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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich WISSENSCHAFTSTHEORIE

Anomalien in der Wissenschaft

Von Illobrand von Ludwiger

Der Beginn der Wissenschaft

Wenn man von Anomalien spricht, dann bedeutet das ja, es gibt eine Abweichung von dem Normalen. Wenn ich darüber sprechen will, dann muss ich zunächst mal sagen, was das Normale in der Wissenschaft ist. Und um das zu tun, gehe ich erst einmal auf die Entstehung von Wissenschaft und auf die Voraussetzung von Wissenschaft ein.

Wie entstand die Wissenschaft?

Ist es möglich, dass man mit der Wissenschaft die gesamte Wirklichkeit erfassen kann?

Was ist in der Wissenschaft Gewissheit und Wahrheit?

Wie und wo ist Skepsis angebracht?

Dann erst geht es um die Anomalien, die dazu führen, dass man möglicher Weise versuchen sollte, die Wissenschaft mit neuen Theorien voranzutreiben. Und um das zu machen, möchte ich erst erzählen, wie überhaupt Wissenschaft in die Welt kam.

Wir stellen erst mal fest, wann Wissenschaft in dem Sinne, wie wir sie verstehen, nämlich Wissen, das rational begründet wird, hervor gebracht wurde. Das war im 4. Jahrhundert vor Christi durch die Philosophen in Griechenland: Sokrates, Platon und Aristoteles.

Aristoteles hat sogar eine Logik des Denkens entwickelt, die dann in den nächsten Jahrhunderten wegführend war. Bereits die alten Philosophen beziehungsweise Naturwissenschaftler, was damals im antiken Griechenland noch dasselbe war, hatten schon festgestellt – und zwar 200 vor Christi – dass die Erde eine Kugel ist.

Auch etwa im 2. Jahrhundert vor Christi hat Aristarch von Samos sogar den Durchmesser des Mondes, den Durchmesser der Sonne und auch die Entfernung berechnet. Das war natürlich alles noch nicht ganz in Ordnung. Er hatte angenommen, dass der Mond nur ein Drittel so groß ist wie die Erde. Der Mond ist aber nur ein Viertel so groß wie die Erde. Auch in der Größe der Sonne hat er sich verschätzt. Aber das war schon die richtige Wissenschaft, so wie wir sie heute auch verstehen.

Hipparch hat 150 vor Christi die Jahreslänge auf acht Minuten genau berechnet. Aus diesen Ergebnissen erstellte Ptolemäus im 1. Jahrhundert nach Christi ein Weltbild: Das sogenannte „Zwei-Kugel-Universum“, indem die Erde im Mittelpunkt stand und die Sterne und die Sonne sich um die Erde bewegten. Sein Buch zu diesem Thema hieß „Almagest“. Es wurde von den Arabern im 8. Jahrhundert ins Arabische übersetzt und im 12. Jahrhundert in Toledo dann ins Lateinische.

Seit dieser Zeit wussten die Mönche im Mittelalter also schon Bescheid, dass die Erde eben keine Scheibe, sondern eine Kugel ist. Das geozentrische Weltbild hatte sich im Mittelalter, mindestens in den Klöstern, so herumgesprochen. Erst Nikolaus Kopernikus hat um 1500 herum festgestellt, dass die Erde nicht im Mittelpunkt steht, sondern die Sonne, und dass sich die Erde und die anderen Planeten um die Sonne drehen.

Dann 100 Jahre später, so um 1600, gelang es Kepler, die Bahnen, die Planetenbahnen, die Kopernikus noch als Kreis angenommen hatte, als Ellipsen zu deuten. Dazu stellte er die Bewegungsgesetze auf.

Mathematik und Messbarkeit

Das war eigentlich der Beginn der moderneren Wissenschaft. Wobei der erste Vertreter der empirischen Wissenschaften schon im 13. Jahrhundert gelebt hat: Roger Bacon.

Roger Bacon hatte durch Experimente Vorhersagen auf das Verhalten von Systemen in der Zukunft gemacht. Das war natürlich eine ungeheure Gotteslästerung. Man hatte damals gemeint, dass alle Dinge und Naturerscheinungen irgendwie von Gott gegebene Zeichen sind. Und es stände nur Gott zu, über die Zukunft Aussagen zu machen. Nur er wüsste, was Zukünftiges bedeutet. Deswegen wurde Roger Bacon auch eingekerkert.

Es dauerte dann wieder eine ganze Zeit, eben 300 Jahre, bis Galileo Galilei wiederum Experimente machte. Er hatte auch ein Fernglas entwickelt, mit dem er den Mond, den Jupiter und die Sonne so genau betrachten konnte, dass er Flecken auf der Sonne feststellte. Das war auch eine gotteslästerliche Sache, denn man wusste doch, dass die Sonne ein „idealer Körper“ ist. Der darf keine Flecke haben. Deswegen weigerten sich die Kleriker, durch das Fernglas zu gucken, um zu sehen, ob der Galilei Recht hatte.

Das hatte man abgelehnt und man brauchte sich nicht darum zu kümmern.

Etwa gleichzeitig, aber unabhängig voneinander, kamen Kepler und Galilei zu dem Schluss, dass Mathematik der Schlüssel zur wissenschaftlichen Arbeit ist.

Mathematik und Experiment waren nun das rationelle Werkzeug, mit denen man Erkenntnisse gewinnen konnte. Im Mittelalter war das erkenntnistheoretische Interesse darauf gerichtet, warum etwas ist, welchen Zweck etwas hat. Was wollte Gott mit diesen Naturphänomenen sagen? Und alles was man sah, waren Zeichen und Machtäußerungen Gottes.

Diese damalige Denkweise äußert sich auch noch in einer Schrift von Erasmus Francisci. Er war ein Wissenschaftlicher, der noch ein Polyhistor war, der alles untersuchte. Damals waren die Phänomene noch nicht so im Detail bekannt wie heute. Heute ist es ja unmöglich, dass man über alles Bescheid weiß.