Es ist keinem Auge fremd, in welch enger Verbindung das Erhabene
mit dem Unermeßlichen steht. Die tiefsten, die umfassendsten und
vielleicht die reinsten Gedanken erfüllen die Phantasie des
Dichters, wenn er in die Weiten eines unbegrenzten Raumes schaut.
Selten erblickt man zum erstenmal die endlose Fläche des Meeres mit
Gleichgültigkeit, und selbst in der Dunkelheit der Nacht findet die
Seele eine Beziehung zu der Größe, die unzertrennlich von Bildern
zu sein scheint, die die Sinne nicht in Rahmen zu fassen vermögen.
Mit solchen Gefühlen der Bewunderung und Ehrfurcht, den Sprößlingen
des Erhabenen, blickten die verschiedenen Personen, mit denen die
Handlung dieser Erzählung beginnt, auf die vor ihren Augen liegende
Szene. Die Gesellschaft bestand aus zwei Männern und zwei Frauen,
die, um eine freiere Aussicht auf ihre Umgebung zu gewinnen, einen
Haufen Bäume zu ersteigen versuchten, die der Sturm umgestürzt
hatte. Man nennt solche Stellen in jenen Gegenden Windgassen, und
da nur an solchen das Tageslicht in die dunklen, dunstigen
Wäldergründe zu dringen vermag, so bilden sie eine Art von Oasen in
der feierlichen Dunkelheit der jungfräulichen Wälder Amerikas.
Die genannte Windgasse lag auf einer sanften Ansteigung, die nur
unbedeutend war, aber dem Besteiger eine weithin reichende Aussicht
darbot, deren sich Wanderer in den Wäldern nur selten erfreuen
können. Weil die Gasse auf einem Hügel lag und weil sich die
Waldlücke abwärts zog, hatte das Auge ungewöhnliche Vorteile. Die
Physiker haben es bis jetzt noch nicht vermocht, das Wesen der
Kräfte zu ergründen, die so oft Stellen auf die beschriebene Weise
verwüsten, und sie haben es bald in den Wirbelwinden, die auf dem
Meer die Wasserhosen erzeugen, bald in plötzlichen und heftigen
Durchzügen elektrischer Strömungen zu finden geglaubt. Wie dem
übrigens sei: Die Erscheinung selbst ist eine in den Wäldern
wohlbekannte Tatsache. Am oberen Saum der genannten Waldlücke hatte
jener unsichtbare Einfluß Baum auf Baum in einer Weise aufgetürmt,
daß nicht nur die Männer imstande waren, sich etwa 30 Fuß über den
Boden zu erheben, sondern daß sich auch die furchtsameren
weiblichen Genossen durch einige Nachhilfe und Ermutigung zur
Teilnahme veranlassen ließen. Die ungeheueren Stämme, die von der
Gewalt des Sturmes zerbrochen und fortgetrieben waren, lagen wie
Strohhalme übereinander, indes sich die Zweige mit den duftenden,
welkenden Blättern ineinander verflochten und den Händen hinreichende Anhaltspunkte boten. Ein
Baum war vollkommen entwurzelt und das untere Ende zuoberst
gekehrt, so daß es mit der in den Wurzelzwischenräumen befindlichen
Erde für unsere vier Abenteurer eine Art von Gerüst bildete, als
sie die gewünschte Höhe erreicht hatten.
Diese Leute waren Reisende in der Wildnis, denen man auch unter
anderen Verhältnissen angesehen haben würde, daß ihren früheren
Gewohnheiten und ihrer wirklichen gesellschaftlichen Stellung
vieles von den Bedürfnissen der höheren Stände fremd geblieben war.
Wirklich gehörten auch zwei von der Gesellschaft, ein Mann und eine
Frau, zu den eingeborenen Eigentümern des Bodens; sie waren
Indianer aus dem bekannten Stamm der Tuscaroras. Das dritte Glied
der Gesellschaft trug die Eigentümlichkeiten und Merkmale eines
Mannes, der seine Tage auf hoher See zugebracht hatte und, wenn er
anders auf irgendeine Stellung Anspruch machen konnte, keine viel
höhere als die eines gemeinen Seemanns einnahm. Sein weiblicher
Gefährte war ein Mädchen aus einer nicht viel höheren Klasse als
die seine, obgleich ihr die Jugend, das Anmutige ihrer
Gesichtsbildung und eine bescheidene, aber ausdrucksvolle Miene den
Charakter des Verstandes und jener Verfeinerung aufprägten, die so
viel zu der Hebung weiblicher Reize beiträgt. Augenblicklich
leuchteten in ihrem dunkelblauen Auge die erhabenen Gefühle, die
das großartige Schauspiel in ihr erzeugte, und ihr angenehmes
Gesicht zeigte jenen Ausdruck des Nachdenkens, mit dem alle tiefen
Gemütsbewegungen, obgleich gerade sie das größte Vergnügen
gewähren, die Gesichtszüge geistvoller und gedankenreicher Personen
beschatten.
Und wahrlich, die Szene war hinreichend geeignet, einen tiefen
Eindruck auf die Phantasie des Beobachters zu machen. Das Auge
streifte gegen Westen, wo allein die Aussicht frei war, über ein
Meer von Blättern, das in dem wechselnden, lebhaften Grün einer
kräftigen Vegetation prangte, beschattet von den üppigen Farben des
zweiundvierzigsten Breitengrades. Die Rüster mit ihren zierlichen,
hängenden Zweigen, die Vielfalt des Ahorns, am meisten aber die
edlen Eichen der amerikanischen Urwälder mit den breitblättrigen
Linden, bildeten durch die Verschlingung ihrer Wipfel einen
breiten, endlosen Blätterteppich, der sich gegen Abend hinzog, bis
er den Horizont begrenzte und sich mit den Wolken mischte, ähnlich
den Wellen des Ozeans, die sich am Saum des Himmelsgewölbes an die
Wolkenmassen reihen. Hin und wieder erlaubte eine durch Stürme oder
durch die Laune der Natur erzeugte Lücke unter diesen riesenhaften
Waldesgliedern einem untergeordneten Baum
aufwärts zu streben gegen das Licht, und sein bescheidenes Haupt
fast in gleiche Höhe mit der ihn umgebenden grünen Fläche zu
bringen. Von der Art war die Birke, die in minder begünstigten
Gegenden schon eine Bedeutung hat, die Zitterpappel, einige
kräftige Nußbäume und verschiedene andere, so daß das Unedle und
Gemeine ganz zufällig in die Gesellschaft des Stattlichen und
Großartigen geworfen zu sein schien. Hier und da durchbohrte der
hohe gerade Stamm der Fichte die ungeheure Ebene, hoch über sie
wegragend, gleich einem großartigen Denkmal, das die Kunst auf
einer grünen Fläche errichtete.
Es war das Endlose der Aussicht, die fast ununterbrochene Fläche
des Grüns, was dem Ganzen den Charakter der Größe aufprägte.
Die Schönheit des Anblicks zeigte sich jedoch in den zarten
Farben, gehoben durch den Wechsel des Lichts und des Schattens,
indes die feierliche Stille die Seele mit heiliger Scheu
erfüllte.
»Onkel«, sagte das freudig erstaunte Mädchen zu ihrem männlichen
Gefährten, dessen Armes sie sich mehr wie eines Berührungspunktes
als einer Stütze bediente, da sie selbst auf sicheren Füßen stand,
»wie sehr erinnert dieser Anblick an das Weltmeer, das Euch so
teuer ist.«
»So viel, als sich eben ein unwissendes Mädel einbilden mag,
Magnet« (es war dies ein Ausdruck der Zärtlichkeit, dessen sich der
Seemann oft als einer Anspielung auf die persönlichen
Anziehungskräfte seiner Nichte bediente), »aber nur ein Kind kann
Ähnlichkeit zwischen dieser Handvoll Blätter und dem Atlantischen
Ozean finden. Nimm all die Baumwipfel hier zusammen, sie sind
nichts weiter als ein Strauß für Neptuns Jacke.«
»Ich denke, Ihr übertreibt, Onkel. Schaut nur, hier ist Meile an
Meile, und doch sehen wir nichts als Blätter. Was kann uns ein
Blick auf den Ozean mehr geben?«
»Mehr?« erwiderte der Onkel und berührte sie ungeduldig mit dem
Ellbogen, da er die Arme gekreuzt und die Hände in seinem
rotlinnenen Wams stecken hatte, »mehr, Magnet? Sage lieber: was
weniger? Wo sind denn die kräuselnden Wellen, die blauen Wasser,
die Rollwogen, die Brandungen, die Walfische, die Wasserhosen und
die endlose Bewegung in diesem bißchen Wald da, mein Kind?«
»Und wo sind die Baumwipfel, die festliche Stille, die duftigen
Blätter auf dem Ozean, Onkel?«
»Unsinn, Magnet! Wenn du was von solchen Dingen verstündest, so
wüßtest du, daß grünes Wasser dem Seemann Gift ist. Kaum einen
Grünschnabel kann er weniger leiden.« »Aber
grüne Bäume sind ganz was anderes. Horch! Dieser Ton ist das
Säuseln des Windes in den Blättern.«
»Da sollst du mal einen Nordwest sausen hören, Mädel; aber
freilich, einen Wind auf dem Verdeck kannst du dir nicht denken.
Ha, wo sind die Kühlten, die Orkane, die Passat- und Ostwinde und
ähnliches auf diesem Waldfleckchen hier? Und was für Fische
schwimmen unter dieser zahmen Fläche?«
»Daß es hier Stürme gegeben hat, zeigt doch die Gegend ringsum,
und, wenn auch nicht Fische, so sind doch Tiere unter diesen
Blättern.«
»Weiß nicht«, brummte der Onkel mit dem absprechenden Ton eines
Seemanns. »Man erzählte uns zu Albany manche Geschichte von wilden
Tieren, mit denen wir zusammentreffen könnten, und doch haben wir
nicht so viel gesehen, wie ein Seekalb erschrecken könnte. Weiß
nicht, ob sich eins von diesen Landtieren mit einem Äquatorhai
vergleichen läßt.«
»Seht!« rief die Nichte, die sich mehr mit der Betrachtung des
endlosen Waldes als mit ihres Onkels Erklärungen beschäftigte,
»dort steigt Rauch auf über den Gipfeln der Bäume. Mag der wohl aus
einem Haus kommen?«
»Ja, ja, 's ist das Aussehen von was Menschlichem in diesem
Rauch«, erwiderte der alte Seemann, »was mehr wert ist als tausend
Bäume. Ich muß ihn Pfeilspitze zeigen, sonst segelt er noch an
einem Hafen vorbei, ohne ihn zu erkennen. Wo Rauch ist, da muß auch
wahrscheinlich ein Küchenraum sein.«
Als er ausgesprochen hatte, zog er die Hand aus dem Wams,
berührte den Indianer, der in der Nähe stand, leicht an der
Schulter und deutete auf eine dünne Dunstsäule, die sich in der
Entfernung von ungefähr einer Meile langsam aus der Blätterwildnis
emporstahl und in fast unmerklichen Nebelstreifen in der bebenden
Atmosphäre verlor. Der Tuscarora war eine von jenen edeln
Kriegergestalten, wie man sie unter den Ureinwohnern dieses
Kontinents vor einem Jahrhundert häufiger antraf als gegenwärtig,
und obgleich er oft genug mit den Kolonisten in Berührung gestanden
hatte, um mit ihrer Sprache und ihren Sitten vertraut zu sein, so
hatte er doch wenig oder gar nichts von der wilden Größe und der
einfachen Würde eines Häuptlings verloren. Zwischen ihm und dem
alten Seemann hatte zwar ein freundschaftlicher, doch etwas
entfernter Verkehr stattgefunden, denn der Indianer war zu oft mit
den Offizieren der verschiedenen militärischen Posten
zusammengekommen, um nicht die subalterne Stellung seines
gegenwärtigen Reisegefährten zu kennen. Die ruhige Zurückhaltung
des Tuscarora übte denn auch immer ein
solches Übergewicht auf den Seemann Charles Cap aus, daß dieser
sich selbst in seiner fröhlichsten Laune oder in seinen
dünkelvollsten Augenblicken keine Vertraulichkeit erlaubte, obschon
ihr Verkehr bereits über eine Woche anhielt. Der Anblick des
aufsteigenden Rauchs jedoch hatte ihn wie die plötzliche
Erscheinung eines Segels auf der See ergriffen, und das erstemal
während ihres Zusammenseins wagte er es, den Krieger auf die eben
bezeichnete Weise zu berühren.
Das schnelle Auge des Tuscarora warf einen raschen Blick auf den
Rauch. Dann erhob er sich leicht auf die Zehenspitzen und stand
eine volle Minute mit erweiterten Nüstern da, gleich dem Reh, das
in der Luft Gefahr wittert, und mit dem Blick eines gut dressierten
Hühnerhundes, der auf den Wink seines Herrn lauert. Dann senkte er
die Ferse mit einem schwachen, kaum vernehmbaren Ausruf in der
sanften Tonweise, die einen so eigentümlichen Gegensatz zu dem
rauhen Kriegsgeschrei der Indianer bildet. Seine Züge waren ruhig,
und sein schnelles, dunkles Auge flog über das Blättermeer, als ob
er mit einem Blick jeden Umstand erfassen wollte, der ihm Auskunft
erteilen könnte. Die lange Reise, die sie durch den breiten Gürtel
der Wildnis unternommen hatten, war notwendig mit Gefahr verbunden,
wie Onkel und Nichte wohl wußten, obgleich sie nicht gerade
bestimmen konnten, ob die Spuren von menschlicher Nachbarschaft
gute oder schlimme Vorzeichen seien.
»Es müssen Oneidas oder Tuscaroras in der Nähe sein,
Pfeilspitze«, sagte Cap. »Wird's nicht gut sein, in Verbindung mit
ihnen zu treten, um ein Nachtlager in ihrem Wigwam zu kriegen?«
»Dort kein Wigwam«, antwortete Pfeilspitze in seiner
unbeweglichen Weise, »zuviel Baum.«
»Aber Indianer müssen da sein; vielleicht einige von Euern alten
Kameraden, Meister Pfeilspitze.«
»Kein Tuscarora – kein Oneida – kein Mohawk –
Bleichgesichtsfeuer«.
»Der Teufel ist's! – Schau, Magnet! Das übersteigt den Grips
eines Seemanns. Wir alten Seehunde können reden von eines Soldaten
und eines Schiffers Tabakskauen und ein Soldatengat von einer
Hängematte unterscheiden, aber ich glaube nicht, daß der älteste
Admiral von Seiner Majestät Flotte einen Unterschied findet
zwischen dem Rauch eines Königs und dem eines Kohlengräbers.«
Der Gedanke, in diesem Meer von Wildnis menschliche Wesen zu
Nachbarn zu haben, hatte das Rot auf den frischen Wangen des
hübschen Mädchens und den Glanz ihrer Augen erhöht. Doch schnell
kehrte sie den überraschten Blick zu ihrem Verwandten, und da
sie beide zu oft die Kenntnisse und den
Instinkt des Tuscarora bewundert hatten, so sprach sie mit
Zögern:
»Ein Bleichgesichtsfeuer? Gewiß, Onkel, das kann er doch nicht
wissen?«
»Zehn Tage früher, Kind, würd' ich drauf geschworen haben; aber
jetzt weiß ich bei Gott nicht, was ich glauben soll. – Ich möchte
mir die Freiheit nehmen zu fragen, warum Ihr Euch einbildet, daß
dies der Rauch eines Bleichgesichts und nicht einer Rothaut
ist?«
»Feucht Holz«, erwiderte der Krieger mit einer Ruhe, ähnlich der
eines Pädagogen, der seinem ungelehrigen Zögling ein Exempel
klarzumachen sucht. »Viel feucht – viel Rauch; viel Wasser –
schwarzer Rauch.«
»Aber, Vergebung, Meister Pfeilspitze, der Rauch ist weder
schwarz noch ist es viel. Wie ich erkennen kann, ist's ein so
lichter und leichter Rauch, als je aus eines Kapitäns Teekessel
stieg, wenn zum Brennmaterial bloß einige Schnitzel von den
Ballastunterlagen zu finden waren.«
»Zuviel Wasser«, entgegnete Pfeilspitze mit leichtem Kopfnicken.
»Tuscarora zu schlau, zu machen Feuer mit Wasser; Bleichgesicht
zuviel Buch, und brennt alles; viel Buch – wenig Wissen.«
»Vernünftig, ich geb's zu«, sagte Cap, der eben kein Freund von
Büchern war, »das ist ein Stich auf dein Lesen, Magnet. Der
Häuptling hat nach seiner Weise verständige Ansichten von den
Dingen. Wie weit aber sind wir nach Eurer Berechnung noch von der
Pfütze, die Ihr den großen See nennt, und auf die wir nun schon so
viele Tage lossteuern?«
Der Tuscarora blickte auf den Seemann mit ruhiger Überlegenheit
und sprach:
»Ontario wie Himmel; eine Sonne und große Reisende wird es
erfahren.«
»Schön, ich kann's nicht leugnen, daß ich ein großer Reisender
gewesen bin, aber von all meinen Reisen war diese die längste, die
am wenigsten einträgliche und die weiteste zu Lande. Wenn dieser
Frischwasserbottich so nah und doch so groß sein soll, Pfeilspitze,
so sollte man doch glauben, daß ihn ein Paar gute Augen auffinden
könnten; denn es sieht so aus, als ob man alles, innerhalb dreißig
Meilen, von diesem Lugaus sehen könnte.«
»Sehen«, sagte Pfeilspitze, indem er einen Arm mit ruhiger Würde
ausstreckte, »Ontario.«
»Onkel, Ihr seid gewöhnt zu schreien, ›Land ho‹! Aber nicht
›Wasser ho‹, und seht es deshalb nicht«, rief die Nichte mit
Lachen, wie die Mädchen über ihre eigenen Einfälle zu tun
pflegen. »Wie, Magnet! Glaubst du, daß ich
mein angeborenes Element nicht kennen würde, wenn ich's zu Gesicht
bekäme?«
»Aber der Ontario ist nicht Euer angeborenes Element, lieber
Onkel, denn Ihr kommt von dem Salzwasser, und dieses Wasser ist
süß.«
»Das könnt' allenfalls für den jungen Seemann einen Unterschied
machen, aber nirgends in der Welt für einen alten. Ich würde das
Wasser kennen, und wenn ich's in China zu Gesicht bekäme.«
»Ontario«, wiederholte Pfeilspitze begeistert, und deutete gegen
Nordwest.
Cap blickte auf den Tuscarora zum erstenmal seit dem Beginn
ihrer Bekanntschaft mit einem gewissen Anflug von Verachtung,
obgleich er nicht ermangelte, der Richtung von Auge und Arm des
Häuptlings zu folgen, die allem Anschein nach auf eine leere Stelle
des Himmels in kleiner Entfernung über der Blätterfläche
hinwiesen.
»Ja, ja; es entspricht ganz der Erwartung, die ich mir machte,
als ich die Küste verließ, um einen Süßwasserteich aufzusuchen«,
erwiderte Cap mit Achselzucken, gleich einem Manne, der mit sich im
reinen ist und alle weiteren Worte für unnötig hält. – »Der Ontario
mag da, oder meinetwegen in meiner Tasche sein. Schön, schön, ich
will auch annehmen, daß er groß genug ist, unser Kanu darauf zu
handhaben, wenn wir erst da sind. Aber, Pfeilspitze, wenn
Bleichgesichter in unserer Nachbarschaft sind, so hätt' ich wohl
Lust, sie anzurudern.«
Der Tuscarora gab durch ein ruhiges Kopfnicken seine Zustimmung,
und die ganze Gesellschaft verließ schweigend die Wurzeln des
umgestürzten Baumes. Ais sie den Boden erreicht hatten, deutete
Pfeilspitze seine Absicht an, gegen das Feuer hin zu gehen und sich
über dessen Lage Sicherheit zu verschaffen. Zugleich hieß er sein
Weib und die beiden anderen Reisenden zu dem Kanu, das sie in dem
nahen Strom gelassen hatten, zurückkehren und seine Wiederkunft
erwarten.
»Warum, Häuptling?« erwiderte der alte Cap. »Das möchte wohl
angehen auf Ankergrund und in Landweite, wenn man die Fähre kennt.
Aber in so unbekannter Gegend, wie diese, halt' ich's nicht für
ratsam, sich den Lotsen so weit vom Schiff entfernen zu lassen, und
wir wollen deshalb, mit Eurer Erlaubnis, unsere Gesellschaft nicht
trennen.«
»Was mein Bruder verlangen?« fragte der Indianer ernst, doch
ohne durch dies offene Mißtrauen beleidigt zu sein.
»Eure Gesellschaft, Meister Pfeilspitze, und sonst nichts. Ich
will mit Euch gehen und diese Fremden sprechen.« Der Tuscarora willigte ohne Bedenken ein und
beauftragte sein geduldiges, unterwürfiges Weibchen, das selten ihr
schwarzes Auge anders als mit dem gleichen Ausdruck der Achtung,
der Furcht und der Liebe auf ihn richtete, sich zu dem Boot zu
begeben. Nun erhob sich aber für Magnet eine Schwierigkeit.
Obgleich mutig und, wo es galt, von großer Entschlossenheit, war
sie doch ein Weib, und der Gedanke, in der Mitte einer Wildnis, von
deren Unabsehbarkeit sich eben erst ihre eigenen Sinne überzeugt
hatten, von ihren beiden männlichen Beschützern verlassen zu
werden, wurde ihr so peinigend, daß sie lieber den Onkel begleiten
wollte.
»Die Bewegung wird mir nach dem langen Sitzen im Kanu ganz gut
bekommen, lieber Onkel«, fügte sie bei, als das Blut langsam auf
die Wangen zurückkehrte, die erblaßt waren, obwohl sie ruhig
erscheinen wollte; »und vielleicht sind auch Frauen bei den
Fremden.«
»So komm denn, Kind. Es ist ja nur 'ne Kabellänge, und wir
werden wohl eine Stunde vor Sonnenuntergang zurück sein.«
Darauf schickte sich Mabel Dunham an, die Männer zu begleiten,
indes Junitau, das Weib des Indianers, geduldig ihren Weg nach dem
Boot nahm, da sie zu sehr an Gehorsam, Einsamkeit und düstere
Wälder gewöhnt war, um Furcht zu fühlen.
Die drei, die in der Windgasse zurückgeblieben waren, suchten
nun rings um deren verwickelte Irrgänge ihren Weg und gelangten in
dieser Richtung an den Saum des Waldes. Einige Blicke genügten dem
Indianer; aber der alte Cap beriet sich über die Richtung des
Rauches mit einem Taschenkompaß, bevor er sich dem Schatten der
Bäume anvertraute.
»Dieses Steuern nach der Nase, Magnet, mag wohl für einen
Indianer gut genug sein, aber ein rechter Seemann kennt die Tugend
der Nadel«, sagte der Onkel, indes er sich mühte, dem leicht
dahinschreitenden Tuscarora auf der Ferse zu folgen. »Auf mein
Wort, Amerika würde nie entdeckt worden sein, wenn Kolumbus nichts
als seine Nasenlöcher gehabt hätte. Freund Pfeilspitze, habt Ihr je
eine Maschine gesehen wie die hier?«
Der Indianer drehte sich um, warf einen Blick auf den Kompaß,
den Cap so hielt, daß er die Richtung ihres Weges anzeigte, und
antwortete ernst:
»Ein Bleichgesichtsauge. Tuscarora in seinen Kopf sehen. Das
Salzwasser (denn so benannte der Indianer seinen Gefährten) nun
ganz Auge; keine Zunge.«
»Er meint, Onkel, daß wir still sein sollen. Vielleicht traut er
den Personen nicht, mit denen wir zusammentreffen wollen.«
»Ach, es ist Gewohnheit eines Indianers, wenn er zu
bewohnten Quartieren kommt. Du siehst, daß
er die Pfanne seines Gewehrs untersucht, und es wird wohl gut sein,
wenn ich bei meinen Pistolen das gleiche tue.«
Ohne bei diesen Vorbereitungen Unruhe zu verraten, da sie
während ihrer langen Reise durch die Wildnis daran gewöhnt worden
war, hielt sich Mabel mit einem Schritt, so leicht und elastisch
wie der des Indianers, dicht an ihre Begleiter. Während der ersten
halben Meile beobachteten sie, außer einem tiefen Schweigen, keine
weitere Vorsichtsmaßregel. Als sie sich aber mehr der Stelle
näherten, wo sie das Feuer finden mußten, wurde eine größere
Sorgfalt nötig.
Der Urwald stört unter den Baumkronen die Aussicht gewöhnlich
nur durch die schlanken, geraden Baumstämme. Alle Vegetation hatte
sich zum Licht emporgehoben, und unter dem Laubhimmel ging man wie
durch ein weites Gewölbe, das sich auf Myriaden roher Säulen
stützt, die oft dazu dienen, den Abenteurer, den Jäger oder den
Feind zu verbergen; und je mehr Pfeilspitze mit schnellen Schritten
der Stelle nahte, wo ihn seine geübten, unfehlbaren Sinne den
Aufenthalt der Fremden erwarten ließen, desto leichter wurden seine
Tritte, desto wachsamer sein Auge, desto größer die Sorgfalt, seine
Person zu verbergen.
»Sehen, Salzwasser«, sagte er triumphierend, indem er auf eine
Öffnung zwischen den Bäumen deutete, »Bleichgesichtsfeuer!«
»Bei Gott, der Bursch hat recht«, brummte Cap. »Da sind sie,
sicher genug, und verzehren ihr Mahl so ruhig, als ob sie sich in
der Kajüte eines Dreideckers befänden.«
»Pfeilspitze hat nur halb recht«, flüsterte Mabel, »denn dort
sind zwei Indianer und nur ein Weißer.«
»Bleichgesichter«, sagte Tuscarora und hob zwei Finger in die
Höhe, »roter Mann«, fuhr er fort, indem er mit einem Finger
zeigte.
»Gut«, erwiderte Cap, »es ist schwer zu sagen, wer recht oder
unrecht hat. Einer ist ganz weiß und ein feiner, anständiger Bursch
mit einem respektabeln Aussehen. Der andere ist eine so gute
Rothaut, als nur Farben und Natur hervorzubringen vermögen; aber
der dritte Kunde ist halb aufgetakelt und weder Brigg noch
Schoner.«
»Bleichgesichter«, wiederholte Pfeilspitze, indem er wieder zwei
Finger erhob, »roter Mann«, nur einen zeigend.
»Es muß wahr sein, Onkel, denn sein Auge scheint nie zu irren.
Aber wir müssen nun wirklich wissen, ob wir mit Freunden oder
Feinden zusammentreffen. Es könnten Franzosen sein.« »Eine einzige Begrüßung wird uns bald ins klare
setzen«, entgegnete Cap. »Stell dich hinter diesen Baum, Magnet,
damit sich's die Spitzbuben nicht in den Kopf setzen, eine Lage zu
geben, ohne zu parlamentieren. Ich will bald erfahren, unter was
für einer Flagge sie segeln.«
Der Onkel hatte seine beiden Hände in der Form eines
Trompetenbechers an den Mund gesetzt und war daran, die verheißende
Begrüßung zu geben, hätte nicht Pfeilspitze durch eine rasche
Handbewegung seine Absicht vereitelt, indem er das extemporierte
Instrument in Unordnung brachte.
»Roter Mann, Mohikan«, sagte der Tuscarora; »gut;
Bleichgesichter, Yengeese.«
»Das ist eine Himmelspost«, flüsterte Mabel, die an der Aussicht
auf einen tödlichen Kampf in dieser abgelegenen Wildnis wenig
Geschmack fand. »Wir wollen zusammen hingehen, lieber Onkel, und
uns als Freunde vorstellen.«
»Gut«, sagte der Tuscarora, »roter Mann kalt und klug;
Bleichgesicht übereilt und Feuer. Lassen die Squaw gehen.«
»Was!« rief Cap erstaunt, »den kleinen Magnet als Lugaus
voranschicken, während zwei faule Schlingel, wie Ihr und ich,
stillliegen, um zu sehen, was sie für Land antun wird? Ehe ich das
zugebe, will ich –«
»Es ist das Klügste, Onkel«, unterbrach ihn das mutige Mädchen,
»und ich hab' nichts zu fürchten. Kein Christ wird auf ein Weib
Feuer geben, das er allein kommen sieht, und meine Gegenwart wird
als eine Bürgschaft friedlicher Gesinnungen gelten. Laßt mich
vorangehen, wie Pfeilspitze wünscht, und es wird alles gut werden.
Wir sind bis jetzt unbemerkt geblieben und werden die Fremden
überraschen, ohne Unruhe zu erregen.«
»Gut«, erwiderte der Indianer, der seinen Beifall über Mabels
Mut nicht verhehlte.
»Die Sache sieht gar nicht seemännisch aus«, antwortete Cap,
»aber da wir hier in den Wäldern sind, so weiß ja niemand darum.
Wenn du glaubst, Mabel –«
»Onkel, du brauchst für mich keine Besorgnisse zu hegen. Und
wär's auch der Fall, Ihr seid ja nah' genug, mich zu
beschützen.«
»Gut! aber nimm eine von den Pistolen mit, denn –«
»Nein, ich verlasse mich besser auf meine Jugend und meine
Schwäche«, sagte das Mädchen lächelnd. »Unter christlichen Männern
ist Schutzbedürftigkeit des Weibes bester Schirm. Ich versteh' mich
nicht auf Waffen und will ihren Gebrauch nicht kennenlernen.«
Der Onkel ließ sie gewähren, und nachdem ihr
der Tuscarora einige Vorsichtsmaßregeln empfohlen hatte, faßte
Mabel all ihren Mut zusammen und ging allein auf die in der Nähe
des Feuers sitzende Gruppe zu. Obgleich das Herz des Mädchens
schneller schlug, so war doch ihr Schritt fest, und ihre Bewegungen
ließen kein inneres Widerstreben erkennen. Eine Grabesstille
herrschte in dem Wald, denn die Gruppe, der sie sich näherte, war
zu sehr mit ihrem Essen beschäftigt, um auf anderes zu achten. Als
jedoch Mabel dem Feuer auf ungefähr hundert Fuß nahe gekommen war,
trat sie auf einen trockenen Ast, und so schwach das Geräusch unter
ihrem leichten Tritt war, genügte es doch, den Indianer, den
Pfeilspitze als einen Mohikaner bezeichnet hatte, und seinen
Gefährten, über dessen Charakter man nicht hatte einig werden
können, mit Gedankenschnelle auf die Beine zu bringen. Ihr Blick
fiel zuerst auf ihre an einen Baum gelehnten Gewehre; aber beide
standen still, ohne den Arm auszustrecken, als ihnen die Gestalt
des Mädchens vor die Augen trat. Der Indianer murmelte seinen
Gefährten einige Worte zu und nahm dann, so ruhig als ob gar keine
Unterbrechung vorgefallen wäre, den Sitz beim Mahle wieder ein. Der
weiße Mann dagegen verließ das Feuer und ging Mabel entgegen.
Das Mädchen sah, daß sie sich hier wirklich an einen Mann von
ihrer Farbe zu wenden hatte, obgleich sein Anzug aus einer so
sonderbaren Mischung beider Rassentrachten bestand, daß es wohl
eines näheren Blickes bedurfte, um sich Gewißheit zu verschaffen.
Er war von mittlerem Alter, und sein zwar nicht schönes Gesicht
trug den Ausdruck einer biederen Offenheit, fern von jedem Zug der
Arglist, so daß sich Mabel schnell überzeugen konnte, es drohe ihr
hier keine Gefahr. Dennoch blieb sie stehen, indem sie vielleicht
der Macht der Gewohnheit, vielleicht auch einem inneren Gefühl
gehorchte, das sie unter diesen Verhältnissen verhinderte, so ohne
alle Umstände auf eine Person des andern Geschlechtes
zuzugehen.
»Fürchten Sie nichts, Fräulein«, sagte der Jäger, denn als
solchen mochte ihn sein Anzug bezeichnen; »Sie sind in der Wildnis
mit Christen und Männern zusammengetroffen, die alle guten und
friedlichen Leute liebevoll zu behandeln wissen. Ich bin
wohlbekannt in diesen Gegenden, und vielleicht hat einer meiner
Namen Ihr Ohr erreicht. Bei den Franzosen und den Rothäuten auf der
andern Seite des großen Sees heiß' ich La Longue
Carabine, bei den Mohikanern, deren Stamm gutgesinnt und
aufrichtig ist, soviel von ihm noch übrig, bin ich Falkenauge,
indes mich die Truppen und Jäger auf dieser Seite des Wassers
Pfadfinder nennen, weil es bekannt ist, daß ich noch nie das eine
Ende einer Fährte, mochte es die eines Mingos oder die eines meiner Hilfe bedürftigen
Freundes sein, verloren habe, wenn ich das andere gefunden
hatte.«
Er brachte dies alles nicht in prahlerischem Ton, wohl aber mit
der treuherzigen Zuversicht eines Mannes vor, der wohl wußte, daß
er keine Ursache hatte, sich dessen zu schämen, mochte er unter was
immer für einem Namen bekannt sein. Der Eindruck auf Mabel war ein
augenblicklicher. Sobald sie den letzten Beinamen gehört hatte,
schlug sie die Hände lebhaft zusammen und wiederholte das Wort
–
»Pfadfinder!«
»So nennt man mich, liebes Kind, und mancher große Herr ist zu
einem Titel gekommen, den er nicht halb so gut verdiente; obgleich
ich mir wahrhaftig mehr darauf einbilden möchte, meinen Weg zu
finden, wo kein Pfad ist, als einen zu finden, der vor mir liegt.
Aber die regulären Truppen nehmen's nicht so genau und wissen meist
keinen Unterschied zu machen zwischen Pfad und Fährte, obgleich sie
den einen vor Augen haben und von der andern wenig mehr als der
Geruch vorhanden ist.«
»So seid Ihr der Freund, den uns mein Vater entgegenzusenden
versprochen hat?«
»Wenn Sie Sergeant Dunhams Tochter sind, so hat der große
Prophet der Delawaren nie ein wahreres Wort gesprochen.«
»Ich bin Mabel, und dort, hinter den Bäumen verborgen, sind mein
Onkel Cap und ein Tuscarora, namens Pfeilspitze. Wir hofften Euch
erst in größerer Nähe des Sees zu treffen.«
»Ich wünschte, ein besser gesinnter Indianer wär' euer Führer
gewesen«, sagte der Pfadfinder; »denn ich bin kein Freund der
Tuscaroras, die immer zu weit weg gewandert sind von den Gräbern
ihrer Väter, um sich noch des großen Geistes zu erinnern, und
Pfeilspitze ist ein ehrgeiziger Häuptling. Ist Junitau bei
ihm?«
»Sein Weib begleitet uns. Sie ist ein demütiges und sanftes
Geschöpf.«
»Und ein treues Herz obendrein, was mehr ist, als man von ihrem
Mann rühmen kann, wenn man ihn kennt. Nun schön! Wir müssen den
Gefährten nehmen, wie ihn die Vorsehung gibt, indes wir der Fährte
des Lebens folgen. Ich glaube, daß man einen schlechteren Wegweiser
hätte finden können als den Tuscarora, obgleich er zuviel Mingoblut
hat für einen Mann, der stets in der Gesellschaft der Delawaren
lebt.«
»Es ist vielleicht ein glücklicher Zufall, daß wir
zusammengetroffen sind.«
»In jedem Fall kein unglücklicher; denn ich habe dem Sergeanten
versprochen, sein Kind wohlbehalten in seine Garnison zu
bringen, und wenn ich drüber zugrunde gehen
müßte. Wir hofften, euch zu treffen, ehe ihr die Wasserfälle
erreicht, wo wir unser eigenes Kanu gelassen haben; doch wir
dachten, ihr würdet euch nicht grämen, wenn wir einige Meilen
weiter heraufkämen, um im Notfall zu euern Diensten zu sein. Es ist
übrigens gut, daß wir's taten, denn ich zweifle, ob Pfeilspitze der
Mann ist, durch die Strömung zu fahren.«
»Hier kommt mein Onkel und der Tuscarora; unsere Gruppen können
sich daher jetzt vereinigen.«
Als Mabel geendet hatte, kamen Cap und der Indianer näher, denn
sie sahen, daß die Verhandlung freundschaftlich war. Einige Worte
genügten, sie von dem in Kenntnis zu setzen, was das Mädchen von
den Fremden erfahren hatte. Sobald dies geschehen war, begab sich
die Gesellschaft zu den andern beiden, die ruhig bei ihrem Feuer
geblieben waren.