image

image

Warren Mosler

DIE SIEBEN UNSCHULDIGEN, ABER TÖDLICHEN BETRÜGEREIEN DER WIRTSCHAFTSPOLITIK

Mit einem Vorwort von
Dirk Ehnts

Mit dem Vorwort zur englischen Ausgabe von
James K. Galbraith

Mit einem Nachwort von
William Mitchell

Aus dem Englischen von
Skender Fani und Dirk Ehnts

image

Copyright © Lola Books GbR, Berlin 2017

www.lolabooks.eu

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf in keinerlei Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Titel der englischen Originalausgabe:

The 7 Deadly Innocent Frauds of Economic Policy

Copyright © Warren Mosler, 2010

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagbild: Silvia Viana Chaves

Druck: Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-944203-21-8
eISBN 978-3-944203-28-7

Erste Auflage 2017

INHALT

VORWORT

DR. DIRK EHNTS, TECHNISCHE UNIVERSITÄT CHEMNITZ

VORWORT ZUR ENGLISCHEN AUSGABE

JAMES K. GALBRAITH, THE UNIVERSITY OF TEXAS AT AUSTIN

PROLOG

ÜBERSICHT

EINLEITUNG

TEIL 1

DIE SIEBEN UNSCHULDIGEN, ABER TÖDLICHEN BETRÜGEREIEN DER WIRTSCHAFTSPOLITIK

UNSCHULDIGER, ABER TÖDLICHER BETRUG NR. 1

WIE WIRD MAN DAS BEZAHLEN KÖNNEN ???!!!

WIE NIMMT DIE BUNDESREGIERUNG STEUERN EIN?

WIE DIE BUNDESREGIERUNG AUSGABEN TÄTIGT

DIE SCHECKS DER BUNDESREGIERUNG PLATZEN NICHT

WARUM DIE BUNDESREGIERUNG STEUERN EINTREIBT

UNSCHULDIGER, ABER TÖDLICHER BETRUG NR. 2

DIE BESTEUERUNG DURCH DIE BUNDESREGIERUNG UND IHRE AUSGABEN BEEINFLUSSEN DIE VERTEILUNG

WIE ZAHLEN WIR NUN CHINA AUS?

UNSCHULDIGER, ABER TÖDLICHER BETRUG NR. 3

LAWRENCE SUMMERS

AL GORE

ROBERT RUBIN

PROFESSOR WYNNE GODLEY

UNSCHULDIGER, ABER TÖDLICHER BETRUG NR. 4

STEVE MOORE

UNSCHULDIGER, ABER TÖDLICHER BETRUG NR. 5

UNSCHULDIGER, ABER TÖDLICHER BETRUG NR. 6

PROFESSOR BASIL MOORE

UNSCHULDIGER, ABER TÖDLICHER BETRUG NR. 7

TEIL 2

DAS ZEITALTER DER ENTDECKUNGEN

DAS ZEITALTER DER ENTDECKUNGEN

WALL STREET

CHICAGO

ITALIENISCHE ERLEUCHTUNG

TEIL 3

GEMEINWOHL

GEMEINWOHL

EINE LOHNSTEUERBEFREIUNG

AUFTEILUNG DER EINNAHMEN

ZIVILDIENST

ALLGEMEINE GESUNDHEITSVERSICHERUNG

VORSCHLÄGE FÜR DAS WÄHRUNGSSYSTEM

STRATEGISCHE VORRÄTE

EIN VORSCHLAG BEZÜGLICH DER IMMOBILIEN

WIE WIR ALLE VOM LEISTUNGSBILANZDEFIZIT PROFITIEREN KÖNNEN

INDUSTRIESEKTOREN MIT STRATEGISCHER AUSRICHTUNG

DIE NUTZUNG EINES PUFFERS AN ARBEIT ZUR BESTIMMUNG DES OPTIMALEN DEFIZITS DURCH DIE MÄRKTE

ZINSSÄTZE UND GELDPOLITIK

DIE ROLLE VON STAATSANLEIHEN

KINDER ALS INVESTITION STATT ALS KOSTENFAKTOR

DAS GEMEINWOHL

INFLATION!

INFLATION UND (NICHT) PREISERHÖHUNGEN

NACHWORT

PROFESSOR WILLIAM MITCHELL, UNIVERSITY OF NEWCASTLE, AUSTRALIEN

VORWORT

DR. DIRK EHNTS, TECHNISCHE UNIVERSITÄT CHEMNITZ

Warren Mosler ist ein Phänomen. Er ist kein ausgebildeter Ökonom, aber er hat mehr Ahnung von Ökonomie als die meisten Professoren. Wie kein anderer schafft er es momentan, Realität und Theorie in Einklang zu bringen. Die Krise der Ökonomie ist ein stiller Triumph für Warren Mosler, der schon seit mehr als zehn Jahren Dinge sagt, die inzwischen auch im sogenannten „mainstream“ der Ökonomie angekommen sind. Die Krise der Ökonomie ist auch eine Krise der Ökonomik, aber Warren Mosler zeigt einen Ausweg aus den alten Debatten hin zu neuen Fragen.

Für Nicht-Ökonomen wird dieses Buch wohl einfacher zu verdauen sein als für diejenigen, die an der Universität mit makroökonomischer Theorie konfrontiert worden sind. Die letzten Jahrzehnte waren eine beispielslose Zeit des Rückschritts, weg von der Realität und der Empirie und hin zu theoretischen Modellen, die auf haarsträubenden Annahmen basierten. Die britische Königin fragte stellvertretend für die Weltöffentlichkeit, warum niemand diese Krise hatte kommen sehen. Die Antwort muss lauten: weil die makroökonomische Theorie sich in Gleichgewichten verfangen hat, die sie für die Realität hielt. In der Theorie kommen Krisen nicht vor.

Während in den Lehrbüchern etwas von Geldangebot und Geldnachfrage steht, erklärt Warren Mosler Geld aus der Sicht des Praktikers. Einlagen in Banken und Zentralbank werden durch buchhalterische Transaktionen erzeugt, sie sind quasi eine soziale Technologie und können dadurch von Ökonomen genauso verstanden werden wie ein Verbrennungsmotor von Mechanikern. Moslers „reserve accounting“ ist nichts anderes als eine logisch konsistente Anwendung der Regeln doppelter Buchführung auf Einlagen bei der Zentralbank und als Methode dem neoklassischen Angebot / Nachfrage-Paradigma weit überlegen. Geld – Einlagen in Banken und Zentralbanken – ist nicht knapp, es kann unendlich und kostenlos erzeugt werden. Allerdings ist die Verteilung ein Problem, wenn Schuldner nicht genügend Geld haben. Aus diesem Grund versagt hier die neoklassische Makroökonomie, die auf dem Knappheitsgedanken beruht und die Verteilung ausblendet.

Warren Mosler hat durch sein finanzielles Engagement einen großen Anteil an der neuesten Spielart post-keynesianischer Makroökonomie, namentlich der Modern Monetary Theory (MMT). Diese Theorie erklärt die bestehende Geldordnung und die fiskalischen Möglichkeiten und gibt auch Handlungsempfehlungen ab, wie man ein solches System wirtschaftspolitisch optimiert. Während die Erklärung des „Ist“ deskriptiv ist, sind die Empfehlungen wie etwa die eines flexiblen Wechselkurses natürlich normativ. Die Politik ist es schlussendlich, die über die Rahmenbedingungen entscheidet. Gerade in Europa hat dies allerdings dazu geführt, dass aus einer großen Krise eine noch größere wurde.

Im Europa des Jahres 2017 herrscht in weiten Teilen der deutschen Presselandschaft immer noch die Erzählung der „Staatsschuldenkrise“. Die als „Club Med“ oder PIGS (Portugal, Irland, Griechenland, Spanien) diffamierten Südländer hätten durch zu hohe Staatsausgaben die Krise erzeugt und müssten sich gesund sparen durch Ausgaben- und Lohnkürzungen. Bis das gelingt würden die deutschen Steuerzahler den Ländern generös unter die Arme greifen. Diese „Rettung“ würde den Ländern zwar kurzfristige Schmerzen bereiten, sich aber langfristig durch eine Reformdividende in Form von erhöhter Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit auszahlen. Dies ist allerdings bis heute nicht eingetreten und es darf bezweifelt werden, ob eine Dividende durch die „Reformen“, die seltsamerweise fast ausschließlich die Einkommen der unteren Einkommensklassen und insbesondere der Lohnempfänger betrafen, noch erwartet werden darf.

Diese Erzählung wird gestützt von neoklassischer Theorie, nach der deutsche Ersparnisse die Ausgaben der Südländer finanziert hätten. Sie wird unterstützt durch die Theorie, dass Investitionen durch Ersparnis finanziert werden und dass daher wer wachsen will erstmal sparen muss. Auch der Staat müsse zuerst Steuern eintreiben oder Staatsanleihen verkaufen, bevor er Geld ausgibt. Die Rolle der Banken wird auf die von Intermediären begrenzt, welche von denen Geld einsammeln, die zu viel haben, und es denen leihen, die es aus unterschiedlichen Gründen brauchen.

All diese Theorien und Argumente fallen in sich zusammen, wenn man dieses kleine aber feine Büchlein gelesen hat. Da es 2010 erschienen ist – und damit vor Beginn der Krise in der Eurozone – ist es keine wirtschaftspolitische Studie der europäischen Währungsunion, sondern eine Kritik an sieben Punkten in der öffentlichen Diskussion, die ohne stabiles theoretisches Fundament sind. Nichtsdestotrotz ist die Wirkung dieser Kritik für Deutschland im Jahr 2017 fundamental. Nach der Lektüre des Textes erscheint die deutsche Wirtschaftspolitik in einem ganz anderen Licht, aus einem Opfer wird der Haupttäter.

Dieser Effekt ist sicherlich nicht intendiert gewesen, aber makroökonomische Theorie ist nie politisch neutral. Dabei ist die Theorie von Warren Mosler nicht als links oder rechts einzuschätzen, sondern an sich unpolitisch. Sie kollidiert nicht nur mit der Erzählung der großen Koalition, sondern auch mit der von Marxisten, die – zusammen mit Hans-Werner Sinn – Kapitalflüsse in der Eurozone zum Haupttäter der makroökonomischen Ungleichgewichte erklären. Wenn man mit Warren Mosler verstanden hat, dass die Kreditgeldschöpfung der Geschäftsbanken unabhängig ist vom Vorhandensein an „Kapital“ (an dessen Definition sich kaum noch jemand heranwagt, da schon so viele scheiterten), Ersparnis oder Zentralbankgeld, dann ergeben sich ganz neue Perspektiven.

Neue Perspektiven ist auch das Stichwort für die Ökonomik. Die aktuelle Situation an den deutschen Hochschulen ist bis auf wenige Ausnahmen inakzeptabel. Die Disziplin wird beherrscht von der Neoklassik, welche als „die“ Ökonomie verkauft wird, die als einzige „wissenschaftlich“ arbeiten würde und innerhalb derer das gesamte politische Spektrum abgedeckt werden würde. Die Ökonomie ist jedoch eine Sozialwissenschaft, und damit gibt es dort genauso wenig die Möglichkeit, durch Experimente „Gesetze“ zu entdecken, wie in der Geschichtswissenschaft. „Historische Gesetze“ nennt man auch Determinismus, und während die Historiker nicht auf die Idee kämen würden, solche Gedanken auch nur in den Mund zu nehmen, ist die Suche nach Gesetzen in der Ökonomie immer noch aktuell. So wird beispielsweise behauptet, dass eine Erhöhung der Geldmenge zu mehr Inflation führen würde, obwohl dies empirisch gar nicht zu halten ist. Die Ökonomie ist halt keine mechanische Veranstaltung, in der Individuen aufeinander „prallen“, sondern wird beherrscht von Interaktionen zwischen Individuen und Institutionen, während derer sich Machtverhältnisse und Meinungen durchaus ändern können.

Zudem ist die Wissenschaft kein „neutraler Beobachter“, ja, sie kann es gar nicht sein. Die Forschungsfragen der Ökonomie fallen nicht vom Himmel, irgendwer muss sie sich ausgedacht haben. Fragen nach Methoden der Ökonomik werden heutzutage schnell abgebügelt, wahrscheinlich, weil es den meisten Ökonomen peinlich ist, in einem Gebiet zu arbeiten, welches ständig in andere Gebiete „hineinregiert“, sich aber die Ergebnisse aus anderen Disziplinen kaum aneignet. Der Mangel an fundiertem Wissen und die Realitätsferne haben bereits Assoziationen mit Religion geweckt, das Wort der „Theoklassik“ (statt Neoklassik) macht die Runde. In Frankreich gründeten sich „post-autistische Ökonomen“, in Deutschland und auch anderswo die „Pluralos“, die als Studierende für eine pluralistische Vision eintreten (siehe https://www.plurale-oekonomik.de). In Deutschland habe ich die gemeinnützige Samuel-Pufendorf-Gesellschaft für politische Ökonomie e. V. mitgegründet, um der Allgemeinheit die Funktionsweise unseres Geld- und Kreditsystems näher zu bringen und Ergebnisse aus der Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu tragen (siehe http://www.pufendorf-gesellschaft.org). Ende 2014 hatte ich mein Buch „Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive“ veröffentlicht, in der ich für die Eurozone die Schöpfung und Zerstörung von Einlagen in Banken und Zentralbank (EZB), Geld- und Fiskalpolitik sowie die unorthodoxe Geldpolitik des „quantitative easing“ (QE) und TARGET2-Zahlungssystem in stilisierten Bilanzen erkläre. Am Ende meines Buchs findet sich übrigens unter dem Punkt „Weiterführende Literatur“ auch ein Hinweis auf dieses Buch.

Im November 2015 traf ich Warren Mosler zum ersten Mal, als er auf meine Einladung am Bard College Berlin sein Buch vorstellte. Ich bin sehr froh, dass es jetzt auch eine deutsche Übersetzung gibt. Die sieben unschuldigen, aber tödlichen Betrügereien der Wirtschaftspolitik von Warren Mosler sind gerade auch im Zusammenhang mit der Eurokrise von größter Wichtigkeit. Auch bei uns wird von Kommentatoren behauptet, dass Steuern die Staatsausgaben finanzieren, die zukünftigen Generationen unsere Staatsverschuldung erben, die staatlichen Defizite dem privaten Sektor Ersparnisse entziehen (die für Investitionen dringend gebraucht würden), die sozialen Sicherungssysteme nicht nachhaltig finanziert wären, und das höhere Defizite heute zu mehr Steuern morgen führen würden. Der Punkt zum Job-Killer Leistungsbilanzdefizit scheint in Deutschland weniger relevant, allerdings gilt: wenn Leistungsbilanzdefizite keine Arbeitsplätze kosten, dann ist Vollbeschäftigung auch dann zu erreichen, wenn man nicht Exportweltmeister ist!

VORWORT ZUR ENGLISCHEN AUSGABE

JAMES K. GALBRAITH, THE UNIVERSITY OF TEXAS AT AUSTIN

Warren Mosler ist ein bunter Hund: Ein Ökonom, der sich alles selbst beigebracht hat, aber doch kein Spinner ist; ein erfolgreicher Investor, der aber kein Aufschneider ist; ein Kapitalgeber mit wahrem Einsatz für das Gemeinwohl.

Wir haben zusammen Einlassungen und ab und an mal Artikel verfasst, und ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass seine Bemühungen meine eigenen überstiegen.

Viele Ökonomen schätzen Komplexität um ihrer selbst willen. Ein Blick auf irgendeine moderne Zeitschrift für Ökonomie bestätigt dies. Ein wahrlich unverständliches Argument kann eine ganze Menge Anerkennung einbringen! Das Problem ist jedoch, dass wenn ein Argument unverständlich ist, der Verfasser dieses selbst nicht verstanden hat. (Ich war gerade auf einem Treffen von europäischen Zentralbankern und internationalen Geldtheoretikern in Helsinki, Finnland. Nach einer Präsentation fragte ich einen hochrangigen schwedischen Ökonomen, wie viele Leute seiner Meinung nach die Mathematik seines Vortrags verstanden hatten. Er sagte: „Null“.) Warrens Talente sind Transparenz und Klarheit im Ausdruck. Er dachte die Dinge so einfach wie möglich zu Ende. (Und er investiert eine Menge Zeit dafür – wahre Unkompliziertheit ist mühevoll.) Er bevorzugt die bekannten Metaphern und die vertrauten Beispiele. Man kann seine Beispiele den meisten Kindern erklären (meinen jedenfalls), allen Studierenden und jedem Akteur auf dem Finanzmarkt. Nur Ökonomen mit ihrer starken Loyalität gegenüber fixen Ideen haben damit Probleme. Politiker verstehen ihn natürlich meistens, fühlen sich aber nicht aufgerufen, zu sagen, was sie denken.

Hier kommt nun Warren Mosler mit einem dünnen Buch und legt seine Logik in Bezug auf sieben wesentliche Punkte dar. Diese beziehen sich auf staatliche Defizite und Schulden, das Verhältnis zwischen öffentlichen Defiziten und privaten Ersparnissen, dem zwischen Ersparnis und Investition, auf Sozialversicherung und auf Leistungsbilanzdefizite. Warren nennt sie „Die sieben unschuldigen, aber tödlichen Betrügereien“, womit er einen Ausdruck meines Vaters aufgreift, der diesen im Titel seines letzten Buches verwendete. Galbraith der Ältere wäre erfreut.

Der rote Faden, der diese Themen zusammenhält, ist die Unkompliziertheit. Modernes Geld ist ein Tabellenblatt! Es wird von einem Computer verwaltet! Wenn die Regierung Geld ausgibt oder verleiht, dann tut sie das, indem sie privaten Konten Nummern hinzufügt. Wenn sie Steuern eintreibt, werden die Nummern auf den Konten wieder reduziert. Wenn sie Geld leiht, verschiebt sie Mittel von einem Girokonto (genannt Einlagekonto bei der Zentralbank) zu einem Sparkonto (genannt Wertpapierdepot). Und das ist im Grunde alles, was es gibt. Das Geld, das die Regierung ausgibt, kommt nicht von irgendwoher, und es kostet auch nichts, dieses zu produzieren. Es kann also der Regierung auch nicht ausgehen.

Geld wird durch Staatsausgaben geschaffen (oder durch Bankenkredite, welche Einlagen erzeugen). Steuern dienen zur Schaffung von Geldnachfrage – wir brauchen es, um unsere Steuern zu zahlen. Und sie helfen bei der Regulierung der gesamten Ausgaben, sodass wir nicht mehr Ausgaben haben als uns Güter und Dienstleistungen zu laufenden Preisen zur Verfügung stehen – etwas, was zu Preisdruck und Inflation führen würde. Steuern werden aber nicht im Vorlauf von Staatsausgaben benötigt – und könnten es auch nicht, denn bevor die Regierung etwas ausgibt existiert kein Geld zum Wegbesteuern.

Eine Regierung, die sich in ihrer eigenen Währung verschuldet, muss niemals Ausfälle auf ihre Schulden befürchten; sie kann sie einfach dadurch bedienen, dass sie die Zinsen auf den Konten der Inhaber der Wertpapiere gutschreibt. Eine Regierung kann sich nur selbst zu einem Bankrott entschließen – ein Akt des finanziellen Selbstmords – oder (in dem Fall, dass die Regierung sich in einer Währung verschuldet, die sich nicht steuert) von ihren Bankern in den Bankrott getrieben werden. Eine US-amerikanische Bank wird jedoch immer die Schecks der US-Regierung einlösen, egal, was passiert.

Die Staatsschulden sind auch keine Belastung der zukünftigen Generationen. Wie kann das sein? Alles, was in der Zukunft produziert wird, wird auch in der Zukunft konsumiert werden. Wie viel produziert werden wird hängt von der Produktivität der Ökonomie zu diesem Zeitpunkt ab. Dies hat nichts mit der heutigen öffentlichen Verschuldung zu tun; eine höhere Verschuldung heute reduziert keineswegs die Produktion in der Zukunft – und wenn sie zu einem klugen Einsatz von heutigen Ressourcen führt, dann kann sie sogar zu einer Erhöhung der Produktivität in der Zukunft führen.

Öffentliche Defizite erhöhen die privaten Ersparnisse – basierend auf Buchhaltung, Dollar für Dollar, Euro für Euro. Importe sind ein Vorteil, Exporte sind Kosten. Die USA verschulden sich nicht in China, um ihren Konsum zu finanzieren: die Verschuldung, die den Import aus China finanziert, kommt von einem Konsumenten in den USA und seiner Bank. Die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme würde lediglich die Besitzverhältnisse der Aktien und Wertpapiere in der Wirtschaft durcheinanderwirbeln – wobei die risikobehafteten Anlagen zu den Senioren wandern und die sicheren Anlagen zu den Reichen – und ansonsten keine weiteren ökonomischen Effekte haben. Die Zentralbank der USA setzt dann den Leitzins so, wie sie ihn haben möchte.

All diese Prinzipien gehören zu den einfachen Grundsätzen, die in diesem Buch erklärt werden.

Es enthält überdies einen fesselnden Bericht über die (Aus-)Bildung eines Kapitalgebers und ein Aktionsprogramm zur Rettung der Wirtschaft der USA aus einer Krise mit hoher Arbeitslosigkeit. Warren würde dies durch eine Abschaffung der Lohnsteuer bewirken – was jedem Amerikaner eine Gehaltserhöhung um 8 % nach Steuern verschaffen würde; durch eine Finanzhilfe an die Kommunen und Bundesstaaten, die an die Bevölkerungszahl gekoppelt ist, um so ihre Finanzprobleme zu lösen, und durch die Einführung eines staatlichen Beschäftigungsprogramms, welches allen Arbeitswilligen einen Arbeitsplatz mit moderater Entlohnung anbietet. Dies würde all die gefährlichen Arten der Arbeitslosigkeit beseitigen und uns erlauben, unsere jungen Menschen mit sinnvoller Arbeit zu beschäftigen.

Warrens Idole unter den Ökonomen sind, abgesehen von meinem Vater, Wynne Godley und Abba Lerner. Godley – ein wunderbarer Mensch, der erst kürzlich verstarb – zeigte viele Dinge auf, die auch diese Arbeit beeinflussen, indem er an sog. „stock-flow consistent“ (Fluss- und Bestandsgrößen werden dabei konsistent behandelt) Modellen der Makroökonomie arbeitete, welche sich in der Spitzengruppe der Vorhersagemodelle etablierten. Lerner war ein Verfechter von „functional finance“ (funktionale Finanzen), was bedeutet, dass staatliche Politikmaßnahmen an den Resultaten in der realen Welt – Beschäftigung, Produktivität und Preisstabilität – gemessen werden sollten und nicht daran, was mit dem staatlichen Haushalt und der Verschuldung passiert. Warren beruft sich auch gerne auf das Gesetz von Lerner – das Prinzip, nach dem man in der Ökonomie niemals seine Prinzipien aufgeben sollte, egal, wie viel Mühe andere Leute bei deren Verständnis haben. Ich wünschte, ich wäre so gut wie er, wenn es um die Erfüllung dieses Prinzips geht.

Im Großen und Ganzen ist dieses Buch eine fesselnde und überaus lehrreiche Lektüre – sehr zu empfehlen.

12. Juni 2010

PROLOG

Der Ausdruck der „unschuldigen Betrügerei“ („innocent fraud“) wurde erstmalig von Professor John Kenneth Galbraith gebraucht in seinem letzten Buch, „Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs“, welches er im Jahr 2004 im Alter von 94 Jahren schrieb, zwei Jahre vor seinem Tod. Professor Galbraith prägte diesen Begriff, um eine Vielzahl von fehlerhaften Annahmen zu beschreiben, die von der Mehrheit der Ökonomen, den Medien und vor allem den Politikern vertreten wurden.

Die Unschuldsvermutung, noch ein weiteres Beispiel des eleganten, satirisch-bissigen Witzes von Galbraith, deutet an, dass die Verbreiter dieser Mythen nicht nur im Unrecht sind, sondern auch nicht schlau genug, um zu verstehen, was sie da anrichten. Jede Behauptung, es doch vorher schon verstanden zu haben, wird zu einem Schuldgeständnis – eine undenkbare Selbstbeschuldigung.

Die ökonomische Sicht von Galbraith fand in den 1950ern und 1960ern ein breites Publikum, u. a. durch seine Bücher „Gesellschaft im Überfluss“ und „Die moderne Industriegesellschaft“. Er war gut vernetzt mit den Regierungen Kennedy und Johnson und diente als Botschafter der Vereinigten Staaten von 1961 bis 1963 in Indien, bis er auf seinen Posten als bekanntester Professor der Ökonomik an der Universität von Harvard zurückkehrte.

Galbraith war im Wesentlichen ein Keynesianer, der nur an die Fiskalpolitik als Stärkungsmittel bei Nachfrageschwäche glaubte. Fiskalpolitik ist das, was laut Ökonomen Steuersenkungen und Staatsausgabenerhöhungen beinhaltet, und die gesamten Ausgaben werden als aggregierte Nachfrage bezeichnet.

Galbraiths akademischer Gegenspieler, Milton Friedman, führte eine andere Denkschule an, die als Monetarismus bezeichnet wurde. Deren Anhänger glaubten, dass die Bundesregierung den Haushalt immer im Gleichgewicht halten und zur Regulierung der Wirtschaft die Geldpolitik einsetzen sollte. Ursprünglich hieß das, dass zur Steuerung der Inflationsrate die Geldmenge langsam und stetig wachsen sollte, während der Rest der Ökonomie machte, was er wollte. Allerdings konnten sie nie ein Maß für die Geldmenge finden, welches befriedigend funktionierte, und die amerikanische Zentralbank fand nie ein Mittel, um die Geldmengen, mit denen sie experimentierte, tatsächlich zu kontrollieren.

Paul Volcker war der letzte Zentralbankpräsident, der sich an der direkten Kontrolle der Geldmenge versuchte. Nach einem längeren Zeitraum von Handlungen, die lediglich demonstrierten, was die meisten Zentralbanker schon lange wussten – eine Kontrolle über die Geldmenge ist unmöglich –, gab Volcker diese Anstrengungen auf.

Geldpolitik wurde nun neu definiert als eine Politik der Zinsen, die als Instrumente der Geldpolitik eingesetzt wurden und die Geldmengenaggregate als solche verdrängten. An die Spitze der Erklärungen der Inflationsrate schoss nun die Idee der „Inflationserwartungen“, da die Geldmenge nun keine aktive Rolle mehr spielte. Interessanterweise taucht Geld in den neuesten mathematischen Modellen, welche den Einsatz von Zinsen für die Regulierung der Wirtschaft befürworten, gar nicht mehr auf.

Immer wenn es starke Wirtschaftskrisen gibt, brauchen Politiker Resultate – in Form von neuen Arbeitsplätzen –, damit sie im Amt bleiben können. Erst schauen sie zu, wie die amerikanische Zentralbank die Zinsen senkt, geduldig auf den Anfang der Wirkung wartend. Unglücklicherweise wirken die Zinssenkungen scheinbar nie. Dann, wenn die steigende Arbeitslosigkeit die Wiederwahl der Kongressabgeordneten und des Präsidenten gefährdet, wenden sich die Politiker wieder keynesianischer Wirtschaftspolitik zu und erhöhen die Ausgaben oder senken die Steuern.

Es war Richard Nixon, der während der schweren Wirtschaftskrise von 1973 den bekannten Ausspruch tätigte: „Wir sind jetzt alle Keynesianer“.

Trotz der Aussage von Nixon verloren die keynesianischen Ansichten von Galbraith gegenüber den Monetaristen, als die „Große Inflation“ der 1970er Jahre Druckwellen durch die amerikanische Psyche sandte. Die staatliche Politik wandte sich der Zentralbank und ihrer Manipulation der Zinssätze als dem effektivsten Werkzeug gegen die als „Stagflation“ bezeichnete Malaise zu: eine Kombination aus stagnierender Wirtschaft und hoher Inflation.

Im Jahr 1973 begann ich meine Karriere als Banker mit einem Job an der „Savings Bank of Manchester“ in meiner Heimatstadt Manchester, Connecticut, bei dem ich Geld von säumigen Schuldnern eintrieb. 1975 war ich der Port-foliomanager der Bank, was mich 1976 an die Wall Street führte, wo ich bis 1978 auf dem Börsenparkett arbeitete. Dann wurde ich von „William Blair and Company“ in Chicago angestellt, um in ihrer Abteilung für das Anleihengeschäft das Arbitragegeschäft aufzubauen. Von dort aus startete ich im Jahr 1982 meinen eigenen Investmentfonds. Ich sah die „Große Inflation“ als Phänomen des Kostendrucks, getrieben von der Preissetzungsmacht der OPEC. Es handelte sich dem Anschein nach offensichtlich um ein Kartell, welches mit immer höheren Preisen die „Große Inflation“ auslöste, und es war ein einfaches Angebotssignal, welches es zerstörte. Während die OPEC den Preis von Rohöl von 2 US-Dollar pro Fass Anfang der 1970er auf etwa 40 US-Dollar pro Fass etwa zehn Jahre später anhob, konnte ich zwei mögliche Enden erahnen. Das erste war das Ende einer Geschichte von relativen Preisen, in der die Inflation relativ gering blieb und die höheren Ausgaben für Öl einfach bedeutete, dass die Nachfrage und die Preise für alles andere geringer ausfielen, während die Löhne und Gehälter weitestgehend konstant blieben. Dies hätte in den USA eine drastische Reduktion der relativen Export- zu den Importpreisen bedeutet und damit auch des Lebensstandards, und eine Erhöhung der relativen Export- zu den Importpreisen und damit des Lebensstandards für die erdölexportierenden Länder.

Das zweite Ende, welches dann auch realisiert wurde, war das einer allgemeinen Inflation, sodass OPEC zwar höhere Preise für sein Öl bekam, allerdings auch höhere Preise für das zahlen mussten, was sie selbst einkaufen wollten, sodass das reale Austauschverhältnis des Handels nicht sehr weit weg war vom Ausgangswert, nachdem der Erdölpreise sich zwischen 5 US-Dollar und 10 US-Dollar einpendelte, wo er dann ein Jahrzehnt verblieb. Aus meiner Perspektive gab es keine deflationären Entwicklungen von „restriktiver“ Geldpolitik. Stattdessen war es die Deregulierung von Erdgas im Jahr 1978, welche den Preis für Erdgas ansteigen ließ und damit die Erschließung neuer Erdgas-Quellen beschleunigte. US-amerikanische Elektrizitätswerke wechselten dann vom hochpreisigen Erdöl zum noch relativ billigen Erdgas. Die OPEC reagierte auf diese Veränderung des Angebots mit einer schnellen Drosselung der Produktion, um so den Preisverfall unter die Marke von 30 US-Dollar aufzuhalten. Die Produktion wurde um 15 Millionen Fässer pro Tag gekürzt, aber dies war nicht genug, sodass sie in einem See von überschüssigem Erdöl ertranken, während die Elektrizitätserzeuger weiterhin auf andere Energieträger umschwenkten.

Dieses Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil zeigt direkt die „unschuldigen Betrügereien“, die meiner Meinung nach die mächtigsten Hindernisse auf dem Weg zu mehr nationalem Wohlstand sind. Sie werden so präsentiert, dass keinerlei Vorkenntnisse oder Einsichten in die Funktionsweise eines Geldsystems, der Ökonomie oder der Buchhaltung nötig sind. Die ersten drei betreffen das staatliche Defizit, das vierte die sozialen Sicherungssysteme, das fünfte internationalen Handel, das sechste Ersparnisse und Investitionen und das siebte kehrt noch mal zum staatlichen Defizit zurück. Das letzte Kapitel ist die Kernaussage; sein Zweck ist die Förderung eines allgemeinen Verständnisses all dieser kritischen Fragen, auf welche unsere Nation Antworten finden muss.

Der zweite Teil handelt von der Evolution meiner Kenntnis dieser sieben unschuldigen, aber tödlichen Betrügereien während meiner mehr als drei Jahrzehnte andauernden Erfahrung in der Finanzwelt.

Im dritten Teil wende ich die Kenntnis der sieben unschuldigen, aber tödlichen Betrügereien auf die drängendsten Probleme unserer Zeit an.