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Fachbereich
PHILOSOPHIE

Ethik – Was wir sollen

Von Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl

Pflichten und Verantwortungen…

Eine der Fragen, an denen man die Ethik sofort erkennen kann, ist: „Was sollen wir eigentlich?” Was ist unsere Pflicht? Was für eine Verantwortung haben wir?

Diese Frage müssen wir in zwei unterschiedliche Aspekte teilen: Was für Pflichten hat jeder von uns sich selbst gegenüber – also ich mir, Sie sich – und was für Pflichten und welche Verantwortlichkeiten haben wir anderen gegenüber? Das ist nicht das gleiche.

…gegenüber sich selbst…

Zunächst einmal: Was für Pflichten haben wir uns selbst gegenüber?

Wir dürfen – und das ist etwas, was Kant uns eindringlich gesagt hat – uns selbst nicht unglücklich machen. Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass wir, durch was immer wir auch tun, Arbeit, Vergnügen, dass wir uns nicht unglücklich machen, dass wir nicht krank werden, dass wir nicht etwas tun, was uns so verzweifeln lässt, dass wir nicht mehr in der Lage sind, darüber nachzudenken: Was ist nun eigentlich das Richtige?

Wir dürfen uns nicht selbst zum Instrument, zum Mittel unseres Ehrgeizes, unserer Ziele machen, wie immer sie seien. Also, wenn jemand unbedingt Marathon laufen oder sonst eine anstrengende Sport-art betreiben will und sein Arzt stellt fest, dass das eigentlich nicht geht, weil Herz und Kreislauf nicht richtig mitmachen, dann ist es ethisch geboten, dann hat er also die Pflicht, es auch nicht zu tun, denn er würde sich schaden. Eine sehr simple Angelegenheit, aber welche Pflichten haben wir nun anderen gegenüber als Einzelne?

…und anderen gegenüber

Nun, das kommt darauf an. Es kommt einmal drauf an, wie nahe uns die Menschen stehen und zum Anderen kommt es darauf an, ob wir den Menschen, wenn wir eine Pflicht erkennen, auch tatsächlich helfen können. Ich spreche jetzt von dem engeren Problem, anderen Hilfe zu leisten, andere zu unterstützen – nicht immer können wir das. Aber häufig wissen wir nicht so richtig, können wir das jetzt oder sollen wir das jetzt?

Stellen Sie sich vor, Sie sind auf dem Weg zur Arbeit und sehen, wie jemand in der U-Bahn hinfällt – das passiert häufig.

Sollen Sie oder ich jetzt stehen bleiben, um diesem Menschen zu helfen? Sollen das vielleicht nicht andere eher tun? Die Zeit drängt. Ich muss zu meinem Job. Manchmal sind wir da unsicher, aber Unsicherheit hin oder her, in dem Falle heißt es einfach: Ja ich soll diesem Menschen helfen.

Kollektive Verantwortung

Die Pflichten anderen gegenüber werden immer schwieriger, wenn es nicht nur darum geht, was ich oder Sie einem oder mehreren anderen gegenüber für Verpflichtungen haben, sondern wenn es um das größere Ganze geht, sogenannte kollektive Verpflichtungen, kollektive Verantwortungen. Was sollen wir als Gesellschaft anderen Gesellschaften gegenüber?

Denken Sie einfach an die schlimmen Ereignisse auf dem Balkan vor wenigen Jahren. Noch heute ist dieser Konflikt nicht wirklich gelöst. Damals haben viele in der westlichen Welt geglaubt, dass es die Pflicht unsere Gesellschaft ist – nicht nur unserer, auch der französischen, amerikanischen, englischen – den Menschen in Kosovo zu helfen. Man nennt das – etwas abstrakt – „humanitäre Intervention”. Dahinter verbirgt sich schlicht der Krieg, den man vom Zaun gebrochen hat, um dort wieder Frieden zu stiften. Natürlich war der Balkankrieg schon in vollem Gange. Man wollte also mit kriegerischen Mitteln ein Volk, eine Gemeinschaft vor weiterer Zerstörung retten.

Ist das eine Verantwortung, die Völker haben? War die humanitäre Intervention im Kosovo gerechtfertigt? Darüber gibt es Streit. Es ist gar nicht so einfach, ja oder nein zu sagen. Es gibt gute Gründe, die dafür sprechen, dass man sagt: „Natürlich, es war, auch im Nachhinein, richtig. Es wurden viele Menschenleben gerettet.”

Im Falle des Kosovo kann man sich wirklich streiten. Es gibt eine überwiegende Mehrheit, die der Ansicht sind, die Intervention war richtig, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, um weiteres Unrecht zu verhüten. Man kann durchaus sagen, die westlichen Gesellschaften haben hier eine Verantwortung für eine an sie angrenzende Gesellschaft übernommen.

Aber wie ist es im Falle des Irakkrieges? Was ist da von Verantwortung zu halten? Besonders von der, die die amerikanische Regierung für sich beansprucht hat?

Gibt es einen „gerechten Krieg?”

Vielleicht gehen wir einen Schritt zurück und fragen: Ist ein „gerechter Krieg” überhaupt denkbar? Was wäre denn ein gerechter Krieg?