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SAUFEN IST URLAUB IM KOPF.

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VANESSA WIESER (Hg.)
geb. 1970 in Linz, Studium in Wien, danach Arbeit als Journalistin und Redakteurin. Seit 2007 Verlegerin des Milena Verlags. Liebt Wien.

WIEN
SCHÖN
TRINKEN 2

37 WIENER LOKALE MIT HERZ

Vanessa Wieser (Hg.)

Mit Fotos von Juliane Mego
Anna Schoiswohl
Christiane Wintersteiger

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INHALT

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Vorwort

Bierstadl im Böhmischen Prater (1100) Klaus Nüchtern

Braustüberl (1160) Fabian Faltin

Café Air (1210) Samir Köck

Café Alt Wien (1010) Markus Köhle

Café Anno (1080) Andi Plammer

Café Anzengruber (1040) Maik Novotny

Café Bendl (1010) Evelyn Steinthaler

Café Concerto (1160) Metka Wakounig

Café Dezentral (1020) Nino aus Wien

Café Engländer (1010) Barbara Mader

Café Heumarkt (1030) Clarissa Stadler

Kleines Café und Gasthaus Pöschl (1010) Peter Zimmermann

Café Korb (1010) Clarissa Stadler

Café Malipop (1030) Ernst Molden

Café Mocca (1180) Heidi List

Café Prückel (1010) Jörg Sundermeier

Café Stadtbahn (1180) Petra Hartlieb

Café Talisman (1160) Mieze Medusa

Café U 1 (1040) Roland Gratzer

Café Weidinger (1160) Manfred Rebhandl

Frame (1200) Vanessa Wieser

Gasthaus Müller am Yppenplatz (1160) Max Horejs

Gasthaus Quell (1150) Max Zirkowitsch

Zahlenrätsel

Ausmalbild bei Katerstimmung

Jo! Sushi & Co (1160) Martin Amanshauser

Le Troquet (1070) Evelyn Steinthaler

Loos Bar (1010) Dodo Gradistanac

Pizzeria Mari’ (1020) Bernhard Moshammer

Nachtasyl (1060) Rokko

Am Nordpol 3 (1020) Cornelia Travnicek

Phil (1060) David Pfister

Rhiz (1080) Sebastian Fasthuber

Schikaneder (1040) Metka Wakounig

Seestadt (1220) Marc Carnal

Trzesniewski (1010) Manfred Gram

Weinhaus Sittl (1160) Austrofred

Hermann’s Würstelsalon (1070) Tex Rubinowitz

Würstelzeichnung Tex Rubinowitz

Autorinnen und Autoren

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VORWORT

der Herausgeberin

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie sehr herzlich zum einzigartigen literarischen Lokalführer WIEN SCHÖN TRINKEN. Obwohl: Wien ist schön genug, man muss sich die Stadt eigentlich nicht schöntrinken, es klingt nur so drollig. Das Leben hingegen muss man sich oft schöntrinken – wir wollen Sie in diesen harten Stunden unterstützen und mit diesem Buch Frohsinn und Zerstreuung beisteuern. Falls Sie Tourist sind: Herzlich willkommen in der Walzerstadt! Folgen Sie unseren Lokalempfehlungen voller Zuvertrauen, tauchen Sie ein in die Wiener Ess- und Trinkkultur, es ist für jeden Geschmack und Humor etwas dabei.

Führende Wiener Lokalgrößen begaben sich für Sie in 37 Etablissements und legen hier ihre Erlebnisberichte vor, die den ganzen Charme und Witz dieser Stadt widerspiegeln. Dies ist übrigens die 2. Auflage dieses Werks, wundern Sie sich nicht, wenn sie vom Inhalt der ersten Auflage abweicht – einige Lokale haben einfach zugesperrt und somit konnten neue Autoren nachrücken und Ihnen ihre Lieblingslokale präsentieren.

Ihnen allen nun viel Vergnügen und Prost!

Mit unternehmungslustigen Grüßen

Vanessa Wieser

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»Indooraufenthalte im Bierstadl kann ich nur zum Zwecke des Klogangs empfehlen, es handelt sich hier eindeutig um ein Freiluftetablissement.«

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Bierstadl

Klaus Nüchtern

Adresse: Laaer Wald 218a, 1100 Wien

Öffnungszeiten: täglich 10-23 h, März–Nov.

Speisen: totes Tier, gebackenes Gemüse

Rauchen: geht gut

Charmefaktor: peripher und proletarisch

WC-Situation: tadellos und traurig

Song: Gustav Mahler, Das himmlische Leben

Wer das mag, mag auch: tschech. Märchenfilme

Sonderlich hoch hinaus kommt man am Laaer Berg nicht. Er bringt es gerade auf 250 Meter und ein paar Zerquetschte – die Angaben gehen da ein wenig auseinander. Damit schafft es der Monte Laa, als welcher die Erhebung im pittoresken Zwickel zwischen Ostbahn und Südosttangente ausgeschildert ist, nicht einmal unter die Top 50-Erhebungen von Wien, die freilich vorzugsweise im wesentlich gebirgigeren Westen zu finden sind – Döbling liegt ja schon viel näher an den Hohen Tauern als Favoriten. Für die Südostflanke der Stadt ist der Laaer Berg aber vergleichsweise imposant und hat sich seinen Namen redlich verdient. Immerhin ist er 80 Meter höher als der Konstantinhügel im Prater, der aus guten Gründen nicht Konstantinberg heißt.

Auch der Laaer Berg hat seinen Prater, den Böhmischen nämlich, und ein eigenes Riesenrad, das um einiges kleiner, aber eigentlich besser ist als das weltberühmte Riesenrad im Prater, jedenfalls preisleistungsmäßig betrachtet, denn für einen Bruchteil des Tarifs genießt man hier vom Berg aus einen mindestens so sehenswerten Wienblick wie im flachen Prater. Ähnliches gilt für das Budweiser, das im Bierstadl mit einem nicht weniger eindrucksvollen Monte Schaum gezapft wird als in der berühmten Massenabfüllanlage des Schweizerhauses, aber immerhin 60 Cent weniger kostet. Man könnte also durchaus zu der Auffassung gelangen, dass der Böhmische Prater die billigere, beschaulichere und letztlich bekömmlichere Alternative zum großen Bruder darstellt, quasi Triple-B.

Außerdem läuft man hier nicht Gefahr, auf irgendwelche Deppen und Deppinnen zu stoßen, die sich Lederhosen anziehen oder in ein Push-up-Dirndl zwängen, bloß weil die saisonalen Spaßimperative der Ballermann- und Bummsmusikindustrie das seit einiger Zeit vorsehen. Wie sich dieses Erholungs- und Vergnügungsareal, das in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts vor allem von den aus Böhmen und Mähren stammenden Arbeitern in den Ziegelfabriken, den sogenannten »Ziegelböhm’«, aufgesucht wurde, überhaupt als relativ modequatschresistent erweist. Die Brandbomben, die im November 1944 den Böhmischen Prater in Schutt und Asche legten, haben wenigstens die »Raupe« verschont, ein holz- und handgefertigtes Ringelspiel, das seit 90 Jahren hier seine Runden dreht.

Der Superlativismus des zeitgenössischen Schausteller-Business, das in erster Linie darauf angelegt ist, den an- und vorverdauten Langos-Spareribs-und-Schaumbecher-Mix möglichst schnell und druckvoll wieder aus dem Magen heraus zu praktizieren, hat keinen rechten Zugriff auf den Böhmischen Prater mit seinen Low-Key-Entertainment-Angeboten zwischen Hüpfburg, Märchenbahn und Minigolf. Nach zwei oder drei Saisonen, in der sie von einer jüngeren und vergleichsweise bombig gelaunten Nachfolgerin vertreten wurde, ist auch die traurigste Klofrau der Welt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, und wenn ich die Protzigkeit dieser Geste nicht scheute, würde ich ihr einmal einen 5-Euro-Schein in ihren mit Messingmünzen gefüllten Trinkgeldkorb legen, um zu überprüfen, ob sich ihre Mundwinkel dann um einen halben Millimeter nach oben bewegen.

Indooraufenthalte im Bierstadl kann ich wirklich nur zum Zwecke des Klogangs empfehlen, es handelt sich hier eindeutig um ein Freiluftetablissement. Der Bierstadl-Gastgarten (Bistagaga), der sich in drei Terrassen gliedert und auch einen überdachten Bereich umfasst – der hintere, wäldchenwärts gelegene Teil wird leider kaum noch zur Benutzung freigegeben –, hat alles, was ein Gastgarten braucht und sonst nichts. Ich präferiere das mittlere Niveau, denn hier ist der Boden gekiest (und nicht betoniert) und man hat den besten Blick in die Kronen der Zwergahornbäume. Wird dieser durch einen der Sonnenschirme behindert, kann man diesen selbsttätig abspannen, denn im Unterschied zu vielen stark frequentierten Gastgärten ist der Bistagaga vor den grauenhaften Monsterschirmen verschont geblieben, die nur vom eigens geschulten Monsterschirmaufspannpersonal bedient werden können und aufgrund des hohen und kräfteraubenden Bedienungsaufwandes dann meist die ganze Saison über aufgespannt bleiben, egal, ob die Sonne sengt, der Regen prasselt oder ein sanfter Zephyrhauch unter cirrusgekraustem Frühherbsthimmel sachte durch die Flora streicht.

Auch akustisch wird man allenfalls von den Gesprächen am Nebentisch behelligt, nicht aber von Radio- und Musikzuspielungen. Der Bistagaga ist quasi touristen- und bobofreie Zone, er wird vor allem von jungen Familien und mittelalten Ehepaaren mit Hunden frequentiert, die sich freilich nicht daran stoßen, wenn man großformatige Zeitungen auseinanderfaltet oder ein paar Bände der Eichendorff-Werkausgabe bei sich hat. Für dergleichen Lektüren ist dieser Ort auf 48 Grad, 10 Minuten, 3,1 Sekunden nördlicher Breite und 16 Grad, 23 Minuten und 54,593 Sekunden östlicher Länge durch sein kontemplatives Fluidum ganz hervorragend geeignet, auch das Verfassen von Dramoletten und Dissertationen ließe sich hier gut erledigen, wobei angemerkt werden muss, dass sich das Aufklappen von Laptops und Beklopfen von Tastaturen mit dem Genius loci nicht wirklich verträgt, weswegen ich doch zu Bleistift und Notizbuch raten würde.

Der Bistagaga lässt sich per Straßenbahn (Linie 6) Bus (15A, 68A oder 68B) ansteuern, aber am besten ist eigentlich das Fahrrad, denn wer bitterlichstraßenaufwärts strampelt, versteht die Sache mit dem Berg gleich besser. Den geht es dafür am Rückweg dann ja auch runter, und obwohl ich dringend darauf hinweisen muss, dass es fuckin’ unverantwortlich und voll gefährlich ist, nach drei Budweisern noch aufs Rad zu steigen, würde ich gegebenenfalls die Route über die 1. Haidequerstraße und die Ostbahnbrücke in den Prater wählen, denn auf diese Weise kann man über den Kanalwächterhausweg und die Gärtnerstraße die Bierinsel im Prater ansteuern und dort einfach weitermachen.

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»Abstürzen, das ist hier noch keine leere Phrase.«

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Bräustüberl

Fabian Faltin

Adresse: Enenkelstraße 27, 1160 Wien

Öffnungszeiten: tägl. bis 2 h, So 17-24 h

Speisen: Schinken-Käse-Toast (aus dem Tiefkühler)

Rauchen: Pflicht

Charmefaktor: 70er-Westernsaloon in Ottakring

WC-Situation: beengt

Song zum Lokal: Ch. Stürmer, Engel fliegen einsam

Wer das mag, mag auch: Buffalo Bill’s, 1070

Weltfrust, Beziehungskrisen, Blödheit, Einsamkeit, Schulden, Hypersoziophobie … ach, wie viele menschliche Zermürbnisse es doch gibt! Und noch schlimmer, und weitaus häufiger: ein trübes Gebräu aus alldem. In diesem Fall empfehle ich, schleunigst das Alt-Ottakringer Bräustüberl zu besuchen.

Das Bräustüberl liegt in unmittelbarer Nähe der U3 Ottakring (»die Endstation«), in der Enenkelstraße, direkt neben der Pizzeria La Valletta (zu gut Deutsch: »irdisches Jammertal«). Bis ganz spät schummern dort einige rührige Gasthauslaternen, weist eine Gösser-Reklame dem Suchenden seinen Weg. Paradoxerweise wird das Licht beim Nähertreten aber immer dunkler. Bis davon nichts mehr bleibt, außer ein fahles, grünlich-gelbes Nachglühen, direkt aus dem Ottakringer Untergrund, durch ein verhangenes, verruchtes Stück Fenster: der klägliche, authentische Nachschein einer einst so legendären Wiener Seele, in ihrem fortgeschrittensten, zutiefst zerknirschten Zersetzungsstadium.

Eine Holztür, abgegriffen, eine gefühlte Stufe – oder ist es die Beunruhigung über einen bevorstehenden sozialen Abstieg? Mir eröffnet sich ein längliches, dunkelst getäfeltes Säuferstübchen. Frivole Oldie-Musik heftet sich an die vergilbten Rauputz-Wände, flirrt durch Energiesparschatten, versickert hinter einer unbemannten Ecktheke.

Kaum Platz genug für ein halbes Bewusstsein, im Bräustüberl, den aber überlässt mir der Wirt zur Gänze. An diesem Freitagabend ist er wieder einmal sein eigener bester Gast gewesen, sitzt, in sich gesackt, auf einem hölzernen Sitzbänkchen. Sein Kopf: reglos überhängend, im Schein einer nackten Glühbirne, komplett erloschen. Im Nacken ist seine erschlaffte Hand liegen geblieben; die Zigarette, ein zentimeterlanges Aschetürmchen, steckt noch zwischen den Fingern.

Wehmütig falle ich ins freie Sitzeck bei der Tür. Abstürzen, das ist hier noch keine leere Phrase! Vielmehr steht schon ein robustes, quadratisches Kaffeehaustischchen bereit, fest im Boden verankert, um mich im Ernstfall abzufangen.

Darüber, an der Wand, einige laminierte Fotokopien des Speiseangebots. Gerade so, als genüge es den Trunkenen hier, wortlos auf die Unterlage ihrer Wahl zu zeigen: Ham ’n’ Eggs und Gulaschsuppe, Schinkentoast. Dazwischen informiert eine Kreidetafel über die aktuelle Geschäftsordnung des Hauses: Auf Ersuchen von Fr. Winklhofer + Hr. Sedlak haben wir am 29.7. und ab 12.8. jeden Sonntag von 10–14 h Frühschoppen.

Und jetzt, gegen Mitternacht, ganz ohne Wirt? Gerade will ich mich selber bedienen, da arbeitet sich plötzlich eine Wirtin am inneren Thekenrand entlang, ein arg zerdunsenes Gespenst vom Umriss einer Sturm-Dopplerflasche. Ihr glasiges Gesicht, schon den Tränen nahe, flackert rötlich vor mir auf.

»Einen Bailey’s, bitte«, bestelle ich, absurderweise, oder doch ein unbewusster Verweis auf die süßen Seiten des Lebens?

»Bailey’s hob i net! Naa! Hob i net!«, keift es manisch zurück. »An Sauren Apfel hob’ i! Saurer Apfel, gell!«

Ich nicke, die Musik, die doch tatsächlich aus einer digitalen Jukebox im Hinterraum kommt, gewinnt ächzend und schaurig schön an Fahrt. Was ich vom Sauren Apfel nicht behaupten möchte. Sperrige Schrammelmusik, erstklassiger Schnulzenpop, von Everybody Hurts bis Gimme! Gimme! Gimme!. Ich lasse mich davon um- und durchspülen, starre gedankenlos auf die nostalgiebraunen Bodenkacheln, dann wieder hinauf, über den Türbogen, wo eine Blechtafel guten Rat für turbulente Zeiten weiß: Legt euer Geld in Alkohol an! Wo sonst gibt es 40 %?

Rauch und noch mehr Rauch, ich inhaliere mit jedem Atemzug einen Hauch menschlichen Lebens, der von einer dreiköpfigen Säuferspätschicht am anderen der Ende der Theke auszugehen scheint. Vor der Theke, oder schon dahinter? Egal, die Kategorien sind im Fluss, im Rum-Cola-Fluss nämlich, den sie sich beherzt anschreiben lassen. Die Enge des Bräustüberls, so gemütlich, so gleichgültig, so bedrückend wie lang verjährte Freundschaften, lässt mich nachdenklich werden und Betrübliches träumen, dabei auch ein wenig existenziellen Pessimismus ausschwitzen; ich meine mich an komische Kaffeefahrten zu erinnern, an denen ich sicher niemals teilgenommen habe, an rätselhafte Spritztouren zu »Backhendlstationen« im Wiener Umland, von denen mein Großvater mir manchmal erzählte …

Abrupt, Punkt Mitternacht, ein tosend lauter Donauwalzer! Erbost erhebe ich mich, um diesem Tumult umgehend ein Ende zu setzen, krieche, von ironischen, geschmacklosen, masochistischen Selbstverstümmelungslüsten angetrieben, am Wirt vorbei, nach hinten. Bestelle mir von der Jukebox um 20 Cent nochmals ABBA sowie »Engel fliegen einsam«, dazu einen ordentlichen weißen Spritzer – Gimme! Gimme! Gimme!

Die Rum-Cola-Fraktion an der Theke sieht mich dafür ziemlich schief an. Ich sehe zurück. Etwas Vertrautes, Selbstverständliches erwächst aus unserem Blickkontakt, als wären im Bräustüberl soziale Gräben bloße Fiktion. Ja, schon stehe ich zusammen mit diesem Trio Infernale, mit Gerald, dessen Geburtstag hier begossen wird, einer scharfzüngigen Johanna und einem namenlosen, dafür unentwegt zwinkernden Cowboyhutträger; wir klopfen einige oberschlaue Trink- und Verbrüderungssprüche, von wegen »Restfett von gestern« und »gutbürgerlich angeheitert«.

Meine drei neuen Freunde sind, was mich mit einem Schlag wieder sehr zuversichtlich stimmt, durchwegs wortgewandte, weltoffene, ungetrübt intelligente Menschen. Insbesondere der Namenlose, der unter seinem schwarzen Cowboyhut so beharrlich über die Notwendigkeit spezifisch männlicher Identitätsbildung referiert; ich kann es nicht lassen, diesem Revolverhelden der Gender Studies seinen sonstigen Tätigkeitsbereich aus der Nase zu ziehen: Praktikant, gesteht er langwierig, und zwar im Bundeskanzleramt! »Wow«, schlucke ich, »ausgerechnet im Bundeskanzleramt! Und jetzt im Bräustüberl?«

»Das ist eh nur Verwaltung«, versucht er abzuschwächen, mir ist nur nicht ganz klar, welches von beiden gemeint ist; um über die Runden zu kommen, fügt er rasch hinzu, müsse er ohnehin noch Energy-Drinks vermarkten. Ich gluckse betroffen, komme aus dem Staunen kaum heraus. Dann zu Johanna, Tontechnikerin im Rhiz – ausgerechnet im Rhiz! Aber warum hat es sie dann ins Bräustüberl verschlagen?

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich, weil ich morgen, heute, um 6 Uhr direkt nach Texas, fliege, für einen Gig«, meint sie. Für die Langstrecke helfe es sehr, sich zuvor noch im hintersten Ottakring ordentlich zu besaufen.

»Warum ausgerechnet Texas«, möchte der Cowboy gerne wissen, »musst du noch deine Todesstrafe absitzen?«

»Geh, da reicht eh des Bräustüberl«, funkt Geburtstagskind Gerald dazwischen, während er, voller Besorgnis, mithilfe seines hell aufgleißenden iPhones dem immer noch komatösen Wirt unter die Augen leuchtet. »Vor allem solange außer uns keine weiteren Gäste hierherkommen – bitte niemandem weitersagen!«

»Oh ja, wirklich, was für ein Juwel …!«, willige ich scheinheilig ein, um von meiner doppelten Mission abzulenken; denn mir geht es ob dieser guten Gesellschaft jetzt schon viel besser (oder zumindest 40 % besser), ich bin fast schon wieder überdreht, und jedenfalls felsenfest überzeugt, die subtilen Schwingungen und aufheiternden Segnungen des Bräustüberls möglichst bald auch dem Rest der Menschheit mitteilen zu müssen – »Das bleibt natürlich unter uns«!

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»Leber, Milz und Nieren müssen im Training bleiben.«

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Café Air

Samir Köck

Adresse: EKZ Großfeldzentrum Top 17, 1210 Wien

Öffnungszeiten: Mo–Sa 7–20 h, So. und F geschl.

Speisen: Riesenbrote, Schweinsbraten für Europa

Rauchen: strikt vor dem Eingang

Charmefaktor: zw. Gerichts- und Speisekantine

WC-Situation: arm, aber ehrlich

Song zum Lokal: Voodoo Jürgens, Faung da nix an

Wer das mag, mag auch: Malle

1973 kam Regisseur Robert Dornhelm in die Großfeldsiedlung, um eine Reportage zum Thema Jugendbanden zu machen. Es blieb sein bester Streifen. Broschi B. und Peter S. führten eine dicke Lippe, Schurli B., damals vielleicht 14, schlich hinter den Wortführern herum. Damals war das GFZ, das Einkaufszentrum in der Großfeldsiedlung, brandneu. Auf die Bastler wartete der Kaindl, auf die Schallplattenfreaks das »Spotlight«, und Lebensmittel kaufte man im Konsum. Im selben Jahr öffnete das Espresso Air, ein sehr dunkles Lokal, wo man sich in Nischen zurückziehen konnte. Der schwarze Afghane, der Trip, die Opiumkapseln wechselten diskret die Besitzer. Dazu trank man Tee oder zuweilen ein Seidl Bier. Übermütige wie Erich L. zündeten ihre Darmwinde an. Das Feuerzeug an die richtige Stelle gehalten, löste eine Stichflamme aus. Manisch-depressiv waren die Späße, die da jene, die von der Stadt an der Peripherie abgelagert wurden, in einem Espresso wie dem Air machten.

33 Jahre später sieht die Sache anders aus. Viele der damals übermütigen Jungs sind tot, im Kriminal oder von der Post in Frühpension geschickt. Das Air gibt es immer noch. Tapfer kämpft es um seinen Platz in der zentralen Ausgehmeile der ins Alter gekommenen Satellitenstadt. Das Eiscafé mit seinem protzigen Gastgarten liegt zentraler, im Wettcafé am anderen Ende des GFZ sind Aggressionen besser abzubauen. Das Air versucht es mit Kultur. Vor einigen Jahren war die Jazz-Gitti da, nun kommt Spezi Hansi, ein Schlagertanzmusikprofi aus Kärnten. Für solche Anlässe plustert sich der Schanigarten mit einer ambulanten Grillstation auf.

Die 2002 gedrehte Folge von Elizabeth Spiras »Alltagsgeschichten« kehrte selbstverständlich auch im Air ein, das sich heute Café Air nennt. Seine Anmutung hat sich ebenfalls dramatisch verändert. Keine schummrige Beleuchtung mehr, und das Interieur hat die Holzfarbe gewechselt. Jetzt regiert eine ein bisserl erbarmungslose Helligkeit. Zudem wird eine Vielzahl an Speisen angeboten. Die überbackenen Riesenbrote, eines davon mit Blunze bepackt, protzen mit Fett. Der Toast ist resch wie der die Luft belebende Schmäh. Die regelmäßig stattfindenden »Spanferkeleien«, Grillabende mit Schweinernem, dienen nicht bloß dem Halten des oft stattlichen Gewichts, sondern auch ein wenig dem Kulturkampf, wie ihn die »Brüder aus’m Biermoos« (vormals Biermösl Blasn) so gerne propagieren, wenn sie furchtlos »Schweinsbraten für Europa, Schweinsbraten für die Welt« zur Blasmusik skandieren. Der Internationale der Dönersympathisanten wird auch im Café Air zuweilen das beeindruckende Emblem der Schweinsgrillage entgegengehalten. Geraucht wird artig vor der Türe. Schwere Burschen zechen zierlich drei Sorten Biere, Damen, die wohl schon Oma sind, stehen mit gepeckten Oberarmen vor der Tür und hantieren mit ihren Spreitzerln, wie die Zigaretten in der Siedlung traditionell genannt werden. Die Stürme der Jugend haben sich gelegt, jetzt gilt es ein nikotinhaltiges Lüfterl zu genießen und sich darüber zu freuen, dass man noch auf der Welt ist. Durch die Abendluft schwebt »Hey Mr. Tambourine Man« in der lebensfrohen Version der Byrds aus dem Äther, der Herr mit dem blauen Mascherl im Bart blickt bedeutungsvoll ins Leere. Eben zischte eine strenge Stimme an die Trommelfelle.

»Meine Damen und Herren, in 15 Minuten, Badeschluss!«

Ja, das kühle Nass des Frei- und Hallenbads ist nicht weit. Aber im Café Air benetzt man lieber die inneren Organe. Leber, Milz und Nieren müssen im Training bleiben. Damen und Kinder exotischen Aussehens schlendern am Air vorbei. Inder, Pakistani, Tadschiken, Mongolen, Türken – das Sprachengewirr ist von ähnlicher Dichte wie am legendären, von Karl Kraus unsterblich gemachten Sirk-Eck beim Hotel Bristol. Der ergraute Chef des Air kommt täglich. Sein Habitus ist einer von milder Resignation. Er hegt seine Gäste. Auf der Homepage des Café Air heißt es deshalb auch: »Wir sind keine Gastwirtschaft. Wir sind die Gastfreundschaft!«

Die Karte ist wesentlich umfangreicher als in den Siebzigerjahren. Jetzt, wo viele Damen und Herren an der Menopause laborieren, ist eine Kuchenvitrine unabdingbar geworden. Das Trostpotenzial des Süßen wird in diesem Zentrum der Randständigkeit permanent benötigt. Mit Bananenschnitte und Apfelstrudel erholt man sich ideal von den letzten, vorm Café abgehaltenen patriotischen Spanferkeleien. Wie gut das Frühstück ab 7 Uhr früh geht, konnte nicht eruiert werden. Am späten Nachmittag ist das Air jedenfalls gut besucht. Es brennt nicht mehr im Sonnengeflecht der Stammgäste. Eine seltsame Ruhe und Milde ist eingekehrt im einst so wilden Quartier.

»Hans Moser, Joe Berger und Helmut Qualtinger sind schon da

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Café Alt Wien

Markus Köhle

Adresse: Bäckerstr. 9, 1010 Wien

Öffnungszeiten: Mo-So 10-2 h

Krügerl: 3,50

G’spritzter: 2,50

Speisen: tolles Gulasch, aber auch anderes

Rauchen: ja und nein

Charmefaktor: einer der Klassiker in Wien

WC-Situation: neu!

Song zum Lokal: Patti Smith, Pissing in a River

Wer das mag, mag auch: Kleines Café, 1010 Wien

Hans Moser, Joe Berger und Helmut Qualtinger sind schon da. Schon lange. Hans Moser hängt über der Durchgangsglasschiebetür, die, stets offen, dafür sorgt, dass der Rauch vom vorderen Teil des Lokals schön brav in den hinteren zieht.

Erster Schluck, erstes Bier. Ein Moser-Bild in Öl, und Moser in seinem Element: trinkglasbewaffnet, Kopf im Nacken, die nasale Singstimme wie ein Schwert vor sich hertragend, wie nix schneidet sie sich durch Jahrzehnte zu mir durch. Ich summe Du narrischer Kastanienbaum. Ich sitze im letzten Eck, Rücken zur Wand, direkt bei den Toiletten. Bester Überblick. Es ist November, beste Alt-Wien-Zeit, und es ist dunkel, weil die burgunderrotweinschweren Vorhänge zugezogen sind und es im November hier ohnehin nie hell wird. Das Moser-Bild ist auch dunkel, dunkel und rauchgeselcht.

Zweiter Schluck, erstes Bier. Das Qualtinger-Bild ist ein Foto hinter Glas: Klassisches Kaffeehaustischsitzfoto. Daneben steht was, vermutlich vom Quasi selbst geschrieben. Kann’s nicht lesen, dafür müsste ich aufstehen, das ist nicht drinnen, muss sitzen, schreiben und trinken. Hängt über der Küchenausgabe, der Qualtinger. Muss sicher monatlich von einer zentimeterdicken Gulaschdampfschicht befreit werden, das Schutzglas.

Dritter Schluck, erstes Bier. Das Gulasch ist immer gut hier und oft die Rettung. Ein Gulasch, gut gesetzt – zum vierten Bier –, verlängert den Abend um drei, vier weitere, die man sonst zwar auch getrunken, aber