Die Schwerter des Herzogs

 

 

 

Die Schwerter des Herzogs

Historischer Roman

von

Rolf Michael

 

Mondschein Corona – Verlag

Bei uns fühlen sich alle Genres zu Hause.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

1. Auflage

Erstauflage Mai 2017

© 2017 für die Ausgabe Mondschein Corona

Verlag, Plochingen

Alle Rechte vorbehalten

Autor: Rolf Michael

Lektorat/Korrektorat: Edwin Sametz

Grafikdesigner: Finisia Moschiano

Buchgestaltung: Finisia Moschiano

Umschlaggestaltung: Finisia Moschiano

 

ISBN: 978-3-96068-075-8

© Die Rechte des Textes liegen beim

Autor und Verlag

 

Mondschein Corona Verlag

Finisia Moschiano und Michael Kruschina GbR

Teckstraße 26

73207 Plochingen

www.mondschein-corona.de

 

Inhaltsverzeichnis

Blutgericht in Dithmarschen

Begegnung im Moor

Ränkespiele

Am Hof des Königs

Vor dem Sprung

Die Falle an der Weser

Eine Siedlung an der Schwinge

In der Schenke 'Zum Thorhammer’

Der Tag von Stade

Die Stunde der Bewährung

Der weiße Ritter

Was es noch zu sagen gibt ...

 

 

Blutgericht in Dithmarschen

 

Im lauen Herbstwind weht der Hauch des Todes. Welkes Laub zerbröselt knirschend unter den Hufen des kleinen Fuchswallachs, der Hermann vom Spiegelberg mit sicherem Tritt über die unsicheren Knüppeldämme des Moores trägt. Mit verhängtem Zügel gönnte der jugendliche Reiter mit den meerblauen Augen und dem schulterlangen Blondhaar seinem erschöpften Tier eine kurze Rast. In der Ferne konnte er bereits das Ziel seiner Reise erspähen. Ein trutziger Wehrbau, der in jenen Tagen noch weit im Landesinnern liegt.

Wo in späteren Jahren die Stadt Meldorf in Dithmarschen liegt, ragen heute, im Jahre des Herrn 1144, die grauen Mauern einer düsteren Burg mit grauschwarzen Mauern und hohen Wehrtürmen aus dem Flachland der Marschen. Im milden Schein der Nachmittagssonne glänzen die Zinnen und auf der Höhe des Bergfriedes dreht sich die Wetterfahne. Die Wehrgänge auf den Mauern übersteigen die Höhe von mehr als zehn Metern, und ein lanzenwurfbreiter Graben sichert das Bollwerk gegen den Stolz der trotzigen und immer unruhigen Landbevölkerung von Dithmarschen.

Nur schwer tragen die Bauern dieses Landes am Joch der Unfreiheit. Seit der helle Christ den Sieg über Wotan und die alten Götter des Nordens errungen hatte, liegen die Bauern immer mehr unter den Gewalten der weltlichen Mächte und der Kirche. Schon in den Tagen des großen Karls wurde ein „Geraff“ in Dithmarschen eingesetzt.

Ursprünglich war der „Geraff“ oder „Graf“ ein Richter des Frankenkönigs, der einmal im Jahr unerkannt durch das Land ritt, sich die Beschwerden der Bevölkerung anhörte und dann so Recht sprach, dass auch die Bannerherrn des Volkes vor den Richterstuhl gerufen wurden, wenn sie ihren Hörigen Unrecht taten.

Doch Karl der Große ist lange tot und die Zeiten haben sich gewandelt. Der Graf ist nun der vom König eingesetzte Zwingherr, der von den Bauern die Abgaben für das Reich eintreibt und dafür sorgt, dass er selbst einen größeren Anteil einstreichen kann als er an die Pfalz sendet, in der sich der König mit seinem Hofstaat gerade aufhält.

In den Tagen der alten Götter waren die Bauern frei auf eigener Scholle, sie nur dem Bannerherrn des Gaus Abgaben zahlten. Dafür hatte dieser Bannerherr eine starke Truppe von Kriegern, die im Fall von Gefahr durch Feinde sofort ausrücken und kämpfen konnte, während der Bauer weiter auf seinen Feldern arbeitete. Und die auch die Jagd auf das Wild der Wälder unternahm, das sonst diese Felder leer gefressen hätte.

Doch dann kam der Tag, dass die schlauen Priester des neuen, lichthellen Christusgottes den Königen und Fürsten klarmachten, dass es eins der oberen Gebote des Christentums war, dass sich jedermann willig und ohne zu murren derGewalt der Herrschenden beugen soll. So jedenfalls predigten es die Priester im Auftrage des Landesherrn von der Kanzel.

Die Bauern von Dithmarschen wurden zwar auch unter das Kreuz gezwungen und nahmen schon vor mehr als zweihundert Jahren die christliche Lehre an, aber sie unterwarfen sich nur schwer unter der eisernen Faust der Grafen von Stade, die im Auftrage des Königs mit gnadenloser Härte das Land regierten.

Geschwungene Schwerter und zum Schlag erhobene Äxte beugten zwar äußerlich den Nacken eines Dithmarscher Bauern, doch das Feuer der Freiheit in seiner Seele zu löschen, das vermochten sie nicht.

Ist vielleicht auch jenseits des Elbestromes in Kehdingen das Innere der Menschen von der milden Lehre des Christentums verwandelt - hier im Grenzland zwischen den alten Sachsengauen und der See-Dänen Reich haust ein zäher Menschenschlag, der außer einem Gott im Himmel keine Macht über sich anerkennen will.

Männer und Frauen, die so hart sind wie das Land, das sie den stets drohenden Gewalten der Natur zum Trotz bebauen. Hier in den Marschen lebt man nach den eisernen Gesetzen aus den Tagen der Urväter, in denen die Ehre mehr gilt als das Leben. Stets bedroht von eisigen Winterstürmen, verheerenden Unwettern und alles vernichtenden Sturmfluten fügen sich die Menschen in ein eisernes Band von Sippe und Volk, das über sich einst nur die alten Götter des Nordens duldete. Den Glauben an Donar, den gewaltigen Donnerer und Wotan, den geheimnisvollen Wanderer, hat auch das Wasser der widerwillig genommenen Taufe nicht hinwegwaschen können.

Besonders bedrückt es die Dithmarscher Bauern, dass sie keine eigene Grafschaft bilden, sondern dem Königslehen von Stade untertan sind. Seit dem Jahre 1062 nach der Geburt des Erlösers ist das Amt der Grafen von Stade in der Hand des uralten Geschlechts der Udonen. Die Familie wird so genannt, weil der Erstgeborene meist den Namen Udo führt. Eine harte Sippe, in der man selbst das Leben der engsten Verwandten nicht achtet, wenn es um die Erweiterung des Reichtums und der Macht geht.

Obwohl die Udonen im Lande mehr gefürchtet werden als der Zorn Gottes, zeichnet sich der jetzt regierende Graf Rudolf, der zweite seines Namens, gegenüber seinen Amtsvorgängern mit beispielloser Härte und Grausamkeit aus. Das Kerngebiet seiner Herrschaft dehnt sich zu beiden Seiten der Unterelbe und umfasst neben Dithmarschen besonders das Land Kehdingen mit der aufstrebenden Gemeinde Stade. Dieser Gemeinde hat Kaiser Konrad II. aus dem Hause der Salier Anno Domini 1032 die Marktrechte verliehen, und zum heutigen Tag zählt sie nun ungefähr tausendsechshundert Einwohner.

Doch außer der Stadt Stade gibt es überall im sächsischen Einflussgebiet noch Städte und Landstriche, die zum Lehen des Stader Grafen gehören und die Grundlage seines Einflusses und seiner Reichtums sind. Selbst die weltliche Regierungsgewalt der Stadt Bremen untersteht dem Herrn von Stade. Auch wenn diese Gewalt praktisch von dem wie ein weltlicher Landesfürst regierenden Erzbischof der Stadt ausgeübt wird, weil der geistliche Herr nun mal seinen Wohnsitz in Bremen hat.

In Stade selbst ist Graf Rudolf nur sehr selten anzutreffen. Die im Schutz einer wehrhaften Burg aufblühende Siedlung mit den fast natürlichen Hafenanlagen ist von hinreichendem Mauerwerk umgeben und kann dem Angriff von Feinden widerstehen. Das pulsierende Zentrum aufstrebenden Handels und Handwerks in Norddeutschland wird zusammen mit dem die Stadt umgebenden Kehdinger Land im Auftrage des Grafen von Hermanns Vater regiert.

In jenen Tagen residiert der alte Kunz vom Spiegelberg als gräflicher Vogt auf der Stader Burg, die von einem sanft ansteigenden Hügel herab den Hafen zur Linken und die Stadt zur Rechten bewacht. Und die Mönche des ungefähr einen Tagesmarsch zu Fuß von Stade entfernt liegenden Klosters Harsefeld sorgen mit ihren Predigten dafür, dass die Kehdinger Moorbauern und Torfstecher ihr karges Los in christlicher Demut annehmen.

Dazu kommt, dass Kunz vom Spiegelberg, in seiner Eigenschaft als Vogt die oft grausamen Befehle und Anweisungen seines Herrn so gut es geht abmildert, und zudem den Stolz der Stader Bürger, wie auch der Kehdinger Fischer und Moorbauern respektiert.

Da das Kehdinger Land offensichtlich ruhig ist, hatte Graf Rudolf die Mellburg als seine ständige Residenz mitten im Herzen von Dithmarschen zu einer fast uneinnehmbaren Zwingfestung ausbauen lassen. Und hier haust er die meiste Zeit des Jahres, um die ewig unruhigen Bauern dieses Landes zu knechten und mit eiserner Gewalt niederzuhalten.

Wer die Befehle des Grafen nicht wie die Worte eines Gottes achtet, spürt seinen gnadenlosen Zorn. In den Türmen und Verliesen der Mellburg dämmern Bauern und Handwerker, die ihre Abgaben nicht zahlen konnten und sich vor dem Grafen auf ihre angestammten Rechte beriefen, einem ungewissen Schicksal entgegen.

Die Urteile fällt Graf Rudolf nicht nach allgemeinem Landesrecht, sondern nach eigenem Ermessen. Und so sehen die Landleute von Dithmarschen in ohnmächtigem Zorn, dass man immer mal wieder einen oder mehrere der Unglücklichen auf der Mauer der Burg öffentlich aufhängt, oder unter dem Hohngelächter des grausamen Landesherrn mit einem Stein um den Hals von den Wehrgängen herab stößt, damit sie im trüben Wasser des Burggrabens ertrinken.

Oft genug hatte Hermann vom Spiegelberg grausige Schauspiele dieser Art mit ansehen müssen, und die Nägel seiner geballten Fäuste gruben sich dabei schmerzhaft ins Fleisch seiner Handballen. Aber er, der einfache Knappe, hat keine Möglichkeit, den armen Menschen zu helfen. Es steht dem Sohn eines Dienenden nicht zu, die Handlungen des Landesherrn zu kritisieren. Und es ist ihm sogar verwehrt, beim Grafen um ihr Leben zu bitten.

Wer einmal ein Ritter werden will, der hat frühzeitig zu lernen, seine Gefühle im Zaum zu halten. Graf Rudolfs Wort ist Gesetz. Und der Tod eines Bauern ist für den Herrn der Grafschaft Stade eine bedeutungslose Angelegenheit.

„Wenn sich Aufruhr in meinem Herrschaftsgebiet erhebt, dann lasse ich wahllos zehn Bauern aufhängen und das Land ist wieder ruhig!“, hat Hermann Graf Rudolf bei einem wüsten Gelage einmal sagen hören.

Den Sitten seiner Zeit entsprechend lebt Hermann vom Spiegelberg seit seinem siebenten Lebensjahr am Hofe Rudolfs von Udon. Denn die Ausbildung zum Ritter wird nicht vom eigenen Vater durchgeführt, und Kunz vom Spiegelberg rechnet es sich als hohe Ehre an, dass sein Sohn am Hofe des Grafen zum Ritter erzogen wird, der ihm Burg und Marktflecken Stade zu Lehen gegeben hat.

Dennoch ist Hermann immer froh, wenn er für wenige Tage im Jahr sein Pferd satteln kann, um auf der andren Seite der Elbe in Stade seine Eltern zu besuchen. Hier fühlt er sich innerlich und äußerlich frei. Im Umfeld des grausamen Grafen, wo man jedes Wort sorgsam abwägen muss, um nicht den Zorn des hohen Herrn zu erregen, fühlt er sich wie ein Vogel im Käfig. Ein Käfig, um den eine Katze schleicht.

Bis zu seinem vierzehnten Geburtstag hat Hermann der Burgherrin als Page gedient. Gräfin Clementine hat ein sanftes, liebreizendes Wesen und versucht, die Grausamkeiten ihres Eheherrn so gut als möglich abzumildern. Von ihr lernte der zukünftige Ritter die Grundregeln des höfischen Benehmens und wurde auch in der Kunst der Dichtung und des Gesangs unterwiesen.

Benedikt, der alternde Burgkaplan, unterwies Hermann neben den religiösen Dingen im Lesen und Schreiben sowie in den Grundarten des Rechnens. Bei diesem Unterricht war auch Silke, die mit Hermann fast gleichaltrige Tochter des Burgherrn anwesend.

Der alternde Geistliche lehrte die beiden jungen Menschen auch die Grundbegriffe der lateinischen Sprache und wurde nicht müde, ihnen Geschichten aus den Tagen der Vorfahren zu erzählen oder aus uralten Folianten vorzulesen. Dabei zog es Hermann vor, Ereignisse aus den alten Chroniken des Sachsenlandes zu hören und etwas vom Kampf Herzog Widukinds gegen den großen Kaiser Karl zu erfahren. Silke dagegen interessierte sich mehr für die Erzählungen aus der Bibel und für das Leben der christlichen Heiligen.

Zwischen Hermann und Silke ist im Verlauf der Jahre eine kindliche Freundschaft gewachsen. Doch endete diese Kinderfreundschaft an jenem Tage, als Hermann vom Spiegelberg sein vierzehntes Lebensjahr und damit seine Pagenzeit vollendete.

Denn jetzt wurde der Ritter sein Lehrer. Aber Rudolf übertrug diese Aufgabe an Wulf Cohnen, den altersgrauen Waffenmeister der Burg. In den Adern des alten Kämpfers floss das Blut norwegischer Wikinger, und man wollte gehört haben, dass er den Namen des Gottes Odin als Schlachtruf im Gefecht brüllte. Mit grimmiger Freude übernahm es der alte Krieger, den wohlbehüteten Pagen mit dem rauen Leben eines Knappen vertraut zu machen.

Doch von Anfang an wich Hermann vom Spiegelberg den Mühen und Strapazen der Kampfausbildung nicht aus. Schon in der Kindheit hatte er seinen Körper im eiskalten Wasser des Burggrabens von Stade abgehärtet. Und als Page hatte er nicht nur höfisches Benehmen und Minnegesang gelernt, sondern auch zu reiten, den Speer bei der Jagd treffsicher zu werfen und den Bogen zu spannen. Die harten Waffenübungen kamen dem Bewegungsdrang seines heranwachsenden Körpers nur entgegen. Und jeden Übungskampf mit stumpfen Waffen, den er mit seinem Waffenmeister jetzt austrägt, betrachtet der junge Knappe als persönliche Herausforderung.

Von Tag zu Tag stiegen Hermanns Kraft und Ausdauer. Der jetzt achtzehnjährige Jüngling erwies sich alle Tage als gelehriger und wissbegieriger Schüler in allen Arten des ritterlichen Kampfes.

Wulf Cohnens Augen leuchten in heimlicher Freude, wenn er durch das gestürzte Helmgatter den Junker Spiegelberg mit dem stumpfen Übungsschwert auf sich zukommen sieht. Und oft genug hat der alte Krieger alle Mühe, mit dem leichten Lindenschild die hageldicht fallenden Schläge seines jungen Schülers aufzufangen oder mit der Klinge zu parieren.

Einst wird Hermann ein Meister des Schwerttanzes sein und damit seine Schwäche mit der Lanze zu Pferde wettmachen. Denn obwohl der junge Spiegelberg mit harter Hand und scharfem Sporn selbst dem wildesten Friesenhengst seinen Willen aufzwingt, zieht er den Nahkampf mit Schwert, Morgenstern oder Streitaxt dem Lanzenstoß vor.

Obwohl Hermann in aller Heimlichkeit noch oft an Silke, die Gespielin seiner Kindertage denkt, verbietet es nun die gute Sitte, sich der Tochter des Grafen zu nähern. Grinsend bemerkt Wulf Cohnen den Blick des zum Manne werdenden Knappen auf dem grazilen Körper des Mädchens, dessen erwachende Weiblichkeit von der einfachen Leinenkleidung des Alltags mehr betont als versteckt wird. Einige harte Hiebe mit dem Übungsschwert reissen den Jüngling dann aus seinen Tagträumen wieder zurück in die Wirklichkeit. Der Schmerz der Treffer ist trotz des Kollers aus Büffelleder zu spüren.

„Sieh nicht hin und reiss deine Gedanken an sie aus dem Herzen!“, raunte ihm der alte Cohnen einmal heimlich zu. „Trotz seiner edlen Abstammung ist dein Vater als Vogt von Stade ein Ministeriale. Und dem Sohn eines Dienenden wird der mächtige Graf die Hand seiner Tochter niemals gewähren. Bedenke, Rudolf von Udon gebietet über ein Königslehen, dass fast so groß ist wie ein Herzogtum. Da stehen andere Freier mit edleren Ahnen und vor allem mit größerem Besitz vor der Tür.

Schön Silke wird einmal an einen Edlen verschachert, der mit üppigen Ländereien und geballter Macht tüchtigen Kriegsvolkes den Reichtum ihres Vaters mehrt! Vergiss das Mädchen. Mit dem Willen ihres Vaters wirst du sie niemals heimführen können. Trage es, wie ein Mann sein Schicksal tragen muss.“

Obwohl diese Worte im Innern Hermanns wie glühendes Eisen brannten, weiß er doch, dass sie der alte, ehrliche Krieger nicht böse meinte, sondern dass er in seiner Lebensweisheit mit dem gesagten Recht hat.

„Nur tapfere Taten in den Augen eines Fürsten können dich über deinen Stand erheben, mein Sohn!“, klangen die Worte des Vaters in Hermanns Ohr, dem er von den Worten des Waffenmeisters erzählte, ohne den Grund zu nennen. „Werde ein rechtschaffener Kriegsmann und Ritter und geh an den Hof des Kaisers ...!“

„Um an seiner Seite ins Land Italia zu reiten und dort dem Papst gegen den aufständischen Adel von Rom oder gegen die mächtigen Städte der Lombardei Kriegsdienst zu leisten? Oder bei einem Kreuzzug die Muselmanen zu töten, nur weil sie einen anderen Glauben haben?“, fuhr Hermann dem Vater erregt ins Wort. „Ich meine, wir haben hier im Norden selbst genug zu tun, als dass wir an des Kaisers Seite im Welschland Kriege führen. Das wilde Dänenvolk ist für uns eine größere Bedrohung als die unbeugsamen Dithmarscher Bauern. Noch vor hundertundfünfzig Jahren fuhren die Schiffe der Wikinger die Elbe stromaufwärts und brannten Stade bis auf die Grundmauern nieder.“

„Die Dänen sind heute Christen!“, versuchte Kunz seinen Sohn zu beruhigen.

„Das waren sie damals schon, als sie hier einfielen und alles verheerten!“, fiel ihm Hermann ungestüm ins Wort. „Vierzig Jahre vorher hatten die Dänen unter König Harald Blauzahn die Lehre der Liebe und Vergebung angenommen. Aber in Stade und im ganzen Kehdinger Land haben die dänischen Wikinger gehaust wie in den Tagen, als sie Odin und die Götter von Asgard verehrten!“

Hermann spülte seinen aufkommenden Zorn mit einigen Schluck Bier aus dem Humpen aus Eichenholz herunter. „Die Nordmark unseres Sachsenlandes gilt es zu verteidigen, statt vor den Toren der Romaburg die Waffen zu schwingen“, ereiferte er sich dann. „Stade ist ein aufstrebendes Gemeinwesen und schon fast eine Stadt zu nennen. Der Tag ist sicher nicht fern, wo sie einmal die Beutegier fremder Eroberer reizen wird. Denn wer Stade und das Kehdinger Land in seinem Besitz hat, schneidet das Herzogtum Sachsen vom Meer ab!“

„Du bist gut unterrichtet, mein Sohn“, brummte der alte Kunz und strich sich wohlgefällig den Bart. Der Junge hatte tatsächlich einen Weitblick für die große Politik.

„Aber außer der Verteidigung des Landes gibt es hier noch eine andere Aufgabe, die wichtiger ist, als für Kaiser oder Papst mit dem Schwert die Blutarbeit zu verrichten!“ ereiferte sich Hermann weiter. „Jenseits der Elbe, im Land der heidnischen Wenden, wartet viel Land darauf, von tüchtigen sächsischen Bauern unter den Pflug genommen zu werden! Wir brauchen Platz zum Siedeln für unsere starken Sippen. Und mit Gottes Hilfe werden wir die heidnischen Wenden und Slawen über die Oder drängen!“

„Du redest ... wie unser junger Herzog!“, stieß Kunz vom Spiegelberg erstaunt hervor. „Еben solche Worte hörte ich den Knaben Heinrich reden, als ich im Auftrage des Grafen zu Braunschweig weilte. Freilich, der jüngste Spross des Welfengeschlechts ist erst sechzehn Jahre und gerade dem Knabenalter entwachsen ...!“

„Aus Knaben werden Männer!“, warf Hermann ein. „Und ihren Knabenträumen müssen Männertaten folgen!“

„Der Geist des jungen Herrn von Sachsenland ist bereits der eines Mannes“, nickte der alte Vogt. „Zwar unterzeichnet er willig die Urkunden, die ihm sein Vormund Friedrich von Sommerschenburg vorlegt, doch er unterschreibt erst dann, wenn man ihm bewiesen hat, dass das Land Sachsen durch diesen Namenszug keinen Schaden erleidet.“

„Ich hörte, dass Sachsens junger Herr niemals den Anspruch auf das Herzogtum Bayern aufgegeben hat. Obwohl König Konrad den Babenberger zum Herrn von Bayern machte, führt er trotzig den goldenen Löwen auf dem Schild. Heinrich, der Löwe. So nennen ihn die Ritter am Hofe von Braunschweig.“

„Ja, er ist ein außergewöhnlicher Mensch, unser junger Herzog“, nickte der Vogt. „Trotz seiner sechzehn Jahre schart er bereits eine Kampfgemeinschaft junger, tapferer Ritter um sich. Sie bilden den Freundeskreis einer Tafelrunde, wie sie einst Kaiser Karl oder König Artus besessen haben. Den Widukind-Kreis nennt man ihre Gemeinschaft nach dem legendären Herzog des Sachsenvolkes.“

„Ich werde alles tun, dass mich Herzog Heinrich einst für würdig erachtet, in diesen Kreis einzutreten!“, rief Hermann vom Spiegelberg mit blitzenden Augen und stürzte den Rest seines Trunkes hinunter. Und diese Worte klingen jetzt in seinem Innern nach, während er den Weg durch das wilde, unwegsame Land zur Mellburg zurück reitet.

Trotz seiner jungen Jahre hat Hermann vom Spiegelberg bereits das Aussehen eines erwachsenen Mannes. Die harte Ausbildung hatte den hochgewachsenen Körper des Jünglings gestählt und abgehärtet. Er trägt einfache Kleidung aus Leder, grobem Leinen und braunem Wollstoff. An einem fast handbreiten Gürtel hängt ein Ledersäckchen, in dem Hermann einige Silbermünzen verbirgt. In einer schmucklosen Scheide aus braunem Leder steckt ein altertümlicher Scrama-Sachs. Einem Knappen ist es verboten, außerhalb der Waffenübungen ein Ritterschwert zu führen.

Der Sachs, die unterarmlange, einschneidige Klinge aus den Tagen der Vorväter, gleicht jedoch mehr einem langen Hirschfänger. Als Freigeborenem von niederem Adel ist es ihm erlaubt, eine solche Waffe zu tragen. Denn auch wenn Frieden herrscht, sind die Straßen und Wege im Land doch unsicher, überall treibt sich Raubgesindel herum, gegen das man sich verteidigen muss. Schon das Pferd, das Hermann reitet, wäre für die Gesetzlosen der Marschen und Moore ein Grund, ihn anzufallen und zu töten.

Die Nachricht vom Tod seiner Mutter hatte den Junker nach Stade gerufen und missmutig hatte ihm Graf Rudolf den erbetenen Urlaub gewährt. Nun reitet Hermann vom Spiegelberg nach Beendigung der Trauertage zurück zu seinen Pflichten als Knappe.

Doch schon als ihn die Fischer mit seinem Ross über die Elbe setzen, spürt der Jüngling, dass sich im Lande etwas zusammenbraut. Und er erinnert sich, dass er bei seiner Abreise von der Mellburg in den Dörfern von Dithmarschen die heimlichen Thingboten gesehen hatte.

Nach uralter Sitte aus der Heidenzeit laden sie die Freien und Ehrenmänner zur heimlichen Tagung. Unter dem dunklen Mantel der Nacht trifft man an den Stätten zusammen, die den Ahnen einst heilig waren. Mit dem Knauf des Dolches, den der Thingbote dem Geladenen vor die Brust hält, wird dieser zum Schweigen gemahnt. Und es ist eine Frage der Ehre, dass man eher sich selbst und die ganze Sippe dem Tod überantwortet, als das Thing-Geheimnis preiszugeben.

Deutlich spürt Hermann die Gefahr, die ihn umgibt. Die Fischer, die Schäfer und die Moorbauern, die er auf seinem Ritt traf und freundlich anredete, schwiegen mit verkniffenem Gesicht, wenn er sie nach den Neuigkeiten im Lande fragte. Der Jüngling atmete auf, als er den Wagenzug ausmachte, der sich langsam der Burg nährte.

Heute ist der Zinstag, wo die Bauern des Landes ihre fälligen Abgaben zur Burg bringen müssen, wenn sie vermeiden wollen, dass der Graf sie mit brutaler Waffengewalt eintreibt.

Es sind ungefähr zwanzig Gespanne, die sich auf einer grob gesicherten Straße der Mellburg nähern. Mit äußerster Kraft ziehen mächtige Friesenstiere die mit Säcken hoch beladenen Wagen, in denen sich die Abgaben der Bauern in Form von Roggen, Gerste und Hafer befinden. Hinterher treibt man Kühe, Schweine und Schafe in kleinen Herden und auf einem der Wagen gackert und schnattert das in kleine Holzkäfige gesperrte Federvieh.

Befremdet nimmt der Junker zur Kenntnis, dass die schwer zu führenden Stiere vor den hoch beladenen Ackerwagen nur von jungen Frauen angetrieben werden. Irrte er sich, oder sind selbst auf die Entfernung Bewegungen in den mächtigen Kornsäcken zu bemerken?

Ein kurzes Schnalzen mit der Zunge treibt den Braunen voran. Nach einigen Galoppsprüngen haben die Hufe des Pferdes den sicheren Boden der Straße erreicht, die durch die Marschen bis zur Burg führt.

Erstaunt bemerkt der Junker, dass sein freundlicher Gruß von den meist recht jungen, gerade dem Mädchenalter entwachsenen Frauen nicht beantwortet wird. Mit eisiger Miene sehen sie geradeaus und ihre harten Knüttel treiben die Stiere zu größerer Eile an.

Schnaufend und prustend drücken die mächtigen Tiere mit der Kraft ihrer gewaltigen Schädel gegen das hölzerne Joch, das an ihre Stirn geschnallt und an den Hörnern festgezurrt ist. An den an beiden Seiten des Jochs befestigen Seilen, die mehr als fingerdick sind, hängt der Wagen mit seiner Last. Mit dieser einfachen Zugvorrichtung kommen die Bauernwagen in den ausgefahrenen Spuren der Straße mühsam voran.

Wieder spürt Hermann die tödliche Gefahr, ohne dass er sie beschreiben kann. Er treibt sein Pferd über die Zugbrücke und schwingt sich aus dem Sattel. Nur der alte Waffenmeister nimmt Notiz von seiner Ankunft.

Wulf Cohnens wettergegerbtes Gesicht strahlt in ehrlicher Freude. Er trägt einen braunen Waffenrock über dem Kettenhemd und sein eisgraues, lichter werdendes Haar lugt unter dem Helm hervor. Das gegürtete Schwert schwingt in schmuckloser Scheide an Wulfs linker Hüfte. Eine uralte Klinge, die seit den Tagen seiner Wikinger-Ahnen immer an den ältesten Sohn vererbt wurde. „Schneefall“ ist der Name des Schwertes, das Wulf Cohnen als sein kostbarstes Besitztum betrachtet und das den graubärtigen Krieger niemals im Stich gelassen hat.

Während Hermann das Pferd in die Stallungen bringt und versorgt, erzählt ihm der alte Waffenmeister von den Dingen, die sich während seiner Abwesenheit im Lande zugetragen hatten. Einer der Jagdknechte hat das Thing der Bauern heimlich belauscht und Graf Rudolf vor einem bevorstehenden Bauernaufstand gewarnt. Der schlaue Udone erkannte, dass er den Freiheitswillen und den Stolz der Dithmarscher Bauern nur brechen kann, indem er ihnen die Ehre nimmt.

Und so ersann der Graf von Stade einen ungeheuerlichen Plan.

Um seine Macht zu beweisen, ließ er durch Boten von den Bauern fordern, dass die Abgaben in diesem Jahr nicht nur aus dem Zehnten des Getreides und dem Besthaupt des Viehs bestehen dürfen. Er gab den Befehl, dass jede Sippe in Dithmarschen eine ihrer Töchter dem Grafen zur Leibeigenschaft überlassen muss.

Danach war Stille im Land. Aber in dieser Stille lauerte der Tod.

„... und ich fürchte, dass unser Herr diesmal zu weit gegangen ist!“, knurrt Wulf und nimmt einen kräftigen Schluck Bier aus seinem Holzhumpen. „Zwar zinsen die Bauern dem Grafen als Vertreter des Königs und zahlen auch die Abgaben an die Kirche, aber sie fühlten sich stets als freie Menschen.“

Ein weiterer Schluck Bier, dann kippt der Alte die Neige in die frische Streu.

„Unser Graf wird die Weibsleute auf seinen eigenen Feldern arbeiten lassen“, mutmaßt Hermann, dem nun klar wird, warum die Ochsengespanne von kräftigen Frauen gelenkt werden. Sie gehören zur Abgabe, die der Tyrann von Dithmarschen fordert. Das Knirschen, mit dem die Zugbrücke hinter den Wagen emporgezogen wird, zeigt an, dass auf Befehl des Grafen das Gefängnis für die Unglücklichen geschlossen wurde.

„Heilige Einfalt der Jugend!“, brummt der alte Waffenmeister. „Graf Rudolf wird die Frauen unter seine Kriegsknechte verteilen wie das Vieh. Und die werden ... ha, es geht schon los!“, unterbricht er sich, als von draußen schrilles Kreischen und gellende Hilferufe zu hören sind. Aus der geöffneten Stalltür sieht Hermann, wie sich die herumlungernden Soldknechte erheben und wie ein Rudel heißhungriger Wölfe die Frauen umkreisen. Ihre lüsternen Blicke und die gierig geöffneten Hände zeigen den Dithmarscher Frauen ganz genau, was sie von ihnen wollen.

Wie das Vieh bei Gewitter drängen sich die jungen Frauen rings um die Wagen zusammen. Aber in ihren Augen liegt eisiger, abweisender Stolz. Nur die Gier der aufsteigenden Lüste lässt die Männer des Grafen nicht erkennen, dass diese Frauen nicht so wehrlos sind, wie es den Anschein hat.

„Greift zu, meine Freunde!“, gellt das höhnische Gelächter Graf Rudolfs vom Balkon des Pallas herab. „Ich schenke euch die Weiber, damit ihr einmal der Lust eurer niederen Minne freien Lauf lassen könnt!“

Mit aller Kraft umklammert Wulf Cohnen seinen Schützling, der zornbebend nach draußen stürzen will, um nach der Pflicht seines kommenden Rittertums die Schwachheit der Frauen zu beschützen.

Hermanns Zähne knirschen und seine Hand umklammert den Griff des Sachs, als er mit ansehen muss, wie die rohen Kriegsknechte die Frauen ergreifen und ihnen mit wildem Lachen die Brusttücher rauben.

Doch im gleichen Augenblick durchzittert der Schrei einer einzelnen Frau den Burghof.

„Rüht de Hannen, sniedet de Töddelbannen!“, klingt es wie der Ton einer Alarmtrompete. Und sofort beginnen die schmutzig braunen Getreidesäcke zu leben.

Spitze Klingen fahren durch den Stoff und lassen ihn in langen Bahnen zu Boden fallen. Kräftig gebaute, wildverwegene Gestalten mit langem Blondhaar und zauseligen Bärten recken sich empor. In ihren Händen blitzen lange Messer. Fäuste greifen nach den Äxten und Sensen, die unter Stroh verdeckt auf dem Boden der Wagen liegen.

Die ersten Waffenknechte des Grafen sterben, während sie in ihrer Gier den Mund der wiederstrebenden Frauen küssen wollen. Die in Todeszuckungen verkrampften Hände vermögen nicht mehr, die Ehre einer freien Dithmarscherin zu besudeln.

„Brecht de Twing un slagd se duad, de Hundsfött!“, dröhnt der wilde Schrei eines Bauern durch den Burghof. „Кiin Seel blieb am Liev. Friij salln de Dithmarscher Buurn ween!“

„Friij sin de Friesk!“, schreien die Bauern durcheinander. „Lever duad as Slav! - Lieber tot als Sklave!“

Und mit Todesverachtung fallen die harten Nordfriesen die verdutzen Waffenknechte an. Ein tödliches Ringen entbrennt, in dem nicht um Schonung gefleht und keine Gnade gewährt wird. Unsichtbar für das menschliche Auge hält die von schmutzig weißen Lumpen umschlotterte Knochengestalt des Todes das Stundenglas empor, indem eben die letzten Sandkörner für Graf Rudolf und seine Mannen niederrieseln.

Die rauen Krieger des Grafen, die im Namen ihres tyrannischen Herren in Dithmarschen schlimmer als die apokalyptischen Reiter gehaust hatten, sterben mit Verwünschungen und Flüchen auf den Lippen. Der gnadenlose Schnitter der Ewigkeit lässt die Sense sausen und hält reiche Ernte.

Über die Leiber der Gefallenen wogt der Kampf hinweg. Das Schwert, das der Hand eines Toten entglitten ist, wird sofort von einer kräftigen Bauernhand aufgenommen und setzt die Bluternte fort. Geschwungene Sensen treffen die Beine der eben noch im Lustrausch gefangenen Krieger und die Zinken der Mistgabeln nageln die Gefallenen auf dem Bode fest. Ein Fluch ist ihr Sterbegebet. Herabsausende Dreschflegel lassen die Schädel unter den Helmen zerbersten. Die Frauen, die sich eben noch in ihrer Umklammerung wanden, krallen sich jetzt in die Kleidung ihrer Peiniger und hindern sie so, zu den Waffen zu greifen.

Hermann öffnet seinen Mund zu einem stummen Schrei, als er sieht, dass die wutschäumenden Bauern gnadenloses Gericht mit den Schergen des Grafen halten. Aufblickend sieht der Jüngling, dass sich Graf Rudolf mit aschfahlem Gesicht vom Balkon zurückzieht und ins Innere des Pallas flüchtet.

„Heiliger Josef!“, stößt Wulf Cohnen hervor. „Jetzt kocht der Breikessel über. Als du mir eben erzähltest, dass du die Thingboten gesehen hast, war mir klar, dass die Dithmarscher Bauern ihre Ehre retten werden!“

„Hinaus zum Kampf!“, krächzt Hermann erregt und reißt den Sachs aus der Scheide. „Wir müssen ...“

„Gar nichts müssen wir!“, unterbricht ihn der Alte rau und wirft sich dem erregten Jüngling in die Arme. „Sterben werden wir, wenn wir uns dort einmischen! Ich bin ein ehrlicher Kriegsmann, habe keinen Teil an den Grausamkeiten, die diese Halunken auf Befehl des Grafen im ganzen Lande angerichtet haben“, setzt Cohnen dann mit heiserer Stimme hinzu. „Еs ist der Zorn des Himmels, der sich nun über Graf Rudolf und seine Gesellen ergießt. Durch die Waffen der Bauern erfahren sie ihren Lohn für die üblen Taten, die sie hier im Land begangen haben.“

Ein gellender Schrei lässt den Alten abbrechen. Sein weit geöffneter Mund bringt keinen Ton hervor. Aber sein Finger zittert, als er durch die Stalltür zum Balkon weist.

Ein Teil der Bauern hat eine Deichsel von einem der Wagen gelöst und damit die Türen zu den Räumen des Herrenhauses zerbrochen. Und der Schrei kam von der Gräfin, die von den Aufständischen ergriffen wurde. Hermann muss mit ansehen, wie ein vierschrötiger Bauer mit ihr auf den Balkon tritt und den Körper der verzweifelt um sich schlagenden Frau mit seinen starken Armen über den Kopf hält.

Dass Gräfin Clementine in ihrem milden Sinn oft vergeblich bei ihrem Eheherrn um Gnade und Nachsicht für die Bauern gebeten hat, weiß niemand im Lande. Wie eine heranbrausende Naturkatastrophe fegt die Flut der Rache auch die Schuldlosen hinweg.

„Was der Herrgott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen!“, grölt der Bauer auf ihr Gewimmer um Gnade. „Вestell in der Hölle, dein Mann käme sofort nach!“

Mit einem gewaltigen Schwung wirft er die aufkreischende Frau in die Tiefe, wo ihr Schrei abrupt endet. Ein Zucken des Körpers noch auf dem steinernen Pflaster des Burghofes - dann ist es vorbei.

„Silke!“

Siedendheiß fährt es in Hermann empor, als er das grausige Schicksal der Gräfin sieht. Kein Zweifel, dass die Tochter des Grafen das Schicksal ihrer Mutter teilen muss, wenn die Bauern das Mädchen zu fassen bekommen.

„Bist du wahnsinnig!“, hält ihn der alte Wulf zurück. „Dieser wilde Mob bringt dich genau so um wie das Mädchen. Die Bauern sind Herren der Burg. Und wer ihnen jetzt in die Finger gerät, den machen sie nieder. Wir verstecken uns besser hier im Heu und hoffen, dass uns niemand findet.“

„Ich ... ich kann nicht!“ Entschlossen reißt sich Hermann los. „Ich muss Silke finden und sie vor dem Schicksal der Gräfin bewahren. Ich trage ja, allen Heiligen sei Dank, noch meine Kehdinger Bauerntracht. Damit falle ich im Gewühl kaum auf. Irgendwie wird es mir gelingen, mit Silke zu fliehen. Ich wünsche dir alles Gute, mein väterlicher Freund!“ Er will den alten Waffenmeister umarmen wie zum Abschied für immer.

„Was hast du gesagt? Väterlicher Freund?“, stößt Wulf Cohnen hervor. „Wir sind nicht gleichen Standes. Du bist der Sohn des Herrn vom Spiegelberg und ich ein einfacher Soldknecht, dessen Urahnen als Wikinger eure Küsten plünderten!“

„Du bist der einzige Freund, den ich hier am Hofe des grausamen Grafen hatte. Und du warst immer wie ein Vater zu mir“, sagt Hermann mit warmer Stimme.

„Nun, wenn es so ist ...“ Die Gestalt des Alten strafft sich. „Еin Vater lässt nicht von seinem Sohn. Und ein Freund hält dem Freunde in jeder Lage des Lebens die Treue. Das ist Wikingerart. Geh also hin, Freund, und rette das Mädchen. Ich werde die drei besten Pferde zäumen, auf denen wir fliehen.“

„Wenn du das tun wolltest?“, sagt Hermann zweifelnd.

„Schließlich will ich auch überleben“, gibt Wulf zurück. Wenn mich die Bauern finden, teile ich das Schicksal von Rudolfs Schergen. Die schlagen mich tot wie einen tollwütigen Hund. Also beeil dich!“

Die letzten Worte hört Hermann kaum noch. Entschlossen tritt er auf den sonnenbeschienenen Burghof. Mit wenigen Schritten mischt er sich unter einen der Bauernhaufen, die durch das Herrenhaus stürmen.

„Sucht den Blutgrafen! Nieder mit Rudolf, dem Tyrannen!“, grollt es aus den Kehlen der erregten Bauern. In verschiedenen Haufen laufen sie durch die Gänge und Korridore der Burg und zerbrechen jede Tür. Überall sind Zeichen sinnloser Zerstörung zu sehen. Zerrissene Wandbehänge, zerbrochene Truhen und zerschlagenes Steingut liegen überall herum. Die Möbel weisen Spuren wilder Axthiebe auf. In überschäumender, über Jahre aufgestauter und in einem Moment losgelassener Wut zerstörten die Bauern alles, was sie an die Adelsherrschaft erinnerte.

Aber der Graf ist nirgends zu finden. Alle Türen sind aus den Angeln gerissen und selbst in der kleinen Burgkapelle haben die Bauern gehaust wie einst ihre heidnischen Vorfahren. Die toten Augen des Burgkaplans stieren an die Decke, während sie in der Jenseitswelt die Ewigkeit erblicken.

„Do! Kiek mol! Wotans Vogel!“, stößt einer der Bauern hervor und weist auf eine Krähe, die am Ende eines Ganges vor einer Mauer sitzt und unter lautem Krächzen gegen die Steine hackt.

„Das ist Graf Rudolfs Krähe!“, stößt Hermann unbewusst hervor. „Der einzige Freund, den er jemals hatte!“

„Dann geht das Rabenaas seinem Herrn voran!“, grollt es aus dem Munde eines Mannes, dessen muskelbepackter Arm einen gewaltigen Schmiedehammer schwingt. Mit gewaltigem Wurf schleudert er den Hammer auf den mit entsetztem Krächzen davonhupfendem Vogel.

Es dröhnt, als das mächtige Werkzeug auf die gekalkte Wand trifft. Die Wucht des Hammers lässt nicht nur den Putz, sondern auch die darunterliegenden Steine zerbröseln.

Ein einziger, unartikulierter Aufschrei der erregten Bauern durchzittert die Burg, als sie sehen, dass die dünnen Mauersteine nur eine Attrappe für eine Geheimtür sind. Und hinter dieser Tür hält sich Graf Rudolf in der kleinen Kammer versteckt.

Das Gesicht des Tyrannen von Dithmarschen ist leichenfahl. Mit bebender Stimme fleht er um sein Leben.