so läppisch – wovon redet denn der da? Aber Sie werden sehen, was ich meine. Wir haben tatsächlich einen gewissen begrenzten Erkenntnisraum – sowohl zeitlich wie räumlich. Das wird uns noch beschäftigen. Deswegen habe ich diesen Satz jetzt schon einmal gebracht, damit Sie sich nachher wieder daran erinnern: Ach, das war ja das, wo ich mich zum allerersten Mal darüber gewundert habe, worüber der Mann gesprochen hat. Sie werden sich noch ein paar Mal wundern, keine Bange. Ich werde Ihnen immer wieder Stolpersteine in den gedanklichen Weg legen.

Vor Aristoteles gab es schon andere, die sich darüber – den Kopf nicht zerbrochen – zumindest leicht angelehnt hatten. Vielleicht kennen Sie diesen einen, der da sitzt, der Denker von Rodin. Dieser Blick verrät etwas über die frühen griechischen Naturphilosophen.

Thales und das Wasser

Der erste, der sich wirklich richtig Gedanken machte, war Thales von Milet. Er gilt als der allererste Philosoph. Die Frage, die er stellt, ist sofort und unmittelbar eine naturphilosophische. Er hat die Frage gestellt: Was ist die Welt? Ja, aus was besteht sie denn?

Er war einer derjenigen, der die Elementelehre in die Welt gebracht hat. Für ihn war alles irgendwie Wasser. Also, es war ihm nicht alles Wurst, sondern Wasser – feucht eben. Das Feuchte war für ihn entscheidend.

Klar, Milet ist eine Stadt in Kleinasien – ist doch interessant, dass die griechische Philosophie in der heutigen Türkei begonnen hat, aber das nur am Rande. Milet ist eine Hafenstadt. Dass da das Wasser eine überragende Rolle spielt, ist klar. Stellen Sie sich einmal für einen winzigen Moment vor, Thales wäre Eskimo gewesen. Was hätte er denn dann für einen Stoff genommen, um die Elemente in die Welt zu bringen? Eis vermutlich. Natürlich weiß ein Eskimo, dass aus dem Eis flüssiges Wasser wird, wenn man es erwärmt, ganz klar.

Aber die Verwandlungsfähigkeit der gesamten Natur erschließt sich in Grönland nicht so leicht wie in Griechenland, wo ja viel Grün ist, wo es eine üppige Natur gibt. Das muss man immer in Rechnung stellen. Ich bereite Sie schon einmal drauf vor.

Sie erinnern sich: Aristoteles, der vor seiner Geburt nicht denken konnte und Thales, der natürlich, wenn er in Grönland gelebt hätte, wahrscheinlich auch nicht sehr weit gekommen wäre mit seiner Philosophie. All das sind Voraussetzungen für unser Denken. Die richtige Umgebung, die richtige Zeit – dass man sich im richtigen Moment am richtigen Ort befindet, ist durchaus nichts Läppisches, nichts Lapidares.

Bei Thales war es das Wasser. Danach gab es Anaximander, einen seiner Schüler, der meinte: Nein, da müsste es etwas ganz anderes geben, etwas Unendliches. Apeiron hat er es genannt. Das sei überhaupt keiner konkreten Sache zugetan, da müsste doch etwas ganz anderes da sein, etwas Ewiges, das da gewissermaßen herumschwirrt, aus dem die ganzen Elemente hervorgingen.

Feuer, Wasser, Luft und Erde

Danach kam direkt jemand, der meinte, es sei Luft. Wieder ein anderer, nämlich Heraklit meinte, das Feuer sei das Urelement von allem. Empedokles meinte, ach was, nicht nur eines, sondern vier Elemente. Nehmen wir die Erde noch mit dazu. Feuer, Wasser, Luft und Erde. Wie die Elemente sich miteinander verbinden, das ist wie mit Liebe und Hass. Wir haben hier also erste Verbindungsarten. Damit haben wir schon ganz wesentliche naturphilosophische Positionen bedacht, wobei die jedes Mal viel mehr bedeuten als das, was wir ihnen heute zubilligen.

Heraklit zum Beispiel, der Mann des Feuers. Auch eine interessante Überlegung: Hätte Heraklit den Satz „Alles fließt“ („panta rhei“) in einer Lebensumgebung, in einer Umwelt geprägt, die zum Beispiel total eingefroren ist? Also hätte man eine solche Philosophie auch im Winter in Alaska machen können? Nein, bestimmt nicht.

Die Welt ist verstehbar

Die Lebensumstände sind sicherlich prägend für die menschlichen Vorstellungen gewesen. Die Philosophen haben sich die Welt in Elementen erdacht. Aber das Allerwichtigste, das wirklich Allerwichtigste, das zu all diesen Leuten gehört – von Thales bis später zu PlatonDie Welt ist verstehbar