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1. Auflage 2017

©opyright 2017 by Autor, Christian Ritter

Lektorat: Miriam Spies

ISBN: 978-3-957910-67-7
eISBN: 978-3-957910-68-4

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

Christian Ritter

Die korrekte Anordnung
der Tiere im Zoo

Satiren & Kurzgeschichten

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Inhalt

Teenagermädchen

Ein Fest

Das Land der Frühaufsteher

Vorurteile

Briefmarken

Pfau aufwärts

Vorwort

Unartig

Lalodamu!

Oktober

Herrenloses Gepäckstück

Fixen Rutsch

Problem und Lösung

Grüße bitte

Das Bier ist in der Badewanne, Melanie

Romantik

In der Pianobar

Ein Briefwechsel

Schlaflied

Zugabe: Die geheimnisvollsten Orte aller geheimnisvollen Orte

Damentoilette

Dorfdisko

Bushaltestelle

Telefonzelle

Franken

Lichtenberg

Teenagermädchen

Sie leben unter uns. Sie haben eine eigene Kultur, eine fremde Sprache, immer die neusten Smart-phones und sie beschäftigen sich nur mit sich selbst. Teenagermädchen.

Ich habe lange darüber nachgedacht und nur eine einzige Sache gefunden, die mich mit Teenagermädchen verbindet: Ich finde Justin Bieber süß. Aber wer tut das nicht?

Teenagermädchen. So selten man als normal-lebender Mensch mit ihnen in Kontakt kommt, so irritierend fallen diese Aufeinandertreffen aus. Kürzlich suchte ich eines ihrer natürlichen Habitate auf, einen Starbucks. Vier Teenagermädchen standen, zwei Meter vom Bestelltresen entfernt, verloren in der Gegend herum, wie es ihre Art ist, und starrten auf ihre Telefone. Ich ging an ihnen vorbei und bestellte eine Latte in einer der Größen, die übersetzt alle »groß« heißen, tall oder grande, ich weiß es nicht mehr genau, da nahmen sie von hinten Kontakt zu mir auf.

»Hallooohooo?«, riefen sie, ich drehte mich um und sagte: »Hallo.«

Kurz wirkten sie verunsichert, dann eher wütend, dann verfielen sie in ihre Grundstimmung: sich von der Welt missverstanden fühlen.

»Hallooohooo?«, wiederholte eine, und die andere übersetzte: »Wir waren vielleicht zuerst da?«

Ich fragte mich, warum sie mir so viele Fragen stellten, kümmerte mich nicht weiter und sagte dem Barista, ich hieße Justin, als er mich nach meinem Namen fragte. Ich habe bei Starbucks immer Angst, meinen richtigen Namen zu nennen, weil ich denke, dass ich dann vielleicht nicht bedient werde, weil zu unfancy, und dass mich der Barista rüber zur Nordsee-Filiale schickt, weil man als Christian oder Stefan oder Michael doch eher mit einem Lachsersatzbrötchen kompatibel ist.

»Hallooohooo, also das geht gar nicht?«, schob die Rädelsführerin der Bande nach, »Wir haben hier auf unseren Telefonen vielleicht geschaut, was wir bestellen wollen?«

Schon wieder eine Frage, auf die ich keine Antwort wusste, also reagierte ich auch nicht.

»Ich glaub, der is behindert«, flüsterte eine in Raumlautstärke, eine andere flüsterte dagegen: »Behindert sagt man nicht mehr, du Spast.«

Ich schüttete mir Zucker in den sogenannten Kaffee und ging an ihnen vorbei nach draußen, wobei ich nochmal »hallo« sagte. Eine machte ein Foto von mir und stellte es vermutlich direkt auf Facebook, zusammen mit dem Kommentar: Der Arsch hat sich vorgedrängelt, obwohl wir mitten im Raum standen!!! Fünf wütende, rote Smileys.

Teenagermädchen. Wie anstrengend es wohl für sie sein muss, jahrelang in diesem Wartezimmer aufs Leben herumzusitzen, sich mit dreiminütigen Videos mit zu schnellen Schnitten und Gelärm die Zeit zu vertreiben und ihre so unausgegorenen wie unumstößlichen Meinungen in die Welt zu posaunen, die sich nicht dafür interessiert.

»Alter, ich hasse grüne Augen!« – Originalzitat der besprochenen Spezies, mitgehört auf der Schildergasse in Köln. Die weitere Unterhaltung:

»Ich hasse auch meinen eigenen Augen, die sind voll langweilig.«

»Hauptsache, der Jonas mag deine Augen.« »Der Jonas?

Der Jonas is n Arsch!«

»Was? Den hast du doch immer voll süß gefunden.«

»Jetzt nich mehr?!?«

»Ich find den immer noch süß.«

»Ich hasse dich?!?«

Teenagermädchen. Was sie wohl denken in ihren kleinen, hübsch frisierten Köpfen?

Ich will nicht so werden wie meine Mutter.

Also n bisschen schon, aber, aber nicht so.

Ich lass mir nix sagen, ich mach was ich will.

Ich mag den Robin voll.

Ich muss mal wieder n Selfie machen.

Ich glaub, ich mag den Robin doch nicht.

Hm, die Treppe ist zu Ende, ich bleib jetzt einfach mal stehen.

Wo soll ich denn jetzt hin?

Hach, das ist alles so anstrengend.

Jetzt wollen die Leute an mir vorbei.

Alle wollen was von mir, ich bin so wichtig.

Schon drei Likes für das Rolltreppenselfie.

Hm, könnten auch schon zehn sein.

Booo, keiner interessiert sich für mich, ich will sterben.

Nee, doch nicht, da ist Robin.

Ich lach mal schüchtern.

»Ähähä.«

Alter, der schaut nicht, ich hass den?!?

Teenagermädchen. Sie leben unter uns. Sie haben ihre eigene Kultur, ihre eigene Sprache, immer die neusten Smartphones und sie beschäftigen sich nur mit sich selbst. Teenagerm… Hmmm, Moment. Sind wir nicht alle ein bisschen Teenagermädchen? Ein bisschen unangekommen, ein bisschen unsicher, ein bisschen geltungsbedürftig, ein bisschen am Rand stehend, ein bisschen Ach-ich-weiß-auch-nicht, ein bisschen sehnsuchtsvoll nach dem, was noch kommen mag, ein bisschen, bisschen dumm?

Lasst uns Teenagermädchen sein, im Starbucks bestellen und sagen: »Meine Mutter macht voll den Stress, weil ich noch nicht zu Hause bin«, und uns dann an den Tisch setzen und dem Kaffeevollautomaten lauschen, dem Sound unseres Daseins draußen und drinnen im Kopf.

Schwer wird es noch früh genug.

Teenagermädchen. Just be!

Ein Fest

An einem Donnerstag im Mai saß ich anlässlich eines Geburtstages um 15 Uhr am fein gedeckten und mit Servietten in angedeuteter Schwanenform dekorierten Esszimmertisch meiner Eltern, schüttete mir heimlich Fernet Branca in den Kaffee, was Besseres war diesmal im Keller nicht zu finden gewesen, und beobachtete die Leute, mit denen ich durch Schicksal und Verwandtschaft schon sehr oft an fein dekorierten Esszimmertischen gesessen hatte. Diesmal waren es 14. Das Interesse aneinander und vor allem an mir hielt sich wie immer in Grenzen, die üblichen Fragen »Na, wie lange bleibst du diesmal?« und »Studierst du eigentlich noch?« beantwortete ich routiniert mit »bis morgen« und »nönönönönö«, womit sich jeder umgehend zufrieden gab und sich interessanteren, weil rückfragenden Familienmitgliedern zuwandte.

Die Hauptrolle spielte diesmal meine Schwester. Sie hatte gerade aus Verzweiflung ihr viertes Kind zur Welt gebracht. Die Verzweiflung resultierte daraus, dass sie nach drei Jungen nun endlich auch ein Mädchen haben wollte. Aber alle Herumrechnerei, Kopfstände und Brokkoli-Orgien, die das Geschlecht beeinflussen können, hatten irgendwie nichts gebracht. Das vierte Kind ist auch ein Junge und heißt Reinwald. Immerhin besser, als wäre es ein Mädchen und würde Reinwald heißen. Das ist aber das einzig Positive daran. Wenn es schon kein Mädchen ist, versaue ich ihm wenigstens durch seinen Namen nachhaltig das Leben, dachte meine Schwester, dachte ich.

»Der kleine Reinwald. Na, is er schon schwul?«, fragte Opa.

Das fragte Opa seit dem zweiten Kind immer. Er hatte irgendwann mal in der Zeitung gelesen, dass die Chance auf ausufernde Homosexualität mit jedem weiteren männlichen Kind frappierend ansteige und verbreitete es seitdem als unumstößlichen Fakt.

»Wegen dem Testosterin, das wird immer weniger, soviel hat die Mutter davon nicht. Jeder Bruder wird immer wärmer. Höhö. Beim Reinwald bin ich mir ganz sicher. Schau doch, wie verknautscht und verweichlicht und tuntig der ausschaut. So ein rosa Gesicht!«

»Opa, er ist vier Monate alt«, verteidigte ich den kleinen Reinwald, »nach deiner Einordnung wären ja alle Kinder schwul.«

»Na so weit kommt’s noch!«, entgegnete er.

»Er ist das schönste Kind der Welt«, sagte meine Schwester und meinte es im schlimmsten Fall auch so. Reinwald war wirklich nicht der Typ, der bald für Alete modeln würde. Er hatte noch nicht mal einen ganz runden Kopf und sah aus wie ein Marshmallow, das man drei Tage lang in der Sonne hatte liegen lassen. Das Liebesbekenntnis meiner Schwester hatte aber wenigstens den Effekt, dass die anderen drei Buben sofort anfingen zu weinen, weil ja nun keiner von ihnen mehr das schönste Kind der Welt sein konnte, wenn Reinwald es war. Mein Schwager helikopterte aber sofort auf die drei herunter und gab ihnen je einen Gummifrosch zu essen, sodass sie wieder etwas hatten, das sie froh machte. Er hatte immer einen ganzen Beutel mit Gummiwaren dabei, einen Lederbeutel am Gürtel, wie man ihn von Raubvögelfütterungen kennt, voll mit Gummifröschen. Er stopfte sie seinen Kindern zu allen möglichen Anlässen in die Münder.

Oh, du weinst? Gummifrosch!

Du bist zehn Meter gelaufen ohne hinzufallen? Gummifrosch!

Du hast nur dein Gesicht und T-Shirt mit dem Schokoeis eingesaut, aber nicht die Hose? Toll, Gummifrosch!

Es war alles sehr vorhersehbar. Nicht nur die Froschverfütterung, nicht nur die Handlungen meines Schwagers, alles folgte einem ungeschriebenen, aber seit Jahrzehnten gleichen Protokoll.

Die Familienfeiern verliefen so abwechslungsreich wie Steffi Graf beim Rückhandspielen.1

Jedes Stück Kuchen, das Onkel Paul, seines Zeichens Mitte vierzig, Single und enormst übergewichtig, sich in seinen Körperpalast einbaute, wurde von Oma mit einem kritischen Blick bedacht, bis sie schließlich zur altbekannten Ansprache mit dem Titel Du brauchst dich gar nicht wundern, dass dich keine will ansetzte. Was Oma nicht wusste: Onkel Paul will seinerseits auch gar keine. Seit er mir einmal versehentlich WhatsApp-Nachrichten geschickt hatte, die für einen seiner Lustknaben bestimmt waren, weiß ich sehr gut, was er in Liebesdingen so will, und das will wirklich keiner wissen. Solange die monatliche Schweigelastschrift von seinem auf mein Konto wechselt, wird auch niemand davon erfahren. Onkel Paul ist übrigens das vierte männliche Kind.

»Wisst ihr noch«, setzte Tante Margit aus ihrer Ecke unter einer Hängepflanze an, »damals an Weihnachten, das war Neunzehnhundert…« – einer meiner Neffen bewarf sie spontan mit einem Spielzeugauto, das sie mit ihrer Dauerwelle abfederte und unbeeindruckt weiter erzählte – »… siebenundachtzig. Fast wären da fünfzig Mark im Müll gelandet, weil ich den Umschlag zwischen dem ganzen Geschenkpapier gar nicht gesehen habe. Ich weiß auch nicht, wo ich da mit meinem Kopf war.«

Vermutlich zwischen der gleichen Frisur wie heute, dachte ich.

»Und dann kam der kleine Christian angekrabbelt und hat die fünfzig Mark einfach so aus dem Müll gefischt …« Rückhand-Slice, Rückhand-Slice, Rückhand-Slice, Rückhand-Slice.

Das wirklich Tragische an der Geschichte ist, dass Tante Margit seit Weihnachten ’87 tatsächlich nichts Aufregenderes erlebt hat und die Geschichte grade zum mindestens 87. Mal erzählte.

»HÄ-hä-HÄ-hä-hä-HÄ«, summte meine Schwester in das peinlich berührte Lachen hinein und wiegte den kleinen Reinwald dazu auf dem Arm. »HÄ-hä-HÄ-hä-hä-HÄ.«

Die Gesichter ihrer Kinder hellten sich sofort auf, da sie das Lied wohl erkannt hatten. Sie fingen an, mitzusingen: Atemlos durch die Nacht.

»Jetzt wird er auf jeden Fall schwul«, kommentierte Opa.

Onkel Paul fühlte sich wie immer beim Anschneiden des Themas in der Defensive und dazu berufen, irgendetwas extrem heterosexuelles zu sagen: »Hier, die Kleine, die Tochter vom Konrad, die hab ich im Schwimmbad gesehen. Brüste hat die, Brüste! Die würd mir auch gefallen. Mit diesen Brüsten! Solche Dinger!«

»Paul, die ist 15«, sagte Tante Margit bestürzt.

Aus seinen fehlgeleiteten Nachrichten wusste ich, dass ihm das zumindest egal wäre.

Atemlos durch die Nacht sang jetzt auch Oma. Ich suchte verzweifelt nach dem Fernet Branca in der unauffälligen Micky-Maus-Trinkflasche. Das große Kind hatte sie sich gegrapscht und versuchte gerade, sie aufzuschrauben.

Opa zwinkerte mir verschwörerisch zu und machte eine flüchtige Bewegung mit seinem Kopf. Zumindest dieses Ritual an Familienfeiern mochte ich, auch wenn es heute sehr früh kam.

»Wir gehen mal eine rauchen«, sagte Opa.

Er und ich standen auf und gingen in die Garage. Er packte das Gras aus, das er für seinen Grünen Star verschrieben bekommen hatte, ich drehte uns zwei formschöne Tüten und wir kifften uns in die Gleichgültigkeit. Dann setzten wir uns auf die Terrasse und schauten eine Stunde lang in den Himmel. Von drinnen hörten wir gedämpftes Kindergeschrei, Kindergekotze, der Kleine hatte die Flasche wohl aufbekommen, und atemlosen Gesang.

»Was ich mich schon immer gefragt habe«, sagte Opa.

Fünf Minuten später redete er weiter: »Warum hat Steffi Graf ihre Rückhand nie beidhändig und Topspin gespielt?«

»Tja, Opa, das weiß wirklich niemand.«

1Der Vergleich »so abwechslungsreich wie Steffi Graf beim Rückhandspielen« ergibt enormen Sinn, wenn man Steffi Graf jemals Tennis spielen gesehen hat. Jüngere Generationen werden ihre Schwierigkeiten mit der Imagination des vorliegenden Vergleichs haben und sich zum Beispiel fragen »Wer ist Steffi Graf?«, »Was ist Sport?« und »Warum sollte mich das interessieren, wenn ich es nicht in ein erotisches Selfie von mir bei Snapchat einbauen oder es mir in Plastikform ums Handgelenk binden kann?«

Erklärung: Steffi Grafs stets einhändiges Rückhandspiel beinhaltete folgende Varianten: Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice, Slice – und erinnerte in seiner Berechenbarkeit und Anmut an den Takt von Scheibenwischern eines VW Polo auf Stufe 2. Würde man sämtliche Rückhände, die Steffi Graf jemals gespielt hat, in einem YouTube-Video zusammenschneiden, hätte man das langweiligste filmische Werk seit Menschengedenken erschaffen, knapp gefolgt von allen Tatorten, die am Bodensee spielen.

Das Land der Frühaufsteher

»Ich hab ein Angebot für dich bekommen«, sagte mein Verleger, »gar nicht so schlecht, eine Lesung!« Nach einer kleinen, aber bedeutsamen Pause fuhr er fort: »Also, um ehrlich zu sein, ich hab noch nie was von der Stadt gehört. Aber die Frau, die angefragt hat, klang ganz nett. Sie ist die Chefin vom Tourismusbüro oder so. Und die Gage ist, äh, vorhanden.«

»Aha«, sagte ich, und die Sache war eingetütet.

Einige Wochen später machte ich mich auf den Weg. Wie ich mittlerweile recherchiert hatte, lag die auch mir bis dato unbekannte Stadt in Sachsen-Anhalt und war mit dem Zug nur sehr umständlich zu erreichen. Ich bediente mich also eines Automobils. Es war Hochsommer, der Himmel klar, um die 30 Grad. Ich passierte die Landesgrenze und ein großes Autobahnschild empfing mich:

SACHSEN-ANHALT
LAND DER FRÜHAUFSTEHER

HAHA, dachte ich, das werde ich später bei der Lesung aufgreifen und eine vorzügliche Pointe anschließen, um die Stimmung zu lockern. Ich war wirklich gut drauf. Je näher ich aber der Stadt kam, die auch weiterhin unbenannt bleiben soll, desto mehr verdunkelte sich der Himmel. Wolken schoben sich neben- und übereinander und mit dem abnehmenden Licht senkte sich auch meine Stimmung etwas. Zwei Tage zuvor hatte mich die Frau aus dem Tourismusbüro angerufen und mir mitgeteilt, dass der Lesungsort verlegt werden musste. »Höhere Gewalt«, hatte sie schlicht gesagt, und so wurde ich vom Domplatz in ein Hotel verschoben. Meiner Frage nach den Vorverkaufszahlen war sie dreimal in Folge mit Bemerkungen über die Schönheit der Stadt ausgewichen und ich fand es unschick, sie ein viertes Mal zu stellen. Erst jetzt begann ich, mir ein wenig Sorgen zu machen.

Ich fuhr von der Autobahn ab, die Landschaft wurde unwirtlicher und der Asphalt löchriger. Die Fahrbahn engte sich ein und schließlich verschwanden die Straßenmarkierungen. Ich musste einem Rehkadaver ausweichen, der augenscheinlich schon ein paar Tage halb auf der Fahrbahn liegend vor sich hin weste. Ein Motorrad überholte mich mit abenteuerlicher Geschwindigkeit. Der Fahrer trug keinen Helm. Schönes, freies Sachsen-Anhalt, dachte ich, und sah schon das Ortseingangsschild vor mir.

Da im gesamten Internet kein Hinweis auf das betreffende Hotel zu finden gewesen war, musste ich mich nun durchfragen. Ein graugesichtiger Mann am Straßenrand war auf einen Kehrbesen gestützt und hob, als er mich sah, die Faust zur Begrüßung. Lieber den Nächsten fragen, dachte ich. Es stellte sich aber heraus, dass sich niemand sonst im Freien aufhielt, die Hauptstraße des Orts bot auch keinen Anlass dazu, sie war wenig einladend gestaltet, die meisten Geschäfte sahen sehr geschlossen aus und waren es mit Rollläden. Also wendete ich einige hundert Meter weiter und fuhr zurück zu dem Mann, der seine Position nicht verändert hatte, wieder die Faust hob und »Aaaargh« machte, als er mich sah. Ein putziges Begrüßungsritual, dachte ich. Ich ließ das Fenster herunter und fragte: »Entschuldigen Sie bitte, mein Herr, wo ist hier denn –«

»Hier ist gar nichts!«, würgte er mich ab. »Verschwinde, du Hasendieb!«

Er hob den Besen und schwang ihn um sich wie eine sowjetische Hammerwerferin.

Ich legte kleinlaut den Rückwärtsgang ein und entfernte mich von ihm, suchte auf eigene Faust weiter und wurde schließlich fündig. Das Hotel Zur alten Eiche war prominent platziert und als einziges Gebäude im Umkreis von zehn Kilometern kürzlich gestrichen worden, in einem satten Laubgrün. Vor dem Eingang erwartete mich eine Frau, die stark nach Tourismusbüro aussah.