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DIE 100 BEDEUTENDSTEN ENTDECKER

Willem Ijsbrandszoon Bontekoe van Hoorn

(1587-1657) war Kaufmann und Seefahrer im Auftrag der Niederländischen Ostindien Kompanie. 1618 begann er sein Reisetagebuch zu schreiben. Der abenteuerliche und später mehrfach literarischen Vorlagen dienende Teil seines Reiseberichts begann mit der Explosion der Pulverkammer seines neuen Schiffes Nieuw Hoorn. Die Überlebenden des Unglücks retteten sich nach Java. Im Jahr 1625 kehrte Bontekoe in die Heimat zurück, wo er heiratete und während seiner letzten Jahre wahrscheinlich als Holzhändler arbeitete.

Zum Buch

»Im Menschen gibt es keine ärgere List, als dass er Freund erscheint und feindlich ist.« Kapitän Bontekoe

Holländische Seefahrer beherrschten im späten 16. und 17. Jahrhundert die Weltmeere. Im Mittelpunkt dieses Bandes steht der legendäre Bericht des Kapitäns Bontekoe van Hoorn, der im Auftrag der Niederländischen Ostindien Kompanie nach Ostasien aufbricht. Noch bevor er sein Ziel erreichen kann, erleidet die Mannschaft Schiffbruch: das Schiff gerät in Brand und explodiert. Doch Bontekoe kann sich und seine Reiseaufzeichnungen retten. Diese liefern bis dahin ungeahnte Eindrücke aus Ostasien und werden im 17. und 18. Jahrhundert zum Bestseller.

Auch enthalten: Die Beschreibungen der Reise von David Pieterszoon de Vries nach Ostindien und der Bericht der Nordreise des Kapitäns Jacob van Heemskerck und des Obersteuermanns Willem Barentszoon.

Kapitän Bontekoe van Hoorn läuft im Jahre 1618 mit dem Schiff Nieuw Hoorn Richtung Ostindien aus. Die Mannschaft umschifft gerade das Kap der Guten Hoffnung, als an Bord eine Seuche ausbricht und zu einem Zwischenaufenthalt auf den Maskarenen zwingt. Auf weiterer Fahrt im Indischen Ozean bricht Feuer in den Branntweinfässern aus, greift auf die Pulverkammer über und führt zur Explosion des Schiffes.

Bontekoe rettet sich auf abenteuerliche Weise auf einen Balken – seine Reiseaufzeichnungen in der Brusttasche. Er führt sie sogar weiter, als er mit einigen Leidensgefährten in einer Schaluppe orientierungslos auf dem Ozean treibt und gelassen, ja mit Galgenhumor dem sicheren Ende entgegensieht. Die hungernden Schiffbrüchigen verspeisen sich fast gegenseitig und werden später auf Sumatra Opfer eines blutigen Überfalls. Dass sie dennoch Batavia erreichen, grenzt ans Unwahrscheinliche und gehört zu den atemberaubendsten Passagen des Berichts.

Mit einer Flotte von acht Schiffen zieht Bontekoe nun von Batavia aus, um den holländischen Handel mit den Chinesen zu sichern. Nach ergebnislosen Kämpfen rüstet er sich jedoch zur Heimreise, auf der sein Schiff in einem fürchterlichen Sturm auch noch Mastbruch erleidet…

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Bildnis des Kapitän Bontekoe
aus der niederländischen Originalausgabe von 1646

Willem Bontekoe van Hoorn

Journal der Ostindischen Reise

Logbücher holländischer
Seefahrer im 17. Jahrhundert
1596 – 1630

Herausgegeben, übertragen
und kommentiert von M. R. C.
Fuhrmann-Plemp van Duiveland

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014

ISBN: 978-3-8438-0391-5

www.marixverlag.de

INHALT

Kurze Einführung in die Geschichte der Niederlande

Vorwort und Erläuterungen zu den Reiseberichten

Vorwort zu dem Journal des Kapitäns Bontekoe van Hoorn

Journal oder denkwürdige Beschreibung der Ostindischen Reise von Willem Ijsbrantszoon Bontekoe van Hoorn

Erstes Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Zweites Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Beschreibung der Reise von David Pieterszoon de Vries nach Ostindien

Vorwort

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Wahrhaftige Beschreibung der Nordreise des Kapitäns Jacob van Heemskerck und des Obersteuermanns Willem Barentszoon auf der Suche nach einem Nordost-Seeweg nach China und Ostindien und ihrer Überwinterung auf Nowaja Semlja

Vorwort zur »Dritten Nordreise«

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Nachwort zur »Dritten Nordreise«

Worterklärungen

Geographisches Register

Literaturhinweise

KURZE EINFÜHRUNG IN DIE GESCHICHTE DER NIEDERLANDE

VON 1400 BIS 1648

Die politische Struktur der Niederlande im Mittelalter bis zur Entstehung des Herzogtums Burgund um 1400 hat es ihrer Bevölkerung erst spät ermöglicht, sich am Wettstreit auf den Weltmeeren mitbewerbend zu beteiligen. Bis zu der Zeit, da sich die Niederländer allmählich aus der Abhängigkeit von dynastischen Interessen herauszufinden und – zumindest aus Gründen der Nützlichkeit – als Nation zu empfinden begannen (Ansätze dieser Entwicklung zeigen sich bereits in der Burgunderzeit), betrieben sie im Wesentlichen Frachtschifffahrt im Dienste großer Nationen. Als kleine Völkergruppe ohne eigene Staatsform hatten sie zunächst in der Schifffahrt keine überspannten Ziele; mit der Binnenschifffahrt in den eigenen Grenzen sowie später mit der sich immer weiter ausdehnenden Frachtschifffahrt verdienten sie sich ein gutes Brot. Dazu kam auf fruchtbarem Boden eine blühende Landwirtschaft, betrieben von Bauern, die im Vergleich zum üblichen Status der Bauern im Mittelalter frühzeitig eine Freiheit genossen, die ihnen selbst die Früchte ihrer Mühen mit zugutekommen ließ.

Nach dem ruhmlosen Ende der Karolingerherrschaft im zehnten Jahrhundert gab es zwischen 1024 und etwa 1100 noch eine Zeit relativer Einheit unter dem Bistum Utrecht. Danach beginnt eine Periode, von der Dr. Jan Romein in seinem Buch De Lage Landen bij de Zee am Anfang des Kapitels »Feudale Zersplitterung« Folgendes sagt:

»Flandern und Brabant im Süden, Holland, Utrecht mit Overijssel und Gelre (= Gelderland) im Norden, dies sind die feudalen ›Atome‹, in die die Niederlande durch die Zersplitterung des Herzogtums Lothringen auseinanderfielen. Die Geschichte ihrer wechselseitigen Verhältnisse wie auch ihrer Beziehungen zu Gebieten, die sich später innerhalb der Burgundischen Monarchie wieder mehr oder weniger zusammenfinden sollten – Hennegau, Lüttich und Limburg im Süden, Friesland im Norden – zeigt in der Periode von etwa 1100 bis etwa 1400 ein wirres Bild, so wirr, dass sogar von ›Geschichte‹ kaum die Rede sein kann. Dieses Bild kompliziert sich noch, wenn wir nicht nur das wechselseitige Verhältnis dieser verschiedenen Gebiete, sondern auch ihre Relationen zum ›Ausland‹ in Betracht ziehen und zugleich die inneren Gegensätze, die ein jedes dieser Länder, oft bis zum Bürgerkrieg, entzweien …«

Während dieser Epoche hat es kaum eine Zeit gegeben, in der, abgesehen von den kleineren Herren, sich die gekrönten Häupter Englands, Frankreichs und des Kaiserreichs nicht an diesen Ländern interessiert gezeigt hätten, an ihrem Besitz oder zumindest am Einfluss auf sie. Indessen sei davor gewarnt, sich diese Völker als Nationalstaaten im heutigen Sinne vorzustellen. Die Gebiete überschnitten sich in einer heute unvorstellbaren Weise, und Ländchen in der Größe von Monaco oder Liechtenstein, heute freundlich geduldete Anachronismen, bestimmten damals zu Hunderten das Bild der Landkarten. Das Haus Wittelsbach beispielsweise regierte zwischen 1356 und 1428 Holland, und seine letzte unglückliche Fürstin, Jakoba von Bayern (1401 bis 1436), ist dort durch ihr unseliges Leben und Ende noch heute auf fast legendäre Art bekannt.

Durch die Verhältnisse, die wir der Einfachheit halber mit dem Sammelwort »politisch« bezeichnen wollen, waren weder Deutschland noch Frankreich imstande gewesen, die Entstehung und Erstarkung eines neuen Reiches, des Herzogtums Burgund, zu verhindern. Die ökonomische Entwicklung der Völker von der Produktenwirtschaft zur Geldwirtschaft hatte im Lauf der Jahrhunderte trotz der oben geschilderten Zerstückelung Ansätze zu Bündnissen und Zusammenschlüssen zwischen den niederländischen Landschaften gezeitigt. Diesem Streben kam der zielbewusste Wille des neuen Staates zur Zentralisierung entgegen. Die Länder fielen Burgund in der altbewährten Weise durch Heirat, Tausch oder Eroberung, also durch Krieg, zu. Aber mehr noch als zuvor handelte es sich hier um dynastische, nicht um nationale Interessen. Dennoch schlossen sich diese kleinen Länder dem neuen Staat zwischen den Großmächten Frankreich und Deutschland nicht unwillig an.

Nach dem vorzeitigen Kriegertod Karls des Kühnen (1477), des letzten Herzogs von Burgund, der ohne männlichen Erben war, beeilte sich der König von Frankreich, Ludwig XI., sich Burgund einzuverleiben; hierdurch schien für die Niederlande die Chance und Notwendigkeit zum Zusammenschluss zu einem niederländischen Staatswesen gegeben. Die Heirat der Maria von Burgund, Tochter Karls des Kühnen, mit Maximilian von Österreich brachte indessen den Habsburger als neuen, mächtigen Prätendenten ins Spiel und bestimmte auf lange Zeit durch die Bindung an diese Dynastie das Schicksal der Niederlande. Dass einige von ihnen Deutsche Kaiser waren, machte zwar die Politik des Reiches in den Niederlanden bestimmend, aber aus dieser Personalunion war nicht ohne Weiteres die Zugehörigkeit der Niederlande zum Deutschen Reich zu folgern. Diese wurde erst von Karl V. auf dem Verwaltungsweg geschaffen, und zwar mit der Zusammenfassung der »Rest«-Länder Burgunds, darunter Lothringen und die Niederlande, unter dem Namen »Burgundischer Kreis«, den er im Jahre 1543 dem Deutschen Reich unterstellte.

Nach der Abdankung Karls V. im Jahre 1555 zerfiel das Reich, »in dem die Sonne nicht unterging«, in das Deutsche und das Spanische Reich. Karls Bruder Ferdinand wurde Deutscher Kaiser, sein Sohn Philipp II. erhielt Spanien und die Niederlande.

Die drei vorliegenden holländischen Reiseberichte, deren Gesamtablauf sich von 1596 bis 1630 erstreckt, sind exemplarisch für die Fülle von niederländischen Dokumenten über Reisen, die um die ganze damalige Welt führten. Die getroffene Auswahl ergibt sich keineswegs zwangsläufig, sondern wurde aus ganz anderen Gesichtspunkten als den sonst üblichen getroffen. Denn während die Schifffahrt der meisten abendländischen Staatswesen dieser Epoche – insofern es sich um Entdeckungsreisen handelt – mit wenigen großen Namen verknüpft ist, deren Träger berühmte Journale verfassten, ist unter den Holländern das »Angebot« groß und vielgestalt, weil es sich hier um ein ganzes Volk von Seefahrern handelt, die nicht Entdeckungen und Landeroberungen, sondern Handel und Pflege der sich daraus ergebenden Beziehungen im Auge hatten. Ohnehin war die Zeit der großen Entdeckungen bereits im Schwinden, als sich die Holländer im Kielsog der Handelsflotten reich gewordener Staatswesen auf »Große Fahrt« begaben. Und auch dann fuhren sie zunächst nur für Rechnung dieser Nationen, gesuchte Frachtfahrer, die ihr Handwerk zuverlässig verstanden.

Der Leser sehe sich die Landkarte der Niederlande an, und er wird begreifen, dass das Wasser die Hauptinspirationsquelle eines Volkes sein muss, dessen Boden zum großen Teil unter dem Meeresspiegel liegt; dessen Augen, wohin sie auch immer im eigenen Land blicken, nur Wasser begegnen; dessen Lungen überall, wo es sich im Land befindet, die salzige Seeluft atmen. Zugleich ist es der Hauptquell seiner Nahrung – einer nahrhaften Nahrung. Mag im modernen Industriestaat, der die Niederlande heute sind, sich manches verlagert haben; aber zu den Zeiten, von denen hier die Rede ist, ist die See die große Mutter.

Unter diesem Volk von Seefahrern nun fühlte sich so mancher, den keine andere Verantwortung für das Gelingen der Reise drückte als die für das Zusammenspiel der eigenen Person im »Volk«, aus »Lust zu fabulieren« berufen, neben den streng sachlichen Navigationsberichten der Schiffsobrigkeit eine eigene Schau der Geschehnisse zu gestalten. Durch die Brille seines Autors gesehen und durch keine allzu großen Seefahrtskenntnisse getrübt, spricht ein solcher Bericht den unbefangenen Leser oft mehr an als die gewissenhaftesten Beobachtungen der Oberen.

Beispiel eines jahrhundertealten, guten Handelsverhältnisses zwischen zwei Völkern war die Beziehung zwischen Holländern und Portugiesen. Sie fand ihren Anfang in einer mehr oder weniger legendären Gemeinsamkeit im Kampf gegen maurisch-mohammedanische Herrschaft auf portugiesischem Boden im zwölften Jahrhundert.

Als Portugal seine Große-Fahrt-Ziele immer mehr ausweitete – es ist der eigentliche Entdecker Indiens –, gab es für die Holländer in der Frachtfahrt gut zu tun. Unter portugiesischer Flagge fuhren sie in aller Herren Länder, in ferne Weltteile, bis nach Brasilien … – aber nicht nach Indien. Die Portugiesen, obwohl sie die Ausbeutung und Nutzbarmachung dieser reichen Länder nicht im Entferntesten bewältigen konnten, schienen es bei aller Freundschaft für möglich zu halten, dass der Anblick solcher Reichtümer die Holländer zu eigenen Unternehmungen anregen könnte. Sie wünschten dies nicht, da sie sich dort als die alleinigen Herren betrachteten. Dass es trotz aller Vorsicht dazu kam, beweist, dass eine Zeitentwicklung sich nichts vorschreiben lässt. Es gab aber auch noch einen besonderen politischen Anlass.

Direkte Ursache war 1580 das Freiwerden des portugiesischen Throns, auf den Philipp II. jetzt Anspruch erhob. Er schickte dorthin ein Heer unter dem Herzog von Alba – dem wir im Zusammenhang mit der Geschichte der Niederlande begegnen werden –, um diesem Anspruch durch die Waffen genügend Nachdruck zu verleihen. Portugal wurde mit Spanien »vereinigt« und Philipp somit Herr über dessen überseeische Besitztümer und die dorthin führenden Wasserwege, auf denen bislang Portugal über seine Alleinherrschaft gewacht hatte.

So war denn das befreundete Portugal für die Holländer zum Gegner und Konkurrenten geworden. In den bisherigen Beziehungen trat aber nicht sofort ein Wandel ein. Weder Spanien noch Portugal konnten die riesigen überseeischen Gebiete ohne geheuerten Schiffsraum handelsmäßig bewältigen. Die Holländer, dieses ganze Volk von hervorragenden Fachleuten auf See, waren ihnen unentbehrlich. Auch der Kampf, ja später der offene Krieg mit Spanien führte durchaus nicht gleich zur Auflösung dieser bewährten Beziehungen. Man verdiente doch gut aneinander – warum denn fanatisch sein?

Allerdings wurde es für den holländischen Seemann an der spanischen Küste nach und nach doch recht unsicher, sein Schiff konnte gekapert, die Mannschaft auf die Galeeren geschickt werden. Endlich antwortete Holland mit einem Verbot für seine Schiffe, spanische Häfen anzulaufen, und Portugal war nunmehr mit einbezogen und musste auch das Schicksal der Schwächung Spaniens als Seemacht teilen.

Diese Schwächung war erheblich ... Indes – wir eilen mit der Seefahrtsgeschichte dem Verlauf der politischen Geschichte der Niederlande voraus und kehren deshalb zurück zum Jahre 1555, da Karl V. als Kaiser abdankte, um seine letzten Lebensjahre in einem spanischen Kloster als Schwerkranker zu verbringen. Laut einer historischen Anekdote soll sich der mächtige Kaiser während des angreifenden Abdankungsaktes zu Brüssel auf die Schulter eines jungen niederländischen Edelmannes gestützt haben, dem er, ohne Kenntnis von dessen Charakter und Zielen, seine Huld geschenkt hatte ...

Die Zentralisierungsbestrebungen Karls V. waren zeitgemäß, und solange sie den Niederländern ihre bisherigen innenpolitischen Freiheiten ließen, wie dies unter den Burgundern der Fall gewesen war – natürlich auch die Freiheit zum Austragen innerer Zwistigkeiten! –, so lange waren sie geneigt, in erster Linie die Vorteile dieses Systems anzuerkennen, die vor allem wirtschaftlicher Art waren. Sogar Karl V., der als strenger Katholik das Motiv des Gewissenszwangs und damit die Inquisition in die Niederlande einführte sowie einen bis dahin unbekannten Puritanismus am Brüsseler Hof, konnte sich, zumindest beim Volk, noch einiger Beliebtheit erfreuen. Er selbst liebte die Niederländer auf seine Weise und glaubte, um deren Heil bemüht zu sein. Er hielt in Brüssel Hof und blieb dem Volke sichtbar.

Unter seinem Nachfolger Philipp II. wurde der neue Kurs hart spürbar. Die teilweise sehr alten Privilegien der Niederländer missachtete er, Gelder, bisher in der Form einer sogenannten Bede (Bitte) den Völkern abverlangt, wurden durch Steuergesetze erzwungen, die Inquisition wurde verschärft. Im Gegensatz zu seinem Vater liebte er, der in Spanien erzogene Prinz, die Holländer nicht, eher verachtete er sie. Er verließ nach wenigen Jahren den Brüsseler Hof und kehrte nach Spanien zurück. Die Niederlande hat er danach niemals mehr betreten.

Dem Lande schickte er Statthalter, einige davon Frauen aus dem Haus Habsburg. Sie hatten nur für die Beachtung der Gesetze zu sorgen, die er von Spanien aus erließ, und sie besaßen keinerlei Vollmacht, deren Strenge zu mildern, auch wenn sie, was manchmal der Fall war, dazu neigten.

Freilich war dieser Politik bald ein würdiger Gegner erstanden in der Gestalt des Prinzen Wilhelm von Oranien, in die Geschichtsschreibung der Völker eingegangen als »der Schweiger«, in die Geschichte der Niederlande und in das Herz des Volkes als »Vater des Vaterlandes«. Durch Erbe, zu dem auch das winzige Fürstentum Oranien (in der gegenwärtigen Provence) gehörte, niederländischer Edelmann geworden, verließ er als elfjähriger Knabe seine Familie zu Nassau und das Stammschloss Dillenburg, um in Breda, in der Provinz Brabant, nach den Gepflogenheiten jener Zeit einen eigenen Hof zu führen. Obwohl von Geburt Lutheraner, sahen seine Eltern in der mit dem Antritt des Erbes verbundenen Forderung, zum Katholizismus überzutreten, kein besonderes Hindernis. Man war damals in Glaubenssachen nicht immer so heikel. Die Glaubenszugehörigkeit war eines der Mittel der Politik jener Tage.

Der Prinz von Oranien blieb der Kirche, so schien es wenigstens, lange treu, und wir sahen ihn soeben als Bevorzugten des scheidenden weltlichen Oberhauptes katholischer Christenheit, Karls V. Seine nüchterne, tolerante Natur neigte nicht zur Demonstration. Auch hielt er, mit vielen seiner Standesgenossen, lange die fiktive Version aufrecht, Diener des Königs zu sein und nicht diesen, sondern den Kurs zu bekämpfen, den dessen ausführende Organe steuerten – das System, so würden wir heute sagen.

Als indessen unter der Regierung Philipps die Niederlande immer mehr die Rolle von Unterworfenen zu spielen hatten und die Inquisition überhandnahm, musste der Prinz von Oranien – seit 1559 Statthalter »des Königs« von den Provinzen Holland und Zeeland, mit ansehnlichen Gütern gesegnet, unter seinen Standesgenossen angesehen und vom Volk verehrt – eine klare Entscheidung fassen. Ein Geschehen, das seinen Urhebern in der Kulturgeschichte des Abendlandes zu Recht einen bösen Ruf verschafft hat, bot hierzu den unmittelbaren Anlass, der sogenannte Bildersturm: ein protestantischer Volksaufstand, in Antwerpen ausgebrochen, von Stadt zu Stadt übergreifend und den herrlichsten Kunstwerken in den Kirchen den Tod bringend. Für den Oranier und seine tolerante Politik war dieses Ereignis eine Katastrophe.

Philipp antwortete sofort, indem er seinen besten Feldherrn und treuesten Diener mit einem ansehnlichen Heer nach den Niederlanden entsandte: den Herzog von Alba. Seine Aufgabe war die Bestrafung der Schuldigen, die Wiederherstellung der Ordnung und die Unterwerfung der Ketzer unter den wahren Glauben. 1567 betrat er, mit allen Vollmachten versehen, das Land und traf Oranien nicht mehr an, der vor allem unter seinen protestantischen Standesgenossen in Deutschland und innerhalb seiner zahlreichen Familie für den Widerstand in den Niederlanden warb.

Hinter ihm war im Land die Hölle losgebrochen. Albas berüchtigter »Blutrat« verurteilte Tausende, darunter zahlreiche Edelleute, zum Schafott – so auch den Grafen Egmont, Spross einer der ältesten niederländischen Adelsfamilien und in Deutschland berühmt geworden seit Goethes Drama.

Es gelang dem »Schweiger« im Laufe der folgenden Jahre, eine Reihe von protestantischen Fürsten und Edlen, vor allem aber seine Brüder, am Kampf zu beteiligen. Das Motiv der Religionsfreiheit war zu jener Zeit sehr zugkräftig und spielte in den Vorstellungen der Menschen die Hauptrolle, obgleich es nur eines unter vielen war. Freilich wurde dieses Motiv entscheidend für den Ausgang, denn hinter Philipp II. stand Rom, stand die ganze damalige katholische Welt mit ihren ungeheuren Druckmitteln geistiger und materieller Art. Die politische Freiheit, auch die Gedankenfreiheit, eines kleinen, in sich zerteilten Volkes ohne eigene Staatsform hätte kaum fremde Menschen und Vermögen auf den Plan gebracht. Damals aber verstand die protestantische Welt, dass dieses kleine Volk einen symbolischen Kampf um jene großen geistigen Belange kämpfte, die die Zeit forderte, für die die Welt reif war.

Wilhelm I. von Oranien zog auch für sich die Konsequenz. Bei seiner Rückkehr in die Niederlande 1573 trat er zum Calvinismus über. Dieser Akt erscheint uns aus der Entfernung viel selbstverständlicher, als er damals war. Noch immer blieb der überaus größere Teil der Niederländer katholisch, die Katholiken waren zwar von Spanien nicht geschützt, die Calvinisten aber regelrecht vogelfrei. Es lässt sich annehmen, dass es sich bei dem »Schweiger« nicht um ein Gebot seines Gewissens handelte, sondern des Anstands gegenüber seinen Kampfgenossen, die er ja in erster Linie unter dem Motto der protestantischen Sache für die Teilnahme am Kampf gewonnen hatte – also letztlich um eine politische Überlegung ... unter anderem. Man sollte die damals so verwickelten Motive dieses Ringens nicht zu sehr vereinfachen.

Denn ein Ringen wurde es, ein Ringen von Mann gegen Mann um jeden Quadratmeter Boden, um jede Stadt, jeden Flecken, jeden Hafen. Der gewaltige Mitspieler im Leben der Niederländer, das Wasser, wurde häufig ohne Rücksicht auf eigene Schäden und Verluste als Bundesgenosse herangezogen. Dem Wasser gaben sie, wenn es sein musste, preis, was sie dem Feind vorenthielten. Das Durchstechen der Deiche mit den entsprechenden Folgen für die Bewohner des geopferten Landes war durch Jahrhunderte ein Mittel, den Feind zu vertreiben, dem keine andere Strategie gewachsen war.

Nach mehreren spanischen Statthaltern, die alle scheiterten – Alba hatte bereits lange das Land verlassen, mit keinem anderen Ergebnis als der Entfesselung des totalen Aufstandes –, fanden sich die Länder, zu denen zunächst auch die südlichen Niederlande, das heutige Belgien, gehörten, in einer Reihe von Verträgen zusammen, die zum Inhalt die Loslösung von Spanien, die Duldung der Konfessionen und eine eigene Staatsform hatten. Aus diesen Vereinbarungen und Verträgen, bei denen der innere Zwiespalt in Fragen, deren Gewicht uns heute nicht mehr verständlich ist, schon klar hervortrat, kam so etwas wie ein gemeinsames Staatswesen, eine Art Grundgesetz zustande (Utrechter Union), und seitdem bestand eine Republik der Vereinigten Niederlande. Die Staatsform der Res publica, uns heute so geläufig und selbstverständlich, war in einer Zeit, in der es von Dynastien und gekrönten Häuptern wimmelte, fast eine Ungeheuerlichkeit. (Man bedenke, wie seltsam es ist, dass andererseits heute, da alle diese Throne gestürzt sind, Holland als eines der wenigen Länder des Abendlandes an der Monarchie festhält!) – Mag dieses seltsame, eigenwillige kleine Staatsgebilde den großen Monarchien Frankreich und England damals kaum behaglich, geschweige denn sympathisch gewesen sein, so galt es doch seit dem letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts als bündnisfähiger politischer Partner. Mit diesen Vereinigten Niederlanden musste auch Spanien sich zu Verhandlungen bequemen, als seine katastrophale Lage es zwang, mit diesen über den Frieden zu sprechen. Da Spanien aber im Gegensatz zu der realen Situation immer noch die Anerkennung der spanischen Krone seitens der Niederlande forderte, kam es im Jahr 1609 nur zu einem zwölfjährigen Waffenstillstand. Und wenn wir nachher mit unserem Kapitän Bontekoe in See stechen, geschieht dies auf einem Schiff, das – außer durch berufsmäßige Kaper vieler Nationen – keine Feindseligkeit bedroht, es sei denn seitens der Elemente, wie wir sehen werden. Freilich galt diese Waffenruhe, deren vertragliche Festlegung beiden Partnern den Status quo ihrer Eroberungen zusicherte, nicht auf den außereuropäischen Gewässern. Indessen war gerade zur See der Kräfteverfall des ehemals die Gewässer beherrschenden Spanischen Reiches – und mit ihm jetzt Portugals – besonders spürbar geworden.

Das geschichtliche Bild der Niederlande, sofern es als Hintergrund für den Gegenstand dieses Buches in Betracht kommt, haben wir weitgehend aufgezeichnet. Kehren wir jetzt an die Stelle zurück, an der wir unser eigentliches Thema, die niederländische Schifffahrt, verließen, zu der Zeit nämlich, da Portugal von Spanien erobert und hierdurch zum Gegner seiner ehemaligen Freunde, der Holländer, geworden war.

Durch den Abbruch der Handelsbeziehungen mit der Iberischen Halbinsel war eine große Kapazität der niederländischen Schifffahrt frei geworden. Zunächst, ab 1590, fand sie neue Verwendung in der Frachtfahrt von den Ostseeländern zu den italienischen Mittelmeerhäfen durch die Straße von Gibraltar, in der sogenannten Straßenfahrt – diese jetzt auf eigene Rechnung. Aber die holländische Schifffahrt, jetzt flügge geworden, traute sich allmählich zu, auch die »Große Fahrt« auf eigene Gefahr zu wagen. Nach dem Untergang der »Armada invencible« im Jahre 1588 – einer Kriegsflotte von 130 schweren Schiffen, die sich im Kampf als zu wenig beweglich erwiesen –, bei dem Engländer, Holländer und die Elemente verbündet die Hand im Spiel hatten, schied Spanien, und mit ihm Portugal, als seefahrende Großmacht aus. Warum also sollten die Niederländer nicht selbst ihr Glück versuchen?

Und gerade zu dieser Zeit, da man noch zögernd überlegte, trat der Mann auf den Plan, der damals wie heute als der große Förderer und Anreger kühner Pläne galt und gilt: Jan Huygen van Linschoten (1563–1611).

Von Jugend auf unternehmend und reiselustig, fand er als Sohn katholischer Eltern nichts dabei, die Gelegenheit zur Befriedigung seiner Gelüste dort zu ergreifen, wo sie sich ihm gerade bot: Durch seine Halbbrüder, die beide in Sevilla wohnten, kam er dorthin, lernte Spanisch und wurde durch ihre Vermittlung Schreiber bei dem Erzbischof von Goa. So kam er nach Portugiesisch-Indien. Er scheint sich mit seinem Gönner gut vertragen zu haben. Nach dessen Tod 1589 entschloss er sich zur Rückreise ins Vaterland, wobei er durch Stürme, Kaperei, Gefangenschaft und derlei auf den Azoren zwei Jahre Aufenthalt erlitt, was aber in jener Zeit nichts Besonderes war – es gehörte mehr oder weniger zum Reisen dazu. Im September 1592 traf er in seiner Heimatstadt Enkhuizen ein, die er als Jüngling verlassen hatte. Dort trat er zum Calvinismus über – aus welchen Motiven, lässt sich heute nicht mehr klar ermitteln.

Für seine Landsleute brachte van Linschoten ein ebenso kostbares wie unerwartetes Geschenk mit, nämlich eine Fülle von Notizen, Zeichnungen, Landkarten, Navigationsanweisungen, Beschreibungen der damals bekannten Seewege nach Indien, der fernöstlichen Gewässer, der Küsten Amerikas und Afrikas. Einiges hatte er selbst gesehen, vieles von anderen, die es gesehen hatten, gehört. Alles schien ihm des Vermerkens, Aufschreibens und Aufzeichnens wert. Für China und Japan hatte er leidenschaftliches Interesse. Er hatte diese Länder nie besucht, aber hat es verstanden, andere, die dort gewesen waren, davon sprechen zu lassen. Er war Schriftsteller, Kartograph, Kompilator aus Passion.

Diese Beute hat er mit heimgebracht und in den folgenden Jahren bis 1596 redigiert zu einem umfangreichen Werk, Itinerario, dem komplettesten Orientierungsquell jener Zeit. Dass manches davon nicht stimmte – nicht stimmen konnte –, hat damals niemanden gestört. Es wurde ausgesucht, was nützlich und möglich erschien, und dann ausprobiert, was real verwendbar war. Exaktheit wurde vom Autor nicht verlangt.

Nach den Angaben in Linschotens Werk wurde 1595 die erste kleine Flotte von vier Schiffen für Indien ausgerüstet und unter Cornelis de Houtman auf den Weg geschickt. Sie war freilich in jeder Hinsicht ungenügend ausgerüstet, und man darf es ein Wunder nennen, dass alle vier Schiffe, wenn auch mit nur einem Drittel der Mannschaft und, außer etwas Pfeffer, ohne greifbares Ergebnis, nach zwei Jahren zurückkehrten. Die Frage, warum denn Van Linschoten, der einzige Erfahrene, nicht mitreiste, mag hiermit schon beantwortet sein. Aber nun, da man erfuhr, dass Portugal jetzt außerstande war, seine angeblichen Alleinrechte noch zu handhaben, stürzten sich eine Reihe von Großkaufleuten, alle aus Amsterdam, auf die indische Schifffahrt. Da sie an Ort und Stelle untereinander kein Mittel scheuten, sich gegenseitig die Geschäfte abzujagen, beschlossen die Niederlande – inzwischen ja zum Staat geworden –, sich das Monopol für diese Länder und für die sämtlichen Reisen dahin selbst zuzulegen. Unter dem Druck des zu jener Zeit höchsten Beamten im Staat, des Ratspensionärs Johan van Oldenbarnevelt, entstand die »Verenigde Oost-Indische Compagnie« oder V.O.C., die die Fahrt nach Indien regelte. Noch tieferen Einblick in das Wirken der V.O.C. als Bontekoes Journal vermittelt der zweite Bericht des vorliegenden Bandes, der von David Pieterszoon de Vries stammt.

Wie es der holländischen Schifffahrt stets nur um Fracht und Geschäft gegangen ist, so hat auch die V.O.C. vorerst keine Kolonisation auf ihrem Programm gehabt. Diese erfolgte erst nach und nach im Zuge der Geschehnisse, vor allem auch in der Auseinandersetzung mit anderen europäischen Mächten, namentlich mit England. Da auch die eingeborenen Völker nicht immer nur Gutes durch die angeblich so friedfertigen Seefahrer erfahren hatten, zwangen sie durch Misstrauen und Widerstand den Mannschaften oft die Waffen in die Hand. Wir dürfen aber annehmen, dass dies nicht in der ursprünglichen Absicht gelegen hat.

Die V.O.C. ist viele Jahrzehnte lang eine der reichsten Handelsgesellschaften der Welt gewesen. Später fiel sie durch Zwistigkeiten, Korruption und Misswirtschaft immer mehr zurück und musste Ende des 18. Jahrhunderts Konkurs anmelden. 1798 wurde sie sang- und klanglos aufgelöst.

Van Linschoten war auch Verfechter der Versuche, den Weg nach Indien über den Nordosten und China zu erreichen. An dem Zustandekommen dreier abenteuerlicher Fahrten zwischen 1594 und 1597 hat er nicht nur mitgewirkt, sondern die beiden ersten, die je drei Monate dauerten, persönlich mitgemacht. Geldgeberin war seine Vaterstadt Enkhuizen, die ihn auch beauftragte, einen ausführlichen Reisebericht zu schreiben, der komplett erhalten ist. Für eine dritte Reise war sie, da die beiden ersten keine greifbaren Ergebnisse zeitigten, nicht mehr zu haben. Diese ist von der Stadt Amsterdam finanziert worden, und dies ist auch der Grund, warum van Linschoten diese Reise nicht mehr mitmachte – er bekam als »Ausländer« keinen Auftrag! Nach dem dramatischen Verlauf dieser Reise wird ihm das nicht gerade leidgetan haben. Diese dritte Nordreise dokumentiert im vorliegenden Band der Bericht von Gerrit de Veer.

So sehen wir am Anfang des Waffenstillstands im Jahr 1609 die Niederländer bereits auf allen befahrenen Meeren. Mit den Reichtümern, die sie heimbrachten, verschafften sie ihrem Land zugleich die Geldmittel zur Fortsetzung des Kampfes. Denn die Waffenruhe ging nicht in den Frieden über. 1621 nahmen die Feindseligkeiten ihren Fortgang, allerdings fast nur in heftigem Ringen um den Heimatboden. Auf den Meeren hat der Krieg sich nicht mehr ausgewirkt. Hollands Vormachtstellung auf dem Wasser war errungen.

Die Initiatoren des dramatischen Ringens waren unterdessen alle von dem Schauplatz dieser Geschehnisse abgetreten. Der Krieg wurde von einer neuen Generation getragen, der Ausgangspunkt war bei steigendem Wohlstand ein anderer geworden. Dem »Schweiger« war nach seiner Ermordung im Jahr 1584 sein Sohn Moritz als Statthalter und Feldherr gefolgt. Die zwölf Jahre waren nicht nur zur innen- und außenpolitischen Stärkung, sondern auch zum Austrag persönlicher, lokaler, politischer und religiöser Streitigkeiten verwandt worden, mit manchmal tragischem und für das junge Staatswesen fatalem Ausgang. Notgedrungen führte der erneute Ausbruch der Feindseligkeiten wieder zur größeren inneren Einigkeit.

Wir sehen in den neu entbrannten Kämpfen auf heimatlichem Boden einen Oranier am Werk, der, obwohl ebenfalls ein Sohn des »Schweigers«, den Jahren nach zu dieser neuen Generation gehört: Friedrich Heinrich, dem Oranier post mortem geboren aus seiner kurzen Ehe mit der Tochter des unglücklichen Admirals de Coligny, der 1572 in der berüchtigten Mordnacht in Paris unter vielen Tausenden Hugenotten mit ums Leben gekommen war. Dieser junge Feldherr, der anscheinend die Gaben der väterlichen und der mütterlichen Linie in sich vereinigte, erhielt durch seine Kunst des Belagerns und Eroberns unter seinen Landsleuten den Ehrentitel »Städtezwinger«. Nach dem Tod seines Bruders Moritz 1625 erbte auch er die Statthalterwürde, die seinerzeit die Aufgaben des Feldherrn umfasste.

Das Schicksal der südlichen Niederlande, des heutigen Belgiens, hatte sich freilich schon vor dem Waffenstillstand entschieden: Die Spanier eroberten sich dort die Macht zurück, und das Land blieb katholisch. Die nördlichen Niederlande blieben in ihrem Kampf um die politische und religiöse Freiheit allein. Dieser Kampf war aber für sie bereits wie gewonnen, als 1618 die deutschen Länder in ihr schweres Ringen um ähnliche Ziele eintraten.

Hier stehen wir nun an der Stelle, um derentwillen diese Geschichtsbetrachtung allein schon notwendig war. Denn unter dem Aspekt, dass Holland bis 1648 ein Teil des Deutschen Reiches war, erscheint es unverständlich, wieso ein so kleines, in sich zerrissenes Land ohne eigene Staatsform an der Peripherie des Deutschen Reiches zum Blühen und zu Wohlstand gelangen konnte, gerade in einer Zeit, in der Deutschland selbst sich im tiefsten Elend befand. Wieso überhaupt dieser eigenbrötlerische Waffengang eines deutschen Reichsteils mit der damals mächtigsten Dynastie und Großmacht?

Wir sahen, wie Karl V. in seinem Streben nach Zentralisierung die im Burgundischen Kreis zusammengefassten Länder, darunter die damaligen Niederlande, dem deutschen Reichsverband unterstellte. Und wir sahen ferner, wie nach seiner Abdankung »das Reich, in dem die Sonne nicht unterging«, auseinanderfiel und die Niederlande zu Spanien gelangten. Von 1543 bis 1555 waren die Niederlande de facto deutsche Reichsteile gewesen. 1648, beim Westfälischen Friedensvertrag, unter den die nördlichen Niederlande in Münster als »Republik der Vereinigten Sieben Provinzen« ihre Unterschrift setzten, wurde ein seit 1555 aufgehobener Zustand de jure nachvollzogen.

VORWORT UND ERLÄUTERUNGEN ZU DEN REISEBERICHTEN

Ein kurzes Vorwort zu jedem der hier vorliegenden Berichte wird über die darstellenden und handelnden Personen und die Ereignisse Aufschluss geben. Die beiden ersten Reiseberichte, die fast zur gleichen Zeit und unter den gleichen Verhältnissen angesiedelt sind, ergänzen sich in manchem, ja Milieu und Menschen decken sich zum Teil. Ganz anders verhält es sich mit dem Bericht über die Nordfahrt. Die Frage, warum die chronologische Rangordnung im Buch nicht berücksichtigt ist, erscheint gerechtfertigt.

Die beiden ersten Berichte sind typisch für den Verlauf der Indienfahrten unter der V.O.C., wie sie sich über eine lange Zeit abspielten. In den Berichten unserer Kapitäne Bontekoe und de Vries sehen wir diese Institution in voller Blüte. Auf den Schiffen fuhr stets einer der Beamten der V.O.C. mit, der über ihre Interessen zu wachen hatte. In den Berichten wird er als Oberkaufmann bezeichnet. Wir werden erleben, dass diese Herren sogar gegen Seemannserfahrung Einspruchsrecht hatten, nicht immer zum Heil und Vorteil ihrer Auftraggeberin. Einer wie de Vries, der zuvor Seemann gewesen war und sich deshalb auf die Navigation verstand, war selten, und man begreift, dass die V.O.C., als sie seine vielseitigen Qualitäten kennengelernt hatte, sich gerne seiner Dienste als Oberkaufmann bediente. Weniger begreiflich für uns ist vielleicht, dass ein Kapitän seine Ernennung zum Oberkaufmann als Beförderung verstand, wie aus dem Verhalten von de Vries hervorgeht. Dies zeigt indessen um so deutlicher die machtvolle Stellung der V.O.C., deren Ansehen auf ihre Beamten ausstrahlte.

Die hier geschilderte Nordfahrt hingegen gehört einer ganz anderen Kategorie von Unternehmungen an. Sie ist die letzte von drei Pionierunternehmungen, die scheiterten – scheitern mussten nach dem heutigen Stand der Kenntnisse –, und ist daher als eine Art Kontrastunternehmen dem Buch als Schlussstück beigegeben.

Die Idee, den Weg nach China und Indien über den Nordosten finden zu können – eine Vorstellung, der van Linschoten bei aller Erfahrung selber huldigte, da er ihre Ausführung anregte und selbst daran teilnahm –, hat sich als Utopie erwiesen. Dennoch müssen auch diese Expeditionen zu den Indienfahrten gerechnet werden, insofern, als man sich die Erreichung Indiens zum Ziel gesetzt hatte.

Erreichten die Schiffe, die die Nordreisen unternahmen, ihr Ziel auch nicht, so haben doch die wagemutigen Männer, die auf ihnen fuhren, so manches zur Kenntnis der Welt beigetragen. Spitzbergen, die Bäreninsel, Jan-Mayen-Insel, Barentsland und andere bis dahin unbekannte Landstriche im hohen Norden sind ihre Entdeckungen. Auf diese Weise trugen die Nordmeerfahrer dazu bei, viele weiße Flecken auf der damaligen Landkarte auszufüllen. In diesen Zonen spielte sich dann bald danach der höchst lukrative Walfang ab. Anstatt aus märchenhaft orientalischer Fülle, wie man sie sich von diesen Fahrten erträumt hatte, sollte den Kielsogfahrern unserer Pioniere das Gold auf lange Zeit in Strömen aus dem grausamen, stinkenden Handwerk des Walfangs zufließen.

Es bleibt die Frage, warum dieses Buch den Bericht über die dritte Nordreise von der Hand eines unbekannten jungen Mannes enthält und nicht die Berichte der ersten beiden Nordreisen aus der Feder eines Mannes, der uns bereits als hervorragender Chronist und Autor vorgestellt worden ist. Freilich verraten zwar diese Berichte den erfahrenen Schriftsteller, aber die Täuschung, der er auf diesen Fahrten unterlag, wurde darin nicht erhellt. Die dritte Reise in ihrem dramatischen und wahrhaft »stürmischen« Verlauf wird dagegen von einem jungen »Handlungsvolontär« geschildert, der sich ausschließlich durch dieses Werk auszeichnete – weder über sein weiteres Leben noch von eventuellen anderen Schriften wurde irgendetwas bekannt. Dennoch wurde sein Bericht, ähnlich wie das Journal von Bontekoe, ein »Bestseller«, der seine Aktualität und Lesbarkeit über Jahrhunderte hinweg bewahrte. Wir haben der jugendlichen Unbefangenheit und Ursprünglichkeit seiner Schilderung, auch in seiner größeren Nähe zu den »Maats«, vor der Geläufigkeit schriftstellerischer Erfahrung den Vorzug gegeben.

Die unumgänglichen Worterklärungen haben wir der Einfachheit halber nicht nach den Texten, sondern durchlaufend alphabetisch geordnet. Viele Wörter und Ausdrücke, der Seemannssprache gehörig, sind den drei Berichten gemeinsam. Die teilweise etwas fremdartige Ausdrucksweise durch eine andere, geläufige zu ersetzen, ist zum großen Teil gar nicht möglich. Die meisten Begriffe sind aus der niederländischen Seemannssprache in die deutsche eingegangen, heute noch dort gebräuchlich und ohne Synonyme. Die Vormachtstellung der Niederländer auf dem Wasser während ihrer großen Zeit erhellt sich wohl am besten daraus, dass ihre Sprache der große »Lieferant« des Seemannswortschatzes an alle nördlichen Völker gewesen ist. Der Versuch einer durchgehenden Übertragung in unsere heutige Umgangssprache – abgesehen von der Frage, ob sie überhaupt möglich ist – würde die Sprache dieser Berichte um vieles ärmer machen. Lieber lausche man ihrem Klang nach, den Luft und Wasser ihr einhauchten und aus dem sich vielleicht heraushören lässt, was man nicht so genau »versteht«.

Indessen setzten uns die Veränderung, auch die Entwertung, die manche Wörter im Laufe der Zeit in ihrer Bedeutung erfuhren, gewisse Grenzen. Es handelt sich hierbei nicht um Wörter, die speziell dem Seemann geläufig sind. Gerade diese haben im Wesentlichen eine schöne Treue zu ihrer ursprünglichen Bedeutung bewahrt und waren weder der Abnutzung noch der Degradierung unterworfen.

Ein gutes Beispiel für das hier Gemeinte ist »der Schiffer«. Bontekoe, de Vries, Heemskerck und alle, die ein Handelsschiff befehligten, waren Schiffer. Mit aller Arbeit auf dem Schiff waren sie vertraut, und so versteht sich ihr Berufsname. Der Befehlshaber eines Kriegsschiffs indes war Kapitän, hatte also einen militärischen Rang.

Der Mensch von heute verbindet mit dem Wort Schiffer jedoch eine andere Vorstellung, sodass eine Konzession an den heutigen Sprachgebrauch gemacht werden musste, um den Leser nicht fortwährend mit schiefen Bildern zu konfrontieren. In dieser Art gibt es noch manche andere Fälle, bei denen in der vorliegenden Übersetzung versucht wurde, Texttreue und moderner Lesbarkeit in gleichem Maß gerecht zu werden.

VORWORT ZU DEM JOURNAL DES KAPITÄNS BONTEKOE VAN HOORN

Dieser »Schiffer nebst Gott« – so nannten sich im 17. Jahrhundert die niederländischen Seeleute, wenn sie ein Schiff befehligten – ist eine holländische Seemannsgestalt, die in den bald dreieinhalb Jahrhunderten, da seine »denkwürdige Reise« durch eigene Niederschrift bekannt ist, in seinem Heimatland nichts an Volkstümlichkeit eingebüßt hat.

Warum? – Sein Journal selbst gibt die Antwort.

An dieser Gestalt ist alles echt. Echt ist die innige Verbundenheit mit der See, dem Element seines Volkes. Echt ist sein schlichter Mut und unerschrockenes Vorgehen in der das Schiff stets umlauernden Gefahr. Echt ist auch seine väterliche Einstellung gegenüber den Maats, seinem »Volk« – eine Gesinnung, der eine zeitweise zu große Weichheit und Nachgiebigkeit nicht fremd war; ferner seine naive und zugleich konsequente Grausamkeit in der Verfolgung der Ziele seiner Auftraggeber, gelegentlich gepaart mit anerkennendem Verständnis für die Eigenarten der eingeborenen Bevölkerung (sofern sich dieses Verständnis mit den Belangen der V.O.C. in Einklang bringen ließ!) – ein Zug an ihm, der eine gewisse Sturheit, die ihm eigen ist, liebenswürdig auflockert. Nicht zuletzt aber ist seine kindlich vertrauende Gottesfurcht echt, die ihn weder in der Not noch nach der Errettung aus ihr den Anruf und den Dank an den Höchsten vergessen lässt.

Im Taufbuch der Reformierten Gemeinde der Stadt Hoorn in Nordholland findet sich die Eintragung: 27. Juni 1587: Willem, Sohn von Ijsbrant Willemszoon van Westsanen.

Demnach war sein Vater Ijsbrant bei der Geburt seines Sohnes noch nicht als »Bontekoe« bekannt. Den Namen trug er aber bei seinem Tod, Anno 1607, wie noch heute auf seinem Grabstein in der »Groote Kerk« in Hoorn zu lesen ist.

Der Name Bontekoe wurde der Familie zugelegt nach einem von ihr bewohnten und in Hoorn heute noch erhaltenen Haus, in dessen Giebel ein Stein eingemauert ist, der eine »Bontekoe« vorstellt – so wird heute noch eine buntscheckige Kuh genannt, wobei zu bemerken ist, dass »koe« im Holländischen wie »Kuh« ausgesprochen wird.

Unser Willem Bontekoe war Schifferkind, und aus seiner Erzählung geht hervor, dass er zwei Brüder hatte, die ebenfalls als Schiffer fuhren. Von seiner sonstigen Familie, Frau und Kindern, wissen wir nichts.

Der später so berühmt gewordene Mann war in der damaligen Welt zunächst ein ganz unberühmter Zeitgenosse. Seeleute wie er gab es unzählige, und manche mit weit größeren »Führungsqualitäten«, wie wir das heute nennen würden. Seiner »denkwürdigen Reise« war bereits eine vorausgegangen, die gescheitert war. Im August 1617, also mit erst dreißig Jahren, war er für Rechnung der Reeder seiner Vaterstadt Hoorn zum Befehlshaber des Schiffes »De Bontekoe« mit Bestimmung zur Levante bestellt worden. Das Schiff wurde die Beute türkischer Seeräuber, die es ihrerseits den Spaniern überlassen mussten. Da dies während des Waffenstillstands geschah, wurde die Mannschaft freigelassen, aber Schiff und Ladung waren verloren.

Indessen wurde solches Missgeschick, das damals an der Tagesordnung war, dem Befehlshaber nicht zur Last gelegt, es sei denn, dass sichtbares Verschulden vorlag. Bereits im nächsten Jahr erhielt Bontekoe den Oberbefehl auf dem Schiff »Neu-Hoorn« zu einer weit gefahrvolleren Reise, nicht nur wegen der Fahrroute, sondern vor allem, weil die Ladung zum großen Teil aus Kriegsmaterial bestand.

Auch der unselige Verlauf dieser Reise brachte Bontekoe bei seinen Oberen nicht um seinen Seemannsruf. Der Generalgouverneur Jan Pieterszoon Coen, über den im Vorwort zu David de Vries kurz zu sprechen sein wird, tief beeindruckt durch Bontekoes wunderbare Errettung, sah darin einen Fingerzeig Gottes und überließ ihm ohne Bedenken ein weiteres Kommando.

War Bontekoe also ein »gewöhnlicher« Seemann – war er doch ein ungewöhnlicher Erzähler, dessen Bericht ihn, von ihm sicher ungewollt, dann schlagartig berühmt machte. Sein erster Verleger, Jan Janszoon Deutel in Leiden, musste, laut dessen Vorwort zur ersten Ausgabe, ihm intensiv zureden, da er in seiner Bescheidenheit seine Aufzeichnungen für ungeeignet hielt, um veröffentlicht zu werden.

Das Gespräch mit diesem Verleger über die vorliegenden Tagebücher und die Wiedergabe aus dem Gedächtnis mögen wohl Bontekoes Altersbeschäftigung in seinen letzten Lebensjahren gewesen sein. Abgesehen von einer Fülle von Anhaltspunkten, die auf das wirkliche Erlebnis deuten, wird die Wahrhaftigkeit des Berichts auch durch dessen eigentlichen Zweck garantiert, nämlich die Verantwortung gegenüber seinen Auftraggebern, vor allem, weil das Schiff verlorengegangen war. Es kommt hinzu, dass der Schiffer Neuentdeckungen, strategische Besonderheiten, Navigationserfahrungen sowie günstige Handelspositionen ausfindig zu machen hatte, mit denen die Erfahrungen der V.O.C. – die zu Bontekoes Zeiten noch keine zwanzig Jahre bestand – bereichert werden sollten, zu Nutz und Frommen der Nachfahrenden. Viel später entstanden erst die »Reiseberichte« im Sinn unserer Abenteuerromane, die sich dann als sogenannte »wahre Erlebnisse« tarnten – aber wohl erst dann, als es keine V.O.C. mehr gab, die über die Wahrheit der Berichte ihrer Diener wachte.

Von Bontekoes Leben nach der »denkwürdigen Reise« ist nichts bekannt. Sicher hat er nach 1625 noch weitere Fahrten gemacht, von denen sich – zu seinem Glück – nichts »Denkwürdiges« berichten ließ. 1646, beim ersten Erscheinen seines Buches, wird er noch als Lebender erwähnt. Todesjahr und Sterbeort sind unbekannt. In den aus jener Zeit erhalten gebliebenen Grabbüchern der »Groote Kerk« in Hoorn ist sein Name nicht verzeichnet.

Und nun hat unser »Schiffer nebst Gott« selbst das Wort.

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Titelblatt der niederländischen Originalausgabe von Bontekoes »Journal« von 1646

JOURNAL ODER DENKWÜRDIGE
BESCHREIBUNG DER OSTINDISCHEN
REISE VON WILLEM IJSBRANTSZOON
BONTEKOE VAN HOORN

ERSTES BUCH

ERSTES KAPITEL