Toni der Hüttenwirt 137 – Der Mann aus dem Norden

Toni der Hüttenwirt –137–

Der Mann aus dem Norden

Zwischen Feuer und Wasser

Roman von Friederike von Buchner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-577-3

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Es war später Nachmittag. Toni stoppte seinen Geländewagen vor dem Forsthaus und stieg aus.

Förster Hofer kam aus der Haustür. Er hatte ein großes Fernglas umhängen. Er ging auf Toni zu.

»Grüß Gott, Lorenz! Ich will die Kinder abholen.«

»Grüß dich, Toni! Die Kinder sind hinten im Garten.«

Dann senkte der Förster die Stimme.

»Hast du einen Augenblick Zeit für mich? Ich schlage mich mit einer Beobachtung herum, die mich heute Nacht nicht schlafen ließ.«

»Des klingt net gut. Macht sich der Borkenkäfer über den Wald her?«

»Naa, zum Glück net. Als Ungeziefer würde ich sie schon bezeichnen, auch wenn sie auf zwei Beinen stehen. Kannst einen Augenblick mit zum Hochsitz an der Gemarkungsgrenze kommen? Ich will nicht zu viel sagen und dich beeinflussen. Sollst dir selbst ein Bild machen. Mir ist sehr daran gelegen, zu erfahren, was du dazu sagst.«

Toni schaute den Freund an, der wirklich besorgt aussah. Eigentlich wollte Toni sofort hinauf auf die Berghütte. Er war ohnehin schon spät dran, aber einen Freund lässt man nicht im Stich.

»Gehen wir, Lorenz. Bin gespannt, was du mir zeigen willst. Gibt es Wilderer?«

Förster Hofer schmunzelte über Tonis Vermutung.

»Wilderer könnte man sie auch nennen, auch wenn sie kein Wild jagen.«

Toni sah ein, dass Lorenz nichts verraten würde. So übte er sich in Geduld. Er stieg zu Lorenz in den grünen Pritschenwagen der Forst­meis­terei. Sie fuhren los.

Lorenz hielt am Waldweg. Sie stiegen aus und drangen auf kürzestem Weg durch die Schonung der jungen Tannenbäume. Hofer ging voraus, Toni folgte ihm.

»So, dahinten ist der Hochstand. Wir müssen vorsichtig sein.«

Der Hochsitz war ein geschlossener Hochstand. Er hatte nur schmale Schlitze und Aufstützbretter für die Jäger. Sie kletterten die Leiter hinauf.

Lorenz Hofer schaute zuerst durch das Fernglas. Dann reichte er es wortlos an Toni weiter.

Toni wollte seinen Augen nicht trauen. Er setzte das Fernglas ab, schaute Lorenz Hofer ungläubig an und vergewisserte sich dann noch einmal, dass er sich wirklich nicht geirrt hatte.

»Was soll des? Des sieht mir ganz nach einer Sauerei aus! Der Ruppert Schwarzer stolziert wie ein Gockel herum.«

Lorenz nahm Toni das Fernglas aus der Hand. Er schloss die Schießschlitze, und sie stiegen wieder herunter. Sie redeten erst, als sie wieder beim Auto waren.

»Seit wann geht des so?«

»Das weiß ich net. Ich war gestern hier und habe nach der Schonung gesehen. Der Wind trug ein Motorengeräusch heran. Darauf konnte ich mir keinen Reim machen, weil es nur diesen Weg gibt. Da ist einer heimlich im Gelände, dachte ich. Ich suchte, dann kletterte ich auf den Hochsitz. Es war eine Gruppe von Leuten, die auf dem Brachgelände herumliefen.«

»Des gehört aber nimmer zum Grund der Gemeinde Waldkogel, soviel ich weiß«, sagte Toni.

»Richtig! Die Feuchtwiesen, die gehörten einmal zu Marktwasen. Da war es noch eine eigenständige Gemeinde. Dann kam es durch die Gebietsreform zu Waldkogel. Es ging damals darum, ob Marktwasen ein weiterer Ortsteil von Kirchwalden wird oder zu Waldkogel kommt.«

»Der alte Alois erzählt noch heute, wie es damals war und wie die Leut’ von Marktwasen dafür gekämpft haben, dass sie von Waldkogel eingemeindet werden und net von Kirchwalden. Sie sollen sogar demonstriert haben. Aber schließlich haben sie sich durchgesetzt.«

»Doch es kam zu Abstrichen. Sie mussten Zugeständnisse machen und einen Teil des Grundes an Kirchwalden abtreten. Dazu gehört das Gelände.«

»Auf dem jetzt der Ruppert Schwarzer herumstolziert. Der plant doch etwas, sonst wäre er nicht dort. Was haben die Leute in den dunkeln Anzügen damit zu tun? Des sind keine Arbeiter. Die sehen wie Geschäftsleute aus.«

»Du sagst es, Toni! Ich bin überzeugt, dass er da etwas bauen will.«

»Das denke ich auch, Lorenz. Da niemand ihm in Waldkogel auch nur einen Quadratmeter verkauft, will er jetzt genau an der Grenze etwas aufziehen.«

»Das ist auch mein Verdacht.«

»Lorenz, das muss verhindert werden.«

»Du sagst es! Am Ende stellt er dort einen riesigen Bau hin mit Seilbahn, Freizeitpark, Hotel und Geschäften, wie er es immer schon für Waldkogel geplant hat. Man weiß ja, wie seine Bauten die Landschaft verschandeln und die Natur zerstören.«

»Des ist mir klar. Wir müssen etwas unternehmen, Lorenz.«

Toni rieb sich das Kinn. Er dachte einen Augenblick nach.

»Lorenz, ich hab’s! Du redest mit dem Beat Utzinger. Der ist Profi-Fotograf und hat ein Teleobjektiv. Er soll sich auf dem Hochsitz auf die Lauer legen und möglichst viele Fotos machen. Auf den Beat ist Verlass. Des Ganze muss erst mal heimlich passieren. Er soll besonders scharfe Großaufnahmen von den Leuten in den feinen Anzügen machen. Wir müssen herausfinden, was des für Typen sind, mit denen sich der Ruppert Schwar­zer herumtreibt. Mir schwant nix Gutes.«

»Mir auch net, Toni. Danke, dass du mitgekommen bist. Dein Eindruck war mir wichtig. Ich dachte schon, ich verrenne mich vielleicht da in etwas. Wenn ich den Schwarzer irgendwo sehe, dann schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken.«

»Bei wem ist des net so? Der Schwarzer ist für alle Waldkogeler ein rotes Tuch.«

»Der Grund gehört zu Kirchwalden, Toni. Es wird net einfach, da Einfluss zu nehmen.«

»Des stimmt, Waldkogel ist nicht betroffen. Aber man wird sich doch noch interessieren dürfen, was an der Gemeindegrenze passiert. Am besten gehst noch heute zum Beat. Sag ihm auch Grüße von mir.«

»Des mache ich! Ich halte dich auf dem Laufenden.«

Sie fuhren zurück. Toni sammelte Franziska und Sebastian ein und fuhr hinauf auf die Oberländer Alm. Sie beeilten sich, auf die Berghütte zu kommen.

»Bist spät, Toni!«, begrüßte ihn Anna und gab Toni einen Kuss auf die Wange.

Sie schaute ihn an und sah sofort, dass etwas vorgefallen sein musste.

»Ich war noch mit dem Lorenz Hofer im Wald. Es gibt da etwas, was ihm Sorgen macht. Wir reden später darüber. Jetzt löse ich den Alois ab. Er schaut müde aus. Heute ist auch viel los. Aber der Termin in Kirchwalden war nicht zu verschieben.«

»Sprich den Alois nicht darauf an, Toni. Er wird sofort beleidigt sein. Es ist manchmal schon nicht einfach mit ihm. Er will nicht einsehen, dass er kein junger Bursche mehr ist.«

Sie lächelten sich an und gingen an die Arbeit. Anna briet eine riesige Pfanne voll Rösti. Toni versorgte die Hüttengäste mit frischem Bier.

*

Das Flugzeug aus Oslo war mit Verspätung in Frankfurt am Main gelandet. Geduldig stand Nils Anderson, den Rucksack lässig über eine Schulter gehängt, in der Schlange am Informationsschalter. Seinen Anschlussflug nach München hatte er knapp verpasst. Weiter vorne in der Reihe der Wartenden stand eine junge Frau, die seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie gefiel ihm. Eine richtige Augenweide, dachte er. Sie sieht natürlich und ungekünstelt aus. Er hatte sie nur von der Seite gesehen und wünschte sich sehnlichst, dass sie sich einmal umdrehen würde.

Aber sein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Stattdessen trat ein junger Mann zu ihr. Sie schienen sich zu kennen und umarmten sich zur Begrüßung. Nils spürte, wie Enttäuschung in ihm aufstieg. Das ist mal wieder typisch für mich, dachte er. Ich habe einfach kein Glück mit den Frauen. Vielleicht sollte ich sie mir ganz aus dem Kopf schlagen. Hunde sind die treueren Gefährten, sagte er sich wieder einmal. Er dachte an seine Huskys, die in Nordnorwegen auf ihn warteten und von seinen Freunden versorgt wurden. Obwohl Nils noch nicht einmal einen Tag unterwegs war, vermisste er sie. Fast ärgerte er sich, dass er sich von Toni hatte überreden lassen, ihn und Anna zu besuchen. Damals, als die beiden heirateten, war er in Norwegen bei den Hunden geblieben und hatte den Freunden ermöglicht, an Tonis und Annas Hochzeit teilzunehmen.

Nils klangen Tonis Worte im Ohr. »Freundschaften muss man pflegen, Nils. Jetzt überwinde dich und komme zu uns in den Süden.«

Während Nils auf den Boden starrte, um nicht in die Richtung der jungen Frau zu sehen, dachte er an das letzte Jahr. Es war ein schweres Jahr gewesen und hatte für ihn einen harten Einschnitt bedeutet.

Alles hatte im letzten Sommer begonnen. Am Tage der Feier des Mitsommernachtsfestes war einer der jungen Huskys erkrankt. Nils brachte ihn im Auto in die Tierklinik nach Hammerfest. Der junge Hund musste eine Nacht bleiben, so entschied Nils, die Nacht in der Stadt zu verbringen. Er feierte dort mit Fremden die Sommernacht und fuhr nach wenigen Stunden Schlaf am nächsten Tag heim. Schon gleich als er ankam, erkannte er an den Blicken seiner bes­ten Freunde, dass etwas geschehen sein musste. Den ganzen Rest des Tages warfen sie sich Blicke zu, wenn Nils immer wieder versuchte, Marte zu erreichen. Nils liebte Marte. Sie waren seit zwei Jahren zusammen und galten allgemein als Paar.

Erst am Abend, als sie draußen vor dem Holzhaus saßen und in die Abendsonne schauten, fingen die Freunde langsam an zu reden. Sie erzählten, dass Marte fort war. Sie hatte den ganzen Abend, die ganze Nacht mit einem Touristen aus Oslo getanzt. Dabei war wohl etwas mit beiden geschehen. Alle hatten die Veränderung von Marte gesehen. Sie und Ole entfernten sich nach Mitternacht und verschwanden in der stillen Natur. Sie kamen erst zurück, als die meisten Feiernden schon heimgegangen waren. Marte packte eine große Reisetasche, sagte, sie würde ihre anderen Sachen irgendwann abholen lassen, und stieg zu Ole ins Auto.

Zuerst war Nils wie erstarrt gewesen. Dann hatte er sich bei Martes Schwester nach Martes Adresse in Oslo erkundigt und war hingefahren. Das war am Ende des Sommers. Er hatte sie auch getroffen. Sie waren spazieren gegangen. Marte redete unentwegt. Nils hörte nur zu. Er hörte ihre Worte, aber die Botschaft verstand er nicht. Marte und Ole hatten sich angesehen, und es war einfach geschehen. Sie wussten vom ersten Augenblick, dass sie zusammengehörten. Es war eine Liebe, wie Marte sie mit Nils nicht erlebt hatte. Da war diese tiefe Verbundenheit, vom ersten Augenblick an. Es war die absolute Gewissheit, dass sie zusammengehörten, als hätte sie nur auf diese Begegnung ihr ganzes Leben lang gewartet.

Marte gestand Nils, dass sie mit Ole zusammenbleiben werde. Sie wollten im nächsten Jahre heiraten. So war es auch geschehen. Im darauffolgenden Frühling heirateten Marte und Ole in Oslo. Nils redete sich ein, dass es ihm nichts ausmachte. Doch es schmerzte ihn. Als Nils dann hörte, dass Marte im Sommer einige Wochen in Nordnorwegen verbringen würde, war es mit seiner Ruhe aus. Die Freunde fanden, er würde immer mürrischer, und selbst die Huskys würden spüren, dass er launisch wäre.

Da kam Tonis Anruf, und er wiederholte zum x-ten Mal seine Einladung. Dieses Mal sagte Nils zu. Es war sicherlich besser, bei Toni auf der Berghütte zu sein, als daheim in dem kleinen Dorf und Gefahr zu laufen, Marte und ihren Mann jeden Tag zu sehen.

Während Nils über das vergangene Jahr nachdachte, war er in der Schlange weiter vorgerückt. Er war jetzt der Zweite in der Reihe am Counter. Nils sah sich nach der schönen Unbekannten um, sah sie aber nicht mehr. Ach, was soll es, dachte er. Da gefällt mir mal wieder eine junge Frau, und schon ist sie in festen Händen.

An diesem Tag gab es keinen Flug mehr nach München. Stattdessen nahm Nils den Zug. Auf dem Bahnsteig des großen Frankfurter Hauptbahnhofes war ihm, als sehe er die junge Frau weiter vorne auf dem Bahnsteig. Doch schon war sie wieder in der Menge verschwunden. Nils redete sich ein, dass er sich getäuscht hatte und stieg in den Zug. Der Zug war voll. Er musste mit einem Notsitz im Gang zufrieden sein. Seine Gedanken kreisten die ganze Zeit um die junge Frau, die möglicherweise weiter vorne im gleichen Zug saß. Doch Nils sah keine Möglichkeit, sich durch die verstopften Gänge zu drängen und sie zu suchen. Das hätte sicherlich bedeutet, dass er den Rest der Strecke hätte stehen müssen. So nahm er seinen Sprachenführer heraus und las. Nils hatte schon in der Schule Deutsch gelernt. Deutsch war neben Französisch eine der beiden ersten Fremdsprachen, die an norwegischen Schulen gelehrt wurden. Die Schule vermittelte auch Brieffreundschaften nach Deutschland. Nils schrieb sich mit Toni. Aus dem kindlichen Briefverkehr war eine Freundschaft fürs Leben entstanden. Als ihm Toni damals schrieb, er wollte lernen, wie man Hunden beibringt, Schlitten zu ziehen und im Geschirr zu laufen, war es für ihn selbstverständlich, Toni nach Norwegen einzuladen. Er hatte Toni damals alles gezeigt, was dieser wissen musste. Nils konnte Toni aber keine Garantie geben, dass Tonis junger Neufundländerrüde sich so erziehen lassen würde. Doch das Schicksal war gütig gewesen. Toni war auf der Heimreise im Zug seiner Traumfrau begegnet, seiner Anna. Sie war nicht nur hübsch und klug, sie hatte auch eine Leidenschaft für Hunde, insbesondere für Neufundländer, die ihre Großeltern mütterlicherseits züchteten.

Nils beneidete Toni in diesem Augenblick. Er ist ein richtiges Glückskind. Er sah seine Anna auf der Reise, und sie fanden sich. Nils musste still über seine Gedanken schmunzeln, die eher Träume eines kleinen Jungen waren als die eines erwachsenen Mannes. Doch der Gedanke ließ Nils nicht mehr los. Es könnte sich doch wiederholen, schoss es ihm immer wieder durch den Kopf.

Er war froh, als er München erreichte. Er sah sich auf dem Bahnsteig um, obwohl er es für verrückt hielt, Ausschau nach der jungen Frau zu nehmen.