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Silvia Aeschbach – Älterwerden für Anfänger | Willkommen im Klub zum Zweiten! – Fotografien von Gianni Pisano – WÖRTERSEH

 

Wörterseh wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016 bis 2020 unterstützt und dankt herzlich dafür.

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© 2017 Wörterseh, Gockhausen

Lektorat: Lydia Zeller, Zürich
Korrektorat: Brigitte Matern, Konstanz, und Andrea Leuthold, Zürich
Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Holzkirchen
Fotos Umschlag: Gianni Pisano, Zürich
Layout, Satz und herstellerische Betreuung: Lucius Keller und Andrea Leuthold, Zürich
Bildbearbeitung: Michael C. Thumm, Blaubeuren
Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Print ISBN 978-3-03763-078-5
E-Book ISBN 978-3-03763-698-5

www.woerterseh.ch

 

Für Hanspeter

 

Älterwerden ist nichts für Feiglinge.
Das gilt auch für Männer.

 

Inhalt

Über das Buch

Über die Autorin

Männer altern anders

Porträt Stefan Gubser
»Ich zweifelte lange an mir«

Porträt Andreas Tröndle
»Bewunderung tut mir immer noch gut«

Vater ist der Beste

Porträt Beat Schlatter
»Ich habe gelernt, mich selber auszuhalten«

Porträt Marcel Fantoni
»Ich arbeite an meinem Glück«

Der schöne Mann von nebenan

Porträt Clifford Lilley
»I can dance wie ein Zwanzigjähriger«

Porträt Dominic Geisseler
»Ein Plan B gibt mir Sicherheit«

Flirt am Feierabend

Porträt Marco Rima
»Ich will eifach kei Lämpe meh«

Porträt Antoine F. Goetschel
»Ich lebe den Moment«

Ziemlich beste Freunde

Porträt Michel Péclard
»Ich bin und bleibe ein Kindskopf«

Porträt Peter Brun
»Ich wollte einfach leben, wie es für mich stimmt«

Wo die Liebe hinfällt

Porträt Thomas Donatsch
»Ich konnte leichten Herzens loslassen«

Porträt Roberto Zimmermann
»Meine Neugierde auf die Menschen wird nie aufhören«

Wiedersehen mit der Vergangenheit

Porträt Walter M. Huber
»Ich tue alles mit Leidenschaft«

Porträt Joe Hättenschwiler
»Ich bin noch voller Träume«

Porträt Stephan Schué
»Die Nähe zu anderen ist mir wichtiger geworden«

Porträt Dr. med. Christian Sigg
»Junge Frauen sind wie ein Hormonplacebo«

Ich bin immer noch keine Männerversteherin

 

Über das Buch

Nach dem großen Bestseller »Älterwerden für Anfängerinnen« interviewte Silvia Aeschbach für ihren Nachfolger »Älterwerden für Anfänger« fünfzehn Männer zwischen 48 und 68 Jahren, die alle sehr offen darüber sprechen, wie sich ihr Leben verändert, was ihre Einsichten sind, aber auch, wo ihre Ängste liegen. Und da ergeben sich dann durchaus Parallelen zum Älterwerden der Frauen: Die Jahre zwischen Reifwerden und Altsein bedeuten auch für die Männer Innehalten und Neuanfang, egal, ob es sich um Familie, Beruf, Gesundheit, Liebe oder Lust handelt. Und doch bestätigt sich, was wir alle schon wissen: Männer altern anders als Frauen. Während Frauen offensichtlichen hormonellen Veränderungen unterworfen sind, können Männer das Unausweichliche länger verdrängen. Kommt dazu: Graue Schläfen können ganz schön anziehend sein, und das nicht nur bei George Clooney. Aber, so Silvia Aeschbachs Erkenntnis, die sie in augenzwinkernden Kolumnen wiedergibt: Obwohl Männer länger als attraktiv wahrgenommen werden als gleichaltrige Frauen, werden auch sie nicht einfach nur reifer. In einem ausführlichen Gespräch lässt Silvia Aeschbach zudem den Andrologen Dr. med. Christian Sigg über das Älterwerden von Männern aus medizinischer Sicht zu Wort kommen.

Ein erhellendes und erheiterndes Buch – für Männer ebenso unterhaltsam wie für Frauen aufschlussreich. Und umgekehrt.

Nachdem ich mein Buch »Älterwerden für Anfängerinnen« veröffentlicht hatte, wurde ich immer wieder darauf angesprochen, ob ich nicht auch ein Buch über das Älterwerden von Männern schreiben wolle. Nach anfänglichem Zögern begann ich zu recherchieren und merkte bald: Die Männer reagierten zwar freundlich auf meine Anfrage, aber auch verhalten und eher skeptisch. Natürlich, so gaben sie zu, beschäftige sie das Thema Älterwerden, aber so öffentlich darüber reden? Einer meiner Wunschkandidaten wollte wissen, was für Fragen ich stellen würde. Ein anderer bat sogar: »Silvia, schicke mir doch mal ein Konzept mit den fünf wichtigsten Punkten, was ich zu deinem Buch wissen muss. Am besten in einer kleinen Präsentation.« Spätestens da wusste ich –
dieses Buch muss geschrieben werden.

 

Über die Autorin

Silvia Aeschbach
© Gianni Pisano

SILVIA AESCHBACH, geb. 1960, ist Journalistin. Sie arbeitete beim Schweizer Fernsehen und bei verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen. Heute ist sie bei der »SonntagsZeitung« für die deutschsprachige Ausgabe des Lifestyle-Magazins »Encore!« verantwortlich, schreibt im »Tages-Anzeiger« den Blog »Von Kopf bis Fuss« und für die »Coop-Zeitung« eine wöchentliche Kolumne. Silvia Aeschbach schrieb für Wörterseh bereits die Bestseller »Leonardo DiCaprio trifft keine Schuld – Panikattacken mit Happy End« und »Älterwerden für Anfängerinnen – Willkommen im Klub!«. Sie lebt mit ihrem Mann in Zürich.

 

Männer altern anders

Letzten Sommer besuchte ich ein Bruce-Springsteen-Konzert. Der 67-jährige vor Energie sprühende Musiker wäre natürlich ein Wunschkandidat für dieses Buch gewesen. Während rund dreieinhalb Stunden fegte er über die Bühne, ohne einmal eine Pause einzulegen, und ließ an diesem Abend an die 50 000 Menschen singen, tanzen und jubeln. Viele der Konzertbesucher waren im mittleren Alter. Die Fans waren mit ihrem Idol älter geworden und schienen nur darauf gewartet zu haben, an diesem Abend den Alltag für einige Stunden hinter sich zu lassen.

An großen Pop- und Rockkonzerten lassen ja vor allem die Frauen ihren Emotionen freien Lauf. An diesem Abend allerdings schienen besonders die Männer in Hochform zu sein. Nicht, dass sie sich grölend in den Armen gelegen wären. Nein, sie wirkten einfach unglaublich entspannt und fröhlich. Ich sah die Freude auf ihren Gesichtern, und als »Dancing in the Dark« ertönte, tanzte jeder mit. Tausende von Männern, viele davon gut aussehend und wohl auch beruflich etabliert, feierten hier, als ob es kein Morgen gäbe. Im Alltag sind sie vielleicht Ärzte, Banker oder Lehrer, viele davon wahrscheinlich Anzugträger, aber hier durften sie sein, wie sie wollten, und in ihren Sommerhosen und Shirts wollten sie nur eines: den Abend in vollen Zügen genießen. Natürlich waren viele in weiblicher Begleitung da, aber es gab auch etliche Männer, die mit ihren Kollegen und Freunden gekommen waren. Meine Freundin Karin, die seit Jahren einen Freund im besten Alter sucht, wäre hier sicher fündig geworden.

Bei aller Ausgelassenheit, die um mich herum herrschte, fühlte ich eine gewisse Wehmut, und ich fragte mich: »Wo bleibt denn diese Fröhlichkeit, diese Lebensfreude im Alltag?« Da sehe ich nämlich vorwiegend ernste, wenn nicht sogar mürrische Gesichter. Bei Anlässen, die ich als Journalistin beruflich besuche, begegnet man sich freundlich, aber ohne Herzlichkeit, und bei privaten Einladungen steigt die Stimmung oft erst nach dem dritten Glas Wein.

Vor allem bei Männern um die fünfzig habe ich oft das Gefühl, dass sie ihre Freude am Leben gegen Karriere, Prestige und Verantwortung eingetauscht haben. Viele fragen sich in der Lebensmitte, so habe ich bei der Arbeit an diesem Buch herausgefunden: »War das jetzt alles? Soll ich ausbrechen oder auf einen zweiten, dritten Frühling mit der eigenen Frau hoffen? Mich für eine jüngere Freundin oder nur für eine Harley-Davidson entscheiden? Oder für beides?« Einige sind bescheidener und würden sich einfach ein neues und unfehlbares Haarwuchsmittel wünschen.

Nachdem ich letztes Jahr mein Buch »Älterwerden für Anfängerinnen – Willkommen im Klub!« veröffentlicht hatte, wurde ich immer wieder darauf angesprochen, ob ich nicht auch ein Buch über das Älterwerden von Männern schreiben wolle. Ich zögerte, bin ich doch keine Fachfrau für Männerthemen. Und ich fragte mich: »Würden sich die Männer mir gegenüber so öffnen, wie es die Frauen getan hatten?« Doch die Lust, dieses Buch zu schreiben, besiegte meine Skepsis.

Schnell wurde klar: Männer altern anders als Frauen. Während sich Frauen schon früh mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen und ja in einigen Phasen ihres Lebens hormonellen Veränderungen unterworfen sind, verstehen Männer ihren Körper als Ressource und schenken ihm oft erst Beachtung, wenn er nicht mehr so funktioniert, wie sie das gewohnt sind. Doch viele verdrängen auch größere Beschwerden, bis sie vielleicht durch einen gesundheitlichen Ernstfall zur Auseinandersetzung mit sich selbst und ihren Gewohnheiten gezwungen werden.

Der Anfang meiner Recherche gestaltete sich allerdings etwas harzig. Die Frauen hatten einem Porträt meist sofort freudig zugestimmt. Die Männer dagegen reagierten zwar freundlich auf meine Anfrage, aber auch verhalten und eher zögerlich. Natürlich, so gaben sie zu, beschäftige sie das Thema Älterwerden, aber so öffentlich darüber reden? Einer meiner Wunschkandidaten wollte wissen, was für Fragen ich stellen würde. Ein anderer bat sogar: »Silvia, bitte schicke mir doch mal ein Konzept mit den fünf wichtigsten Punkten, was ich zu deinem Buch wissen muss. Am besten in einer kleinen Präsentation.«

Ich schluckte meinen aufkeimenden Ärger hinunter. Es ging hier doch um ein Gespräch über Gefühle und persönliche Eindrücke und nicht um eine Power-Point-Präsentation! Doch gleichzeitig wurde mir bewusst, dass in dieser Antwort auch eine gewisse Unsicherheit und der Wunsch nach Kontrolle mitschwangen. Andere Bemerkungen von Männern, die ich um ein Interview gebeten hatte, deuteten in die gleiche Richtung: »Muss ich dann über meine Gefühle reden?« oder »Kann mir ein solches Buch nicht auch schaden?« waren häufig genannte Befürchtungen.

Was mich besonders erstaunte: Männer aus meinem näheren Umfeld zierten sich besonders. Sie hätten durchaus Vertrauen in mich als Autorin und Mensch, meinten sie, aber das Thema sei doch sehr heikel und betreffe ihre Intimsphäre. Zuerst war ich wegen des Zögerns ein bisschen beleidigt, aber letztlich spornte mich ihre Verhaltenheit noch mehr an, dieses Buch zu schreiben.

Und dann gab es auch die Männer, die mich mit ihrer Offenheit überraschten. So der Kommunikationsexperte Peter Brun, der im Topmanagement arbeitet und mir erzählte, wie er im fortgeschrittenen Alter, verheiratet und Vater zweier Töchter, sein Coming-out hatte. Oder der Tanzlehrer Andreas Tröndle, der über die Vergänglichkeit des Körpers philosophierte und mich wissen ließ, welchen Umgang er mit dem Älterwerden gefunden hat. Imponiert hat mir auch der Schauspieler Stefan Gubser. Zum ersten Mal spricht er in der Öffentlichkeit über sein Burn-out in der Lebensmitte und darüber, wie schwer sein Weg aus der Depression war.

Nach den ersten Gesprächen wurde mir klar: Das Älterwerden der Männer wird gesellschaftlich nicht so tabuisiert wie das der Frauen; viele Männer gelten in ihren Fünfzigern, im Gegensatz zu Frauen, noch immer als attraktiv. Die meisten Männer erleben aber um die Lebensmitte herum eine gewisse Sinnkrise sowie einen körperlichen und geistigen Abbau. Besonders heftig können diese Beschwerden werden, wenn es scheint, als ob die Lebenschancen vertan wären. Einige können nicht verschmerzen, dass ihnen der »große Wurf« nicht gelungen ist und es vielleicht keine neuen Chancen mehr geben wird.

Und auch wenn es ihnen seelisch gut geht: Der Körper spricht seine eigene Sprache. Nach dem vierzigsten Lebensjahr lässt die Produktion der männlichen Hormone und damit auch die Stressresistenz nach. Mit fünfzig muss der Mann sich eingestehen, dass er rein mathematisch mehr Lebenszeit hinter sich hat als vor sich. Und viele fragen sich dann: »Was habe ich im Leben erreicht? Bin ich bereits am Ziel angekommen? Was will und kann ich überhaupt noch?«

Auch hier kann man die Tatsachen akzeptieren, oder man kämpft im Fitnessstudio gegen sie an. Oder besucht den Schönheits-Doc und lässt sich die Schlupflider liften, damit der Blick wieder wacher wird. Botox und Füller werden ausprobiert. Sogar Popstar Robbie Williams gab letztes Jahr solche Verjüngungsmaßnahmen zu. Natürlich muss man im Showbusiness möglichst attraktiv aussehen, aber dafür Botox spritzen? Robbies leicht zerknautschtes Gesicht und sein schiefes Grinsen haben doch einen großen Teil seines Charmes ausgemacht. Schade!

Und dann gibt es natürlich auch die Männer, die versuchen, einen lockeren Umgang mit dem Älterwerden zu pflegen: die Krisen nicht verdrängen, sondern als Chance betrachten. Sie haben eines gemeinsam, die fünfzehn Männer zwischen 48 und 68, die ich für dieses Buch interviewt habe: Sie haben offen mit mir über ihre Erfahrungen und Gefühle im Zusammenhang mit dem Älterwerden gesprochen. Sie mögen gänzlich verschiedene soziale Hintergründe und Lebensentwürfe haben, aber eines ist allen gemein: Sie sehen das Älterwerden, trotz aller Schwierigkeiten, als positive Herausforderung an. Hier sind ihre Geschichten.

 

»Ich zweifelte lange an mir«

Der Differenzierte:
Stefan Gubser, 60, Schauspieler

Stefan Gubser

Man trifft sich im Leben immer zweimal. Diese Redewendung scheint auf Stefan Gubser und mich zuzutreffen. Vor 25 Jahren habe ich ihn als Jungjournalistin für ein Schweizer Frauenmagazin interviewt. Es war eines der ersten großen Interviews, die ich machen durfte. Wie es sich für eine junge, ehrgeizige Journalistin gehörte, war ich zu früh bei unserem Treffpunkt. An diesem Montagnachmittag war das Lokal vor allem von Pensionären besucht, die sich beim Jassen und bei einem Bierchen die Zeit vertrieben. Ich bestellte einen Pfefferminztee, und einer der Männer rief zu meinem Tisch herüber: »Na, Fröllein, so allein! Kommen Sie doch zu uns!« Ich lächelte verlegen, schüttelte den Kopf und vertiefte mich in die Fragen, die ich Stefan Gubser stellen wollte.

Je länger ich wartete, desto nervöser wurde ich. Die Nervosität legte sich auch nicht, als der Schauspieler pünktlich das Restaurant betrat und sofort auf meinen Tisch zuging. Himmel, der Kerl sah ja genauso gut aus wie im Fernsehen! Ich spürte, wie meine Hände feucht wurden, als er vis-à-vis Platz nahm. Und dann geschah etwas Seltsames. Ich bemerkte, dass auch er nervös war, denn es zeigte sich auf die gleiche Weise wie bei mir. Wir hatten beide lockiges Haar, und eine Strähne, die ihm wie mir ins Gesicht fiel, bebte leicht. Zu spüren, dass es ihm ähnlich ging wie mir, verlieh mir Selbstvertrauen und Ruhe. Und das Interview wurde tatsächlich zu einem schönen Erlebnis. Nachdem wir fast drei Stunden miteinander gesprochen hatten, fand ich sogar den Mut, ihn auf das Zittern der Haare anzusprechen. Er lachte laut und meinte: »Da haben wir ja genau das gleiche Problem. Ich habe mir sogar schon überlegt, die Haare an der Stirn ganz kurz schneiden zu lassen, damit das niemandem mehr auffällt.«

Nach diesem Gespräch war ich ziemlich begeistert von meinem Interviewpartner. So begeistert, dass mein damaliger Freund jedes Mal, wenn ich von diesem Treffen erzählte – und das tat ich oft –, schnödete: »Jetzt hör mir mal mit diesem Gubser auf!« Ich habe mich darum wirklich gefreut, als Stefan Gubser zusagte, bei diesem Buch mitzumachen. Und natürlich stellte ich mir im Vorfeld die Frage: »Wird er sich an mich und das Interview erinnern?«

Seine Begrüßung ist herzlich, und ja, er weiß tatsächlich noch, wer ich bin. »Du hattest aber längere Haare«, bemerkt er. »Deine sind auch kürzer geworden«, entgegne ich nicht eben schlagfertig. Und für ein paar Minuten fühle ich mich wieder so unsicher wie damals als junge Journalistin. Doch Gubser lässt keine Verlegenheit aufkommen, und tatsächlich dauert es nur wenige Minuten, und ich spüre eine Art alte Vertrautheit zwischen uns.

Seit 35 Jahren ist Stefan Gubser freischaffender Schauspieler. In dieser Zeit hat er in zweihundert Filmen rund achtzig Rollen gespielt. Bekannt wurde er beim Fernsehpublikum durch Serien wie »Eurocops«, »Kurklinik Rosenau« und etwa sechzig Fernsehfilme. Er brillierte am Theater und hatte eine eigene Theater-Produktionsfirma. Am bekanntesten ist er allerdings durch seine Schweizer »Tatort«-Rolle als Kommissar Reto Flückiger geworden. »Der ›Tatort‹ ist für mich als Schauspieler ein Lottogewinn«, schwärmt er. »Das feste Engagement mit dem tollen Team ist ein echter Glücksfall.« Er könne mit den besten Leuten in der Branche zusammenarbeiten. Je länger man sich kenne, desto vertrauter werde man. »Und das führt zu einer ungeheuren Kreativität. Man kann aus dem Vollen schöpfen.«

Der Job als Ermittler garantiert Gubser sechs Monate Arbeit. Zwei Folgen, für die jeweils fünf Wochen gedreht wird, plus Vor- und Nachbearbeitung sowie Synchronisation geben ihm eine »gewisse finanzielle Unabhängigkeit«. Trotzdem, ausruhen kann er sich nicht auf seinen beruflichen Lorbeeren. Zum Zeitpunkt unseres Treffens ist nämlich noch nicht klar, ob es den Schweizer »Tatort« weiter geben wird. Belastet ihn diese Unsicherheit?

»Die Frage, ob ich einen neuen Job bekomme, und wenn ja, was für einen, kenne ich seit 35 Jahren«, sagt der gebürtige Winterthurer. Sollte er nach dieser langen Zeit nicht selbstsicherer sein? »Nicht unbedingt. Mit dem Alter werde ich immer sensibler. Die Klippen, die ich umschifft, die Tiefschläge, die ich erlebt habe, haben mich nicht mutiger gemacht. Im Gegenteil: Ich bin vorsichtiger und selbstkritischer geworden.« Aber schließlich sei es auch die Tagesform, die darüber entscheide, wie er sich fühle. »Geht es mir gut, dann denke ich, es kommt super, bin ich schlecht ›zwäg‹, dann verspüre ich schon eine gewisse Angst vor der Zukunft.«

Auch wenn das Ende des Schweizer »Tatorts« für ihn »ein großer Einschnitt« wäre, eine gewisse berufliche Unsicherheit treibt Gubser an, Neues anzugehen. So hält er regelmäßig musikalisch umrahmte Lesungen und tüftelt an neuen Projekten. Wie empfindet er das Älterwerden als Schauspieler? »Es freut mich, dass ich mit zunehmendem Alter der Rolle des jugendlichen Liebhabers entwachsen bin.« Fishing for compliments? Vielleicht ist er nicht mehr der jugendliche Liebhaber, aber als reifen Lover kann man sich Gubser gut vorstellen.

»Am wohlsten fühle ich mich in Charakterrollen. Ich mag komplizierte Figuren. Gell, das würde man mir nicht unbedingt geben?«, scherzt er. Doch ich sehe Stefan Gubser gut in der Rolle als innerlich zerrissenem Charakter. Obwohl er eine liebenswürdige und warme Ausstrahlung hat, spürt man durchaus auch etwas Schweres, Zweiflerisches.

In seinem Berufsleben muss er Unsicherheit und ständige Veränderungen aushalten; sein Privatleben hingegen ist beständig: Seit 22 Jahren ist er nun mit Brigitte verheiratet. »Sehr glücklich«, wie er betont. Die attraktiven Kolleginnen am Filmset – geriet er da nie in Versuchung? »Als Brigitte und ich zusammenkamen, war ich bereits 38 Jahre alt und gefestigt.« Vorher habe er sich schon mehrmals am Set verliebt. »Sie ist schwierig, diese Gratwanderung zwischen Berufs- und Privatleben.« Allerdings ist er sich sicher: »Ich werde mich nicht mehr in eine Kollegin verlieben. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«

Aus einer ersten Ehe hat er eine Tochter, Stefanie, 36, mit der er ein »super Verhältnis« habe. »Wir stehen uns sehr nahe, und ich bin sehr stolz auf sie«, sagt er. Sein »ganz großes Glück« aber ist seine zweite Frau. »Brigitte ist einmalig. Sie hat Vertrauen in mich und verfügt über ein enormes Durchhaltevermögen, das es an der Seite eines Zweiflers wie mir auch braucht. Sie kennt mich in- und auswendig. Bei ihr kann ich mich fallen lassen.«

Dass er von seiner Frau auch in schwierigen Zeiten aufgefangen wird, hat er vor wenigen Jahren erlebt, als er unter einer akuten Erschöpfungsdepression litt. »Als ich nach siebenwöchigen Dreharbeiten aus Äthiopien zurückkam, ging es mir grottenschlecht. Ich litt unter Panikattacken und kam kaum mehr aus dem Bett.« Diese Phase, in der er an allem und vor allem an sich selbst zweifelte, dauerte monatelang und brachte ihn psychisch an den Anschlag.

Eine Midlife-Crisis? »Vielleicht hatte die Angst vor dem Älterwerden auch einen Einfluss auf meinen Zustand, aber die Hauptursache war, dass ich mir über Jahre hinweg zu viel zugemutet hatte.« Gubsers große Herausforderung in dieser schwierigen Zeit: Er habe lernen müssen, das Älterwerden und alles, was es mit sich bringt, zu akzeptieren. »Ich musste mir zugestehen, dass meine Kräfte nachließen und ich definitiv in der zweiten Lebenshälfte angekommen war. Damals wurde mir eigentlich das erste Mal bewusst, wie endlich das Leben ist.«

Nachdem sich Stefan Gubser wieder etwas gefangen hatte, beschloss das Paar, ein gemeinsames Sabbatical zu verbringen. Brigitte Gubser kündigte 2013 ihren CEO-Job in einer großen Media-Agentur. Zusammen fuhren sie auf einem Frachtschiff zwischen den verschiedenen Inseln der Marquesas durch den Südpazifik, wanderten durchs Tessin und das Münstertal. Auch die Freunde seien in dieser Zeit eine große Hilfe gewesen. »Einige Freunde kenne ich seit vierzig oder fünfundvierzig Jahren. Das können neue Freunde gar nicht mehr aufholen.«

2017 wird Stefan Gubser sechzig Jahre alt. »Der Geburtstag löst keine negativen Gefühle aus, meine große Krise hatte ich ja schon. Aber ich mache jetzt einiges anders als noch vor ein paar Jahren. Früher nahm ich beruflich alles an, was man mir anbot. Das hat auch zu einer gewissen Überforderung geführt. Heute bin ich wählerischer.« Den Ehrgeiz früherer Jahre kenne er nicht mehr. »Und zum ersten Mal spüre ich auch eine innere Ruhe.«

Gubser hat dadurch Energie gewonnen. Bewusst probiert er immer wieder Neues aus. So hat er den Hochseeschein im Segeln gemacht und vor kurzem begonnen, Golf zu spielen. »Eine riesige Herausforderung für mich. Nicht nur körperlich, sondern auch mental. Es gibt mir einfach eine positive Energie«, freut er sich. Sowieso sei die Bewegung in der freien Natur sehr wichtig für ihn. »Ich bin nicht der Typ fürs Fitnessstudio.«

Stefan Gubser versucht, unabhängig von der Meinung anderer seinen Weg zu gehen. »Ich habe gelernt, mich selber nicht mehr runterzumachen«, sagt er nachdenklich. »Mein Selbstbild war lange nicht das beste. Und auch heute noch schwankt mein Selbstbewusstsein.« Das erstaunt, ist er doch einer der erfolgreichsten Schweizer Schauspieler, ist attraktiv, lebt in einer glücklichen Beziehung … Warum diese Selbstzweifel?

»Ich bin sehr leistungsbezogen aufgewachsen und versuchte immer, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Das führte zu einem enormen Druck. Heute will ich vor allem mit mir selbst zufrieden sein. Ich befreie mich auch von manchem, was mein Elternhaus betrifft.« Das klingt nach einem Spätzünder. »Das kann schon sein«, sagt er, »aber es ist doch schön, immer wieder neue Erfahrungen zu machen.« Ginge es nach den Genen, dann hätte Stefan Gubser noch recht viel Zeit für seine Selbstfindung. Sein Vater wird hundert Jahre alt, seine noch sehr aktive Mutter ist zweiundneunzig.

Es ist Abend geworden. Das Bier ist ausgetrunken. »Jetzt warten wir aber nicht wieder 25 Jahre bis zum nächsten Treffen«, scherzt Gubser.

Dem kann ich mich nur anschließen.