Vorwort des Herausgebers

 

Wenn ich mir die Lust am Essen und Trinken wegdenke,

wenn ich die Liebesgenüsse verabschiede,

und wenn ich nicht mehr meine Freude haben soll

am Anhören von Musik und dem Anschauen schöner Kunst,

wüsste ich nicht, was ich mir überhaupt noch als ein Gut vorstellen könnte.

Epikur

 

Epikur (341–271 v. Chr.), ein Zeitgenosse Alexanders des Großen, gehört zu den großen Philosophen des alten Griechenland, und seine Lehren wirken bis heute nach. Im Mittelpunkt seiner Philosophie standen nicht Askese und Tugend, wie etwa bei den konkurrierenden Stoikern, sondern die Lust [auf altgriechisch ›hēdoné‹, daher der Begriff Hedonismus]. – Lust allerdings nicht als Selbstzweck, sondern als Weg zur Erreichung eines erfüllten und ausbalancierten Lebens.

Bei den etablierten Philosophen seiner Zeit stieß diese Lehre auf keine große Gegenliebe und wurde von den führenden Männern Athens oft diskreditiert, mit dem Verweis auf angebliche Völlerei, sexuelle Ausschweifungen und unzüchtige Gelage. Epikurs Anhänger jedoch, die in dem von ihm gegründeten ›Kepos‹ [zu Deutsch: Garten] lebten, verehrten ihn und lernten seine Lehrsätze auswendig.

Obwohl Epikurs Lehre von anderen Philosophen immer wieder angegriffen und als gott- und zügellos gebrandmarkt wurde, entfaltete sie im Lauf der Jahrhunderte große Wirkung. Im christlichen Mittelalter wurde das Lustprinzip des Epikur als Inbegriff der Sünde verteufelt, in der Neuzeit entdeckte man seine Prinzipien wieder, und zahlreiche große Denker, etwa Leibnitz, Schopenhauer und Nietzsche, beriefen sich auf ihn. Karl Marx promovierte sogar über die Philosophie dieses antiken Denkers.

Heute versteht man, dass Epikurs Lehre nicht auf bloße Maßlosigkeit und Ausschweifungen aller Art ausgerichtet war, sondern als ethischer Leitfaden zu einem erfüllten Leben diente. Er und seine Schüler waren vermutlich tugendhafter und maßvoller, als man ihnen zuschrieb. Die Überzeugung nämlich war, dass die Vor- und Nachteile der Lust stets abzuwägen waren: Konnte man vorhersehen, dass die Folgen eines Lustgewinns zu große schädliche Nebenwirkungen mit sich bringen würden, verzichtete man darauf, um in der Gesamtbilanz auf der positiven Seite zu sein [Später nannte man dieses Prinzip das ›hedonistische Kalkül]. Da Epikur stets die Erfülltheit des ganzen Leben im Blick hatte ein ruhiges, ungestörtes Wohlbefinden, eine ›Windstille der Seele‹ –, statt einzelne maßlose Genüsse, könnte man ihn heute als ersten Vertreter einer Work-Life-Balance bezeichnen.

Zudem: Seine naturwissenschaftliche Erkenntnisse sind äußerst bemerkenswert. Er orientiert sich ausschließlich an Fakten und Evidenz und schließt übernatürliche Ursachen und Mythen konsequent aus. Zudem reflektiert er stets kritisch die eigene Erkenntnisfähigkeit. Viele seiner Hypothesen sind inzwischen durch die moderne Wissenschaft bestätigt. – Diese neue Übersetzung eines Wissenschaftsautors macht das wesentlich deutlicher, als die ältere, etwas verbrämte aus den 20er Jahren. Epikurs naturwissenschaftliche Orientierung widerspricht dabei keineswegs seinem übergeordneten Ziel eines glücklichen und lustvollen Lebens: Denn Glückseligkeit basiert für ihn auf Wissen und Erkenntnis.

Redaktion CloudShip, 2016

 

Über den Autor: Epikur wurde im Jahr 341 v. Chr. auf der Insel Samos geboren. Sein Vater Neokles war als Kolonist von Athen nach Samos umgesiedelt, wo er als Elementarlehrer und Landwirt nur geringes Einkommen hatte. Epikur erhielt schon in jungen Jahren eine philosophische Ausbildung und entwickelte seine eigene Lehre. Im Alter von 35 Jahren ging er, nachdem er zuvor schon zur Ausbildung dort gewesen war, endgültig nach Athen. Dort gründet er seine Schule, den ›Kepos[Garten]. Es war eher eine Lebensgemeinschaft von Lehrenden und Lernenden – auch Ehepaare, Frauen und Sklaven waren zugelassen – als eine strenge Lehranstalt. Epikur und seine Schüler (anfänglich sollen es 200 gewesen sein, die teilweise von weit her kamen), lebten dort ohne individuellen persönlichen Besitz.

Etwa 35 Jahre lang, bis zu seinem (wohl durch Nieren- oder Harnsteine verursachten) Tod im Jahr 271 oder 270 v. Chr., blieb Epikur der geistige Mittelpunkt des Kepos. Seine Schule strebte keinen politischen Einfluss an und fand – von Ausnahmen abgesehen – kaum Zugang zu den Reichen und Mächtigen Athens. Dennoch blieb der Garten bis über das 2. Jahrhundert nach Christus hinaus bestehen – zuletzt noch gefördert von dem Stoiker Mark Aurel.

Die Überlieferung von Epikurs Lebenslauf ist insgesamt mit Lücken und Unsicherheiten behaftet, unter anderem deshalb, weil sein wichtigster Biograph, Diogenes Laertios, erst im dritten nachchristlichen Jahrhundert lebte.

Redaktion CloudShip, 2016