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Personen

ETEOKLES, SOHN DES ÖDIPUS, KÖNIG VON THEBEN

DER SPÄHER UND BOTE

CHOR JUNGER MÄDCHEN AUS THEBEN

 

Schauplatz der Handlung ist die Burg (Akropolis) von Theben. Im Hintergrund der Szene befindet sich eine Altaranlage mit Kultstatuen der zwölf olympischen Götter. Davor ein freier Platz. Die beiden seitlichen Zugänge führen hinaus zum Königspalast und zu den Stadttoren.

Prologos (1–77)

(Auf dem Burgberg haben sich Bürger Thebens versammelt. Von der Seite tritt Eteokles zu ihnen.)

ETEOKLES.

Kadmos-Bürger! Es muss dem Zeitpunkt angemessen sprechen,

wer, auf das allgemeine Wohl bedacht, am Heck der Stadt

das Steuer führt, seine Lider nicht mit Schlaf bedeckt.

Denn wenn uns Glück zuteilwird, schreibt man es Gott zu,

wenn aber – was nie geschehe! – uns ein Unheil trifft,5

wird einzig Eteokles beschrien in der Stadt

von allen Bürgern mit weithin tönenden Jammerrufen

und Klagen. Dagegen erweise Nothelfer Zeus

sich seinem Namen treu zum Wohl der Stadt der Kadmeer!

Jeder von euch aber, sei es dass die Jugendkraft10

ihm noch fehlt oder im Alter schon vergangen ist,

muss jetzt zum Höchsten steigern seines Körpers Kraft

und Sorge tragen, wie es sich geziemt,

der Stadt zu helfen und den Altären ihrer Götter

(dass ehrenvolle Opfer ihnen niemals ausgehen),15

den Kindern und der Mutter Erde, der liebsten Nährerin.

Denn als ihr klein auf ihrem gütigen Boden krocht,

hat sie die ganze Mühe eurer Pflege übernommen

und euch zu schildtragenden Stadtbewohnern erzogen,

dass ihr verlässlich seid in solcher Notlage.20

Bis zum heutigen Tage war uns wohlgeneigt der Gott,

denn diese ganze Zeit verlief für uns Belagerte

der Krieg zumeist gut, dank der Götter Gunst.

Jetzt aber, wie der Seher sagt, der Vögel Hirt,

der ohne Feuer, nur mit Ohr und Sinn25

die wahrsagenden Vögel auslegt mit untrüglicher Kunst –

er also, der Meister solcher Weissagungen, verkündet,

dass die Achaier in der letzten Nacht einen gewaltigen

Ansturm geplant und einen Anschlag auf die Stadt.

Drum zu den Zinnen und den Mauertoren30

brecht alle auf! Stürmt hin in voller Rüstung!

Füllt die Bollwerke, und auf den Planken der Türme

nehmt Aufstellung, und an den Torausgängen

harrt aus voll guten Muts! Und fürchtet nicht zu sehr

die Menge der Angreifer. Gut wird der Gott es richten.35

(Das Volk eilt nach beiden Seiten davon.)

Ich aber habe Späher gesandt, das Heer zu beobachten,

und bin überzeugt: sie sind nicht umsonst gegangen.

Habe ich sie erst gehört, dann fängt mich keine List.

(Unvermittelt trifft der Späher als Bote ein.)

SPÄHER.

Eteokles, erhabener Herrscher der Kadmeer!

Ich komme mit klarer Nachricht draußen vom Heer,40

denn ein Augenzeuge bin ich von dem, was geschah.

Sieben Männer, ungestüme Führer ihrer Truppen,

stierschlachtend über einem schwarzen Schild,

tauchten die Hände in das Stierblut ein

und schworen bei Ares und Enyo und dem mörderischen45

Phobos, sie würden die Akropolis zerstören

und die Stadt der Kadmeer plündern mit Gewalt,

oder sterbend dieses Land mit eignem Blute tränken.

Mit Andenken an sich für ihre Eltern zu Hause

behängten sie ringsum den Wagen des Adrast50

unter Tränen, doch kein Klagelaut kam aus ihrem Mund.

Ihr eisern unbeugsamer Mut, in Tapferkeit entbrannt,

schnaubte wie der von Löwen, die voll Mordlust blicken.

Die Bestätigung all dessen lässt nicht lange warten:

Ich verließ sie, als sie losten, wie ein jeder55

nach Losentscheid seine Schar zum Tore führen soll.

Drum wähle du die besten Männer aus der Stadt

und stelle sie an den Torausgängen eilig auf.

Heran rückt schon in voller Rüstung der Argiver Heer:

Staub wirbelt auf, ein weißer Schaum in Tropfen60

aus den Lungen der Pferde befleckt das Gefilde.

Du aber, wie eines Schiffes sorgsamer Steuermann,

mach dicht die Stadt, bevor die Stürme des Ares

herniederfahren! Es brüllt die Woge des Heeres zu Lande.

Ergreife den Zeitpunkt so schnell du kannst!65

Ich aber will weiter als verlässlichen Tagesspäher

mein Auge nutzen. Durch klaren Bericht erfährst du so,

was draußen geschieht, und wirst ohne Schaden sein.

(Der Späher eilt hinaus.)

ETEOKLES.

(Die Hände zum Gebet erhoben.)

O Zeus und Erde und ihr Götter dieser Stadt,

o Fluch, des Vaters großmächtige Erinys!70

Rottet mir nicht die Stadt von Grund auf aus,

lasst sie nicht untergehen vom Feind erobert,

da doch griechischer Laut ertönt in ihren Häusern.

Bringt dieses freie Land und die Stadt des Kadmos

nie unter das Joch der Sklaverei. Seid uns ein Schutz!75

Zu beider Nutzen glaube ich zu sprechen:

nur eine Stadt im Glück kann ihre Götter ehren.

(Eteokles geht ab.)

Parodos (78–180)

(Die Mädchen des Chores eilen herbei. Anstatt sich in der Orchestra zum Tanz zu formieren, wenden sie sich den Götterbildern auf der Skene zu.)

CHOR.

Ich schreie heraus furchtbarstes Leid!

Los ist das Heer, das Lager verlassen.

Es strömt die Menge der Reiter voraus;80

himmelhoher Staub verdeutlicht es mir:

ein wortloser, klarer, ein wahrer Bote.

Die Gefilde meines Landes vom Hufschlag getroffen:

Getöse und Geschrei dringt an mein Ohr.

Es fliegt herbei, tost wie der unbezähmbare85

Sturzbach, der Felsen zerschlägt.

Io, io! Götter und Göttinnen,

wehret das heraufziehende Übel ab!

Geschrei dringt über die Mauern.

Mit weißen Schilden erhebt sich das Heer,90

wohlgerüstet bestürmt es die Stadt.

Wer wird uns retten? Wer sie abwehren

von den Göttern oder Göttinnen?

Soll ich niederfallen vor den heimatlichen95

Bildern der Götter?

Io, ihr Seligen auf erhabenen Thronen,

Zeit ist es, sich an eure Bilder zu klammern.

Was zögern wir noch und stöhnen laut?

(Sie fallen nieder und umklammern die Götterbilder.)

Hört ihr, hört ihr nicht das Dröhnen der Schilde?100

Gewänder und Kränze – wann, wenn nicht jetzt –

müssen wir darbringen zu unserem Flehen.

Getöse: ich sehe es! Das Brechen nicht nur eines Speers.

Was tust du? Verlässt du, altheimischer

Ares, dein Land?105

O Daimon mit dem Goldhelm, schaue, schau auf die Stadt,

die du einst deiner Liebe für wert erachtet.

 

Ihr Götter des Landes, ihr stadtbewahrenden alle,[Str. 1

kommt und schaut auf uns Mädchen:110

die flehende Schar, die Schutz sucht vor Versklavung!

Eine Woge von Kriegern mit flatterndem Helmbusch

braust um die Stadt, von Ares’ Schnauben erregt.115

Vater Zeus, du Allvollender!

Ein für allemal hilf gegen den Zugriff der Feinde!

Die Argiver umzingeln die Stadt des Kadmos;120

ich schaudere vor den feindlichen Waffen.

In den Kinnbacken der Pferde

klirren Mord die Gebissketten.

Sieben gewaltige Krieger, ausgezeichnet im Heer,

mit Speeren bewaffnet, treten an die sieben Tore,125

wie das Los es ihnen bestimmt hat.

 

Und du, zeusentsprossene Macht,[Gegenstr. 1

die du den Kampf liebst: Pallas,

rette die Stadt!

Und du, Herr der Rosse, Gebieter des Meeres130

mit dem fischtreffenden Dreizack: Poseidon,

Erlösung von den Schrecken, Erlösung bringe uns!

Und du, Ares, ach –135

beschütze die Stadt, die Kadmos’ Namen trägt,

und sorge für sie sichtbar!

Und du, Kypris, die du unseres Geschlechts140

Stammmutter bist, schaffe Abwehr!

Aus deinem Blute sind wir ja entstanden.

Mit Bitten – erhöre uns, Göttin! –

und lauten Rufen nahen wir.

Und du, Wolftöter, Herr: Apollon,145

Wolftöter werde dem feindlichen Heer!

Und du, von Leto geborene Jungfrau: Artemis,

halte bereit deinen Bogen!

 

Ah! Ah![Str. 2

Lärm von Wagen höre ich rings um die Stadt.150

Ach, Herrin Hera!

Es kreischen die Naben der Achsen unter der Last.

Liebe Artemis!

Von Lanzen erschüttert tobt die Luft.155

Was geschieht unserer Stadt? Was wird werden?

Zu welchem Ende führt noch der Gott?

 

Ah! Ah![Gegenstr. 2

Ein Steinhagel, hoch geschleudert, trifft die Zinnen.

Lieber Apollon!160

Ein Rasseln an den Toren von ehernen Schilden.

Tochter des Zeus, die das kriegvollendende

heilige Ziel in der Schlacht bringt:

selige Herrin Onka draußen vor der Stadt,

bewahre den siebentorigen Sitz!165

 

Io! Allhelfende Götter und Göttinnen,[Str. 3

io!, die ihr alles vollendet,

ihr Wächter über die Türme des Landes,

gebt nicht die speerbedrängte Stadt

einem fremdredenden Heere preis.170

Erhört uns Mädchen, erhört ganz gewiss

unsere flehentlichen Bitten!

 

Io! Ihr lieben Gottheiten,[Gegenstr. 3

umschreitet rettend die Stadt175

und erweist euch als ihre Freunde.

Tragt Sorge für die Heiligtümer des Volkes,

und mit eurer Sorge helft!

Der opferreichen Feste dieser Stadt

bleibt bitte eingedenk!180

 

(Während die Mädchen noch die Götterbilder umklammern, kehrt unangekündigt Eteokles zurück.)

1. Epeisodion (181–286)