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Lisa Lercher

Besser tot als nie

Kriminalroman

Liebe glaubt alles, hofft alles …

Wenn der Hofrat Geiger das Mariandl als seine Tochter erkennt, kommen mir immer die Tränen. Dabei habe ich den Film sicher an die 50 Mal gesehen. Die Szene rührt mich immer noch, wie beim ersten Mal. Das ungläubige Erstaunen, die Erkenntnis, die sich langsam in den gereiften Zügen Rudolf Pracks breit macht, und dann der liebevolle Blick, als sich die beiden begegnen.

Der Picknickkorb ist weg. Ich habe nachgeschaut. Rolf ist gegen neun zur Arbeit gefahren, wie immer. Außentermine, schwer erreichbar, hat er mich wissen lassen. Er hat mich auf die Stirn geküsst, den Kaffee im Stehen hinuntergestürzt. Spät dran, war sein Kommentar, bevor er die Haustür hinter sich zugezogen hat.

Opa Windischgruber streitet mit dem Gustl Pfüller. Keiner bringt den Grantscherm so gut rüber wie der Moser. Der Pfüller bemüht sich, Eindruck bei der Marianne Mühlhuber zu machen. Er, der wohlhabende Hotelier, weiß, dass sie dringend Geld braucht, um das heruntergekommene Wirtshaus wieder in Schuss zu kriegen. Die Haas zu ihrer besten Zeit: strahlend, fraulich, kompetent. Der Gunther Philipp als Pfüller, ein Alkoholiker. Der Vorspann zur Leberzirrhose, ein Kasperltheater. Ich drücke auf Replay, die Szene ist einfach großartig.

Den Picknickkorb habe ich zufällig entdeckt. Der Hobbyraum ist Rolfs Reich. Darin habe ich genau so wenig verloren, wie er in meiner Galerie. Meine Seidenmaltücher interessieren ihn sowieso nicht. Manchmal spanne ich eines davon auf einen Rahmen und hänge es im Wohnzimmer auf. Blühende Marillenbäume sind es diesmal. Die Frühlingsstimmung passt perfekt zur cremefarbenen Couch.

Peter Weck ist ein Hallodri. Kein Wunder, dass sich der Prack-Hofrat Sorgen um das Wohl seiner Conny-Tochter macht und den potenziellen Liebhaber väterlich streng in die Schranken verweist. Aber die Liebe ist größer. Der Peter lässt nicht von seiner Conny-Mariandl und gibt dafür sogar sein Casanovaleben auf. So wie jeder Mann, wenn er endlich die Richtige gefunden hat.

Der Kreditkartenbeleg hat mich stutzig gemacht. Pension Weinheber in Dürnstein, im Juni. Da hat Rolf einen Prüfauftrag in der Steiermark erledigt. Ich bin ganz sicher, Bruck an der Mur, hat er gesagt. Zwei Tage später habe ich in Dürnstein angerufen. Herr Lohmeier mit Gattin, ja, hat die Frauenstimme am Telefon bestätigt. Mein Körper hat prompt reagiert. Brechdurchfall. Ich bin immer schon empfindlich gewesen.

Franzi, die Haushaltshilfe, kocht Franzl, den Hofrat, ein. Er bleibt unnahbar, zurückhaltend, Gentleman. Und Frauenschwarm. Dabei steht das Angebot verlockend vor ihm. Keine Chance. Er behandelt seine Perle höflich, distanziert, kann sich beherrschen. Denkt vielleicht an die alte Liebe in der Wachau? Hat sie auf einen Sockel gestellt. So hat keine neben ihr Platz.

Sie heißt Judit und arbeitet in St. Pölten. Blond, schlank, sportlich. Mindestens zehn Jahre jünger als ich. Klassisch. Wenn es ein Film wäre, würde ich den Kopf schütteln und nach dem nächsten Soletti greifen. Die Geschichte geht schon über ein Jahr. Natürlich habe ich etwas gemerkt. Stress im Job, Gerüchte über eine bevorstehende Ausgliederung – er hat mir viele Anhaltspunkte geliefert und jeden zweiten Samstag mit mir geschlafen. Also wieso gleich an so etwas denken?

Auch die Marianne Mühlhuber hat zu kämpfen. Der Pfüller lässt nicht locker, obwohl ihm der Opa Windischgruber die Annäherungsversuche bei der Mariann übel nimmt. Er hält nichts von dem reichen Hotelier. Die Haas ist pragmatisch – die große Liebe ist es nicht. Wie auch, mit Rudolf Prack als Herzensbrecher? Neben dem weltgewandten Helden kann der tollpatschige Philipp nicht bestehen. Aber die Schulden, die auf dem alten Gasthof lasten, sind ein zu gewichtiges Argument. Eine Vernunftehe scheint trotz Intervention der Tochter und des grantigen Opas möglich. Frauen müssen Opfer bringen. Das war immer schon so. Ich schnäuze mich in mein Taschentuch.

Ich kenne Rolf. Er würde es abstreiten. Mir wahrscheinlich auf den Kopf zusagen, dass ich spinne und mir alles nur einbilde. Er ist rhetorisch überzeugend. Nicht umsonst hat er all diese Kurse besucht. Wahrscheinlich war auch der Picknickkorb eine Fata Morgana. So wie die Geflügelpastete, die ich am liebsten mit Rattengift versetzt hätte.

Die Mühlhuber weist den Hofrat Geiger zurück. Hat er sich all die Jahre nicht um sie und das Kind gekümmert, braucht sie ihn jetzt auch nicht mehr. Verletzter Stolz. Ich versteh’ sie gut. Auch wenn sie dafür den Pfüller in Kauf nehmen muss. Der Hofrat ist gekränkt. Hat wahrscheinlich geglaubt, dass alles wieder gut ist, wenn er im Bild erscheint. So einfach wollen wir es den Männern aber nicht machen.

Dass er meine Herztabletten mit seinen Muntermachern verwechselt hat, ist glaubwürdig. Bei der Kurzsichtigkeit! Für Brillen ist er zu eitel. Ein fataler Irrtum. Die Romantik wird schnell dahin sein, wenn er sich mit Schaum vor dem Mund unter Krämpfen windet. Da wird selbst ihr das Tiramisu nicht mehr schmecken. Panik wird ausbrechen, während sich seine Finger um die Picknickdecke krampfen. Vielleicht wird sie schreien, die Enten in den Donauauen erschrecken.

Mariann und Mariandl singen. Das Lied vom Wachauerlandl, Landl und dem Herz am Bandl, Bandl. Romantisch vereint, unter Bäumen, dahinter der Donaustrom, der nicht schuld ist, genauso wenig wie der Wein. Rudolf Prack hört dem Haas-Froboess-Duo andächtig zu. Ein wenig melancholisch noch, Erinnerungen und viele vergebene Jahre, die man doch zu zweit hätte …? Aber vorbei ist vorbei. Sich lieber dem Jetzt zuwenden. Herbstliches Lebensglück. Ein heimeliges Kaminfeuer. Gemeinsam alt werden.

Rolf steht in der Tür. Einundzwanzig rote Rosen, zu unserem Hochzeitstag. Mir fällt vor Schreck die Fernbedienung aus der Hand. Er zeigt den Picknickkorb. Ich soll mich anziehen, wir fahren ins Grüne. Für das Picknick kennt er ein lauschiges Platzerl in den Donauauen. Nur wir und ein paar Enten. Klingt das nicht verlockend?

Gleich, antworte ich. Glockengeläut, die Doppelhochzeit. Mir kommen erneut die Tränen. Der Franzl-Hofrat und seine Marianne. Der Peter umarmt sein Mariandl. Die große Liebe, einzig, auf ewig. Die Alten als Vorbild. Auch die Jungen werden es schaffen. Liebe glaubt alles, hofft alles, …

Rolf steht auf dem Balkon, genießt die Zigarette in der Frühsommersonne.

Ich streiche über die Rosen, betrachte den Korb. Er ist anders als der aus dem Hobbyraum. Kleiner, irgendwie schäbiger.

Bremsen quietschen, der unvermeidbare Knall und das Splittern von Glas. Schreck fährt mir in die Glieder. Für Dramen bin ich empfänglich, springe auf. Rolf beugt sich nach vor. Ein Unfall, sagt er über die Schulter und reckt weiter den Hals. Sein nüchterner Tonfall bremst meinen Schritt. Früher hat er mich beruhigt, dem Alltag die Schärfe genommen.

Die breiten Schultern, kaum eine Armlänge entfernt. Er lehnt sich weit über die Brüstung, hat sich auf Zehenspitzen gestellt. Merkt nichts von der Entschlossenheit, die sich hinter ihm ballt.

Ich packe ihn an den Fußgelenken, nutze den Schwung des Hebels. Im wirklichen Leben ist vieles leicht. Er fällt anmutig, sekundenlang. Rudert mit den Armen, bis zum Aufschlag, Hirn spritzt gegen die Wand. Erst jetzt löst sich der Schrei. – Meiner. Voller Schreck, Angst und Erleichterung. Unten entsteht ein Tumult. Die Schaulustigen verlassen den Blechschaden; Aufregung um die neue Sensation.

Ich wanke benommen ins Zimmer, drücke auf den Knopf der Fernbedienung. Wenn der Hofrat Geiger das Mariandl als seine Tochter erkennt, kommen mir die Tränen. Das war immer schon so. Dabei hab ich den Film sicher mehr als fünfzig Mal gesehen.

Die Polizei wird gleich hier sein. Meine Glieder zittern, ich kann meine Zähne klappern hören. Innen bin ich ganz klar. Der Schock, sie wollte ihn zurückhalten, werden sie sagen. Mein Gott, die arme Frau. Ein Schluchzen befreit sich aus meiner Kehle.

Der Franzl-Hofrat umarmt seine Mariann. Er hält sie fest und lässt sie nie mehr wieder fort.

Erstmals veröffentlicht in: An der öden lauen Donau? Geschichten aus der Donauregion, Edition Aramo, Wien 2005, herausgegeben von Sylvia Treudl.

Erntedank

Seine Nase verfehlt die Wurzel knapp. Die Hände dämpfen die Wucht des Aufpralls. Langsam richtet er sich auf.

„Weh getan?“ Die Worte der alten Frau drücken Mitgefühl aus.

War es ihr Spazierstock, über den er gestolpert ist? Sie sitzt auf der Bank, den Kopf ein wenig geneigt. „Geht schon“, presst er zwischen den Zähnen hervor, reibt sein schmerzendes Knie und verfällt in einen humpelnden Trab.

Sie kichert, als er um die Wegbiegung verschwunden ist. Das war schon der Fünfte in dieser Woche. Ein Ruck mit dem Spazierstock und schon liegen sie. Ihre Technik wird mit jedem Mal besser. Nicht dass sie etwas gegen Jogger im Speziellen hätte … Die gehören zum Wienerwald, so wie die ersten Buschwindröschen, die sie jedes Jahr im Februar holt. Sie kennt die Plätze genau, die Gegend hier wie ihre Westentasche.

Sie putzt ein paar Brösel getrockneter Erde von ihrem Mantel. Der Stiel der kleinen Schaufel ragt aus dem Plastiksackerl.

Lieb, freundlich und bescheiden, hat er gesagt und ihr dabei die Hand getätschelt. Als ob sie ein kleines Kind wäre. Keinen Respekt vor dem Alter. Ihr einzureden, sie sei im Seniorenheim besser aufgehoben. Sie ballt die Finger zur Faust, spürt die Verbitterung. Meint er wirklich, dass eine Mutter ihren Sohn nicht besser kennt? Nicht weiß, dass er die Wohnung für den Enkel braucht?

Sie wollte nie ins Heim. Lieber sterben als diese Bevormundung hinnehmen zu müssen. Dabei hat sie Glück, ist mobil. Wird nicht um sechs ins Bett gesteckt und mit Schlaftabletten sediert, damit die Nachtschwester in Ruhe Kaffee trinken kann.

Die Sonnenstrahlen lassen sie blinzeln, dann niesen. Sie ist gern auf der Rudolfshöhe, betrachtet die Baumwipfel, die sich sacht im Wind wiegen.

Ein quengelndes Kleinkind stört die beschauliche Ruhe. Die Frau wird sich doch nicht … mit dem Kind … auf ihre Bank? Sie greift in die Manteltasche, umklammert die Dose. Die wirkt Wunder. Der alte Steirerkäse vertreibt ungebetene Besucher. Scheele Blicke nimmt sie gern in Kauf. Das entschuldigende Lächeln hat sie vor dem Spiegel geübt. Peinlich ist es immer den anderen. Warum? Das hat sie noch nie verstanden. Aber es gefällt ihr, macht die Vorstellung reizvoller.

Die Frau nimmt das Kind auf den Arm, geht weiter, an der Bank vorbei. Sie löst den Griff, lässt die Dose im Mantel, zieht den Korb näher zu sich heran, streicht über das Setzholz.

In ein Zweibettzimmer haben sie sie gesteckt. Sie, die sie schon seit Jahren alleine lebt, ihre Gewohnheiten pflegt. Und redselig ist die, diese verrückte Alte mit den breitkrempigen Hüten. In der zweiten Woche hat sie ihr Tropfen in den Kaffee geschüttet. Danach war das Geplapper schnell vorbei. Das Würgen im Badezimmer wurde ihr dann doch zu viel, sie ging derweil ins Musikzimmer.

Später hat sie ihr von einer Schwägerin erzählt, die an Magenkrebs gestorben ist. Die andere hat zugehört, mit Kopf und Hut mitfühlend genickt. Bis sie den Brechreiz erwähnt hat – das erste Zeichen der Krankheit. Da ist die blass geworden, hat wohl Angst gekriegt. Sie hat es befriedigt registriert. Sich sogar boshaft für die Taktlosigkeit entschuldigt. Ihr Verhältnis ist seitdem abgekühlt, sie reden kaum miteinander. Ihr ist es recht.

Sie wischt über die rissigen Handflächen, ihre Nägel haben Trauerränder. Sie wird sie nachher, so wie die kleine Harke reinigen müssen. Zwei Zwiebeln hat sie behalten, sie mag den Duft der Maiglöckchen. Die Blätter sind geruchlos, im Gegensatz zum Bärlauch: Die riechen nach Knoblauch und sind gesund, helfen gegen Arterienverkalkung und Bluthochdruck. Das weiß sie seit Kindertagen.

Ihr Kreuz schmerzt und die Finger waren die Grabarbeit nicht gewöhnt. Fast eine Woche hat sie dafür gebraucht. Der Regen wird die letzten Spuren verwischen.

Bald werden sie kommen und den Bärlauch ernten. Ihn auf dem Markt verkaufen, zu Suppen und Strudeln verkochen. Sie wird hier sitzen, ihnen bei der Arbeit zuschauen. Lächelnd nicken, wenn sie an ihrer Bank vorbei gehen.

Am Erfolg zweifelt sie nicht. Wie auch, bei der Eile, die die meisten Menschen antreibt? Wer nimmt sich da Zeit jedes Blatt zu prüfen? Im Bärlauchfeld.

SiegerInnengeschichte des Literaturwettbewerbs des Naturparks Purkersdorf 2004. Veröffentlicht unter dem Titel: Du sollst nicht töten. Oder? in: Mein Kreuz am Sonntag. Eine katholische Bestandsaufnahme – Teil II. Edition Aramo, Wien 2006, herausgegeben von Sylvia Treudl.

Auf ewig dein

Man muss nur auf den richtigen Zeitpunkt warten, hat meine Mutter immer gesagt. Und sie hatte Recht. Heute kann ich es ja zugeben. Und wenn mir das einer vorher erzählt hätte? Ich hätte es nicht geglaubt. Einfach weil ich schon zu viele schlechte Erfahrungen gesammelt hab. Dabei hab ich vieles probiert. Das Pfarrcafé, Zeitungsannoncen, das Internet – obwohl, da hat mir meine Nichte geholfen, weil selber kenn ich mich damit nicht so gut aus. Sogar bei der Spira hab ich mich beworben und vor dem Spiegel geübt, wie ich mich vorstellen werde. Und ein neues Kostüm hab ich mir auch gekauft. Leider umsonst, genommen hat sie mich nämlich nicht. Aber alles Gute gewünscht, immerhin.

Und dann steht er vor der Tür. Einfach so. Wie im Märchen. Ich weiß noch genau, wie es geklopft hat und ich mir noch gedacht hab: Wer in aller Welt kann das sein? Um diese Zeit? Ich war im Schlafrock, noch nicht frisiert und hab eben meinen ersten Kaffee getrunken. Samstags lasse ich mir immer viel Zeit beim Aufstehen.

Und da steht er und grinst mich an. So weiße Zähne hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Sicher, die Hautfarbe macht auch was aus. Schwarz wie Ebenholz, wie beim Schneewittchen. Aber dieses Lächeln! Irgendwie hab ich sofort gespürt, dass der was ganz Besonderes ist. Und höflich war er, das gefällt mir. Auch wenn sein Deutsch holprig war – bemüht hat er sich. Und so was muss man honorieren, Ausländer hin oder her.

Seine Schnitzereien waren auch ganz nett. Selbst gemacht, hat er gesagt, nach alter Stammestradition; und dass er sich damit das Studium finanziert. Einen Teil vom Geld schickt er nach Afrika, zu seinen alten Eltern und den sieben Geschwistern. Da unten funktioniert der Familienzusammenhalt eben noch. Die wissen wahrscheinlich gar nicht, was das wert ist.

Ich hab mich für meinen Aufzug entschuldigt und ihn gefragt, ob er einen Kaffee mag. Natürlich hab ich ihn nicht ins Haus gelassen – einen Fremden! Man hört ja genug Geschichten, was dabei alles passieren kann. Obwohl, was Böses hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Diese warmen braunen Augen und das herzliche Lachen – nein, soviel Menschenkenntnis hab ich, in meinem Alter.

Wir haben uns unterhalten, über dies und das. Die Zeit ist vergangen wie im Flug und ich hab zwei von seinen Figuren gekauft. Meine Schwägerin hat bald Geburtstag, da brauchte ich sowieso ein Geschenk. Ich weiß zwar, dass sie wenig Sinn für solche Staubfänger hat, aber was soll man schenken, wenn jemand schon alles hat? Und außerdem wäre es auch gleich eine Retourkutsche für diese hässliche Bleikristallvase. Ich hab mir schon überlegt, ob ich sie nicht einfach einmal fallen lasse. Aber irgendwie wäre es auch schad, kostet schließlich alles Geld.

Jedenfalls hab ich dann gesagt, dass er nächsten Samstag wieder vorbei kommen soll. Weil ich ihn zum Essen einlad. Ist eh besser, als wenn man irgendeiner von diesen Hilfsorganisationen Geld spendet. Da weiß man nie, wo es versickert, oder? Man hört doch immer, dass sich die Chefitäten von diesen Vereinen mit unserem Geld ein schönes Leben machen. Und die, die’s brauchen täten, schauen durch die Finger. So ist die Welt: schlecht. Aber das ist halt so. Und wir werden es auch nicht ändern.

Samstag, hab ich ihm gesagt. Weil im Gartenhaus bin ich nur am Wochenende. Da zieh ich ins Grüne und meinen Urlaub verbring ich auch da. Während der Woche rentiert es sich nicht, der Weg in die Arbeit ist einfach zu umständlich. Außerdem kann man im Winter nicht ordentlich heizen und Schneeschaufeln müsste man auch. Und bei dem Haufen, den wir im letzten Winter gehabt haben, nein, da ist es in der Stadt praktischer. Ganze zehn Minuten brauch ich von der Wohnung in mein Büro. War eh ein Glück, dass ich die damals gefunden hab, direkt in der Josefstadt. Vom Dach oben sieht man sogar auf das Museum. Auf beide natürlich, sie sind sich ja gegenüber.

Einen Kokoskuchen hat er mitgebracht. Ein Nationalgericht aus seiner Heimat, hat er gesagt. Eigentlich isst man den aus Bananenblättern, aber die haben wir da ja nicht. Teller tun es auch, hab ich ihn getröstet und dann hat es Huhn gegeben, weil ich im Fernsehen einmal gesehen hab, dass die so was gern essen. Sogar die kranken Hendln, haben sie in dem Beitrag gesagt, weil die Vogelgrippe so schwer zu erkennen ist und weil sie sich nichts dabei denken, wenn das Fleisch einmal gekocht ist. Das ist eine Einstellung zu den Lebensmitteln, nicht so wie bei uns, wo so viel weggeschmissen wird. Man braucht nur in die Mülltonnen schauen. Das Herz tut einem weh bei dieser Verschwendung.

Geschmeckt hat es ihm, auch der Reis. Zwei Mal hat er sich nachgenommen. Ich hab schon Angst gehabt, dass ich zu wenig hab. Kein Wunder, wenn die monatelang nichts G’scheites kriegen, müssen sie halt auf Vorrat essen, wenn endlich einmal was da ist. War bei uns im Krieg nicht viel anders. Hat mir die Mutter immer erzählt.

Danach haben wir geplaudert. Er über seine Heimat, ich über mein Leben. Sogar von meinen Männern hab ich ihm erzählt, und warum nie was daraus geworden ist und dass ich immer gern Kinder gehabt hätte. Dabei bin ich sonst nicht so, dass ich gleich über so intime Sachen red, mein ich. Das muss an ihm gelegen haben, der Offenheit und dieser Natürlichkeit. Ja, irgendwie stimmt es schon. Sie sind einfach ursprünglicher, der Natur näher und das ist jetzt sicher nicht rassistisch gemeint.

Die Woche darauf hat er mich zu einem Trommelfestival eingeladen. Beeindruckend – so was von gastfreundlich. Da könnten sich die Unsrigen was abschauen. Das doppelt gebratene Rindfleisch und die Kochbananen haben mir besonders geschmeckt. Gezahlt hab natürlich ich. So ein Student hat ja nichts, dem kann man nicht auf der Tasche liegen.

Dafür hat er mir dann später eine CD mitgebracht. Von einem Freund gebrannt, mit afrikanischer Musik. Ich hab mir ein altes Tischtuch um die Hüften gebunden, so wie ich es bei den Negerinnen am Fest gesehen hab. Er hat gelacht und gesagt, dass mir das super passt und dann haben wir getanzt. Spät ist es geworden, aber es war egal, weil’s ein Samstag war.

In der Arbeit haben sie gesagt, dass ich so gut ausschau mit der neuen Frisur und ob ich abgenommen hätt? Ich hab geheimnisvoll getan, das geht die nämlich gar nichts an. Deswegen heißt es ja Privatsache. Oder?

Mein Leben hat sich an den Wochenenden abgespielt und an den Feiertagen. So hart hab ich noch nie auf einen gewartet, besonders auf die Donnerstage, weil da hab ich dann auch die Fenstertage frei gekriegt. Das Naturhistorische Museum hat zwar offen, aber für meine Arbeit ist das wurscht. Die ist an keinen Wochentag und keine Tageszeit gebunden. Außer bei den Sonderausstellungen. Da kann es schon sein, dass ich einen Stress krieg, weil noch schnell ein paar Exponate herzurichten sind. Lagerschäden, der ganz normale Verschleiß, wie es halt in der Branche so ist. Aber das macht mir nichts. Ich mag meine Arbeit. Biologie ist mir in der Schule schon gelegen und ich hab es nie bereut, dass ich damit angefangen hab.

Dass es irgendwann passieren wird, war keine Frage. Natürlich hab ich mir Gedanken über den Altersunterschied gemacht, er hätte ja fast mein Sohn sein können. Aber kann man sich aussuchen, wohin die Liebe fällt? Und bei ihm hab ich mich um Jahre jünger gefühlt, akzeptiert so wie ich bin, das hätte ich von keinem der Unsrigen haben können. Und ich weiß, wovon ich rede.

Meine Güte, was waren wir verliebt. Ein ganzes Wochenende lang sind wir im Bett geblieben. Und da hab ich erst gemerkt, wie schön das sein kann.

Dass er illegal in Österreich ist, hat er mir später gestanden. Und die Geschichte mit den sieben Geschwistern und den alten Eltern war auch ein Schmus. Weil er nämlich gar nicht weiß, was mit seiner Familie ist. Die sind nach dem Machtwechsel geflohen. Sonst hätten die anderen sie mit der Machete erschlagen. Er ist mit einem Schlepper über Italien nach Europa gekommen und hat sich dann bis nach Österreich durchgeschlagen. Weil er gehört hat, dass es den Schwarzen hier besser geht. Aber seit er da lebt, weiß er, dass es ohne Aufenthaltsgenehmigung überall beschissen ist.

Elias heißt er übrigens auch nicht, sondern Noah. Hauptsache Altes Testament, hab ich gesagt und über meinen Witz gelacht. Er fand es nicht so witzig, Religion hat bei denen eben einen anderen Stellenwert.

Was er mit dem Geld gemacht hat, mit dem ich sein Studium gesponsert hab, wollte er mir zuerst nicht sagen. Auch gut, hab ich mir gedacht. Aber dann ist er damit herausgerückt, dass man immer wieder Schmiergelder zahlen muss, damit man nicht an die Fremdenpolizei verpfiffen wird. Arg, nicht? Aber es gibt immer solche, die aus dem Unglück der anderen ihren Vorteil ziehen.