Questa pubblicazione ha potuto essere realizzata grazie al sostegno

di REHA TICINO, entità creata per volere dell’Ente Ospedaliero Cantonale e della Clinica Hildebrand Centro di riabilitazione Brissago.

Diese Publikation wurde ermöglicht durch die Unterstützung

von REHA TICINO, einem Gemeinschaftswerk des Ente Ospedaliero Cantonale und der Clinica Hildebrand Centro di riabilitazione Brissago.

 

 

 

 

 

 

Verlag und Bezugsquelle:

 

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In der SGGP-Schriftenreihe werden interessante Texte publiziert, ohne dass die SGGP damit zu deren Inhalt Stellung nimmt.

Des textes intéressants sont publiés dans la collection SSPS, sans que la SSPS ne prenne position quant à leur contenu.

 

Herausgeber und Lektoren der Schriftenreihe:

Dres. Eleonore und Jürg Baumberger, Sirnach

 

Link zur Schriftenreihe: http://www.sggp.ch/index-de.php?frameset=3

 

Preise

e-Book: 29 € für Nicht-Mitglieder; Mitglieder erhalten 12 Fr. Rabatt (s. Website)

Print-Version: 40 Fr. für SGGP-Mitglieder, 52 Fr. für Nichtmitglieder.

 

Copyright © 2017 SGGP

 

ISBN 978-3-96189-903-6

 

 

Su questo libro

La Legge federale sull’assicurazione malattia (LAMal) è entrata in vigore oltre 20 anni fa, menzionando per la prima volta il concetto di riabilitazione. Numerosi responsabili decisionali attivi oggi come già ai tempi dell’introduzione della LAMal, descrivono in questo libro il suo sviluppo e la situazione attuale, con un occhio alla riabilitazione. Essi evidenziano quali nuovi concetti di qualità e assistenza sono stati sviluppati sia a livello di associazione (p. es. da SW!SS REHA) che di clinica (p. es. nella rete riabilitativa REHA TICINO). Spiegano inoltre dove vi sia un bisogno di miglioramento nell’applicazione pratica delle basi giuridiche odierne e quali di queste vadano modificate.

 

Zu diesem Buch

Vor über 20 Jahren ist das eidgenössische Krankenversicherungs- gesetz (KVG) in Kraft getreten, das erstmals den Begriff der Reha- bilitation erwähnte. Viele bereits bei der KVG-Einführung und heute aktive Entscheidungsträger beschreiben in diesem Buch Werde- gang und Ist-Zustand mit Blick auf die Rehabilitation. Sie zeigen dabei u. a. auf, welche neuen Qualitäts- und Versorgungskonzepte sowohl auf Verbands- (z. B. bei SW!SS REHA) als auch auf Klinikebene (z. B. Rehabilitationsnetzwerk REHA TICINO) ent- wickelt wurden, wo Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung der heutigen Gesetzesgrundlagen und wo Änderungsbedarf an diesen besteht.

 

 

Prefazione degli editori

 

Il 1° gennaio 1996 è entrata in vigore la Legge federale sull’assicu- razione malattia (LAMal). 20 anni dopo è ancora in vigore ed è oggetto di discussione pubblica in particolare d’autunno, in coin- cidenza con lo svolgimento del simposio REHA TICINO e a causa dell’aumento medio dei premi per l’anno successivo, che supera l’evoluzione generale dei salari e dei prezzi.

 

Malgrado tali discussioni, non va dimenticato che la popolarità della LAMal presso gli abitanti del nostro Paese è cresciuta con- tinuamente, come per esempio descritto in questo libro nell’articolo redatto da Beat Huwiler un dato questo che farà sicuramente piacere ai fornitori di prestazioni. La LAMal, infatti, non si basa più sui decreti federali urgenti come era d’uso un tempo consentendo di assicurare un’assistenza sanitaria in linea con i bisogni odierni. Questo ha significato anche un’estensione del catalogo delle prestazioni e quindi anche il riconoscimento dei gruppi di fornitori di prestazioni nel campo della lungodegenza (Spitex e case di cura) mentre (finalmente) per la prima volta nella legge viene menzio- nata anche la riabilitazione.

 

Anche dopo 20 anni, l’integrazione della riabilitazione può ancora essere vista come importante prova di fiducia nei confronti dei for- nitori di prestazioni dedicati; allo stesso tempo, però, impone una continua riflessione critica sull’incarico della legge e soprattutto anche sul suo adempimento.

 

 

Ne sono testimoni gli articoli in lingue e professioni diverse trattanti gli sviluppi in seno all’associazione delle cliniche più all’avanguar- dia per la riabilitazione in Svizzera, SW!SS REHA, come pure in seno a REHA TICINO e alle sue cliniche affiliate.

 

Soprattutto per questo si ringraziano sentitamente tutti gli autori e le autrici per il loro impegno e lavoro. Rivolgiamo altresì un rin- graziamento per la piacevole collaborazione a Eleonore e Jürg Baumberger della Società svizzera per la politica della salute, che ha nuovamente permesso l’inserimento di questo volume nella sua serie di pubblicazioni. Last but not least ringraziamo il signor Joseph Oggier, che anche per questa edizione ha curato con affidabilità e puntualità l’impaginazione dei testi.

 

Vi auguriamo una piacevole lettura.

 

Willy Oggier, Giorgio Pellanda e Gianni Roberto Rossi

 

 

 

 

      Vorwort der Herausgeber

 

Vorwort der Herausgeber

 

Am 1. Januar 1996 ist das eidgenössische Krankenversicherungs- gesetz (KVG) in Kraft getreten. 20 Jahre später ist es weiterhin da und wird in der Öffentlichkeit insbesondere im Herbst diskutiert, meistens zur Zeit, wenn das REHA TICINO Symposium stattfindet. Ursache sind in der Regel durchschnittliche Prämienerhöhungen für das kommende Jahr, welche über der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung liegen.

 

Nicht vergessen werden darf dabei, dass trotz diesen Diskus- sionen das KVG – wie beispielsweise Beat Huwiler in seinem Artikel in diesem Buch beschreibt – in der Bevölkerung stetig an Beliebtheit gewonnen hat. Das sollte gerade in Leistungserbringer- Kreisen geschätzt werden. Denn das KVG hörte auf, mit dring- lichen Bundesbeschlüssen aus dem vorherigen Regime zu arbei- ten. Es erlaubt eine zeitgemässe Gesundheitsversorgung sicherzu- stellen. Dazu gehört eine Ausweitung des Leistungskatalogs und damit verbunden die Anerkennung von Leistungserbringer-Grup- pen in der Langzeitpflege (Spitex und Pflegeheime). Erstmals wur- de auch die Rehabilitation erwähnt.

 

Die Erwähnung der Rehabilitation kann auch 20 Jahre später noch als wichtiger Vertrauensbeweis gegenüber den Leistungserbrin- gern dieses Bereichs gewertet werden. Sie verpflichtet aber auch, den Gesetzesauftrag immer wieder zu hinterfragen und vor allem auch zu erfüllen.

 

 

 

 

Vorwort der Herausgeber      

 

Davon zeugen verschiedene Artikel unterschiedlicher Sprache und Professionen zu den Entwicklungen beim Verband der führenden Rehabilitationskliniken in der Schweiz, SW!SS REHA, als auch von REHA TICINO mit ihren Mitgliedskliniken.

 

Allen Autorinnen und Autoren sei gerade auch darum für ihr Enga- gement und ihre Arbeiten in diesem Zusammenhang bestens gedankt. Dank für die angenehme Zusammenarbeit gebührt auch Eleonore und Jürg Baumberger von der Schweizerischen Gesell- schaft für Gesundheitspolitik, welche wiederum die Drucklegung in ihrer Schriftenreihe ermöglichte. Last but not least danken wir auch Herrn Joseph Oggier für das erneute und wie immer zuverlässige und fristgerechte Layout und Gestalten der Texte.

 

Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre.

 

Willy Oggier, Giorgio Pellanda und Gianni Roberto Rossi

 

 

 

 

      Beat Huwiler

 

20 Jahre Krankenversicherungsgesetz KVG – ein persönlicher Erfahrungsbericht

 

Beat Huwiler*

 

 

  1. Das KVG ist uns lieb und teuer

Ein wichtiges Gesetz, das 1996 unter Aufsicht von Bundesrätin Ruth Dreifuss eingeführt wurde, war bei der Einführung höchst umstritten; es ist heute aber in der Bevölkerung breit akzeptiert. Es wird von über 80 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten als Erfolg gewürdigt. Genau das ist mit dem Krankenversicherungs- gesetz (KVG) geschehen, das am 1. Januar 2016 seinen 20. Geburtstag gefeiert hat. Dass das Geburtstagskind nicht häufiger gewürdigt wird, ist typisch für die Beurteilung des Gesetzes und zeigt auch die Widersprüchlichkeiten der gesundheitspolitischen Diskussionen. Bei seiner Einführung war das Gesetz in der Bevöl- kerung äusserst umstritten und ist es in der politisch-medialen Diskussion bis heute geblieben. In der Bevölkerung aber geniesst das KVG heute einen ausgesprochen guten Ruf.

 

Dieser gute Ruf konnte bei der Einführung keineswegs erwartet werden. Die Vorlage wurde am 4. Dezember 1994 mit 51,8 Pro- zent der Stimmen und nur zwölf von 23 Ständen äusserst knapp angenommen. Von den Gegnern wurden das als unnötig erachtete

*      Beat Huwiler, Geschäftsführer SW!SS REHA.

 

 

Obligatorium und der Risikoausgleich zwischen den Krankenkas- sen ebenso kritisiert wie der mögliche Dirigismus hin zur Staats- medizin, welche weitere Kostensteigerungen zur Folge habe. All das wog schwer und die Befürworter hatten es mit ihren Argumen- ten der Solidarität nicht einfach, zumal das Argument einer kosten- dämpfenden Wirkung des KVG schon damals wenig Glaubwürdig- keit hatte.

 

Zwar tut man gut daran, die Sorge der Bevölkerung um ständig steigende Prämien ernst zu nehmen, aber die Ablehnung grosser Reformwürfe, ob von links oder von rechts, kann nur so gedeutet werden, dass die Bevölkerung im Grossen und Ganzen sehr zu- frieden ist mit dem Gesundheitswesen. Obwohl für einen grossen Anteil der Stimmberechtigten das Bezahlen der Prämien ein Pro- blem darstellt, ziehen seit 2014 acht von zehn Befragten eine positive Bilanz des KVG. Dieser Anteil hat über die Jahre immer zugenommen: 2003 hatte weniger als die Hälfte der Befragten einen positiven Eindruck. Im jüngsten Gesundheitsmonitor äussern sich rund 81 Prozent der Befragten positiv.

 

Kurz gesagt: War das KVG bei seiner Annahme noch äusserst umstritten, hat sich die Stimmung gründlich gekehrt. Heute ist die Bevölkerung trotz hoher Kosten mit dem Gesundheitswesen zufrie- den und hat entsprechend keine Lust auf Experimente. Das KVG ist uns gewissermassen lieb und teuer zugleich!

 

2. Das KVG brachte einen grundlegenden Systemwechsel

Weil bei der Einführung des neuen Krankenversicherungsgesetzes nahezu 100 Prozent der Bevölkerung bereits Mitglied einer Kran- kenversicherung waren, erhöhte sich zwar durch das neu einge- führte Obligatorium die Zahl der Versicherten nicht, aber die Ein- heitsprämie für Männer und Frauen sowie für Junge und Alte förderte die Solidarität. Seit Inkrafttreten wurde das KVG mehreren Revisionen unterzogen.

 

2.1 KVG-Revisionen – ein Überblick

Per Anfang 2001 wurde die erste Teilrevision des KVG in Kraft ge- setzt. Darin wurden primär technische Korrekturen gemacht. Schon vor Inkraftsetzung dieser Teilrevision wurde die zweite KVG-Teilrevision in Angriff genommen. Die Kernpunkte dieser Re- vision betrafen die Neuregelung der Spitalfinanzierung, Übergang zur Vertragsfreiheit bzw. Aufhebung des Kontrahierungszwanges, Vorgaben zur Prämienverbilligung, Festschreibung des Risikoaus- gleichs sowie Änderungen der Bestimmungen für den Fall der Nichtbezahlung von Prämien. Trotz intensiven, mehr als dreijäh- rigen Beratungen scheiterte die zweite Revision im Dezember 2003, als der Nationalrat den Kompromiss der Einigungskonferenz ablehnte.

 

Daraufhin legte der damalige Bundesrat Pascal Couchepin dem Parlament im Februar 2004 zwei Reformpakete mit voneinander unabhängigen Teilbotschaften vor, die rasch umgesetzt werden sollten. Neben den Elementen aus der zweiten KVG-Revision wur-

 

 

den auch einige Elemente aus der geplanten dritten KVG-Revision in die neuen Vorlagen integriert. Die Neuordnung der Pflegefinan- zierung wurde dem Parlament separat vorgelegt.

 

Im ersten Revisionspaket wurden unter anderem der Risikoaus- gleich bis Ende 2010 und der Zulassungsstopp um drei Jahre verlängert. Auf die Vorlage zur Aufhebung der Vertragsfreiheit traten beide Räte nicht ein. Weiter wurden die Bundesbeiträge an die Prämienverbilligung neu definiert und die Prämienverbilligung für Kinder und junge Erwachsene in Ausbildung bei mindestens 50 Prozent festgelegt.

 

Das zweite Revisionspaket enthielt die Vorlagen zur Spitalfinan- zierung und zu Managed Care. In der Spitalfinanzierungs-Vorlage wurden der Übergang von der Finanzierung des Spitalbetriebs hin zur Finanzierung der Leistungen sowie die Einführung von lei- stungsbezogenen Pauschalen beschlossen. Weiter wurde ent- schieden, dass sich die Kantone an der Finanzierung der Pau- schalen zu mindestens 55 Prozent beteiligen. Zudem wurde der Risikoausgleich verfeinert. Mit der Managed Care-Vorlage sollten integrierte Versorgungsnetze gefördert werden. Das Parlament hatte die Vorlage nach langer Diskussion in der Herbstsession 2011 verabschiedet, die Stimmbevölkerung hat sie aber im Juni 2012 mit über 76 Prozent deutlich abgelehnt.

 

 

2.2 Dringliche KVG-Teilrevision Massnahmen zur Kostensenkung

Ende Mai 2009 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft für eine dringliche KVG-Teilrevision zur Kostensenkung im Gesund- heitswesen zuhanden des Parlamentes. Darin schlug er unter anderem die Einführung einer Praxisgebühr oder eine ausser- ordentliche Erhöhung des Bundesbeitrags an die Prämienverbilli- gung vor. Mit den geplanten Sparmassnahmen sollte dem Anstieg der Krankenkassenprämien entgegengewirkt werden. In der Schlussabstimmung der Herbstsession 2010 scheiterte die Vorlage überraschend im Nationalrat.

 

2.3 Die Krankenkassen gehören zu den einflussreichsten sozialpolitischen Akteuren

Die Krankenkassen haben mit der Einführung des neuen KVG ihre Versicherungsangebote entsprechend ausgebaut. Zu diesen Ange- boten gehörten ausgeweitete Modelle der Selbstbeteiligung der Versicherten an den Behandlungskosten (Franchise). Weiter wur- den auch Versicherungsmodelle mit eingeschränkter Auswahl von Leistungserbringern eingeführt («managed care»-Modelle). In jüng- ster Zeit wurden von linker Seite Forderungen nach Einführung einer staatlichen Einheitskrankenkasse vorgebracht, die jeweils an der Urne abgelehnt wurden. Die Idee einer staatlichen Einheits- kasse wurde damit begründet, dass sie den Administrations- aufwand reduzieren und den Wettbewerb zwischen Kassen um Versicherte mit geringen Gesundheitsrisiken beseitigen würde. Krankenkassen und bürgerliche Parteien kritisierten das Modell,

 

 

weil es zu zentralistisch sei und dem Staat einen zu grossen Einfluss zugestehe.


3. Sparen bei der Gesundheit?

3.1 Politik betrieb den Ausbau der Gesundheitsversorgung intensiv

Die sogenannte «Kostenexplosion» beruhte auf einer Entwicklung, die lange Zeit politisch gewollt und gesellschaftlich unumstritten war. In den Boomjahren der Nachkriegszeit trieb die Schweiz den Ausbau ihres Gesundheitssystems bewusst voran. Gerade die Kantone trugen massgeblich dazu bei. Sie investierten seit den 1950er-Jahren verstärkt in das Gesundheitswesen, indem sie die Spitalinfrastruktur und das Angebot an medizinischen Dienst- leistungen massiv ausbauten.

 

3.2 Marktprinzipien gelten im Gesundheitswesen

Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens können wir seit der Einführung des KVG beobachten. Das KVG führte neue Kriterien zur Messung der Leistungen der Spitäler ein und schuf die Be- dingungen für mehr Wettbewerb unter den Leistungserbringern einerseits und den Krankenversicherern andererseits. Mit der im KVG 2012 festgesetzten neuen Spitalfinanzierung gilt nun etwa die

«Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringer» im Spitalwesen als zen- trales Kriterium bei der Tariffestsetzung. Die vermehrte Ausrich- tung nach ökonomischen Richtlinien ist politisch gewollt. Die Markt- mechanismen wirken denn auch bereits in weiten Teilen des

 

 

Gesundheitswesens, allerdings beispielsweise im Spitalwesen erst seit rund 4 Jahren.

 

3.3 «Kostenexplosion» oder «konstante Steigerung»?

Obgleich sich der Wettbewerb im Gesundheitswesen intensiviert und die Akteure nach mehr Wirtschaftlichkeit streben, schreitet die Kostensteigerung im Gesundheitswesen voran. Die Schweizer Prämienzahlerinnen und -zahler müssen gemäss Schätzung des BAG auch 2017 wieder durchschnittlich 4,5 Prozent mehr Kranken- kassenprämien berappen. In diesem Zusammenhang ist zuweilen von «Kostenexplosion» die Rede. Dieser Begriff ist indes nicht neu. Er kursiert im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen seit den 1960er-Jahren. Paradoxerweise bezeichnet die vielbe- klagte «Kostenexplosion» eine vergleichsweise langsame, über Jahrzehnte andauernde Entwicklung. Der Anteil des Gesundheits- wesens am BIP stieg von 5 Prozent um 1960 auf 7 Prozent in den 1980er-Jahren und auf 10 Prozent bis 2000. Seither bewegt sich dieser Wert zwischen 10 und 11 Prozent (Abbildung 1).

 

 

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Quelle: BFS, 2016, Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens Abbildung 1: Die Kosten des Schweizer Gesundheitswesens in Prozent des BIP (1995–2014), Anteil am Bruttoinlandprodukt zu laufenden Preisen

 

3.4 Das Schweizer Gesundheitssystem ist kosteneffizient

Heute verfügt die Schweiz über eines der qualitativ besten Gesundheitssysteme. In umliegenden Ländern wie Italien, Frank- reich oder Grossbritannien führt eine unterfinanzierte Spitalversor- gung zu Wartezeiten, Qualitätseinbussen und einer Zwei-Klassen- Medizin. Die Schweizer Patientinnen und Patienten würden solche Zustände zu Recht nicht akzeptieren.

 

 

Das für alle gleichermassen leicht zugängliche Schweizer Gesund- heitswesen hat bis anhin gute Dienste geleistet. Dank des medi- zinischen und technischen Fortschritts der vergangenen Jahr- zehnte liessen sich die Heilungschancen sowie die Lebensqualität für viele Patientinnen und Patienten erhöhen. So sank die Kinder- sterblichkeit und verbesserte sich die Überlebensrate bei verschie- denen Krankheiten wie Brustkrebs, Prostatakrebs oder Leukämie signifikant. Unser durchschnittliches Lebensalter von Mann und Frau stieg steiler an als in anderen Ländern.

 

Und obschon das Schweizer Gesundheitssystem zur Weltspitze gehört, muss es auch den Kostenvergleich nicht scheuen. Ver- gleichbare Länder wie Deutschland, die Niederlande, Frankreich oder Schweden weisen (2013) gemessen am Bruttoinlandprodukt gleich hohe oder leicht höhere Gesundheitskosten aus (Tabelle 1). Das Schweizer Gesundheitssystem zeichnet sich folgerichtig nicht nur durch seine hohe Behandlungsqualität, sondern ebenso durch seine Kosteneffizienz aus.

 

 

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Quelle: OECD StatExtracts, Datenstand März 2016, für die Schweiz BFS, 2015, Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens

Tabelle 1: Verhältnis der Gesundheitskosten zum Bruttoinland-

produkt in ausgewählten OECD-Ländern, 2013

 

3.5 Gründe der Kostenentwicklung

Verschiedene Studien kommen zum Schluss, dass der medizini- sche Fortschritt und die damit verbundene höhere Anspruchs- haltung in der Bevölkerung wesentliche Kostentreiber sind. Weitere Faktoren wie das Angebot an medizinischer Versorgung (Ärzte- dichte), die Bevölkerungsdichte oder die demografische Entwick- lung (Veränderung der Altersstruktur) beeinflussen die Kostenent- wicklung im Gesundheitswesen jedoch auch.

 

Die Preise bzw. Tarife pro medizinische Leistung spielen hingegen bei der Kostenentwicklung eine untergeordnete Rolle. Diese sind in der Vergangenheit im OKP-Bereich nicht stärker als der Landes- index für Konsumentenpreise (LIK) gestiegen. Der LIK hat sich zwischen 2004 und 2014 um insgesamt 5,0 Prozent erhöht, wäh- rend die gesamten Leistungskosten in der OKP im selben Zeitraum

 

 

um 49,6 Prozent zugenommen haben. Die Kostenentwicklung ist somit praktisch ausschliesslich auf die Mengenentwicklung bei den medizinischen Leistungen zurückzuführen, welche aufgrund der oben erwähnten Faktoren stetig zunehmen.

 

3.6 Medizinischer Fortschritt und Bevölkerungsentwicklung sind Hauptkostentreiber

Die Kostensteigerung ist in den letzten 15 Jahren etwas abge- flacht. Heute wachsen die Kosten hauptsächlich aufgrund des technologischen Fortschritts und neuer Behandlungsmethoden, auf die unsere Gesellschaft nicht verzichten will. Gleichzeitig steigt die Nachfrage aufgrund der Zuwanderung und der steigenden Lebens- erwartung.

 

Die demographische Entwicklung trägt ihrerseits zur Kostensteige- rung bei, indem sich eine erhebliche Verschiebung hin zu einem deutlich höheren Anteil der Bevölkerung über 64 und über 80 Jahren ergibt. Gründe dafür sind die verhältnismässig niedrigen Geburtenraten, die steigende Lebenserwartung und die Nachwir- kungen der Babyboom-Generation. Die Lebenserwartung ist seit 1960 um gut zehn Jahre gestiegen. Diese Hauptkostentreiber lassen sich kaum ausschalten.

 

4. Ein Vergleich KVG und UVG – zwei unterschiedliche Sozialversicherungen

In der Debatte über die Einheitskasse wurde die Suva oft als Mo- dell für eine staatliche Monopolkrankenkasse dargestellt. Der Ver- gleich hinkt. Kranken- und Unfallversicherung unterscheiden sich fundamental.

 

Der grösste Unterschied zwischen Kranken- und Unfallversiche- rung liegt in der Wahlfreiheit der Kunden. Während sich der Einzel- ne seinen Krankenversicherer selber aussuchen kann, wird die Unfallversicherung durch den Arbeitgeber vorgegeben.

 

Die Unfallversicherung schützt vor den wirtschaftlichen Folgen von Berufsunfällen, Berufskrankheiten und Nichtberufsunfällen. Sie ist seit 1984 für Arbeitnehmende obligatorisch und wird mit Prämien finanziert, welche in Promillen des versicherten Verdienstes fest- gesetzt werden. Die Prämien für die Versicherung der Berufs- unfälle und Berufskrankheiten gehen zulasten des Arbeitgebers, diejenigen für Nichtberufsunfälle gehen grundsätzlich zulasten der Arbeitnehmenden.

 

4.1 Naturalleistungsprinzip – Kostenvergütungsprinzip

Die Leistungen der Unfallversicherer werden im Naturalleistungs- prinzip erbracht: Die medizinische Leistung wird vom Versicherer in Auftrag gegeben.

 

 

Der Versicherer hat somit die Möglichkeit, die medizinischen Lei- stungen selber zu erbringen (eigene Kliniken) oder an Dritte zu übertragen und damit direkt Einfluss zu nehmen auf den Ablauf sowie die Entwicklung von Behandlungen und medizinischen Massnahmen.

 

Im Gegensatz dazu erbringen die Krankenversicherer ihre Leistun- gen im Kostenvergütungsprinzip: Auftraggeber der medizinischen Leistung ist der Versicherte. Der Krankenversicherer hat keine Möglichkeit, eine Behandlung gegen den Willen des Versicherten zu steuern oder Einfluss zu nehmen.

 

4.2 Im Gegensatz zur Krankheit ist der Unfall ein klar definiertes Ereignis

Das «Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialver- sicherungsrechts» definiert, was ein Unfall ist und was eine Krankheit. Darin ist der Unfall ein klar begrenztes Ereignis, wäh- rend die Krankheit alle anderen Beeinträchtigungen der körper- lichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalls sind, umfasst und für die Krankenversicherer kosten- pflichtig ist.

 

4.3 Die Krankenversicherer unterliegen dem Kontrahierungs- zwang, während die Unfallversicherer ihre Leistungs- erbringer auswählen

Gegenüber den Unfallversicherern stehen die Leistungserbringer unter Druck, effizient und effektiv zu arbeiten. Tun sie das nicht,

 

 

werden sie künftig nicht mehr berücksichtigt. Dies im Gegensatz zu den Krankenversicherern, die per Gesetz (noch) verpflichtet sind, mit allen anerkannten Leistungserbringern abzurechnen, unge- achtet ihrer Effizienz und Qualität.

 

4.4 Die Unfallversicherer bestimmen, welche Behandlungen zu ihren Lasten durchgeführt werden dürfen

Der Unfallversicherer entscheidet, welche Behandlungen zu ihren Lasten durchgeführt werden dürfen. Im Vergleich dazu sind die Krankenversicherer verpflichtet, sämtliche Leistungen, die Teil der Krankenpflegeverordnung sind, zu vergüten. Zudem ist es ihnen untersagt, Kosten für Leistungen ausserhalb der Verordnung zu übernehmen, auch dann, wenn diese für die jeweilige Behandlung Sinn machen würden.

 

4.5 Das Versicherten-Kollektiv

Die obligatorische Krankenpflegeversicherung ist eine Sozial- versicherung, die per Gesetz auch Kinder, Kranke, Invalide sowie alte Menschen aufnehmen muss, welche ihrerseits potenziell hohe Kosten verursachen. Die demographische Entwicklung der Schweiz hat ausserdem zur Folge, dass die Behandlung und Betreuung älterer Menschen immer höhere Kosten verursacht. Faktoren, die bei den Unfallversicherungen nicht zum tragen kommen, weil der Versicherungsschutz mit der Pensionierung hinfällig wird.

 

 

4.6 Heilungskosten – Renten – Taggelder

Die Krankenversicherer bezahlen pro Jahr rund 20 Mrd. Franken Heilungskosten. Gemessen an den Ausgaben aller Sozialversiche- rungen (152 Mrd. Franken) ist die Unfallversicherung mit 4,4 Prozent der fünftgrösste Sozialversicherungszweig. Die Ausgaben werden zu 29,0 Prozent für Heilungskosten, zu 27,6 Prozent für Taggelder und zu 29,0 Prozent für Renten und Kapitalleistungen verwendet.

 

 

Rehabilitation – eine Bilanz der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Krankenversicherungsrecht

 

Ueli Kieser*

 

 

  1. Rechtliche Grundlagen

Das Krankenversicherungsrecht bezieht sich in eigentlich nur sehr wenigen Bestimmungen auf die medizinische Rehabilitation. In begrifflicher Hinsicht ist die medizinische Rehabilitation vorab ab- zugrenzen beispielsweise von der sozialberuflichen Rehabilitation; diese wird in Art. 14a Abs. 2 lit. a IVG ausdrücklich als Ziel der Integrationsmassnahme erwähnt. Eine Abgrenzung hat sodann gegenüber allfälligen Leistungspflichten aus einer Zusatzversiche- rung zu erfolgen.1

 

Die krankenversicherungsrechtliche Rehabilitation bildet einen Teil der vergütungsfähigen Leistungen im Bereich der Krankenver- sicherung. Art. 25 Abs. 2 lit. d KVG hält nämlich fest, dass die ent- sprechenden Leistungen «die ärztlich durchgeführten oder ange-

Prof. Dr. iur. Ueli Kieser, Rechtsanwalt, Zürich/St. Gallen.

1      Dazu als Anwendungsfall Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 9. Januar 2014, KK.2012.00017. Danach ist ein Leistungsausschluss für die medizinische Rehabilitation nicht branchen- üblich; dies fällt unter dem Gesichtspunkt der Ungewöhnlichkeit einer allfälligen Regelung ins Gewicht.

 

 

ordneten Massnahmen der medizinischen Rehabilitation» umfas- sen. Art 7 Abs. 2 lit. b Ziff. 11 der Krankenpflegeleistungsverord- nung (KLV) bestimmt zudem, dass «pflegerische Massnahmen bei Störungen der Blasen- oder Darmentleerung, inkl. Rehabilitations- gymnastik bei Inkontinenz» Teil der Leistungspflicht der Kranken- versicherung darstellen.

 

Bezogen auf die Rechnungsstellung erfasst das Krankenver- sicherungsrecht die Rehabilitation ebenfalls. Art. 59abis KVV (mit dem Randtitel «Rechnungsstellung im ambulanten Bereich und in den Bereichen Rehabilitation und Psychiatrie») legt fest, dass das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) für den ambulanten Bereich sowie die Bereiche Rehabilitation und Psychiatrie ausfüh- rende Bestimmungen zur Erhebung, Bearbeitung und Weitergabe der Diagnosen und Prozeduren unter Wahrung des Verhältnis- mässigkeitsprinzips erlässt.

 

Bei dieser Ausgangslage – eben: sehr knappe gesetzliche Bestim- mungen – ist offensichtlich, dass der Rechtsprechung zur medizini- schen Rehabilitation grosses Gewicht zukommt. Auf die Recht- sprechung sind denn auch Begriffsschärfungen und Abgrenzungen zurückzuführen. Es sind deshalb nachfolgend die wesentlichen Entscheide zu den interessierenden Aspekten zu nennen.

 

2. Arten der medizinischen Rehabilitation

2.1 Zum Begriff der Rehabilitation

«Rehabilitation ist der koordinierte Einsatz medizinischer, sozialer, beruflicher und technischer Massnahmen zur Funktionsverbesse- rung, Schulung und Umschulung sowie zur Anpassung eines Be- troffenen, aber auch seines Umfeldes im Hinblick auf die Wieder- erlangung der bestmöglichen funktionellen Leistungsfähigkeit.»2 Es fällt nicht leicht, Prädiktoren für den Outcome der Rehabilitation zu finden, doch deutet Verschiedenes darauf hin, dass eine Rehabili- tationsbehandlung umso erfolgreicher ist, je «körperlicher» der An- lass zur Behandlung ist; weniger erfolgversprechend ist, wenn der Anlass für die Rehabilitation psychisch oder sozial ist.3

 

2.2 Nachbehandlung einer Krankheit

Die im direkten Anschluss an eine Krankheitsbehandlung erfolgen- de Rehabilitation wird – sprachlich nicht ganz korrekt – als Nach- behandlung bezeichnet.4 Auf diese Art der Rehabilitation bezieht sich das Bundesgericht in verschiedenen Entscheiden.5 Durch eine solche Rehabilitation soll die durch eine Krankheit oder durch die Behandlung selbst hervorgerufene Beeinträchtigung der Leistungs-

2      So Forster, Rehabilitation, 232.

3      Dazu Forster, Rehabilitation, 237.

4      So etwa bei Eugster, Krankenversicherung, Rz. 456 f. Sprachlich ist die Formulierung deshalb nicht korrekt, weil ja eben eine Rehabilitation und nicht eine «Behandlung» vorliegt.

5      Vgl. etwa die bei Eugster, Krankenversicherung, Rz. 456, zitierten Ent- scheide 9C_1008/2012, BGE 126 V 323 oder RKUV 2000 340.

 

 

fähigkeit wieder korrigiert werden. Die entsprechende Rehabilita- tion erfolgt in einem breiten Spektrum der Medizin; die Literatur nennt die kardiologische, die pulmologische, die orthopädische oder die neurologische Rehabilitation.6

 

2.3 Medizinische Rehabilitation von Chronischkranken / geriatrische Rehabilitation

Dieser Bereich der Rehabilitation zeichnet sich dadurch aus, dass die Erhaltung und – allenfalls – die Verbesserung des noch ver- bliebenen Funktionsvermögens im Vordergrund stehen.7 Es muss also jedenfalls ein bestimmtes Rehabilitationspotenzial bestehen. Dieses Potential bedeutet, dass nach wissenschaftlich begründeter Erfahrung mit einer Verbesserung des Funktionsvermögens unter vernünftigem Therapieaufwand gerechnet werden kann bzw. – bei progredienter Erkrankung – wenigstens mit einer Stabilisierung.8

6      So Eugster, Krankenversicherung, Rz. 457; vgl. dazu auch die einzelnen Bereiche in Anhang 1 der Krankenpflegeleistungsverordnung, Ziff. 11.

7      Dazu BGE 126 V 323.

8      So die Umschreibung bei Eugster, Krankenversicherungsrecht, Rz. 457 Dieser Autor bezieht sich auf Urteil 9C_413/2012, E. 4; in diesem Urteil musste der Anspruch auf Rehabilitation bei Multipler Sklerose beurteilt werden. Vgl. dazu auch Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. November 2012, KV.2012.00037 (Kostenüber- nahme einer mehrwöchigen stationären Rehabilitationsbehandlung bei Multipler Sklerose verneint).

 

 

2.4 Rehabilitation von Toxikomanen

Dieser Bereich wird von der Literatur ebenfalls zur Rehabilitation gezählt.9 Es geht um Suchtkrankheiten, bei deren Behebung ge- gebenenfalls die Krankenversicherung die Kosten zu vergüten hat.


3. Durchführung der Rehabilitation

3.1 Ambulante Rehabilitation

Im Vordergrund des Leistungsspektrums steht die ambulante Be- handlung. Die Rechtsanwendung geht grundsätzlich davon aus, dass mit einer ambulanten Behandlung die Rehabilitationsziele er- reicht werden können. Es ist also bei der Rechtsanwendung primär zu klären, ob eine ambulante Behandlung ausreicht oder ob – in- soweit sekundär – ein Aufenthalt in einer Kuranstalt oder eine stationäre Behandlung erforderlich ist.

 

3.2 Kuraufenthalt