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Fachbereich

PHILOSOPHIE

Philosophische Anthropologie

Teil 4:

FREUNDSCHAFT UND LIEBE

Von Prof. Dr. Michael Bordt SJ

Meine Damen und Herren,

herzlich willkommen zur vierten Vorlesung in unserer Reihe ‚Einführung in die philosophische Anthropologie’, eine Vorlesung, die versucht, etwas über das Wesen des Menschen zu sagen. Das Thema der heutigen Vorlesung ist Beziehung, Liebe und Freundschaft, Beziehungen, in denen wir Menschen zueinander stehen.

Bevor ich mich dem Thema zuwende, lassen Sie mich Ihnen noch einmal den Kontext dieser Vorlesung verdeutlichen. Ich habe ja damit begonnen, Ihnen den Begriff des gelungenen Lebens zu entwikkeln und wir haben uns gefragt, was denn eigentlich inhaltlich ein gelungenes Leben ausmacht, was ein gelungenes Leben konstituiert. Wir haben am Anfang der letzten Vorlesungsfolge verschiedene Kriterien entwickelt, denen ein Begriff des gelungenen Lebens genügen muss. Das, was ein gelungenes Leben ausmacht, muss tatsächlich ein oberstes Gut sein. So etwas wie Reichtum und Gesundheit kommen deswegen nicht in Frage. Es muss der Conditio humana entsprechen, das heißt dem, was wir Menschen sind, sowohl als Artwesen, also als Individuen der Art oder der Gattung Mensch, als auch als individuelle Personen, die wir jeweils individuelle Fähigkeiten und Talente haben.

Das Thema Beziehung ist nun der Versuch, eine erste inhaltliche Füllung des Begriffs des gelungenen Lebens aufzustellen. Es knüpft auch unmittelbar an die Bedingung, unter der wir Menschen leben, also an die Conditio humana, an, denn was immer wir Menschen sind, wir sind in unserem Leben umgeben von anderen Menschen. Wir haben ganz unterschiedliche Beziehungen zu den Menschen, mit denen wir umgeben sind und es ist wichtig, sich über diese Arten von Beziehungen Gedanken zu machen.

Aber noch aus einem zweiten Grund ist das Thema menschliche Beziehung in unseren Tagen besonders wichtig. Erinnern Sie sich noch an das Ende der zweiten Vorlesung, in der ich etwas über die Identität des Menschen und über die Forschung im Zusammenhang mit der Patchwork-Identity, mit der Bastelbiografie des Menschen, gesagt habe. Die These ist ja gewesen, dass es für uns heute besonders schwierig ist, eine eigene Identität zu entwickeln, weil es uns nicht mehr möglich ist, uns einfach mit vorgegebenen Beziehungsmustern und Rollen zu identifizieren. Was es heute heißt, ein Vater oder eine Mutter zu sein, die ganze Gender-Frage, die Tatsache, dass wir nicht mehr in einem Beruf nach unserer Ausbildung bis zur Rente oder Pensionierung arbeiten können, diese Tatsachen machen unser Leben schwierig und wir müssen neu verstehen, was es heißt, in Beziehungen zu leben. Denn es sind gerade tiefe menschliche Beziehungen, die für die Anerkennung unserer Person so wichtig sind und die uns eine unverzichtbare Stütze und Hilfe auf dem Weg zur eigenen Identitätsfindung sein können.

Sicher, wenn wir über Beziehungen sprechen, über Freundschaft, über Liebe, dann sind die Überlegungen dazu ebenfalls relativ kulturgebunden. Ich bin Deutscher, ich gehöre zur westlichen Kultur und natürlich ist die jeweilige die Art und Weise, wie Menschen in Beziehungen stehen, auch kulturell geprägt. Die Gefahr, dass man persönliche Erfahrungen, die man im eigenen Leben gemacht hat, verallgemeinert und als allgemein gültig ausgibt, sind, wenn man über solche kulturell gebundenen Phänomene spricht, sicher größer als bei ganz allgemeinen Themen.

Damit die folgenden Überlegungen jedoch nicht zu individuell und zu persönlich werden, ist es wichtig, sie in Verbindung zu setzen mit der großen Tradition der Philosophie. Denn schon seit dem Beginn der Philosophie haben sich die Philosophen Gedanken darüber gemacht, wie denn menschliche Beziehungen zu verstehen sind.

Einer der wichtigsten und ersten großen Autoren, der darüber nachgedacht hat, ist sicher der griechische Philosoph Aristoteles, den wir ja auch schon kennen gelernt haben. Aristoteles hat zwei verschiedene Bestimmungen des Menschen gebracht. Zum einen, dass der Mensch ein Vernunftwesen ist. Anders als andere Lebewesen, wie Pflanzen und Tiere, zeichnet er sich dadurch aus, dass er vernünftig ist.

Gemeinschaft

Es ist aber nicht diese Bestimmung des Menschen, die uns jetzt so sehr interessiert, sondern eine andere, nämlich dass der Mensch ein zoon politikon ist, wie es heißt. Zoon ist das griechische Wort für Lebewesen und politikonzoon politikon