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Die großen Western
– 198 –

Jäger ohne Gnade

Joe Juhnke

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-833-0

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»Wir warten noch auf einen Mann, Henning, dann reiten wir ins Indianerland und holen uns Liberty Cane.« Rancher Hartford stampfte durch die Halle seines Hauses. Seine Gedanken waren finster wie der Ausdruck seines Gesichtes. Seit Cane vor einem Monat aus dem Gefängnis in Kinsley ausgebrochen war, fand er keine Ruhe mehr.

Sam Hartford fühlte sich bedroht, denn er wußte, Cane würde irgendwann zurückkehren und Rechenschaft fordern für den Verrat, den er an ihm begangen hatte.

Hartford trat zum offenen Kamin und nahm einen Drink.

Von hier aus musterte er die Männer, die er um sich versammelt hatte. Sie flegelten sich in seinen kostbaren Möbeln, als wären sie hier zu Haus. Aber er brauchte sie, er hatte sie gerufen.

Henning, der als einer der berüchtigsten Scharfschützen im Mittelwesten galt. Rush Tratter, das Blatternarbengesicht, ein Mann ohne Gewissen mit einer schnellen Schußhand. Lee van Dreesen, der seit Jahren auf der blutigen Fährte des Kopfgeldjägers ritt. Das Halbblut Scane, der ihm als bester Fährtensucher im Distrikt bekannt war. Und William Terell, hinter dem in anderen Staaten ein paar Steckbriefe her liefen.

Übles Volk, das er unter anderen Umständen niemals in seinem Haus geduldet hätte.

»Kennst du Big Mac?« fragte er Henning.

Henning, ein hochaufgeschossener, hagerer Texaner mit Zwirbelbart und buschigen Augenbrauen, nickte zögernd. »Big Mac ritt nach dem Krieg für Bloody Bill Anderson, ehe er sich selbständig machte und Menschen jagte. Wenn es derselbe Mann ist, kenne ich ihn, Boß.«

Er nannte Hartford Boß, was sonst nicht seine Art war. Er galt als Einzelgänger, der keinem Menschen traute. Aber Rancher Hartford hatte ihm eine beträchtliche Summe geboten. Dafür hatte er ihm seine Colts verliehen.

»Er ist der Mann«, sagte der Rancher und trat zur Verandatür. Er blickte gedankenverloren durch das weite Land, das sein eigen war, und hörte im Rücken Hennings knarrende Stimme.

»Big Mac muß ein alter Mann sein, Boß.«

»Big Mac ist achtunddreißig und kein Jahr mehr, Henning!« rief er scharf. »Sicher, er ist nicht mehr der Jüngste, aber er steckt euch noch alle in die Tasche. Ihr werdet ihn erleben. Haut euch in die Kojen. Wenn wir ins Indianerland reiten, habt ihr kaum Gelegenheit zum Schlafen.«

Hartford hielt es in der Halle nicht aus. Er wanderte nach draußen, ließ sich einen Gaul satteln und jagte ziellos durch die Hügel.

Als er am späten Abend zurückkehrte, sah er den fremden Gaul im Corral. Ein knochiger schwarzer Hengst, der zornig wiehernd einen Wallach attackierte.

Noch ehe er Big Mac auf der Terrasse entdeckte, wußte er, sein Mann war gekommen.

Big Mac erhob sich aus dem Lehnstuhl, federnd und elastisch.

»Hallo!« grüßte der Hüne und hob lässig eine Hand.

»Gott sei Dank!« rief der Rancher und eilte die breite Treppe hoch. »Es wird Zeit, daß du kommst.«

Sie begrüßten sich wie alte Freunde. Dann fragte Hartford, ob Mac die anderen gesprochen habe.

Big Mac nickte grinsend. »Die Ausgeburt der Hölle, Sam. Willst du einen Krieg in Kansas führen?«

»Krieg gegen Liberty Cane.«

»Unser Liberty Cane? Ich dachte, Cane ist schon lange tot!«

»Das dachten auch andere«, erwiderte der Rancher ruhig. Er setzte sich auf der Bank nieder und füllte zwei Gläser mit Brandy. »Aber vor einem Jahr tauchte Cane überraschend in Kinsley auf, ließ verbreiten, daß er mich suche, und stand eines Tages vor meiner Tür. Du kannst dir denken, was er wollte.«

Big Mac nickte zögernd. »Wo war er in den letzten Jahren?«

»Keine Ahnung.«

»Ist er noch so wie früher?«

Hartford lachte bissig, als er die Schulter entblößte. »Cane ist wie ein Raubtier. Hier hat er mir ein Ding verpaßt, als er hörte, daß für ihn nichts mehr zu holen ist. Die Kugel in meiner Schulter war nur eine Warnung, Big! Er hätte mich töten können. Ich kannte die Gefahr und habe ihm den Marshal auf den Hals gehetzt. Im Niemandsland hat die Posse ihn erwischt und nach Kinsley gebracht. Aber Marshal Ellins konnte ihn nicht lange halten, denn Cane schoß sich vor der Gerichtsverhandlung den Weg aus dem Gefängnis frei. Dabei verletzte er einen Deputy Marshal schwer. Seitdem habe ich Angst, daß der Bastard es noch einmal bei mir versucht.«

»Hat Cane Freunde?«

»Ohne das Pack aus dem Indianerterritorium wäre Cane nie aus dem Jail gekommen. Ich denke an Ringo Laurens und Cass Walker. Sie stecken mit Cane irgendwo draußen im Indianerdesert und brüten etwas gegen mich aus. Deshalb habe ich diese Scharfschützen gerufen.«

»Wir hätten ihn nicht betrügen sollen, Sam«, meinte der Hüne nachdenklich. »Damals dachten wir beide, er sei tot. Jetzt ist es zu spät, den Fehler gutzumachen. Du kennst doch Cane. – Wann brechen wir zur Jagd auf, Sam?«

»Morgen früh bei Sonnenaufgang. Wir ziehen raus ins Brachland. Irgendwo in der Nähe der Cotton Holes soll Cane hausen. Dort stellen wir ihn.«

*

Shane blickte zum Sattelkamm im Westen. Zwei Reiter hielten dort oben ihre Pferde an.

Schon am Morgen war er einem stark bewaffneten Reiterrudel im welligen Hügelland begegnet. Sie hatten es eilig und ihn nicht bemerkt.

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dieses Niemandsland war ein Stück Hölle, auf das der feurige Sonnenball seine Kraft niederschleuderte. Es war an der Zeit, daß er diese Durststrecke hinter sich brachte.

Shane war auf dem Weg nach Donnercreek, um von dort die Kutsche nach Dodge City zu nehmen. Dort wollte er sich mit seinem alten Freund Christ Maledon treffen.

In ein oder zwei Tagen, so hoffte er, war er aus dieser Wüste heraus. Seine Vorräte wurden knapp. Doch was ihm größere Sorgen machte, ihm fehlte Wasser.

Die Reiter am Hügel waren verschwunden.

»Los, Pferd!« munterte er seinen Pinto auf, »reiten wir weiter, ehe uns die Sonne vollends austrocknet.«

Als es dunkel wurde, stieß Shane auf ein altes Fort. Es mußte noch aus dem Krieg stammen oder aus der Zeit davor, denn Sonne und Regen hatten die Palisaden zerstört. Der hölzerne Turm stand noch. Im Rondo gab es Steinruinen, und der weite Platz war von Distelgesträuch und sonstigem Unkraut mannshoch überwuchert.

Shane suchte den Brunnen. Als er ihn fand, erkannte er enttäuscht, daß er ausgetrocknet war.

Er suchte den Schatten der Ruine, sattelte seinen Pinto ab und teilte mit ihm die Wasserreste aus seiner Canteen.

Er schleppte den Sattel in eine der dachlosen Hütten und warf ihn in einer Ecke nieder. Dann rollte er die Bettrolle aus, setzte sich und kramte aus den Satteltaschen ein paar trockene Biskuits.

Er dachte lächelnd an seinen Freund Maledon, der so verrückt war, in Dodge einen Marshalstern zu tragen und legte sich nieder.

In der Morgendämmerung schlug sein Gaul unruhig mit den Hufen.

Shane kannte dieses Warnzeichen. Wahrscheinlich waren Kojoten in das alte Fort eingebrochen und wagten sich an das Pferd heran.

Er richtete sich auf und jagte eine Salve über die Fensterbank in das nahe Distelgesträuch.

Als er den Karabiner auflud, sah er für Sekunden einen menschlichen Schatten am zerfallenen Brunnen. Im gleichen Augenblick prallten in seiner rechten Flanke ein paar Geschosse in das morsche Gemäuer.

Staub und Dreck schlugen ihm ins Gesicht, und für einen Augenblick war er blind vor Schmerz.

Als er die Bandana vom Hals riß, bellte eine harte Stimme auf. »Wirf deine Eisen raus, Liberty Cane, oder wir machen dir ein Feuer unter dem Hintern!«

Shane kauerte wachsam an der Brustwehr. Das hier waren keine Bush­hawker, die im Badland lebten. Diese Kerle suchten jemanden.

»He, ihr neurotischen Gun Crazys«, rief er wütend, »ich bin nicht der Mann, den ihr sucht!«

»Dann bist du Lauxens oder Walker! Egal, du Bastard, wir haben dich in der Zange!« schrie der Schütze am Brunnen.

Und so, als wollte es sein Begleiter bestätigen, klatschte eine neue Ladung Blei ins Gemäuer. Der zweite Schütze mußte irgendwo hinter ihm in den Büschen stecken.

Diesem Gedanken folgend, warf Shane sich nieder, rollte bis zum zerfallenen Eingang und jagte zwei Kugeln zum Brunnen hinüber.

Gleichzeitig suchte er nach einem Fluchtweg.

Sein Gaul stand zu weit entfernt, um ihn lebend zu erreichen.

Als er sich vorsichtig aufrichtete, kollerte in seinem Rücken Gestein. Noch ehe er herumfuhr, warnte ihn eine sanfte Stimme: »Bleib, wie du stehst, Ringo. Wirf die Kanone weg und schnall den Gurt ab.«

Shane war ein erfahrener Kämpfer. Er erkannte instinktiv, daß er keine Chance hatte. Er ließ den Karabiner fallen und löste ohne Umstände den Gurt.

»Seid ihr Deputys oder gehört ihr zu einer Posse?« fragte er.

»Du brauchst keinen Deputy und auch kein Aufgebot, Ringo. Du brauchst nicht mal einen Popen. Wir hängen dich dort drüben am alten Turm auf und empfehlen deine Seele dem Teufel. Okay, und nun marschier durch die Öffnung. Mein Freund Terell ist schon ungeduldig.«

Shane hob die Hände in Schulterhöhe. Er hoffte, daß die beiden Halunken, die ihn hier bedrohten, nur Wirbel machten. Doch als er nach draußen marschierte, blickte ihm ein kaltes, hartes Gesicht entgegen, von dem er nichts Gutes zu erwarten hatte.

»Ich heiße nicht Cane«, sagte Shane ruhig, obwohl es in ihm brodelte, »ich nenne mich auch nicht Ringo, Jungs. Mein Name ist Shane. Ich bin auf der Durchreise nach Dodge. Wenn ihr es nicht glaubt, fragt meinen Gaul.«

Sein Witz kam nicht an.

Er spürte an dem heftigen Schlag eines Revolverknaufs im Rücken, daß die Bastarde keinen Spaß verstanden.

»Los jetzt!« forderte der Schläger, »marschier rüber zum Fortturm. Wir haben keine Zeit und könnten den Anschluß verlieren.«

Am Turm angelangt, hob Terell sein Lasso von der Schulter und warf es über einen vorspringenden Balken. »Binde ihm die Hände, Summer, und hole seinen Gaul!« rief der Halunke ungeduldig.

Er wartete, bis Summer den Gefangenen gebunden hatte. Dann prüfte er die Haltbarkeit des Gebälks und schob Shane die Schlinge über den Kopf.

»Ihr hängt den Falschen!« fluchte Shane wütend, als sie ihn auf den Rücken seines Pintos hoben, »ich gehöre nicht zu dem Gesindel, das hier draußen haust.«

Summer betrachtete ihn mißtrauisch. »Wer weiß schon, wer er ist. Hängen wir ihn auf, es wird schon nicht den Falschen treffen. Der Boß wird nachher entscheiden, ob er Liberty Cane ist. Oder Walker oder Laurens. Ziehe am Strick, William, ich möchte weiter.«

Shane schloß hilflos die Augen. Er wußte, Worte halfen nichts. Er war ein paar Narren begegnet, denen es nicht darauf ankam, einen Unschuldigen zu hängen oder einen Verbrecher.

Aus… Ende, dachte er.

*

»Ihr hängt wirklich den Falschen, Jungs!« lachte plötzlich eine spröde Stimme im Gebälk des Turmes. »Wenn ihr Ringo Laurens sucht, müßt ihr schon den Kopf heben. Hier oben bin ich zu finden.«

Terell ließ die Leine fahren. Seine Rechte glitt blitzschnell zur Hüfte. Summer feuerte bereits ins Gebälk, als aus dem Halbdunkel zwei grelle Blitze fuhren.

William Terell schlug vornüber aufs Gesicht, während sein Partner sich zweimal um die eigene Achse drehte, ehe er, noch immer feuernd, zusammenbrach.

Shane suchte überrascht seinen Retter, der nun, als die Auseinandersetzung beendet war, behend aus dem Gebälk des Turmes turnte und vor ihm niedersprang.

Shane sah ein sommersprossiges Gesicht, das sich nun über Terell beugte und dann über den zweiten Toten. Der Fremde nahm ihre Waffen und richtete sich auf.

»Du hast Glück gehabt, daß ich in der Nähe war, Stranger«, lachte er und löste Shanes Handfesseln, »ein paar Minuten später – und du wärst deinen Ahnen begegnet. Diese Bastarde fragen nicht. Sie töten und verscharren dich wie einen Köter.«

Shane nickte dankend. Er schob die Schlinge über den Kopf und rutschte vom Pferderücken.

»Du kennst die beiden?«

Sein Retter nickte sarkastisch.

Shane schätzte ihn auf fünfundzwanzig bis dreißig Jahre. Sein langes Haar war feuerrot. Er trug sein Halfter tief, in dem eine langläufige Single steckte.

»Du hättest die beiden nur zu verletzen brauchen und in die nächste Stadt schleppen können. Der Richter…«

»Mann«, knurrte der andere und lachte dann, »du reitest im Niemandsland und redest wie ein Wanderprediger. Hier gibt es keinen ehrlichen Marshal und keinen Richter. Wir hier draußen leben nach eigenen Gesetzen. Terell und Summer sind nur zwei miese Bastarde einer Höllenbrut, die uns das Leben zur Hölle macht. Nimm deine Waffen und sattle deinen Gaul, und stell keine weiteren Fragen. Wir müssen von hier verschwinden.«

Er warf Shane seine Waffen zu und deutete nach Osten, wo eine Staubwolke über dem Buschland wehte. »Wenn die Kerle uns erwischen, hängen wir beide eine Stunde später zwischen diesen Pfosten. Sattle also deinen Pinto und warte auf mich.«

Er verschwand eilig durch den verfallenen Ausgang.

Shane führte schweigend seinen Pinto zum Lagerplatz und sattelte ihn.

Nachdenklich blickte er in die Richtung, aus der sich fremde Reiter näherten.

Ringo Laurens tauchte wieder auf. Er saß im Sattel eines gescheckten Indianerponys und führte zwei Gäule im Schlepp.

»Wir werden sie gebrauchen, wenn die Meute uns hetzt. Nimm den Grauen, dann hast du ein Pferd zum Wechseln. Was gibt es sonst noch für Unklarheiten?« fragte Laurens, als Shane zögerte.

»Wer sagt dir, daß ich mit dir reite?« fragte er abweisend.

»Dein Verstand, Freund. Aber du hast ja noch ein paar Minuten zum Überlegen.« Er wandte die Pferde und trabte zum Tor. Hier hielt er noch einmal an und grinste herausfordernd.

»Hast du auch einen Namen, Freund?« rief er hinüber. »Vielleicht komme ich irgendwann noch einmal hier vorbei. Ich werde dir dann ein Kreuz basteln und deinen Namen in Holz ritzen.«

Shane spürte die verdeckte Warnung. Er blickte noch immer unschlüssig nach Osten, wo die ersten Reiter aus den Büschen brachen. Sie trugen lange staubige Mäntel wie Terell und Summer und schwangen wild ihre Karabiner.

Sein Instinkt sagte ihm, daß er von dort nichts Gutes zu erwarten hatte. Deshalb schwang er sich behende in den Sattel, griff nach den Zügeln des Grauen und trabte zu dem wartenden Fremden hinüber.

»Nenn mich Shane«, sagte er barsch, »und dann zeig mir die Fährte, auf der wir den Kerlen entwischen können. Ich möchte nicht noch mal einen Strick um den Hals spüren.«

*