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Fachbereich
PHILOSOPHIE

Ethik – Grundlagen

Von Prof. Dr. Wilhelm Vossenkuhl

„Ethik“ ist ein sehr gebräuchliches Wort geworden. Fast täglich steht es in irgendeiner Verbindung inder Zeitung. Politische Ethik, oder die Ethik in der Wirtschaft – Wirtschaftsethik – oder Medizinethik. Ständig lesen wir dieses Wort, aber was heißt es eigentlich, wo kommt es her?

Es stammt aus dem griechischen, ist ein Kunstwort, abgeleitet von dem griechischen Wort „Ethos“. Ethos ist das Brauchtum, die Sitte, die Gepflogenheiten. Soweit zur Herkunft des Wortes, aberwas bedeutet es?

Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“

Es hat noch immer etwas mit dieser Herkunft zu tun, es hat immer noch etwas mit den Sitten oder der Sitte zu tun – mit dem was richtig ist, was man tun sollte. All das ist schon in den Sitten enthalten. Aber es gibt einen ganz wesentlichen Unterschied.

Sitten sind die Umgangsformen, die wir Menschen von Kindesbeinen an lernen. Ethik ist etwas ganz anderes. Man kann es auf eine kurze, knappe Formel bringen und sagen: Die Sitte reicht uns für den Alltag. Sie sagt uns, was richtig, falsch, gut, schlecht ist. Dazu brauchen wir normalerweise keine Ethik, also wenn Ihr Freund, Ihre Freundin, Ihr Kind oder Partner krank geworden ist, oder auch nur etwas braucht, dann denken sie sicherlich nicht lange darüber nach und sie helfen einfach.

Etwas, das ganz normal ist, gehört also zur Sitte. In der Sitte kennen wir – wie ich schon sagte – die Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“.

Was ist nun dagegen die Ethik? In der Ethik steckt genau die gleiche Unterscheidung zwischen „gut“ und „schlecht“, „richtig“ und „falsch“. Aber im Unterschied zur Sitte fällt uns, wenn es um ein ethisches Problem geht, nicht sofort und auf Anhieb ein, was nun wirklich „gut“ ist.

Nehmen wir noch einmal das Beispiel mit dem Freund oder Kind, dem es gerade schlecht geht. Da brauchen sie nicht nachzudenken, ob Sie helfen sollen, Sie tun es einfach. Wie ist es aber, wenn Sie es mit jemandem zu tun bekommen, den Sie noch nie gesehen haben, der fremd ist – vielleicht sogar „fremdländisch“ aussieht. Der vielleicht auf der Straße liegt und von dem sie ganz genau wissen: dieser Mensch braucht Hilfe. Werden sie ihm helfen? Das ist nicht ganz leicht zu entscheiden, sie müssen nachdenken. Sie müssen überlegen: Was habe ich eigentlich mit diesem Menschen zu tun?

Natürlich braucht er Hilfe, aber braucht er gerade meine Hilfe? Muss ich mich um ihn kümmern?

Trennung zwischen „Sitte“ und „Ethik“

Häufig ist diese Frage mit einem klaren „nein“ zu beantworten, nämlich genau dann, wenn andere ohnehin schon helfen. Aber das ist so eine Art „Trennlinie“ zwischen Sitte und Ethik. In der Sitte oder in dem, was sittlich „normal“ ist, wissen wir ohne nachzudenken was gut und schlecht ist. Wenn es um eine ethische Frage geht, müssen wir nachdenken. Sollen wir einem Fremden helfen? Das ist nicht so ohne weiters klar. Soll ich das? Kann ich das überhaupt? Bin ich nicht überfordert mit dieser Frage, oder mit der Verpflichtung?

Also, Sie sehen, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Sitte und Ethik sind miteinander verwoben. Aber die Ethik hat es mit einer Frage oder mit Fragen zu tun, die sich nicht leicht beantworten lassen.

Seit der Antike gibt es diese Disziplin und seitdem gibt es natürlich auch den Zusammenhang mit den Sitten, die in einem Staat, in einer Gesellschaft herrschen. Ursprünglich in der griechischen Polis, in der Zeit in der zum Beispiel Platon und Aristoteles in Athen lebten, schrieben, nachdachten und lehrten. Beide hatten viele Schüler. Aristoteles war selbst Schüler von Platon. In dieser Zeit gab es eine Entwicklung, in der bereits erkennbar war, dass die Ethik eine Spezialdisziplin war, die nicht mit dem übereinstimmte, was die normalen Menschen auf dem Marktplatz unter „gut“ und „schlecht“ verstanden.

Sokrates